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AGRARINDUSTRIE/027: Saatgut und das Streben, sich die Erde untertan zu machen (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2016
Völlig losgelöst
Lässt sich die EU noch demokratisieren?

Saatgut und das Streben, sich die Erde untertan zu machen
Die Welt am Wendepunkt: Die Entscheidung treffen für eine friedliche Welt der Vielfalt

Von Anke Kähler


Die Verdrängung vielfältiger, regionaler, bäuerlich-handwerklicher Versorgungssysteme wie auch die Konzentration am Saatgutmarkt nimmt - nicht zuletzt mit Hilfe immer neuer Abkommen, Gesetze und Verordnungen - weiter zu. Parallel zu der ökonomischen Machtkonzentration und dem Unwillen oder der Unfähigkeit großer Teile der Politik, dieser entschieden entgegenzutreten, wachsen in der Gesellschaft in hohem Tempo Unbehagen, Angst und Zorn auf ein System, das der Weltengemeinschaft ein Trümmerfeld hinterlässt.


Dazu gehören: der weltweite Verlust von jährlich 24 Milliarden Tonnen Boden durch Erosion, entseelte Dörfer als Folge der Zerstörung regionaler Versorgungsstrukturen, explodierende Mieten in den Ballungszentren und, was die Lage verschärft, ein drastischer Mangel an nachhaltiger Bildung. Die sich wie eine Influenza verbreitende Reaktion, das rückwärtsgewandte Streben nach nationaler Identität und alten Zeiten, die - auf denselben Ursachen basierend - ebenso wenig "gut" waren wie die heutigen, führt nicht in eine Welt des fairen, friedlichen Miteinanders. Die sich zuspitzende Krise und die Kritik ihrer Ursachen in einen Weg zu Demokratisierung und Ernährungssouveränität zu verwandeln, bedarf einer gesellschaftlichen Vision, die eben die Kräfte mobilisiert, die danach streben. Andererseits entsteht der Weg beim Gehen - durch konkretes, solidarisches Handeln auf lokaler/regionaler Ebene. In diesem Artikel geht es um Saatgut und den Hintergrund einer Aktion, die sich hier verortet und von der Berufsorganisation Die Freien Bäcker e.V. organisiert wird.

Eine Technologie ohne ethische Maßstäbe führt in die globale Sackgasse

Fakt 1: 4 von 9 biophysischen Grenzen unseres Planeten, innerhalb derer sich viele weitere Generationen der Menschheit nachhaltig entwickeln können, sind überschritten. Dies trifft auf den Klimawandel, den Verlust an Biodiversität, die Einträge von Stickstoff und Phosphor in die Biosphäre und die Landnutzungsänderungen zu.(1) Fakt 2: Seit der Finanzkrise 2007/2008 stehen die lebensnotwendigen Ressourcen der Erde, Zugang zu Land, Boden, Bodenschätze, Wasser, Saatgut und die gesamte Nahrungsmittelkette, verstärkt im Zentrum des Finanzinteresses. 2 Sachverhalte, die allein schon alarmieren und - ohne Wenn und Aber - zur Entwicklung von Handlungsstrategien im Sinne des Wohls der Weltgemeinschaft veranlassen sollten!

Seit 2009 steht auch Weizen, einer der weltweit wichtigsten Nahrungsmittelrohstoffe, wieder im Fokus des Interesses. Die marktbeherrschenden Saatgutkonzerne versuchen, sich durch Kooperationsverträge mit Universitäten und Forschungsinstituten und durch Aufkäufe von Unternehmen den Zugang zu weizengenetischen Ressourcen exklusiv zu sichern. Im Zentrum der Bestrebungen der Saatgutkonzerne steht aktuell die Entwicklung von Hybridweizen. Die offizielle Argumentation für die Entwicklung verweist auf vermeintliche agronomische Vorteile, u.auf eine Ertragssteigerung von (nur) 10 Prozent.(2) Der Anbau zielt dabei weiterhin auf ein nicht zeitgemäßes, landwirtschaftliches System ab, das u.mineralische Düngung und den Einsatz von Pestiziden notwendig macht. Dass die 3 bedeutendsten Saatgutkonzerne auch auf dem Pestizidmarkt eine führende Position einnehmen, soll der Vollständigkeit halber erwähnt sein. Der ursächliche Antrieb für die Entwicklung von Hybridweizen ist, so lässt sich vermuten, die Verkaufsgarantie durch die technologische Regulierung des Nachbaus. Dieses Interesse der Saatgutindustrie ist nur unter 2 Bedingungen durchsetzbar, sofern die Herstellung von Saatgut nicht mehr wie seit Jahrtausenden üblich auf bäuerlichen Betrieben stattfindet und darüber hinaus die Arbeitsteilung zwischen Bäuerinnen, Bauern und ZüchterInnen mit Hilfe einer Saatgutgesetzgebung gesteuert wird. Einer Gesetzgebung, die durch geistige Eigentumsrechte wie Patente und Sortenschutztitel den Zugang zu den genetischen Ressourcen und deren freie Nutzung für ZüchterInnen und Bauern erschwert oder verhindert.

Die Vielfalt unserer Kulturpflanzen, der unbeschreibliche Reichtum an lokal angepassten Sorten in unzähligen Variationen, stellt die Absicherung unseres Lebens auf diesem Planeten dar. Die Konzentration am Saatgutmarkt, die Privatisierung genetischer Ressourcen, die biotechnologische Entwicklung nicht nachbaufähiger Hybridpflanzen, die national wie international mit zahlreichen millionenschweren Forschungsprojekten aus öffentlichen Mitteln gefördert wird, geben Anlass, die Frage nach politischer Verantwortung und Wahrnehmung der staatlichen Vorsorgepflicht zu stellen. Daran schließt sich eine weitere, grundlegende Frage an, der sich mit seinen Arbeiten bereits der Wissenschaftler Lewis Mumford stellte: Warum ist der moderne Mensch selbst auf Kosten seiner Gesundheit, seiner physischen Sicherheit, seines geistigen Gleichgewichts und seiner Zukunftsaussichten, so völlig der Technologie verfallen?

Aus gutem Grund: "Small is beautiful"

Eine Gesellschaft und eine Ökonomie, die auf Vernunft, Verantwortung und somit auch auf der Achtung unserer planetaren Grenzen basiert, braucht - wenn wir hier von Getreide und Brot sprechen - souveräne Bäuerinnen und Bauern, MüllerInnen, BäckerInnen und "eine Technologie, die mit den Gesetzen der Ökologie vereinbar ist und die den Menschen dient, statt sie zu beherrschen"(3). Die Ökonomie der Nähe, als Gegenentwurf zur anachronistischen Wachstumsökonomie, orientiert sich am Wert und gesellschaftlichem Nutzen der Erzeugnisse statt am Profit. Ihre Realisierung verlangt von den Akteuren regionaler Wertschätzungsketten: umfangreiches Wissen und handwerkliches Können, miteinander ins Gespräch zu kommen und gemeinsam die notwendigen Schritte zu gehen. Für die Organisation Die Freien Bäcker e.steht am Anfang ihrer Wertschätzungskette frei verfügbares Saatgut, das den Anbau gesunder, regional anpassungsfähiger wie auch nachbau- und entwicklungsfähiger Pflanzen ermöglicht. Dazu gehört, um bei Weizen zu bleiben, der nachhaltig-ökologische Anbau von Sorten, die bei niedrigem Proteingehalt gute Backeigenschaften aufweisen. Mit den genannten handwerklichen Qualifikationen lassen sich daraus mit werterhaltenden Verfahren, ohne Zusatz isolierter, industriell hergestellter Vorprodukte gute, geschmackvolle Lebensmittel zur Versorgung von Dörfern und Stadtteilen herstellen.

Das folgende Zitat aus dem Jahr 1989 hat nichts an Aktualität verloren: "Nicht die Notwendigkeit, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten, nicht das Ziel, den Menschen mit gesunder Nahrung zu versorgen, die soziale Not [...] zu überwinden oder eine selbstbestimmte, sinnvolle Arbeit zu ermöglichen, sondern die (internationale) Wettbewerbsfähigkeit liefert den ausschlaggebenden Maßstab für die Technikentwicklung und für die Gestaltung des dazugehörigen politischen Rahmens."(4) Dieser Rahmen wird für diejenigen, die den Erhalt und Ausbau nachhaltiger, regionaler Versorgungsstrukturen im Blick haben, immer enger gezogen. Dem Handwerk wird, ebenso wie den bäuerlichen Betrieben, die Luft zum Atmen genommen. Derzeit nimmt die gesetzliche und bürokratische Reglementierung der Erzeugung und Herstellung von Lebensmitteln absurde Formen an. Nicht die ganzheitliche Qualität von Produktionsmitteln (Saatgut, Boden und Biodiversität), Erzeugungs- und Herstellungsprozessen und letztendlich die der Produkte stehen im Fokus der Betrachtungen, sondern ihre Uniformität und Normierung.

Wir haben uns selbst ein System geschaffen, dass an seine Grenzen gekommen ist. Ändern können wir es als Teil einer kooperativen Bewegung der Zivilgesellschaft mit tatkräftiger Übernahme von Verantwortung für das Gemeinwohl, Blick in die Zukunft und über nationale Tellerränder hinaus, Mut, Toleranz und Offenheit. Zu dieser Bewegung zählen auch die Bäckerinnen und Bäcker, die sich vom 30. Oktober bis 6. November 2016 an der Aktionswoche Saat-Gut-Brot beteiligen. Sie stellen Brote aus alten und/oder biologisch gezüchteten Getreidesorten her und spenden den Erlös aus dem Verkauf des Saat-Gut-Brotes an den Saatgutfonds der Zukunftsstiftung Landwirtschaft. Dieser fördert die gemeinnützige, biologische und biologisch-dynamische Züchtungsforschung. Darüber hinaus dient die Aktion dazu, den Blick auf den gesellschaftlichen Wert der Arbeit der biologischen SaatgutzüchterInnen zu lenken und auf den Zusammenhang und die Bedeutung von Saatgutsouveränität, Zugang zu Land, freien Bauern und Bäuerinnen und freien HandwerkerInnen für Ernährungssouveränität.

Autorin Anke Kähler ist Bäckermeisterin und Vorstandsvorsitzende der unabhängigen Berufsorganisation Die Freien Bäcker e.V.


Fußnoten

(1) www.stockholmresilience.org/

(2) Eva Gelinsky/Hans-Dieter von Frieling (2016): Hybridweizen: Kommt der große Durchbruch?. Unabhängige Bauernstimme, 9, S.15.

(3) Vgl. Ernst Friedrich Schumacher (2013): Small is beautiful. Oekom Verlag, München.

(4) K.F. Müller-Reissmann/Joey Schaffner (1990): Ökologisches Ernährungssystem. Verlag C.F. Müller, Karlsruhe, S. 10.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 3/2016, Seite 26-27
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2016

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