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GLOBAL/097: Den Stillstand auf dem Weg zur globalen Nachhaltigkeit überwinden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. März 2013

Umwelt: Den Stillstand auf dem Weg zur globalen Nachhaltigkeit überwinden - Bericht für Paradigmenwechsel

von Isolda Agazzi


Bild: © Naimul Haq/IPS

Bauer mit ökologisch angebautem Gemüse in Bangladesch
Bild: © Naimul Haq/IPS

Genf, 20. März (IPS) - Das derzeitige Wachstumsmodell ist nicht nachhaltig. Weder die 'grüne' Wirtschaft noch alternative Energieträger können die Erderwärmung verhindern. Experten gehen aber davon aus, dass konzertierte Aktionen auf lokaler und nationaler Ebene, die Anwendung von Praktiken aus anderen Bereichen wie der Friedensstiftung und der Übergang zu einem Modell der Abfallvermeidung zu Lösungen führen können.

In seinem bahnbrechenden Bericht 'Die Grenzen des Wachstums' von 1972 weist der 'Club of Rome' darauf hin, dass sich der ökologische menschliche Fußabdruck zwischen 1900 und dem Anfang der siebziger Jahre gefährlich schnell vergrößert hat. Einige Jahre später stellte sich heraus, dass diese Prophezeiung der Wirklichkeit entsprach. Denn bereits 1986 überstieg der ökologische Fußabdruck der Menschen die Kapazitäten der Erde.

Angesichts des derzeitigen Stands der Produktion und des Konsums wären für das Überleben der Menschheit 1,5 Planeten notwendig. Würde jeder Einwohner der Welt so viele Ressourcen verbrauchen wie ein US-Bürger, bräuchten wir sogar fünf Planeten.

Land, Wasser und Artenvielfalt schwinden indes weiter, während die CO2-Emissionen weltweit ansteigen. Die Ozeane erwärmen sich, und die Meerespegel steigen kontinuierlich an. Die Wälder sind seit 1990 um etwa 300 Millionen Hektar geschrumpft.

In seinem am 15. März in Genf vorgestellten Buch 'Die Krise der globalen Nachhaltigkeit' (The Crisis of Global Sustainability) erklärt Tapio Kanninen, Mitglied des Club of Rome und Co-Direktor eines Projektes über nachhaltige globale Regierungsführung an der 'City University' in New York, "dass wir unser bisheriges Modell für Wirtschaftswachstum nicht beibehalten können, wenn wir den globalen Temperaturanstieg auf zwei Grad Celsius begrenzen wollen".

Nach Ansicht von Kanninen können Technologien nicht helfen - dies wäre zu teuer und würde die Umwelt belasten. Optionen wie Solar-, Nuklear- und Windenergie könnten den weltweiten Energiebedarf kaum decken und würden wahrscheinlich kein vollständiger Ersatz für fossile Brennstoffe sein. Die Menschheit sei also zu einem Stillstand gekommen. "Viele UN-Gipfel, die nach der Einberufung der Brundtland-Kommission 1987 abgehalten wurden, haben konkrete Aktionen vermieden", schreibt Kanninen in dem Buch.


30 Milliarden US-Dollar für den Übergang zur 'grünen' Wirtschaft

Der im vergangenen Juni in Brasilien veranstaltete Erdgipfel Rio+20 ist ein Beispiel für die Beschränkungen, denen solche internationalen Treffen unterliegen. Obwohl Tausende Teilnehmer gehofft hatten, dass die Konferenz konkrete Lösungen finden und Übereinkünfte zur Begrenzung der Erderwärmung erreichen würde, ist in dem Abschlussdokument keine Rede von den 30 Milliarden US-Dollar, die für den Übergang zu einer 'grünen' Wirtschaft benötigt würden. Ebenso wenig wurde ein Modell für die nachhaltige Entwicklung nach 2015 entworfen.

"Institutionen und politische Strategien haben sich als schwach erwiesen", kritisiert Kanninen. "Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung ist nicht in der Lage, mit dem Muster der neoliberalen Wirtschaft, dem Konsens von Washington und dem Modell der Globalisierung zu konkurrieren. Diese treten für eine solide Steuer- und Währungspolitik sowie für Wirtschaftswachstum ein, weniger für die Gesundheit des Ökosystems. Und die Industriestaaten haben ihre Zusagen gegenüber den Entwicklungsländern nicht eingehalten."

An den meisten Gipfeltreffen nehmen zwar hochrangige Vertreter aus allen Regionen teil, doch am Ende dominieren immer die nationalen Interessen der Industrieländer. Der Norden hält an seinen neoliberalen Wirtschaftszielen fest, während der Süden seine Entwicklungsziele verteidigt. "Wenn die Länder in den nächsten fünf Jahren keine Alternativen zu CO2-produzierenden Energietechnologien finden, wird die Welt zu einem wärmeren Klima, extremeren Wetterbedingungen, Dürren, Hungersnöten, Wasserknappheit, ansteigenden Meeresspiegeln, zunehmender Übersäuerung der Meere und dem Verschwinden von Inselstaaten verdammt sein", heißt es weiter in Kanninens Buch.

Der Autor empfiehlt eine zweite Konferenz zur Überprüfung der UN-Charta und einen vollständigen Paradigmenwechsel. "Man kann unmöglich abschätzen, wie sich dieser Wechsel auswirken wird, weil er so groß sein wird", sagt er. "Wir brauchen ein gemeinsames Vorgehen, das alle Teile der Gesellschaft involviert."

Kanninen plädiert dafür, den alten Ansatz beiseite zu lassen, dem zufolge nachhaltige Entwicklung als ein Schlachtfeld gesehen wird. Stattdessen sollten Instrumente verwendet werden, die sich bereits in friedensstiftenden Prozessen bewährt hätten.


Vertrauensbildende Maßnahmen nötig

Yves Lador, Vertreter der in den USA ansässigen Organisation 'Earthjustice' bei den Vereinten Nationen in Genf, beurteilt Kanninens neue Herangehensweise als interessant. "Insbesondere mit Blick auf den Klimawandel brauchen wir vertrauensbildende Maßnahmen, die sich an Abrüstungsabkommen orientieren", erklärte er.

Überprüfungen durch unabhängige Stellen hält Lador für nützlich. "Denn wir können uns kein Bild von den Emissionen in den verschiedenen Ländern machen. China beispielsweise stellt solche Angaben nicht bereitwillig zur Verfügung. Indien hat ein Problem mit dem Sammeln von Daten, ist aber offen gegenüber Ratschlägen von außerhalb, wie diese Fakten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können." Bei der Klimakonferenz in Kopenhagen 2012 hatte China Gegenprüfungen von Treibhausgasemissionen abgelehnt.

Lador wies auch darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und den Menschenrechten immer stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücke, die ein Recht darauf habe, über das Ausmaß und die Auswirkungen der Klimaveränderungen informiert zu werden.

Alexander Likhotal, Präsident des Internationalen Grünen Kreuzes, erklärte, dass "Euphemismen wie die 'grüne' Wirtschaft nicht helfen werden. Wir benötigen eine Kreislaufwirtschaft, um das Wirtschaftswachstum von der Verwendung von Energie und Materialien abzukoppeln."

In der Kreislaufwirtschaft sollen alle verwendeten Rohstoffe über den Lebenszyklus eines Produktes hinaus wieder vollständig in den Produktionsprozess zurückgelangen. Dadurch würde sich die Nachfrage nach Wartungs- und Reparaturdiensten auch wieder erhöhen. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.clubofrome.org/?p=326
http://crisisofglobalsustainability.com/
http://earthjustice.org/
http://www.ipsnews.net/2013/03/how-to-break-the-stalemate-on-global-sustainability/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 20. März 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2013