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AFRIKA/051: Der große Traum von KaZa - Lebensraumschutz und Armutsbekämpfung (WWF Magazin)


WWF Magazin, Ausgabe 4/2011
WWF Deutschland - World Wide Fund For Nature

Der große Traum von KaZa

von Astrid Deilmann, WWF


Ein Meilenstein für das südliche Afrika: Fünf afrikanische Staaten haben am 18. August 2011 per Staatsvertrag das zweitgrößte Landschutzgebiet der Welt gegründet. Die historische Vereinbarung soll nicht nur einen riesigen Lebensraum schützen, sondern auch bei der Armutsbekämpfung helfen: Schon sieben Touristen pro Jahr sichern einen Arbeitsplatz in der Region.

Als wir endlich auf der anderen Seite des Sambesi-Flusses Sambia betreten, umringen uns die Verkäufer: "Holzschalen oder kleine Holzelefanten! Ich mache Ihnen einen guten Preis." Ein Verkäufer, knapp 20 Jahre alt, will kein Geld. Er will tauschen. Seine größte Holzschale gegen das Paar Schuhe, das mein WWF-Kollege Philipp Göltenboth trägt. "Aber die werden Ihnen nicht passen", gibt Philipp zu bedenken. "No, not for me. For my brother, please."

Wir sind unterwegs in KaZa, einer Region, die sich über Teile der Staaten Angola, Botswana, Namibia, Sambia und Simbabwe erstreckt. Namensgeber ist neben dem Fluss Kavango auch der englisch so geschriebene "Zambesi", den wir eben auf einer überladenen kleinen Fähre überquert haben. Auf der botswanischen Seite des Flusses hinter uns warten vollgepackte Laster, die Schlange reicht kilometerweit ins Land hinein. Die Wartezeit für die Überquerung des Flusses? Irgendetwas zwischen sieben und zehn Tagen. Falls die Fähren funktionieren. Eine Brücke gibt es noch nicht.


Selbst bestimmen, selbst schützen

Eine Formel für KaZa lautet: Viele Menschen, viel Armut. Die HIV-Infektionsrate ist hoch, die Lebenserwartung gering. Was nützt es da, wenn die Victoriafälle gleich nebenan sind und Elefanten über die Straße laufen wie streunende Hunde? Doch genau das könnte die Lösung zahlreicher Probleme sein. Denn die andere Formel für KaZa geht so: Viel Natur, viele Chancen. Darauf bauen die fünf KaZa-Staaten, die eine gemeinsame Vision verfolgen. KaZa soll 36 Nationalparks und Wildreservate durch Korridore so miteinander verbinden, dass wieder ein zusammenhängender Naturraum entsteht. Mit insgesamt 444000 Quadratkilometern deutlich größer als Deutschland, soll KaZa das zweitgrößte Schutzgebiet der Erde werden und das weitaus größte in Afrika. Ohne Zäune, die Tiere beim Wandern hindern, ohne Schlagbäume und mit vereinfachtem Grenzverkehr, der das Reisen für Naturtouristen erleichtert. Außerdem sollen Gemeindeschutzgebiete den Bewohnern das Recht zurückgeben, die Natur um sie herum zu nutzen. Damit sich die Menschen für sie verantwortlich fühlen und ihren Lebensraum selbst schützen.

Der Staatsvertrag, der all dies festhält, ist am 18. August 2011 in Angolas Hauptstadt Luanda unterzeichnet worden. Der Grundstein der Idee wurde bereits vor gut 20 Jahren gelegt. Einer der Ersten, der sich über KaZa Gedanken machte, war Chris Weaver. Der heutige Leiter des WWF-Büros in Namibia ist ein vehementer Verfechter der These "Geschützt wird, was einen Wert hat und nützt". Wir stehen in einem kleinen Weiler in Caprivi, einem schmalen namibischen Landstreifen zwischen Angola, Botswana und Sambia. Die Familien, die hier leben, können alles, was sich auf dem Gebiet ihrer Gemeinde befindet, selbst nutzen und vermarkten. Wenn ein Investor eine Lodge für Touristen bauen will, braucht er die Zustimmung der Stammesoberen - eine staatliche Baugenehmigung reicht nicht aus. Außerdem muss die Gemeinde an den Einnahmen aus dem Tourismus beteiligt werden. Was mit diesen Einnahmen geschieht, bestimmt ebenfalls die Gemeinschaft. "Zum ersten Mal seit der Zeit vor der Kolonialherrschaft können die Menschen ihr Land wieder selbst verwalten und vermarkten. Sie profitieren von den Naturreichtümern und bestimmen innerhalb ihrer Stammesstrukturen selbst, wie sie damit umgehen wollen", sagt Chris. Anfangs hätte kaum einer darauf gewettet, dass Chris' Idee einmal Erfolg haben könnte. "Bei meinen ersten Versuchen, mit den Stammesoberen zu sprechen, bin ich grandios gescheitert. Sie haben mich rausgeworfen. Sie dachten, da kommt wieder eine dumme Weißnase, die ihnen Vorschriften machen will", erzählt Chris. Es dauerte Monate, bis die Menschen den WWF-Mann als Gesprächspartner akzeptierten.

Heute ist die WWF-Idee der Gemeindeschutzgebiete, der so genannten Conservancies, zu einer Bewegung geworden. Fast 70 dieser Gemeindegebiete gibt es bereits in Namibia, die Liste der Bewerber ist lang bei der nationalen Anlaufstelle NACSO, die der WWF mit aufgebaut hat. Warum ist das Modell so erfolgreich? "Weil es mehr ist als Naturschutz", antwortet Chris. "Es geht um Armutsbekämpfung und Emanzipation." Es habe sich herumgesprochen, dass Naturschutz wirklich Einkommen bedeute und die Conservancies die Stammesstrukturen respektieren. "Nichts geschieht ohne die Entscheidung des lokalen Häuptlings. Niemand, nicht der Staat und nicht der WWF, darf hier Vorschriften machen." Nur die Naturschutz-Gesetze müssen eingehalten werden. Das bedeutet: Die Menschen können zur Eigenversorgung wieder legal jagen, allerdings nur bestimmte Arten, solche die unter Schutz stehen wie Nashörner hingegen nicht.


Elefanten als Einkommensquelle

Im Nordosten Namibias, in Ngonga, kann man sehen, wie das Prinzip praktisch funktioniert. Es ist Erntezeit. Das bedeutet Ausnahmezustand für die Bauern, vor allem nachts. Dann kommen die Elefanten und bedienen sich in den Mais- und Hirsefeldern. Für die Menschen bleibt nach einem solchen Elefantenmahl nicht mehr viel übrig. Weil die Bauern die Tiere nicht abschießen dürfen, haben sie die "Elektrozäune der Armen" erfunden und machen mit allen möglichen Mitteln Lärm. Auch umweltfreundliche Biowaffen kommen zum Einsatz: Chili-Bomben, ein Gemisch aus Elefantendung und Chili, billig in der Herstellung. Einmal getrocknet und angezündet, steigt aus der Gewürzpampe ein beißender Rauch auf, der die Elefanten auf Abstand hält, so denn die Windrichtung stimmt. Meistens geht es gut. Falls nicht, bekommen die Bauern Entschädigung für den Ernteausfall. Viele haben ein Selbstversicherungssystem eingerichtet, in das sie für solche Fälle einzahlen.

Für Daniel Kabala sind die dickhäutigen Feldplünderer ein echter Glücksfall. Daniel wird von den Bauern der Ngonga-Gemeinde als Elefanten-Wache bezahlt. "Ich habe zum ersten Mal eine Arbeit", sagt er nicht ohne Stolz. Seine Arbeitsinstrumente sind die Vuvuzela, eine Peitsche zum Knallen und Chili-Bomben. Ungefährlich ist sein Job nicht. "Es ist eine gute und wichtige Aufgabe", meint Daniel. "Wir brauchen die Ernte, aber wir brauchen auch die Elefanten." In der Nähe ist eine Lodge für Touristen entstanden. Daniel kennt Leute, die dort arbeiten - als Kellner, Köche oder Zimmermädchen.


Coservancies - Hilfe zur Selbsthilfe

Die Gemeindeschutzgebiete, die so genannten Conservancies, liegen immer außerhalb von staatlichen Schutzgebieten. Geschützte Tierarten wie Nashörner dürfen dort nicht gejagt werden. Dafür aber bestimmte andere Wildtiere wie Impala-Antilopen - und zwar nach Quoten, welche die staatliche Wildschutzbehörde festgelegt hat. Die Quoten richten sich immer nach dem Gesamtbestand der Tiere in der jeweiligen Conservancy. Die Wildschutzbehörde kontrolliert auch die Einhaltung der Quote. Die effektivste Kontrolle in den Conservancies erfolgt allerdings untereinander, da keiner in den Gemeinden ein Interesse daran hat, dass Einzelne wie vorher viel zu viele Tiere töten. Denn dann gäbe es keinen Anreiz mehr für ein Safariunternehmen, dort eine Lodge zu bauen. Und damit auch keine sichere Einnahmequelle: Vom Lodge-Umsatz bekommt die Conservancy üblicherweise garantiert zehn Prozent des Umsatzes - ganz abgesehen von den weiteren Geschäften mit Touristen und den Arbeitsplätzen in der Lodge.  GO


Schutzgebiete vernetzen

"Mit einem Arbeitsplatz werden oft bis zu 15 Familienmitglieder ernährt", sagt Russel Taylor. Der Simbabwer ist der "Elephant Man" des WWF, ein ausgewiesener Experte für die Tiere und ihren Lebensraum. Er untersucht unter anderem ihre Wanderbewegungen. Seine Arbeit dient als Grundlage für die Korridore, mit denen die vereinzelten Schutzgebiete in KaZa vernetzt werden sollen. Genau darin liegt die große Verantwortung des WWF, dieses größte Schutzgebiet Afrikas nach der Vertragsunterzeichnung auch Wirklichkeit werden zu lassen.

Die Umweltstiftung ist die einzige Kraft vor Ort, die Erfahrung und Wissen mit der Einrichtung von Gemeindeschutzgebieten auf ganz KaZa ausweiten kann. Besonders der WWF Deutschland unterstützt das Vorhaben mit finanzieller und fachlicher Hilfe. Die zu erwartenden Erfolge sollen genau erfasst und dargestellt werden. "Die Menschen in KaZa merken Schritt für Schritt, dass sie mit Elefanten besser leben als ohne. Die Elefanten bringen Öko-Touristen, die wiederum bringen das Geld, es gibt Arbeit in Lodges oder als Guide. Nach und nach spürt so jede Familie, dass ein lebender Elefant mehr wert ist als ein toter. So schützen wir die Tiere und ihren Lebensraum", sagt Russel.

Wir fahren ein Stückchen weiter. Im Mudumu North Complex treffen wir auf Bewen Manali von der Organisation IRDNC, die sich der naturnahen Landentwicklung verschrieben hat. Manali ist einer der größten Unterstützer der Gemeindeschutzgebiete. Er betreibt ein Radioprogramm von Conservancies für Conservancies. Elefanten haben mein Feld verwüstet, wer zahlt mir jetzt Entschädigung? Was machen andere Stämme mit ihren Einnahmen? Wir wollen eine Krankenstation bauen, wer kennt sich damit aus? Fragen wie diese werden via Radio erörtert.

Manali ist nicht der Einzige, der Aufklärung für die Idee von KaZa betreibt. Ebenfalls im Mudumu North Complex treffen wir auf eine Theatergruppe, die voller Witz in kleinen Sketchen den Menschen zeigt, warum es falsch ist, Elefanten abzuschießen - und dass sie ein Recht auf Entschädigung haben, sofern sie Teil einer Conservancy sind. Diese Art der Aufklärung kommt an, zumal die Schauspieler aus den umliegenden Dörfern stammen und die Gewohnheiten einzelner Stammesmitglieder aufs Korn nehmen. "Infotainment made in KaZa", nennt Chris Weaver das. Darüber hinaus erhalten die Gemeinden Schulungen durch den WWF und andere Organisationen - zur Bekämpfung der Wilderei und zur Zählung von Wildtieren genauso wie über Buchführung und Touristenlenkung. Dabei ist allen, die Conservancies einrichten wollen, klar: Nur wenn sie ihre Natur künftig schützen, profitieren sie auch langfristig von ihr.

Der Gedanke von KaZa wird inzwischen von vielen Menschen vor Ort getragen. Ganz ohne Unterstützung von außen geht es aber noch nicht. Der WWF fördert das Projekt jährlich mit zwei Millionen Euro, das Bundesministerium für Entwicklung hat über die KfW Entwicklungsbank 30 Millionen bereitgestellt. Davon sollen Infrastrukturmaßnahmen ebenso bezahlt werden wie die Unterstützung der Landwirtschaft. Verwaltet wird das Geld vom KaZa-Sekretariat im botswanischen Kasane. Sedia Modise hat es aufgebaut, er gilt vielen als der Vater von KaZa. Unermüdlich arbeitet der große Mittsechziger für die Idee, mit Naturschutz Armut und alte Feindschaften zu beheben. Wie funktioniert das, wenn fünf Staaten aufeinandertreffen, deren Grenzen auf willkürlichen Festlegungen aus der Kolonialzeit bestehen? Wie verfährt man mit politisch schwierigen Kandidaten wie Angola und Simbabwe? Kann das funktionieren? Sedia hört sich die Fragen ruhig an. Er spürt die europäische Ungeduld dahinter und die Skepsis. Dann sagt er: "Die fünf Staaten haben sich dazu entschieden, eine gemeinsame Idee zu verfolgen, um die friedliche und naturschonende Entwicklung der Region voranzutreiben. Bei dieser Entwicklung sind alle Staaten gleichberechtigt. Mal geht der eine voran, mal der andere. Aber alle haben dasselbe Ziel." Er führt an, dass es seit dem Frühjahr eine gemeinsame Website der fünf Staaten zu KaZa gibt, die sich an Touristen richtet: "KaZa verbindet, es spaltet nicht. Es ist auf Frieden und Naturschutz ausgerichtet."

Abends beim Essen ergänzt Sedia, dass die Staaten natürlich unterschiedliche Ausgangspunkte hätten. Angola etwa, dessen potenzieller Elefanten-Lebensraum zwar riesig, aber teilweise minenverseucht sei, oder das diktatorisch geführte Simbabwe hätten andere Voraussetzungen als beispielsweise Namibia, das den Umweltschutz in die Verfassung aufgenommen hat. "Sie alle können KaZa nur zusammen bewältigen, und das ist eine großartige Chance für jedes der beteiligten Länder." Bedeutet doch nachhaltige Entwicklung durch naturnahen Tourismus wachsende Einnahmen für das jeweilige Land.

Damit ergeben sich auch ganz neue Chancen für die Menschen von KaZa. Im Nationalpark Bwabwata lernen wir eine Gruppe junger Ranger kennen, ihre Chefin ist eine junge Frau. "Das hier ist mein erster Job", erzählt ein schüchterner junger Mann in dunkeigrüner Ranger-Uniform, nachdem ihm seine Chefin aufmunternd zugenickt hat. "Es ist eine gute Arbeit. Ich passe auf, dass niemand illegal Tiere schießt oder die falschen Bäume fallt. Ich erkläre dann, welche Bäume nicht gefällt werden dürfen, zähle auch die Tiere und werte ihre Spuren aus." Sein Kollege ergänzt: "Ich habe gelernt, wie man Karten anfertigt. Das ist wichtig für unsere Arbeit. Die Tiere und die Natur hier kenne ich schon immer. Aber ich lerne trotzdem jeden Tag Neues." Worauf er stolz ist? "Ich bin ein Vorbild. Alle bei uns wollen jetzt Ranger werden."

Ein Video aus KaZa sehen Sie hier: wwf.de/kaza.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

• KaZa ist mehr als naturschutz
Einmalig groß" KaZa (grün) erstreckt sich über fünf Länder und ist rund 15 Prozent größer als Deutschland.

• Ein Fall für Touristen
Die Victoriafälle des Sambesi sind die längsten Wasserfälle der Erde


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Quelle:
WWF Magazin 4/2011
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Die Zeitschrift für Mitglieder und Freunde der
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Dezember 2011