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KLIMA/147: Die Klimaschutzmär - CO2-Senken werden der Biodiesel-Produktion geopfert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Januar 2012

Energie: Die Klimaschutzmär - CO2-Senken werden der Biodiesel-Produktion geopfert

von Stephen Leahy


Uxbridge, 23. Januar (IPS) - Neue Untersuchungen belegen: Das einzige Grün am Biodiesel sind die Dollar-Scheine, die die Produzenten damit verdienen. So mildert der angeblich umweltfreundliche Treibstoff nicht etwa die Folgen des Klimawandels, sondern verschlimmert sie sogar.

Der aus Palmöl hergestellte Diesel richtet demnach mehr Schaden an als der herkömmliche aus Erdöl. Die Ölpalmplantagen in Indonesiens Moorgebieten hätten CO2-Schulden angehäuft, die über 200 Jahre abbezahlt werden müssten, moniert Louis Verchot vom 'Center for International Forestry Research' im indonesischen Bogor. Die Plantagen müssten also 200 Jahre ununterbrochen Öl für die Dieselherstellung generieren, um den Verlust der Moore als CO2-Speicher zu kompensieren.

Die von Verchot und seinen Kollegen erstellte Studie erschien im Dezember im Fachmagazin 'Ecology and Society'. Die Wissenschaftler hatten zwölf Betriebe in sechs Ländern untersucht, die den Treibstoff aus Palmöl, Jatropha und Soja herstellen. "Unsere Studie zeigt, dass wir vieles von dem einstellen müssen, was wir bisher im Namen des Klimaschutzes vorangetrieben haben", meint Verchot.


Biodiesel-Produktion um das Zehnfache gestiegen

Weltweit hat sich die Bio-Dieselproduktion in den vergangenen acht Jahren verzehnfacht. Nach Angaben der Internationalen Energiebehörde IEA wurde 2010 die Marke von elf Milliarden Liter überschritten. Die Ethanol-Produktion hat sich seit 2000 um mehr als das Vierfache erhöht und erreichte Ende 2011 ein Volumen von fast 90 Milliarden Liter. Diese Zuwächse entsprechen staatlichen Bemühungen, den Anteil der Biotreibstoffe am herkömmlichen Sprit immer weiter zu erhöhen.

Bei der Verbrennung setzt Biodiesel unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen 40 und 75 Prozent weniger Klimagase frei als regulärer Diesel. Um die Voraussetzungen für seine Herstellung zu schaffen, wurden in Indonesien weite Teile der Torfmoorwälder abgeholzt und abgebrannt. Dabei gelangten riesige Mengen an CO2 in die Atmosphäre.

Verchot zufolge fallen pro Hektar Moor, der zerstört wird, 200 bis 300 Tonnen Kohlendioxyd an. Durch die Trockenlegung der Moore und die Zersetzung des Torfs entstünden jährlich noch einmal rund zehn Tonnen CO2. Wenn Palmöl also schon zur Zeit der Invasion Napoleons in Russland produziert worden wäre, wären die Klimaschäden heute noch nicht ausgeglichen.

Ross Morrison von der britischen Universität Leicester kritisiert, dass die Umweltfolgen der Palmenplantagen erheblich unterschätzt worden seien. Morrison ist der Co-Autor einer unabhängigen Untersuchung für den 'International Council on Clean Transportation', die noch vor Verchots Studie veröffentlicht wurde.

In Südostasien werden immer mehr Moore, die mehr CO2 speichern als Tropenwälder, in hochprofitable Palmenpflanzungen umgewandelt. Auch die Bewohner der Regionen müssen durch diese Veränderungen erhebliche Nachteile in Kauf nehmen. Zudem verlieren viele Tierarten, darunter bedrohte Spezies wie Orang-Utans und Sumatra-Tiger, ihren Lebensraum.

"Vorhersagen gehen davon aus, dass allein im Westen Indonesiens die Palmenplantagen in Moorgebieten bis 2020 auf eine Gesamtfläche von 2,5 Millionen Hektar anwachsen werden", sagt Sue Page, die Co-Autorin der in Leicester veröffentlichten Studie. "Dies entspräche der Größe Großbritanniens."

Die Untersuchung kommt außerdem zu dem Schluss, dass der in Europa erzeugte Biodiesel nicht besser ist als der dort produzierte, auf Erdöl beruhende Kraftstoff. Am schlechtesten schnitten die Treibstoffe aus Soja und Raps ab, während Biodiesel aus gebrauchtem Speiseöl CO2 einsparen helfen könnte.


Auch Treibstoff aus Jatropha keine gute Alternative

Verchot und seine Kollegen fanden ferner heraus, dass auch der Diesel aus der in Ghana, Sambia und Tansania zu diesem Zweck angebauten Jatropha-Pflanze dem Klima schadet. Der Studie zufolge summieren sich die CO2-Schulden durch diese Plantagen auf durchschnittlich 100 Jahre. Je nach Anbaugebiet ist nicht ausgeschlossen, dass der Wert auf 300 Jahre steigen könnte. Jatropha hat außerdem den Nachteil, pro Hektar weit weniger ergiebig zu sein als Ölpalmen.

Biodiesel aus Sojabohnen, die in den Graslandschaften des Cerrado im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso angebaut werden, schlagen in der von den Studien ermittelten Klimabilanz am niedrigsten zu Buche. Verchot führt die geringen Mengen an Kohlendioxyd auf die dort nur gering vorhandene Biomasse zurück.

"Biosprit ist nicht an sich schlecht", betont Verchot. "Wir haben nur herausgefunden, dass die Voraussetzungen für den Anbau von Energiepflanzen begrenzter sind als allgemein angenommen."

Die Untersuchung geht allerdings nicht auf die sozialen Folgen der Biotreibstoffproduktion ein. Durch die Anlage großer Plantagen werden kleine Bauern vertrieben, die oft keine formellen Landtitel besitzen. Daraus entstehen in den betreffenden Ländern weitere Konflikte.

Die Biosprit-Industrie und ihre Lobby sehen die Dinge anders. Ein Grund dafür ist, dass die Europäische Union das Ziel verfolgt, dass bis 2020 zehn Prozent der Transporttreibstoffe aus ökologischen Quellen stammen müssen. Und die USA wollen die Verwendung von Biosprit im Zeitraum 2009 bis 2022 verdreifachen.

Da auch andere Staaten ähnliche Ziele haben, ist damit zu rechnen, dass die steigende Nachfrage die Produktion weiter in die Höhe treiben wird. Die Industrie schaut nun nach Afrika, wo sich mehr als eine Milliarde Hektar Land als mögliches Anbaugebiet anbieten könnte. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.ecologyandsociety.org/issues/view.php?sf=68
http://www.cifor.org/
http://www.theicct.org/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=106491

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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2012