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GLOBAL/174: Konvention für Biologische Vielfalt - Mit Volldampf gegen die Wand (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2022

Mit Volldampf gegen die Wand
Ist die CBD COP15 schon, bevor sie begonnen hat, zum Scheitern verurteilt oder gibt es vielleicht sogar Hoffnung, dass doch noch alles gelingt?

von Christian Schwarzer


Die Verhandlungen zur CBD (Convention on Biological Diversity) stehen vor großen Herausforderungen. Doch der Prozess läuft eher schleppend. Am 26. Juni ist in Nairobi die jüngste Verhandlungsrunde - die OpenEnded Working Group 4 (OEWG) - zu Ende gegangen. Geplant war diese Sitzung ursprünglich nicht. Eigentlich wollten sich die 196 Vertragsstaaten der CBD schon Ende März bei der OEWG 3 in Genf auf eine weitestgehend finale Version des Vertragstextes für das sogenannte Post-2020 Global Biodiversity Framework (Post-2020 GBF) verständigt haben. Dieser Versuch ging gründlich nach hinten los. Nun ist die Conference of the Parties (COP) zur CBD für Dezember dieses Jahres angesetzt. Trotz kurzer Zeit ist es bis dahin noch ein weiter Weg.

Das Post-2020 GBF ist als Nachfolgeabkommen für die 2020 ausgelaufenen Aichi-Ziele [1] und den Strategischen Plan 2011-2020 der CBD gedacht, welche trotz einiger positiver Entwicklungen größtenteils nicht erreicht worden sind. Das Post-2020 GBF soll als globales Rahmenwerk klare Ziele zum Schutz der biologischen Vielfalt für 2030 definieren, sodass bis 2050 der Verlust der Biodiversität nicht nur abgewendet wird, sondern die Natur sich auch wieder erholen kann.

Die Verhandlungen für das Nachfolgeabkommen laufen bereits seit August 2019. Ursprünglich sollte das Post-2020 GBF im Oktober 2020 in Kunming in China verabschiedet werden. Bis Anfang März 2020 wurde eifrig verhandelt, doch dann kam Corona und machte dem Zeitplan der CBD einen Strich durch die Rechnung. Vier Mal wurde der Termin für die COP bisher verschoben. Zwischenzeitlich versuchte das CBD-Sekretariat den Prozess durch virtuelle Verhandlungen voranzubringen. Nach einem Jahr ohne jegliche Fortschritte fanden 2021 wieder erste offizielle Sitzungen statt, u. a. eine OEWG. Die Sitzungen waren eigentlich als formelle Online-Verhandlungen geplant und sollten den Vertragsstaaten die Möglichkeit bieten, zu möglichst vielen Themen bereits einen Konsens zu finden, und so die Arbeit der COP vereinfachen.

Der Online-Ansatz ist gescheitert

Statt den Verhandlungsprozess mit neuem Leben zu erfüllen, offenbarte das Online-Format ein weiteres Mal, wie ungleich die Ressourcen auf der Welt verteilt sind. Dutzende Staaten - größtenteils aus Afrika, Südostasien und Lateinamerika - konnten aufgrund schlechter Internetverbindungen oder/und instabiler Stromnetze nur sehr eingeschränkt oder überhaupt nicht an den Verhandlungen teilnehmen. Zusätzlich sorgten die verschiedenen Zeitzonen dafür, dass es den Staaten nicht möglich war, bzw. diese nicht gewillt waren, gemeinsame Zielvorstellungen zu den allermeisten Verhandlungstexten zu entwickeln. Hierbei spielten auch noch die in einem Online-Format fehlenden Möglichkeiten für vertrauensbildende Maßnahmen und persönliche Konsultationen zwischen RegierungsvertreterInnen eine Rolle, welche den Konsensfindungsprozess entscheidend behinderten.

Als dann im März 2022 endlich alle Vertragsstaaten in Genf zur ersten physischen CBD-Sitzung (OEWG-3) seit zwei Jahren zusammenkommen konnten, musste man mit den Verhandlungen de facto wieder bei null anfangen. Die Genfer CBD-Runde ähnelte eher einem Wunschkonzert als einer echten Verhandlung. Statt Kompromisse auszuloten, fügten die Vertragsstaaten den Texten immer neue Vorschläge hinzu, welche - mangels Konsens - zugleich in eckige Klammern gesetzt wurden. Aus Interessensgegensätzen, leider viel zu oft immer noch entlang von Nord-Süd-Linien, aber auch durch die Blockadehaltung von Ländern wie Brasilien, resultierte am Ende ein wahres Meer an endlosen und völlig unleserlichen Verhandlungstexten, die nahezu ausschließlich aus Klammern bestanden.

Besonders frustrierend: Viele der vorgebrachten Themen und Streitpunkte wurden in fast identischer Form bereits bei den Verhandlungen über die Aichi-Ziele 2010 diskutiert. Immerwährend sind Grundsatzdiskussionen zur Finanzierung. Dazu kommen aber auch neue Aspekte, wie:

  • Anerkennung rechtsbasierter Ansätze in der Ausgestaltung des GBF: Dazu zählen unter anderem die Anerkennung der Rechte von indigenen und lokalen Gemeinschaften, die Pflicht zur Einhaltung von Menschenrechten bei der Umsetzung der Ziele, die Stärkung des Gender Mainstreamings, die Rolle von Frauen bei der Umsetzung und die Rechte zukünftiger Generationen.
  • Vorgaben zur Ausweisung von Schutzgebieten: Eine Reihe von Staaten bestehen darauf, dass das nationale Recht über den internationalen Vorgaben des GBF stehen muss. Dies steht in Teilen im Widerspruch zu dem vorher genannten Punkt.
  • Finanzierung: Die Staaten im Globalen Norden scheinen prinzipiell zuzustimmen, dass die Mittel für den globalen Biodiversitätsschutz erhöht werden müssen, halten sich aber bisher über Höhe und Ausgestaltung zurück.

Als langjähriger Beobachter der CBD kommt man nicht umhin, sich wie ein Gefangener in einem Geisterzug zu fühlen, der stur alle zehn Jahre im Kreis fährt und an den gleichen Stationen Halt macht.

Eine weitere Verhandlungsrunde muss her

Da am Ende die Zeit weglief und ein Termin für die COP15 immer noch auf sich warten ließ, sah sich das CBD-Sekretariat gezwungen, eine eigentlich ungeplante vierte Sitzung der OEWG zu organisieren. Diese fand nun vom 21. bis 26. Juni in Nairobi statt. In gewisser Hinsicht kann man die OEWG-4 als die erste 'echte' Verhandlungsrunde zwischen den Vertragsstaaten betrachten. Anders als in Genf wurden in Nairobi tatsächlich alle Elemente des Vertragsentwurfs des Post-2020-Abkommens, einschließlich aller Oberziele und Zielelemente, von den Staaten ausführlich diskutiert, sodass nun immerhin die unterschiedlichen Positionen und Interessen der jeweiligen Verhandlungsgruppen recht klar sind. Im Vorfeld hatte das CBD-Sekretariat das Ziel ausgegeben, dass während der OEWG-4 80% der eckigen Klammern aus den Verhandlungstexten entfernt werden sollten. Dieses Ziel konnte in Nairobi nicht erreicht werden. Im Gegenteil: Am Ende ist die Zahl der Klammern eher gewachsen als geschrumpft.

Und wie will man nun aus dieser Misere wieder herauskommen? Eine fünfte - auch wieder ungeplante - Sitzung der Open-Ended Working Group muss wohl her. Das COP-Büro schlägt vor, dass diese unmittelbar vor dem Beginn der COP15 tagen soll. Denn trotz der coronabedingten Verschiebungen beharrt ein Großteil der Vertragsstaaten weiterhin darauf, dass wesentliche Ziele des GBF bis 2030 erreicht werden sollen. Wird das GBF wie geplant Ende 2022 verabschiedet, blieben dann nur noch sieben Jahre für die Umsetzung. Angesichts der Tatsache, dass neben anderen Faktoren das Scheitern der Aichi-Ziele auch darin begründet liegt, dass die Umsetzungsphase einfach zu kurz war, muss man sich fragen, ob eine noch kürzere Umsetzungsperiode wirklich hilfreich ist oder das Post-2020-Abkommen damit zum Scheitern verurteilt wird, noch bevor es überhaupt verabschiedet worden ist.

Als langjähriger Beobachter der CBD kommt man nicht umhin, sich wie ein Gefangener in einem Geisterzug zu fühlen, der stur alle zehn Jahre im Kreis fährt und an den gleichen Stationen Halt macht.


Auf die nächsten fünf Monate kommt es an

Nachdem es fast ein ganzes Jahr lang keinen offiziellen Termin für die COP15 und somit keinen Endpunkt für den Post-2020-Prozess gab, konnte nun endlich ein Kompromiss gefunden werden. Die CBD COP15 wird vom 5. bis 17. Dezember 2022 stattfinden, ggf. mit einer vorgeschalteten OEWG-5-Sitzung ab dem 1. Dezember. China behält seine COP-Präsidentschaft, jedoch wird der Austragungsort von Kunming an den Sitz des CBD-Sekretariates nach Montreal verlegt. Diese Lösung war lange erwartet worden, da Chinas Null-COVID-Politik die Ausrichtung internationaler Konferenzen faktisch unmöglich macht. Jedoch dauerte es Monate, bis die chinesischen VertreterInnen im COP-Büro endlich auch diesem Kompromiss zustimmten. Hier und auch an anderen Stellen hat die mit Spannung erwartete chinesische COP-Präsidentschaft durch passives Verhalten bisher eher enttäuscht.

Mit Blick auf den festgefahrenen Verhandlungsprozess im Rahmen der OEWG-4 wird es in den kommenden Monaten von großer Bedeutung sein, dass die Vertragsstaaten die Zeit nutzen, um sich untereinander abzustimmen. So könnten sie in bi- und multilateralen Settings und Foren wie der UN-Generalversammlung oder der G20 Kompromisse ausloten und durch informelle Denkpapiere und Non-Papers versuchen, den Prozess voranzubringen. Auch die Rolle von MinisterInnen sowie Staats- und RegierungschefInnen wird neues Gewicht bekommen, denn nur sie können die politischen Entscheidungen treffen, die den Prozess aus der Sackgasse herausholen könnten.

Der Erfolg des Post-2020 Global Biodiversity Frameworks wird jedoch nicht allein davon abhängen, ob es in den kommenden Monaten gelingt, die 196 Vertragsstaaten der CBD dazu zu bringen, wenigstens eine grobe gemeinsame Stoßrichtung bei der Entwicklung eines ambitionierten Abkommens für den Schutz der biologischen Vielfalt einzuschlagen. Vielmehr wird sich das Rahmenwerk auch daran messen lassen müssen, ob die Mechanismen für seine Umsetzung, darunter die Frage der Finanzierung sowie der Messbarkeit von Fortschritten bei der Erreichung von Zielen, wirklich ausreichen, um dem Verlust der biologischen Vielfalt dauerhaft Einhalt gebieten zu können - ohne dabei Menschenrechte und die Rechte von Indigenen und lokalen Gemeinschaften zu vernachlässigen.

Christian Schwarzer ist Gründer des Global Youth Biodiversity Networks und bis heute Teil des Steuerungskreises.

Verweis:
[1] https://www.cbd.int/sp/targets/

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Quelle:
Rundbrief 2/2022, Seite 48-50
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 1. Oktober 2022

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