MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 3/2016
"Die Politik muss in Anpassung investieren"
Interview mit Walter Kälin von Peter Hergersberg
Walter Kälin ist emeritierter Professor für öffentliches Recht der Universität Bern. Er engagiert sich in Fragen der Menschenrechte vor allem im Zusammenhang mit Migration und Flucht. Unter anderem wirkte er als Repräsentant des UN-Generalsekretärs für Menschenrechte intern Vertriebener und als Vertreter der Präsidentschaft der Nansen-Initiative zu grenzüberschreitender Katastrophenflucht. Wir sprachen mit ihm über den Einfluss von Klimaveränderungen auf Migration und die Möglichkeiten, Menschen vor Klimaflucht zu bewahren.
Walter Kälin: Wir wissen, dass seit dem Jahr 2008 jährlich etwa 22 Millionen Menschen wegen plötzlicher Wetterereignisse wie Stürmen oder Überschwemmungen zumindest vorübergehend fliehen mussten. Wir wissen aber nicht, wie viele davon im Ausland Zuflucht suchen. Auch die Zahl jener, die wegen schleichender Umweltveränderungen wie Dürren oder Ansteigen des Meeresspiegels zu uns kommen, ist nicht bekannt. Denn keiner wird eine Dürre als Asylgrund angeben, weil das geltende Recht nur Kriegsflüchtlingen und politisch Verfolgten Schutz gewährt.
Zunächst einmal möchte ich sagen, dass der Begriff Klimaflüchtling in den Sozial- und Rechtswissenschaften inzwischen kaum noch verwendet wird.
Diese Menschen sind nicht Flüchtlinge im Rechtssinn, weil es am Element der Verfolgung und Gefährdung durch menschliche Gewalt fehlt. Zudem ist es ein Begriff, den auch viele Betroffene ablehnen. Ich habe kürzlich an Konsultationen auf der Pazifikinsel Kiribati teilgenommen. Dort hat uns eine Vertreterin einer Nichtregierungsorganisation sehr deutlich gesagt: "Wir wollen nicht Flüchtlinge werden! Flüchtlinge sind ausgegrenzt und auf humanitäre Hilfe angewiesen. Auch wenn wir unsere Inseln verlassen müssen, wollen wir wählen können, wann und wohin wir gehen." Statt von Klimaflüchtlingen sprechen wir von Disaster Displaced Persons ...
Der Begriff der Katastrophe berücksichtigt den Faktor Mensch. Denn eine Naturkatastrophe ist definiert als ein Ereignis mit Schäden, die von einem Staat oder der Bevölkerung nicht mehr bewältigt werden können. Flucht in solchen Situationen ist immer multikausal und hängt damit auch von menschlichen Faktoren ab.
Die Zahl der Katastrophenvertriebenen wird zwar sicherlich zunehmen, vor allem wenn wir nichts tun, genaue Prognosen sind aber schwierig. Denn die Gründe für Wanderungsbewegungen sind sehr vielfältig. Klimaveränderungen führen als solche nicht direkt zu dauerhafter Migration. Entscheidend ist, wie vulnerabel, also wie verletzlich, Menschen gegenüber Klimaveränderungen sind und wie gut sie sich daran anpassen können. In den reichen Golfstaaten, in denen sich das Leben schon heute größtenteils in gekühlten Räumen abspielt, werden sich die Menschen auf Hitzewellen viel eher einstellen können als eine arme Bevölkerung in entlegenen Regionen, wo Hitze und Trockenheit zu Gesundheitsschäden und Problemen in der Landwirtschaft führen. Je vulnerabler Menschen sind, desto eher werden sie weggehen.
Auch hier muss man differenzieren. Um wegzugehen, braucht es auch gewisse Mittel, die gerade den Ärmsten der Armen fehlen. Sie bleiben zurück.
Wenn Menschen desto eher migrieren, je vulnerabler sie sind, gibt uns das auch die Chance zur Intervention. Wir können die Vulnerabilität verringern und die Anpassungsfähigkeit der Menschen verbessern. Ich appelliere an die Politik, in Anpassung zu investieren. Da kann viel gemacht werden.
Für stark steigende Hitze gibt es noch keine ausgefeilten Pläne, aber es ist denkbar, die Häuser so zu verändern, dass es in ihnen kühl bleibt. Und die Sonnenenergie, die es in den betroffenen Regionen reichlich gibt, ließe sich für die Klimatisierung nutzen. Mit veränderten Bewässerungsmethoden und trockenresistenteren Pflanzen könnte sich die Landwirtschaft auch auf zunehmende Dürren einstellen.
Das ist sicher richtig. Daher muss auch Migration eine Anpassungsmaßnahme sein. Wir brauchen legale Migrationsmöglichkeiten. Längerfristig wird Menschen von tief liegenden Pazifikinseln als Folge der ansteigenden Meeresspiegel nur die permanente Auswanderung oder Umsiedlung bleiben. Bereits heute erteilt etwa Australien solchen Menschen temporäre Arbeitsbewilligungen, damit ihre Familien mit dem verdienten Geld besser mit den Folgen des Klimawandels umgehen können. Die Migration kann also auch in zirkulärer Form stattfinden ...
Von zirkulärer Migration spricht man, wenn Menschen für eine begrenzte Zeit migrieren, um den Folgen einer Naturkatastrophe wie etwa eines Sturms, einer Überschwemmung oder einer Dürre zu entgehen. Das können Monate oder Jahre sein. Dafür müssen entsprechende Programme aufgelegt werden. Auch für Menschen, die ihre Heimat dauerhaft verlassen müssen.
Ich halte eine globale Konvention für nicht realistisch. Es ist auch schwierig, Regelungen zu finden, die gleichzeitig für den Pazifik und Nordafrika sinnvoll sind. 50 Staaten haben aber schon Regelungen, nach denen sie Menschen nach großen Katastrophen in ihrer Nachbarschaft aufnehmen können. Es wäre wichtig, diese Regelungen zu harmonisieren, um überregionale Maßnahmen ergreifen zu können. Längerfristig kann man darauf aufbauen.
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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 3/2016, Seite 67-68
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Januar 2017
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