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KLIMA/415: Arktisches Meereis erholt sich nicht (Uni Hamburg)


Universität Hamburg - 7. September 2015

Arktisches Meereis erholt sich nicht: Eisfläche schon jetzt kleiner als im Vorjahr


Hamburg/Bremerhaven: Das sommerliche Minimum ist noch nicht erreicht, doch schon jetzt bedeckt das Meereis in der Arktis nur noch eine Fläche von 4,35 Millionen Quadratkilometern. Nordost- und Nordwestpassage sind bereits weitgehend eisfrei. Zwar wird es nach Einschätzung von Wissenschaftlern der Universität Hamburg und des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) dieses Jahr keinen Negativrekord geben, doch der generelle Abwärtstrend bestätigt sich.


Foto: © Stefan Hendricks, AWI

Das Forschungsschiff Polarstern im arktischen Eis, August 2015
Foto: © Stefan Hendricks, AWI

"Entgegen anderslautenden Prognosen stellen wir fest: Das Arktiseis erholt sich nicht", sagt Prof. Lars Kaleschke vom Exzellenzcluster für Klimaforschung CliSAP der Universität Hamburg, der die Entwicklung anhand von Satellitendaten verfolgt. "Nur noch 4,35 Millionen Quadratkilometer des arktischen Ozeans sind aktuell mit Eis bedeckt. Das ist bereits jetzt weniger als die Minimumwerte von 2013 und 2014. Ihren Höhepunkt erreicht die sommerliche Schmelze aber voraussichtlich erst in einer Woche." Das Meereis der Arktis gilt als kritisches Element im Klimageschehen und als Frühwarnsystem für die globale Erwärmung. In den 1970er und 1980er Jahren lagen die sommerlichen Minimumwerte noch bei durchschnittlich rund 7 Millionen Quadratkilometern.


Bild: © UHH/Kaleschke;Quelle: © JAXA AMSR2-Satellitendaten

Eisbedeckung Anfang September 2015 (weiß). Zum Vergleich: Die rote Linie zeigt die durchschnittliche Eisbedeckung im September der 15 Jahre von 1992 bis 2006. Abgelöster "Eisarm" in der Beaufort See vor Alaska sichtbar. Aktuell mögliche Seewege (blau, Nordost-, Nordwestpassage)
Bild: © UHH/Kaleschke;Quelle: © JAXA AMSR2-Satellitendaten

"Die Entwicklung ähnelt dem Verlauf von 2007. Das diesjährige sommerliche Minimum könnte sich also etwa bei 4,2 Millionen Quadratkilometern einstellen", schätzt Dr. Marcel Nicolaus vom AWI (siehe Grafik 1). Der Negativrekord aus dem Jahr 2012 von 3,4 Millionen Quadratkilometern würde damit nicht unterschritten, aber es wäre der zweitniedrigste Wert seit Beginn der Satellitenbeobachtungen in den 1970er Jahren. Wie genau der Wert eines Jahres ausfällt, hängt allerdings auch von der kurzfristigen Wettersituation ab.


Grafik: © Alfred-Wegener-Institut/Universität Bremen

Entwicklung der Meereisausdehnung in der Arktis 2015 (rote Linie). Zum Vergleich: 2014 (blau), die beiden bisherigen Rekord-Minima von 2007 (grün) und 2012 (pink), sowie das 30-jährige Mittel von 1981 bis 2010 (grau).
Grafik: © Alfred-Wegener-Institut/Universität Bremen


Schmilzt der "Eisarm", schrumpft die Fläche weiter

Im Juli dieses Jahres ließ beispielsweise ein Hochdruckgebiet über dem Nordpol den Wind dort im Uhrzeigersinn zirkulieren, erklärt Lars Kaleschke. Durch die resultierende Eisbewegung habe sich in der Beaufortsee ein relativ dicker "Eisarm" von der kompakten Eisfläche gelöst (siehe Grafik 2). Sollte dieser durch seine isolierte und südlichere Lage nun womöglich ganz aufschmelzen, würde dies die Gesamtfläche laut Kaleschke weiter deutlich verringern. Schon jetzt ist eine Schiffspassage auch diesen Sommer wieder auf beiden Routen möglich, die Nordost- und die Nordwestpassage sind weitgehend eisfrei.


Grafik: © Alfred-Wegener-Institut/Universität Bremen

Die Entwicklung der arktischen Meereis-Fläche im September von 1972 (Beginn der Satellitenauswertung) bis heute. Hier sind die Mittelwerte jeweils für den Monat September angegeben, nicht die absoluten Minima.
Grafik: © Alfred-Wegener-Institut/Universität Bremen

Doch um die Gesamtmenge des Meereises in der Arktis zu beurteilen, muss auch die Dicke berücksichtigt werden. Nur so lässt sich feststellen, ob das Meereis insgesamt weniger geworden ist oder zusammengeschoben wurde. "Die besten arktisweiten Abschätzungen der Meereisdicke erhalten wir derzeit von den Satelliten CryoSat-2, vor allem für dickes Eis, und von SMOS, vor allem für neues und dünnes Meereis. Allerdings funktionieren die Verfahren bislang nicht im Sommer, wenn Schmelztümpel die Eislandschaft in der Arktis dominieren", sagt Marcel Nicolaus.


Eisdickenbestimmung im Feld ergänzt Satellitendaten

Deshalb arbeiten Wissenschaftler auf dem Forschungsschiff Polarstern zurzeit gemeinsam daran, Vergleichsdaten für die Eisdicke in den arktischen Sommermonaten zu gewinnen. Stefan Hendricks vom AWI berichtet von Bord: "Das Eis ist zurzeit ähnlich dick wie in den Vorjahren. In den letzten Tagen hat es viel geschneit, so dass die Schollen bereits mit einer 20 Zentimeter dicken Schneeschicht bedeckt sind. Im Vergleich zu 2012 ist dies eine dickere und frühere Schneebedeckung." Was problematisch werden könnte: Schnee wirkt wie eine Isolierschicht, fällt mehr Schnee als üblich, wächst das Eis im Winter langsamer.


Foto: © Stefanie Arndt/ AWI

Autonomes Messsystem funkt Felddaten zur Eisdicke in die Institute.
Foto: © Stefanie Arndt/ AWI

Hendricks und Kollegen werden in den nächsten Tagen die Eisdicken mit einer Schleppsonde messen, die per Helikopter über das Eis geflogen wird. Sie bringen autonome Messsysteme aus, die auch nach der Expedition noch Schnee- und Eis-Daten via Satellit direkt in die Institute senden. Diese Feldmessungen helfen, neue Rechenmethoden zu überprüfen.



26. Internationale Polartagung München, 6.-11.9.2015:
http://www.glaziologie.de/Polartagung/index.htm

Link zum Film: Aktuelle Eisentwicklung in der Arktis, Mai bis August 2015:
https://www.clisap.de/de/forschung/ia:-integrierte-aktivitaeten/ia-5:-visualisierung/video-gallery/video-gallery-pages/ice/schmelzsaison-2015-meereis-aus-satellitensicht-1/

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Quelle:
Universität Hamburg
Pressemitteilung 73/15, 07.09.2015
Abteilung Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Referat Medien- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel. 040-428 38 29 68, Fax 040-428 38 24 49
E-Mail: medien@uni-hamburg.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. September 2015

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