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KATASTROPHEN/001: Überschwemmung in Pakistan - Archetype für kaum gekanntes Extremwetter (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2010


Überschwemmung in Pakistan
Archetype für ein vorher kaum gekanntes Extremwetterereignis?

Von Rixa Schwarz und Manfred Treber


Eine Überschwemmung biblischen Ausmaßes, eine humanitäre Katastrophe mit nicht absehbarer Zahl menschlicher Opfer - ist die Flut in Pakistan eine Archetype für ein vorher kaum gekanntes, vermutlich durch die Klimaänderung verstärktes Extremwetterereignis, welches das Ausmaß der Folgen wie auch die Überforderung der Anpassungsfähigkeit der betroffenen Gesellschaft angeht?

Was bedeutet die Befürchtung, Extremwetterereignisse wie die Starkniederschläge in Pakistan könnten durch den Klimawandel immer häufiger und stärker auftreten, für Krisenprävention und Krisenmanagement in Entwicklungsländern und für die derzeitigen Strukturen humanitärer Hilfseinsätze?


Die Flut in Pakistan

Die Überschwemmung in Pakistan des August 2010 hat biblische Ausmaße angenommen. Es gibt bis zu 20 Mio. Betroffene, mindestens eine Million Häuser sind zerstört und cirka 10 Mio. Menschen sind obdachlos geworden. 30% der landwirtschaftlichen Fläche sind überflutet.

Nach Schätzungen der Regierung von Anfang September hat diese Flut einen wirtschaftlichen Gesamtschaden von etwa 43 Mrd. Dollar hinterlassen. Präsident Zardari sagt, man bräuchte mindestens drei bis fünf Jahre zum Wiederaufbau; die Ernte ist zerstört, ebenso die Infrastruktur wie Straßen und Brücken in den betroffenen Gebieten. Pakistan erwartet statt eines Wirtschaftswachstums von 4,5 Prozent nun lediglich 2 und wird durch die Flut 10 bis 15 Jahre zurückgeworfen. Auf neue Kredite vom Internationalen Währungsfonds kann kaum verzichtet werden, doch muss das Land dazu seine Staatseinnahmen steigern und will trotz Flutkatastrophe eine Mehrwertsteuer von 15% einführen.[1]

Doch das Land wird nicht nur durch die Naturgewalten herausgefordert. Die innenpolitische Instabilität mit starken fundamentalistischen Gruppen belastet die Entwicklung des Landes und erschwert außenpolitische Anerkennung generell. Grenzkonflikte kommen hinzu. Bei der aktuellen Überschwemmung im Grenzgebiet zu Indien war anfänglich die Reaktion des Nachbarlandes aufgrund des ungeklärten Kaschmirkonflikts nicht abzusehen, so dass fraglich war, ob mit Hilfe an der indischen Grenze überhaupt gerechnet werden konnte.


Der Bezug zur anthropogenen Klimaänderung

Praktisch immer gilt, dass ein einziges Extremwetterereignis wie etwa die Flut in Pakistan im August 2010 nicht zwangsläufig als Folge der menschgemachten Klimaänderung dargestellt werden kann. Diese ändert lediglich die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten von Ereignissen. Ein Blick auf die Aussagen der Wissenschaft hilft einzuschätzen, inwiefern Ereignisse wie die Flut in Pakistan durch die Klimaänderung vermehrt auftreten. Zu berücksichtigen ist, dass der Einfluss des Menschen auf die Umwelt (etwa Waldabholzung, schlechtes Management der Wasserläufe und der Flächennutzung oft in Zusammenhang mit hohem Bevölkerungsdruck) die negativen Folgen von Wetterextremen verstärken können.

Der Weltklimarat IPCC als weltweit höchste Autorität in Klimafragen macht in seinem Vierten Sachstandsbericht von 2007 mehrfach auf die jüngste Flut in Pakistan anwendbare Aussagen.

Die Zusammenfassung für Entscheidungsträger der Arbeitsgruppe 1 des IPCC stellt fest[2], es sei sehr wahrscheinlich, dass die Häufigkeit von Starkniederschlagsereignissen in den meisten Gebieten durch den Klimawandel zunimmt. Und die Arbeitsgruppe 2 projiziert für Asien, dass die mit Fluten verbundene Morbidität und die Mortalität in Ost-, Süd- und Südostasien aufgrund mit der Klimaänderung verbundener Änderungen im Wasserkreislauf steigt [3].

Beide Aussagen treffen auf die beobachteten Fluten in Pakistan zu. Ausgelöst wurde der Starkniederschlag der Wissenschaft zufolge durch einen außergewöhnlichen 'blockierten Jetstream'. Eine Verbindung zum Klimawandel kann vermutet, jedoch bei Einzelereignissen wie diesem auch hier nicht belegt werden. Doch ist eine mögliche Folge des Klimawandels in der Region Südasien die Zunahme des jährlichen Sommermonsuns durch erhöhte Wärme, stärkere Verdunstung und daher heftigere Regenfälle. Die dramatischen Regenfälle sind konsistent mit den projizierten Auswirkungen des anthropogenen Klimawandels [4].

Ungewöhnlich ist bei den Ereignissen nicht die Überflutung an sich. Immer wieder kommt es in Pakistan entlang des Verlaufs des Indus zu schweren Überschwemmungen, doch das im August 2010 beobachtete Ausmaß ist geschichtsträchtig.

Die Flut in Pakistan ist ein Ereignis, das in Zeiten einer globalen Erwärmung von 0,8 Grad gegenüber 1900 geschah. Vermutlich kaum erreichbar ist, die Erwärmung unter 2 Grad zu halten, denn selbst im günstigsten Fall ambitionierten Klimaschutzes wird befürchtet, von einem 'Peak and Decline' (Überschießen der Erwärmung um 2 Grad und dann Temperaturrückgang) ausgehen zu müssen. Welche Extremereignisse werden also noch auf uns zukommen?


Krisenmanagement in Zeiten des Klimawandels

Eine Verstärkung der Extremwetterereignisse durch den anthropogenen Klimawandel stellt die Krisenprävention und das Krisenmanagement vor allem in weniger entwickelten Ländern vor ungekannte Herausforderungen. Diese liegen zunächst im puren Ausmaß der Ereignisse, wie die aktuellen Starkniederschläge in Pakistan andeuten. Für die Prävention von humanitären Krisen mit einigen Millionen Betroffenen wie in Pakistan sind in steigendem Umfang Anpassungsmaßnahmen notwendig, um gerade die am stärksten betroffenen, oft armen Menschen zu schützen. Armutsbekämpfung ist hier ebenso dienlich wie Frühwarnsysteme, Dammbau und Überflutungszonen sowie sicher geplante Siedlungsstrukturen entlang großer Flüsse. Die existierenden Dämme in Pakistan entlang der Flussläufe, die es aus der Historie schwerer Überschwemmungen im Indusgebiet in Pakistan heraus gab, hielten den unerwartet heftigen Regenfällen im in diesem August nicht stand. Aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte werden verstärkt auch flussnah gelegene Gebiete besiedelt und zur Landwirtschaft genutzt, die als Überflutungszonen hätten dienen sollten. Dies wurde aber nun den Menschen zum Verhängnis.

Bleiben diese Anpassungsmaßnahmen zur Krisenprävention von Naturkatastrophen wie in Pakistan beispielsweise aufgrund schlechter Regierungsführung, Korruption und schlechter Entwicklung aus, muss ein Krisenmanagement greifen, das auf das Ausmaß der Extremereignisse angemessen reagieren kann. Im Fall der Überflutungen in Pakistan überforderte die Anzahl von bis zu 20 Mio. Betroffenen, die zum Teil schlechte Erreichbarkeit der überfluteten Regionen und die Armut und Hilflosigkeit der Bevölkerung die Regierung und Hilfsorganisationen nahezu. Erschwert wurden die Hilfseinsätze vieler Organisationen durch die geringe internationale Spendenbereitschaft trotz großer internationaler Aufmerksamkeit. Diese begründete sich in der für viele Außenstehende undurchsichtigen politischen Lage Pakistans, im durch aufgetretene Korruption entstandenen fehlenden Vertrauen in die pakistanische Regierung sowie in der Befürchtung, Spenden würden in die Hände von Fundamentalisten geraten. Kurz nach der Überschwemmung breiteten sich in den westlichen Medien bereits Meldungen über den starken Einfluss einerseits des Militärs, andererseits islamistischer Gruppierungen aus. Letztere versuchten durch ihre eigenen Hilfseinsätze Mitglieder oder zumindest Zuspruch in der pakistanischen Bevölkerung zu gewinnen. Es bedurfte gezielter Öffentlichkeitsarbeit der Aktion-Deutschland-Hilft, um in Deutschland Spendengelder zu generieren, die in den richtigen Händen in dieser Situation die Demokratie und die Zukunftsperspektiven des Landes stärken.

Die zunehmende Politisierung der humanitären Hilfseinsätze bis zur Instrumentalisierung von Opfern sowie die Skepsis der Bevölkerung macht auf die nötige Vorbereitung von Hilfseinsätzen aufmerksam. Besonders in instabilen Ländern, in denen Konflikte zwischen einzelnen politischen Gruppen oder ethnischen Volksstämmen herrschen, muss der Hilfseinsatz über die Grundzüge des 'Do no harm' hinausgehen und auch so genanntes PCIA (Peace and Conflict Impact Assessment) enthalten, um weder bestehende politische Konflikte zu stärken noch neue Konfliktkonstellationen durch z. B. einseitige oder ungleichmäßige Unterstützung zu generieren. Im Falle der Überflutungen in Pakistan war es Ziel, das Unterstützen fundamentalistischer Gruppen zu verhindern. Der Einbezug lokal ansässiger Organisationen in die Arbeit von international agierenden Hilfsorganisationen von der UN bis zu NGOs ist in diesen Fällen unerlässlich. Die alleinige Kontrolle der Verwendung von Spendengeldern ist nicht ausreichend.


Strukturelle Veränderungen erforderlich

Wie kann zukünftigen klimawandelbedingten Katastrophen durch effektive Krisenprävention vorgebeugt werden? Welche strukturellen Schlüsse sollten die UN, betroffene und nicht betroffene Staaten sowie Hilfsorganisationen aus den Ereignissen in Pakistan ziehen? Frankreich legte einen Vorschlag zu einer EU-Katastrophen-Eingreifstruppe zwischen militärischen Einheiten und Hilfsorganisationen vor: "Nach Haiti und den Bränden in Russland müssen wir die Konsequenzen ziehen und eine echte EU-Eingreiftruppe für solche Krisenfälle aufbauen, die auf den nationalen Mitteln der Mitglieder beruht.", so N. Sarkozy [5]. Dies lehnt die FDP, die sich als einzige Partei in Deutschland dazu geäußert hat, ab, obwohl auch Entwicklungsminister Niebel die Militarisierung der humanitären und infrastrukturellen Hilfe vorschlägt. - Eine wichtige Folgerung scheint in jedem Fall die bessere, kooperative statt konfliktive Zusammenarbeit zwischen den beteiligten staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren im Vorfeld, aber auch nach der humanitären Hilfeleistung zu sein. Nur so können Krisenprävention und Krisenmanagement verbessert werden, um den Herausforderungen von Klimawandelfolgen und ihren Auswirkungen auf Konfliktlagen während und nach Extremwetterereignissen gerecht zu werden.


Schlussfolgerungen

Eine neue Zeitrechnung hinsichtlich großräumiger Folgen der menschgemachten Klimaänderung mag begonnen haben. Eine Gesellschaft von 180 Mio. Einwohnern ist völlig überfordert, es entsteht die Gefahr von Desintegration - in einem anderen Fall wäre eventuell sogar der Verfall des Staates zu befürchten. Neue Reaktionsstrukturen wie bessere Kooperation beispielsweise auf UN-Ebene sind nötig, wie auch wegen der großen Erfordernisse für Unterstützung eine neue Art weltweiter Solidarität.

Rixa Schwarz ist Referentin für Klima und Sicherheit bei Germanwatch / Manfred Treber ist dort Klima- und Verkehrsreferent.

[1] 'Mehrwertsteuer trotz Flutkatastrophe', Süddeutsche Zeitung vom 25.8.10, S.8
[2] Vgl. Tabelle SPM-2
[3] Vgl. Aussage im SPM zu Asien auf S. 13
[4] Jean-Pascal van Ypersele, Vizepräsident des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)
http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/asia/pakistan/7937269/Pakistan-floods-Climatechange-experts-say-global-warming-could-be-thecause.html
[5] www.euractiv.de/sicherheit-und-verteidigung/artikel/sarkozy-fordert-eu-eingreiftruppe-003508


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2010, S. 35-36
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2011