Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → INTERNATIONALES


ATOM/088: Atomkraft in Südkorea - eine Energiewende? (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 758-759 / 32. Jahrgang, 2. August 2018 - ISSN 0931-4288

Atomwirtschaft
Atomkraft in Südkorea - eine Energiewende?

Von Hiroomi Fukuzawa*


2011 veranlasste der Supergau von Fukushima-Daiichi im benachbarten Südkorea keine Abkehr von der Atomkraft, die dort ein Drittel des Stroms produzierte. Jedoch weht jetzt ein neuer Wind. Moon Jae-in gewann 2017 die Präsidentschaftswahl mit dem Versprechen eines Ausstiegs aus der Atomkraft.

Im März dieses Jahres konnte ich mich vor Ort darüber informieren [1]. Es folgt ein Bericht über meinen Besuch.

Bestandsaufnahme

Der Stromenergiemix 2017 Südkoreas lautet: Kohle 43 Prozent, Atom 30 Prozent, Naturgas 22 Prozent, Öl 2 Prozent und erneuerbare Energien 3 Prozent. Südkorea liegt global heute nach Frankreich (70 Prozent Atomstrom) sogar an zweiter Stelle, denn in Japan ist nach der Fukushima-Havarie der Anteil des Atomstroms von 34 Prozent auf 4 Prozent gefallen. Der Anteil der erneuerbaren Energie ist gering.

Im Juni 2017 kündigte Präsident Moon an, bis 2057 aus der Atomkraft auszusteigen. Alle Reaktoren sollen nach 40 Jahren Betrieb stillgelegt werden. Als erstes wurde der älteste Reaktor Kori-1 abgeschaltet. Zurzeit sind 24 Kernreaktoren im Betrieb. In Südkorea begann die kommerzielle Nutzung der Atomenergie erst in den 1980er Jahren, in Deutschland bereits 1961 und in Japan 1969. Sämtliche 24 südkoreanischen Reaktoren sind Druckwasserreaktoren (PWR), während in Japan mehr als die Hälfte Siedewasserreaktoren (BWR) sind, einschließlich Fukushima-Daiichi. Global sind 73 Prozent der Atommeiler PWR. Der erste Reaktor wurde 1978 mit der Lizenz von Westinghouse fertiggestellt, vier weitere mit kanadischer Lizenz, zwei mit französischer und einige mit Schweizer. Ende der 1980er Jahre entwickelte Korea Electric Power Corporation (KEPCO) auf Grundlage des amerikanischen Modells "Combustion Engineering" PWR/OPR1000Reaktoren mit zusätzlichem eigenem Know-How. Das weiter entwickelte Modell PWR/APR1400 wird zurzeit an 5 Blöcken gebaut.


Tabelle 1: Liste der Reaktoren in Betrieb


Bis auf sechs Reaktoren des AKW Hanbit befinden sich 18 Atommeiler an der Ostküste der Halbinsel. 12 Reaktoren konzentrieren sich auf dem Gebiet zwischen der Großstadt Busan mit 3,5 Millionen und Ulson mit 1,1 Millionen Einwohnern. Im Umkreis von 30 Kilometer von acht im Betrieb und zwei im Bau befindlichen Reaktoren wohnen 3,8 Millionen Menschen: die atomkraftdichteste Region der Welt. In Südkorea gebe es keine Erdbeben, so glaubte man bis vor kurzem, aber in den letzten Jahren gab es zwei Erdbeben mit der Magnitude von 5,1 und 5,8 in der oben genannten Region. Historisch gab es 1681 ein Erdbeben mit der Magnitude von 7,5.

KEPCO ist ein Staatsunternehmen, das die Energieversorgung in Südkorea beherrscht. 51 Prozent des Kapitals besitzt der Staat. Lediglich 49 Prozent der Aktien sind auf dem Markt. Es verfügt über Erzeugung, Netz und Verkauf von Strom. Die Stromerzeugung ist inzwischen liberalisiert und auf je sechs Tochtergesellschaften und unabhängige Erzeuger formal verteilt. Formal verteilt, denn die Tochtergesellschaften beherrschen den Markt und die sechs unabhängigen Erzeuger fungieren mit weniger als 10 Prozent des Stroms lediglich als Alibi. Alle Bereiche liegen in den Händen der KEPCO. Der staatlich festgelegte Strompreis ist mit circa 120 Dollar pro MWh im Jahre 2016 der niedrigste der OECD-Länder.

So genießt die südkoreanische Industrie zwar einen großen Wettbewerbsvorteil, jedoch ist der Strompreis nicht hoch genug für neue Erzeuger, um Gewinne zu erzielen.

"Deliberative Polling"

Präsident Moon versprach vor der Wahl: erstens Baustopp der bereits im Bau befindlichen Reaktoren, zweitens komplette Zurücknahme der in Planung befindlichen Reaktoren, drittens keine Verlängerung der Laufzeit und viertens Aufstellen des Ausstiegsplans. Besonders aktuell war die Entscheidung über zwei Reaktoren, nämlich Shin-Kori 5 und 6, deren Bau bereits zu über 30 Prozent fertiggestellt war [2]. Weitere drei Reaktoren (Shin-Kori 4, Shin-Hanul 1 und 2) standen kurz vor der Vollendung, so dass sie weiter gebaut wurden.


Tabelle 2: Reaktoren im Bau


Moon hatte drei Möglichkeiten: Erstens selbst die Entscheidung zu treffen, zweitens diese einer Experten-Kommission ähnlich der Ethikkommission von Frau Merkel zu überlassen, drittens eine mehrstufige Befragung einer repräsentativen Bevölkerungsgruppe [3]. Letztere ist das von James S. Fishkin an der Stanford University entwickelte "deliberative polling".

Moon entschied sich für die dritte Möglichkeit. In Südkorea wurden 500 Teilnehmer befragt, die eine Kommission aus 20.000 Bewerbern ausgewählt hatte. Sie eigneten sich seit Juli 2017 drei Monate lang Kenntnisse über Atomenergie an, trafen sich anschließend zu einer dreitägigen Diskussion und gaben dann ihr abschließendes Votum ab. Das ist ein interessantes Modell einer zivilgesellschaftlichen Entscheidungsfindung.

Das Ergebnis lautete: "40,5 Prozent für den Baustopp, 59,5 Prozent für die Bauaufnahme. Außerdem stimmten 53,2 Prozent für einen Abbau der Atomenergie, 9,7 Prozent für einen Ausbau und 35,5 Prozent für Beibehaltung des jetzigen Anteils. Die Sorge um die Arbeitsplätze schien viel größer als die Sorge um die Strahlungsgefahr zu sein" [4].

Die Atomkraftgegner in Südkorea waren einerseits enttäuscht, andererseits erfreut über die Befürwortung des künftigen Abbaus der Atomenergie. Die Bauaufnahme der Reaktoren Shin-Kori 5 und 6 bedeutet aber, dass der endgültige Ausstieg aus der Atomenergie in weitere Ferne rückt. Denn das Reaktor-Modell APR-1400 (Advanced Power Reactor 1400 MW) ist von vornherein für eine Laufzeit von 60 Jahren konzipiert.

Exportschlager: APR-1400

Übrigens ist das von Koreanern entwickelte Modell inzwischen ein Exporterfolg. Der Auftrag an KEPCO, vier Blöcke mit APR-1400 für das AKW Barakah in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) zu bauen, wurde 2011 in Südkorea gefeiert wie olympisches Gold. Er hat ein Volumen von 19 Milliarden Dollar. Zusätzlich übernimmt KEPCO Betriebsführung und Wartung der Reaktoren. Damit sparen die VAE Zeit und Kosten der Ausbildung der Ingenieure. Später tauchte ein brisantes geheimes Abkommen auf: Im Falle eines Angriffs auf das AKW solle Südkorea Militärhilfe leisten. Genaueres ist nicht veröffentlicht [5]. In jener Zeit verfolgte KEPCO noch einen Export von 80 Atomreaktoren im Wert von 400 Milliarden Dollar bis zum Jahre 2030.

In Barakah begann der Bau 2012. Präsident Moon wohnte der Einweihung des ersten Blocks nach einer Rekordbauzeit im März 2018 bei.

Tritium

Im März 2018 besuchten wir [1] die südkoreanische Bürgerinitiative gegen das AKW in Wolsong. Frau Hwang Boon-hee, die die Initiative leitet, führte uns. Auf dem Gelände des Wolsong-AKWs sahen wir aus ein paar hundert Metern Entfernung vier Blöcke des Reaktortyps CANDU (CANada Deuterium Uranium). Dieser Typ, in den 1950er Jahren in Kanada entwickelt, nutzt zur Moderation der Neutronen Schwerwasser. In Schwerwasserreaktoren entsteht Tritium. Die Kontaminierungsgefahr entsteht nicht durch Cäsium, sondern durch Tritium, worüber Strahlentelex in der vorigen Ausgabe ausführlich berichtete [6]. Bei unserem Besuch wusste ich noch nicht, wie gefährlich Tritium sein kann. Frau Hwang erzählte uns, dass sie mit ihrer Familie etwa 1100 Meter vom AKW entfernt wohnt. KEPCO zahlte Entschädigung nur Bewohnern, die im Umkreis von 918 Metern wohnten. Sie erfuhr nie, wie dieser Radius für die Strahlungsgefahr festgelegt wurde. Im Körper ihrer Tochter wurde Tritium entdeckt [7]. Sie und weitere 35 Familien wollen umsiedeln. Der Wert ihrer Immobilien ist so gesunken, dass sie woanders kein Land kaufen können. Für die fehlenden Mittel müsste KEPCO als Verursacher aufkommen. Im Zelt der Bürgerinitiative zeigte Frau Hwang stolz ein paar Fotos mit Herrn Moon bei seinem Besuch vor der Präsidentschaftswahl.

Auf dem Gelände von Fukushima-Daiichi in Japan reihen sich zurzeit 880 Tanks mit 1,07 Millionen Tonnen kontaminiertem Wasser, bei welchem bereits Cäsium gefiltert worden ist, aber nicht Tritium. Die industrielle Beseitigung des Tritiums ist bis jetzt nicht gelungen. In Japan ist es erlaubt, mit Tritium verseuchtes Wasser unter 60.000 Becquerel pro Liter ins Meer zu kippen. Andere AKWs in Japan und Anlagen in anderen Ländern wie die Wiederaufarbeitungsanlage La Hague in Frankreich praktizieren das seit Jahren. Bis jetzt verhindert vor allem der Fischerverband der Fukushima-Präfektur diese Verklappung. Das Gelände für die Tanks wird jedoch langsam knapp, so dass wahrscheinlich auf Empfehlung der Kommission für Reaktorsicherheit im nächsten Jahr damit begonnen wird.

Erneuerbare Energie

2017 betrug der Anteil der erneuerbaren Energie am Strom in Südkorea lediglich 3,4 Prozent. Dem Wahlversprechen des Präsidenten Moon zufolge soll er 2030 20 Prozent erreichen, aber das ist noch nicht offiziell vom Parlament verabschiedet. Jedoch wird es nicht einfach sein wegen des gewaltigen Machtblocks der Atomenergie in der Industrie, die mit billigem Strom ihren Wettbewerbsvorteil sichern will. Wenn Präsident Moon zukunftsorientiert seine Politik fortsetzt, könnte er allerdings einen Teil der Industrie gewinnen. Die koreanische Industrie hat ein gewaltiges Zukunftspotential: zum Beispiel mit der Batterie-Technologie von Samsung und LG. In Deutschland werden zunehmend stationäre Speicherzentren für erneuerbare Energie benötigt und auch gebaut, bis jetzt mit Batterien koreanischer Hersteller. Der koreanische Autohersteller Hyundai verkauft sowohl Elektroautos als auch Brennstoffzellenfahrzeuge. Der politische Wille zur Energiewende in Korea ist da, sie könnte schnell realisiert werden. Im Gegensatz zu Japan, dessen konservative Regierung an der Atomenergie festhält. Der vor kurzem vom japanischen Wirtschaftsministerium veröffentlichte Energiemix für 2030 sieht nur einen Anteil erneuerbarer Energie von 22 bis 24 Prozent (Atom 20 bis 22 Prozent) vor, obwohl 2017 bereits 14,4 Prozent erreicht wurden. Präsident Moon sieht für Südkorea 20 Prozent für 2030 vor, ausgehend von 4,4 Prozent im Jahr 2017.


Tabelle 3: Stromverbrauch, Anteile der Industrie und Haushalte 2008; Preise 2016


In Südkorea kämpft der Dachverband KFEM (Korea Federation for Environmental Movements) gegen Atomkraft. 1993 während der Demokratisierungsbewegung gegründet, setzt er sich als nichtstaatliche Umwelt- und Naturschutzorganisation mit 80.000 Mitgliedern und Mitglied der Friends of the Earth (FoE) International ein für Lebensqualität, Frieden, Umweltschutz, harmonisches Leben mit der Natur und basisdemokratische Aktivitäten. Inzwischen besteht sein Netzwerk aus 50 Ortsgruppen, die die Politik von Präsident Moon zivilgesellschaftlich unterstützen.

Es wäre wunderbar, wenn es Moon gelingen würde, sowohl die friedliche als auch die kriegerische Nutzung der Atomenergie aus der koreanischen Halbinsel zu verbannen.

Dann zögen die Friends of the Earth International um den 38. Breitengrad ein "Grünes Band", ähnlich dem an der Grenze zwischen DDR und BRD nach der Wiedervereinigung. Mit diesem Versprechen auf das drei Länder-Projekt verabschiedeten wir uns: Choony Kim, Hubert Weiger, Richard Mergner, Martin Geilhufe und der Autor dieses Berichts [8].


Hiroomi Fukuzawa,

www.kizuna-in-berlin.de


Anmerkungen
8 Anmerkungen zum Artikel, z. T. mit japanischen Schriftzeichen



Abbildung 1: Standorte der AKWs in Südkorea

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Die Abbildung wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
www.strahlentelex.de/Stx_18_758-759_S06-08.pdf

*

Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, August 2018, Seite 6 - 8
Herausgeber und Verlag:
Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang