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ATOM/043: Indien - Nuklearparks in Risiko-Gebieten, Sicherheitsbestimmungen häufig ignoriert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. März 2013

Indien: Nuklearparks in Risiko-Gebieten - Sicherheitsbestimmungen häufig ignoriert

von Ranjit Devraj


Bild: © Krishnakant/IPS

Frauen protestieren gegen ein geplantes Atomkraftwerk im indischen Bundesstaat Gujarat
Bild: © Krishnakant/IPS

Neu-Delhi, 26. März (IPS) - Bhagwat Singh Gohil sorgt sich um die Zukunft seiner üppigen Obstgärten im Dorf Mithi Virdi im westindischen Bundesstaat Gujarat. Dürren, Überschwemmungen und Erdbeben hat der Bauer bereits überstanden - nun droht eine von Menschen verursachte Katastrophe in Form eines Nuklearparks.

Zusicherungen der Behörden, der 'Gujarat Nuclear Power Park' (GNPP) sei sicher, können Gohil und seine Nachbarn nicht überzeugen. Nach der Fertigstellung soll die Atomanlage 6.000 Megawatt Strom produzieren.

"Sie hätten keinen schlechteren Ort für solch ein riesiges Kernkraftwerk wählen können. Wir haben hier schon viele Erdbeben erlebt und fürchten eine Katastrophe wie in Fukushima", sagt Gohil. Gujarat grenze zudem an den mit Indien verfeindeten Staat Pakistan. "Was geschieht, wenn die Anlage im Zuge eines Krieges bombardiert wird?"

Am 5. März verließen Gohil und etwa 5.000 Dorfbewohner wortlos eine öffentliche Anhörung, bei der die lokalen Behörden Zustimmung für den Bau des Kraftwerkparks suchten. In Mithi Virdi sollen sechs Westinghouse-Toshiba-Kernreaktoren entstehen, von denen jeder eine Kapazität von 1.000 Megawatt hat.

"Wir wollten nicht an einer illegalen öffentlichen Anhörung teilnehmen, die Unterstützung für eine fehlerhafte Umweltverträglichkeitsstudie mobilisieren sollte. Viele Sicherheitsaspekte, die wir bald in einem parallelen Dokument veröffentlichen werden, kommen darin nicht vor", kritisiert Rohit Prajpati, Direktor der Umweltorganisation 'Paryavaran Suraksha Samiti' in Gujarat.


Zwielichtige Umweltstudien

Laut Prajpati wurde der Bericht von 'Engineers India Limited' (EIL) erstellt. Diese für den öffentlichen Dienst tätige Beratungsfirma sollte eigentlich eine detaillierte Risikoanalyse vornehmen und einen Plan für das Katastrophenmanagement vorlegen. In dem abschließenden Dokument wird sie dieser Verantwortung nicht gerecht. "Wir haben uns beim Umweltministerium schriftlich über den Bericht beschwert", sagt Prajpati.

Nach Angaben des unabhängigen Experten V. T. Padmanabhan, der der Europäischen Kommission für Strahlenrisiken (ECRR) in Brüssel angehört, geht die Untersuchung über die grundlegenden Sicherheitsaspekte hinweg, damit möglichst rasch mehrere nukleare Kraftwerkparks entlang der langen Küsten Indiens entstehen können.

"Die Studie für das Projekt in Mithi Virdi vernachlässigt beispielsweise die Tatsache, dass keine Untersuchung über die maximalen Flutwerte durchgeführt wurde. Dabei ist gerade dieses Gebiet sehr anfällig für Überschwemmungen", sagte Padmanabhan.

Am 6. März hatte der Staatsminister der Union, V. Narayanasamy, im Parlament erklärt, dass die Pläne für nukleare Kraftwerkparks an Indiens Küsten die Gefahren von Erdbeben, Tsunamis, Stürmen und Überflutungen bereits einkalkulierten. Die Sicherheit der Kernkraftwerke werde auf der Grundlage von Untersuchungen der Versorgungsunternehmen und des Regulierungsausschusses für Atomenergie (AERB) ständig weiterentwickelt. Außerdem halte man sich an internationale Standards.

Doch Dorfbewohner und Aktivisten beunruhigt die Eile, mit der die staatliche 'Nuclear Power Corporation of India' (NPCIL) die Projekte an den Küsten umsetzen will.


Gerichtsbeschluss gegen Nuklearpark

Inzwischen sind auch die Gerichte hellhörig geworden. Am 12. März stoppte das Hohe Gericht im südindischen Bundesstaat Andhra Pradesh Pläne für einen Nuklearpark mit einer Kapazität von 9.000 Megawatt in Kovvada im Küstenbezirk Srikakulam, nachdem der ehemalige Schiffsingenieur J. Rama Rao im Namen von Anwohnern und Fischern eine Petition eingereicht hatte.

Das Gericht ging auf die Beschwerde ein, nach der die Regierung ein Grundstück kaufen wollte, obwohl der Regulierungsausschuss noch kein grünes Licht gegeben hatte. Einwohner von Kovvada waren deshalb im vergangenen Dezember in den Hungerstreik getreten. In ihrer Petition verwiesen sie auf die Havarien in den Reaktoren in Tschernobyl und Fukushima und warnten vor der Gefahr, dass kommende Generationen radioaktiv verstrahlt werden könnten.

Trotz der Proteste und der Entscheidung des Gerichts scheint die Regierung aber weiterhin fest entschlossen, bis spätestens 2020 40 Gigawatt Kernenergie zu produzieren. Wie Narayanasamy im Parlament ankündigte, soll ab April im Atomkraftwerk Kudankulam im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu Elektrizität produziert werden. An dem Kraftwerk, das eine Kapazität von 9.200 Megawatt erreichen soll, wird bereits seit 1988 auf der Basis eines Abkommens zwischen Indien und Russland gebaut.

KNPP verfügt noch nicht über die erforderliche Unbedenklichkeitserklärung- Im vergangenen November musste der staatliche Stromkonzern NPCIL gegenüber dem Obersten Gerichtshof einräumen, eine Entsalzungsanlage ohne die notwendige Umweltgenehmigung gebaut zu haben. Dies zeigt, wie Bestimmungen ignoriert werden. (Ende/IPS/ck/2012)


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http://www.ipsnews.net/2013/03/india-playing-risky-games-at-nuclear-parks/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. März 2013