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ABFALL/012: Venezuela - Giftwolke über Mülldeponie gefährdet Gesundheit, Kinder gestorben (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Oktober 2011

Venezuela: Giftwolke über Mülldeponie gefährdet Gesundheit - Kinder gestorben

von Humberto Márquez

Müllsammler, Aasgeier und Qualm - Bild: © Humberto Márquez/IPS

Müllsammler, Aasgeier und Qualm
Bild: © Humberto Márquez/IPS

Ciudad Guayana, Venezuela, 6. Oktober (IPS) - Müllsammler, ausgehungerte Hunde und Aasgeier streiten sich auf der Deponie Cambalache im Nordosten Venezuelas um verwertbare Reste, bevor die Abfälle in Flammen aufgehen. Jeden Tag werden dort unter freiem Himmel rund 900 Tonnen Müll verbrannt, deren Rauch die benachbarte Stadt Ciudad Guayana einhüllt.

Wenige hundert Meter weiter lagern weitere toxische Hinterlassenschaften: roter Schlamm, von dem jedes Jahr Tausende Tonnen bei der Aluminiumproduktion anfallen. Das Gift dringt inzwischen schon bis zum Orinoco-Fluss vor.

Jesús González, der auf der Deponie nach Metall sucht, lebt seit 15 Jahren mit seinen Verwandten in Ciudad Guayana, die inzwischen rund 850.000 Einwohner hat. "Ständig wird bei uns jemand krank, manche Kinder sterben sogar", berichtet er. Seine Arbeit bringe überdies kaum etwas ein. Er könne nur mit Müh und Not seine Familie ernähren.

Vor einem halben Jahrhundert wurde Ciudad Guayana mit Unterstützung des renommierten 'Massachusetts Institute of Technology' (MIT) als 'Pittsburgh der Tropen' gegründet. Ähnlich wie in dem Industriestandort in den USA sollten in der brasilianischen Stadt Stahlfabriken und Wasserkraftwerke entstehen. Im Umkreis von Ciudad Guayana gibt es Wälder und reiche Bodenschatzvorkommen.


Müllsammler suchen Metallreste

"In Cambalache finden wir vor allem Eisen, Blech, Aluminium, Kupfer, Bronze und Pappe", sagt die Müllsammlerin Nelly Guevara, die drei Kinder hat. In einem Monat verdient sie umgerechnet etwa 460 US-Dollar, was ungefähr dem nationalen Mindestlohn entspricht. Dafür muss sie allerdings besonders hart arbeiten.

"Manchmal fangen wir um fünf Uhr morgens an und bleiben bis sieben Uhr abends", erzählt sie. Guevara und die anderen Sammler atmen dabei giftigen Rauch ein und riskieren außerdem Ansteckungen durch Tiere. Und wenn es stark regnet, können sie das Gelände vorerst nicht mehr verlassen.

Die etwa 550 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Caracas gelegene Stadt wurde an der Stelle erbaut, wo der Orinoco und der Caroní zusammenfließen. In dem Armenviertel Cambalache, wo sich die Mülldeponie befindet, leben rund 8.000 Menschen.

Unter ihnen sind etwa 120 Familien der Warao-Ethnie, die ursprünglich aus dem Mündungsgebiet des Orinoco stammen. Wie lokale Medien berichteten, starben im vergangenen Jahr in der Gegend zehn Warao-Kinder, die an Magen- und Atemwegsbeschwerden litten.

Die Abfälle werden in alten Lastwagen zu der rund ein Dutzend Hektar großen Deponie befördert. Sofort stürzen sich Müllsammler auf die ungenügend verpackten Frachten, um brauchbares Material herauszufischen. Der Rest wird von Aasvögeln, Hunden und Fliegen in Beschlag genommen, bis sich die Flammen nähern. Wenn der Wind von Westen kommt, liegt ein großer Teil von Ciudad Guayana unter einer giftigen Wolke.

Ärzte wie Judith Lezama sind über die Zunahme von Asthma und Lungenkrankheiten in der Stadt besorgt. Ligia Andrade, die Sprecherin des Kommunalrats von Cambalache, klagt über die Invasion von Fliegen, die Kinder und Erwachsene mit Erregern infizieren.

Die Behörden hatten die Müllkippe bereits vor zehn Jahren als veraltet und überflüssig bewertet. Von einer Schließung wollen die Anwohner allerdings nichts wissen, weil sie sonst ihr bescheidenes Einkommen verlören. González wünscht sich, dass die Stadtverwaltung Maschinen einsetzt und die Müllsammler für ihre Arbeit bezahlt.


Schließung der Deponie geplant

Andrade und andere lokale Politiker wie Wilson Castro von der konservativen Partei 'Zuerst Gerechtigkeit' fordern jedoch die sofortige Stilllegung der Deponie. Stattdessen sollte weiter westlich eine umweltverträgliche Müllkippe angelegt werden.

Die Regierung des Bundesstaates Bolívar hat sich inzwischen des Problems angenommen und sucht mit Hochdruck nach Alternativen. Gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium werde in den nächsten fünf Monaten ein Sanierungsplan für Cambalache anlaufen, kündigte Gouverneur Francisco Rangel an. An der Autostraße in Richtung Westen werde zudem in El Pinar eine neue Deponie eröffnet.

Die Kosten werden mit 5,8 Millionen Dollar beziffert. Vizeumweltminister Jesús Cegarra stellte in Aussicht, dass die Bereinigung von Cambalache in fünf Jahren abgeschlossen sein wird. Damit sollte die Verschmutzung von Böden, Wasserquellen und Luft gestoppt werden.


Müllkippen entsprechen nicht den Umweltauflagen

Wie der Umweltaktivist Diego Díaz von der unabhängigen Organisation 'Vitalis' IPS erklärte, gibt es im ganzen Land bisher erst eine Mülldeponie, die den Hygiene- und Umweltschutznormen entspricht: 'La Bonanza' vor den Toren von Caracas. Die Abfälle aus anderen Städten werden dagegen auf etwa 400 Grundstücken unter freiem Himmel gelagert.

Laut Díaz werden lediglich zehn Prozent des Mülls wiederaufbereitet. Mehr als 80 Prozent verbleibe in den Städten, kritisierte er. Venezuela bräuchte 150 umweltverträgliche Müllkippen, um sein inzwischen größtes ökologische Problem in den Griff zu bekommen.

Roter Giftschlamm am Ufer des Orinoco - Bild: © Humberto Márquez/IPS

Roter Giftschlamm am Ufer des Orinoco
Bild: © Humberto Márquez/IPS

Nahe Camabalache verarbeitet zudem das staatliche Unternehmen 'Bauxilium' jährlich fast drei Millionen Tonnen Bauxit zu etwa 1,5 Millionen Tonnen Aluminium. In dem als Rückstände anfallenden roten Giftsand sind kaustisches Soda und andere bei der Aluminiumproduktion verwendete Chemikalien enthalten. Mit Wasser vermischt, türmt sich der Schlamm zu riesigen Lagunen auf. Mediziner warnen davor, dass die toxischen Substanzen allmählich den Orinoco erreichen. Zahlreiche Speisefischarten und die Trinkwasserversorgung der Menschen in der Umgebung seien dadurch gefährdet. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Oktober 2011