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POLITIK/575: Nachhaltige Industriepolitik aus umweltpolitischer Perspektive (spw)


spw - Ausgabe 5/2018 - Heft 228
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Nachhaltige Industriepolitik aus umweltpolitischer Perspektive

von Svenja Schulze(1)


Der Anfang Oktober veröffentlichte Sonderbericht des UN-Weltklimarates IPCC hat uns erneut und unmissverständlich vor Augen geführt, dass wir in den kommenden Jahren vor entscheidenden Weichenstellungen für die Menschheit stehen. Gelingt es uns, den Hebel umzulegen und "schnelle, weitreichende und beispiellose Änderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen" vorzunehmen oder lassen wir es zu, dass sich die Erderwärmung mit in ihrem Ausmaß kaum vorstellbaren Folgen wie Hungersnöten, Wasserknappheit oder Naturkatastrophen ungebremst fortsetzt?

Dass dieses Szenario keine Option sein darf, dürfte allen klar sein. Wir müssen deshalb auf politischem Weg klären, wie wir den Übergang in ein postfossiles Zeitalter organisieren wollen. Im Kern geht es dabei um folgende Fragen: Wie erhalten wir angesichts dieser Herausforderung unseren Wohlstand in Zukunft? Welche Rolle spielt der Staat bei den anstehenden Transformationsprozessen? Wie sorgen wir dafür, dass es dabei sozial gerecht zugeht? Und wie gehen wir mit den Sorgen und Ängsten der Menschen um, die den Wandel als Bedrohung empfinden?

Zunächst einmal ist festzustellen: Wir haben in Deutschland als erfolgreichem Industrieland hervorragende Ausgangsbedingungen. Industrielle Wertschöpfung, durch große Konzerne oder mittelständische Familienunternehmen, ist die Basis unseres Wohlstandes und vieler guter tarifgebundener Arbeitsplätze. Innovation und Gerechtigkeit als zwei Seiten derselben Medaille finden hier ihren unmittelbaren Ausdruck.

Als sozialdemokratische Umweltministerin ist es mir ein Anliegen, den notwendigen Transformationsprozess so zu gestalten, dass unsere industriellen Strukturen nicht zerstört, sondern gestärkt werden. Wir wissen: Die Geschäftsmodelle des 20. Jahrhunderts sind durch Megatrends wie Digitalisierung, Globalisierung und den Klimawandel unter Veränderungsdruck. Die Digitalisierung erfindet die Basis unseres Wirtschaftens neu. Der Prozess der Globalisierung ist längst nicht abgeschlossen. Und im Pariser Klimaabkommen haben wir uns darauf verständigt, die Erwärmung der Erde möglichst auf 1,5 Grad Celsius verglichen mit dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen.

Ja, das alles sind Herausforderungen, wenn man unseren industriellen Kern als Basis von Wohlstand stärken möchte. Aber es sind auch enorme Chancen für die Wertschöpfung der Zukunft. Ökologische Nachhaltigkeit, ökonomischer Erfolg und soziale Gerechtigkeit bedingen einander. Die Vision einer emissionsfreien Wirtschaft schließt industrielle Wertschöpfung und gute Arbeitsplätze in der Industrie nicht aus. Ganz im Gegenteil: Die Erfahrungen zeigen, dass nur ein Staat, der sich traut in den Markt einzugreifen und Innovationen zum Durchbruch zu verhelfen, in der Lage ist Transformationsprozesse erfolgreich zu gestalten. Die von Rot-Grün eingeleitete Energiewende ist das beste Beispiel dafür.

Der Staat darf deshalb auch nicht erst dann eingreifen, wenn Marktversagen droht. Er sollte proaktiv und mutig vorangehen, um die Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu sichern und nachhaltiges Wirtschaften zur Regel zu machen. Für die Umwelt, für mehr Lebensqualität, für mehr Wohlstand, für mehr Gerechtigkeit. Und ich bin mir sicher, dass wir diesen Prozess gestalten können. Das ist der sozialdemokratische Weg.

Umweltfragen polarisieren

Die meisten Menschen haben ein sehr gutes Gespür für den kritischen Zustand der Welt. Sie sehen die klimatischen Veränderungen mit Sorge. Die Erwartungen an die deutsche Bundesregierung sind hoch: Endlich ernst machen mit dem Klimaschutz und die internationale Vorreiterrolle zurückerobern. Bei der sozialdemokratischen Basis ist dieser Anspruch besonders ausgeprägt, wie eine Mitgliederbefragung von 2018 des Parteivorstands zeigt.

Auf der anderen Seite bieten Populisten wie Alexander Gauland oder Donald Trump vermeintlich leichte Antworten - auch in der Umweltpolitik. Wer wissenschaftliche Erkenntnisse leugnet oder dem Menschen die Fähigkeit abspricht, selbst gegensteuern zu können, muss keine Konzepte bieten. Anders gesagt: "Der Klimawandel als Erfindung der Chinesen" ist ihre Ausrede für rückwärtsgewandte Klientelpolitik.

Aber auch in den wirtschaftspolitischen Debatten halten sich Vorbehalte gegen Umweltpolitik. Das gilt sowohl auf der betriebswirtschaftlichen als auch auf der volkswirtschaftlichen Ebene. Deutschland, so heißt es immer wieder, stehe im internationalen Wettbewerb. Da könne man sich zu viel Umweltschutz, hohe Arbeitsstandards, oder Nachhaltigkeitspflichten nicht leisten. Selbst dort, wo Umweltauswirkungen kaum noch zu leugnen sind, werden umweltbezogene Maßnahmen im Gewirr von Zielkonflikten, Lobbyismus und Ressortinteressen zerrieben.

Wir befinden uns in einer Phase, in der wir Umweltpolitik wieder besser erklären müssen. Angst führt häufig zu Stillstand. Wer die tagtägliche Klimaberichterstattung über unbewohnbare Dörfer, im Meer versinkende Inseln oder außergewöhnliche Extremwetterereignisse verfolgt, der ist wie gelähmt von der Furcht vor der ganz großen Katastrophe. Wir müssen weg von der Ebene der Angst, zurück zur Ebene der Chancen. Deshalb dürfen wir Umweltpolitik nicht isoliert betrachten, sondern immer auch mit Blick auf ihre wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen.

Ein zeitgemäßer und überzeugender Handlungsrahmen für die Umweltpolitik

Was bedeutet das für eine zukunftsfähige Wirtschafts- und Industriepolitik?

Wir spüren, die "klassische" Umweltpolitik des 20. Jahrhunderts stößt an Grenzen, die so genannten "low-hanging fruits" sind geerntet. Stichworte hier sind Smog, Waldsterben, dreckige Flüsse oder umkippende Seen. Auch der inzwischen fast vollständig vollzogene Atomausstieg gehört dazu. Viele der offensichtlichen Probleme, die die Menschen in Deutschland ganz unmittelbar als Bedrohung für ihre Gesundheit empfanden, gehören glücklicherweise der Vergangenheit an. Umweltpolitische Herausforderungen sind heute komplex, interdependent und global. Umwelt- und Klimaschutz lassen sich nicht mehr durch punktuelle Optimierungen erreichen. Heute müssen Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten von Grund auf verändert werden. Im Fall der Stromerzeugung zum Beispiel ist der Weg bereits eingeschlagen - in anderen Bereichen, etwa der nachhaltigen Mobilität, wird der Veränderungsdruck immer deutlicher.

Wir brauchen den Mut, grundlegende Transformationsprozesse einzuleiten. Vor diesem Hintergrund steht eine Neujustierung der Umweltpolitik an. Unsere Botschaft ist, dass Nachhaltigkeit Chancen für unsere Volkswirtschaft bietet, neue Wege der Wertschöpfung zu erschließen, Wirtschaft und Unternehmen modern und zukunftsgerichtet aufzustellen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie zu sichern und auszubauen.

Wir wissen längst, dass sich Investitionen in Klimaschutz lohnen und dass eine werteorientierte Wirtschaftspolitik internationale Wettbewerbsfähigkeit sichert. Wir müssen aber auch politisch durchsetzen, dass soziale und ökologische Nachhaltigkeitsaspekte verbindlich in wirtschaftlichem Handeln verankert werden. Ein Betrug an den Verbraucherinnen und Verbrauchern, so wie beim Dieselskandal, darf sich nicht wiederholen. Und für die politische Seite sei selbstkritisch hinzugefügt: Nur eine klare Position zur zukünftigen Energieversorgung, zur Zukunft der Mobilität, zur Zukunft der Industrie kann Grundlage einer glaubwürdigen Politik sein. Hier hat sich auch die Sozialdemokratie zu lange auf Formelkompromisse verständigt, statt mutige Visionen zu entwickeln und in die Gesellschaft zu tragen.

GreenTech: Wir sind auf einem guten Weg!

Umweltpolitik führt nicht zu De-Industrialisierung, wie es gelegentlich polemisch zu hören ist. Wir brauchen unsere Industriekompetenz - nicht nur, weil Populismus und Demokratieskepsis auch eine Folge von Strukturbrüchen und wirtschaftlichen Abstiegsängsten sind. Wir brauchen eine innovative und moderne Industrie auch, um die wirtschaftlichen Chancen von Umwelt- und Klimaschutz und der Energiewende zu heben. Das sollten wir nicht anderen überlassen.

Zahlen von Roland Berger im GreenTech Atlas 2018 (2) zeigen, dass wir auf einem guten Weg sind: Das weltweite Marktvolumen der Umwelttechnik und Ressourceneffizienz wird sich von mehr als 3.200 Milliarden Euro (2016) bis 2025 voraussichtlich auf über 5.900 Milliarden Euro erhöhen. Deutsche Unternehmen sind hervorragend aufgestellt. Insgesamt haben sie einen weltweiten Anteil von 14 Prozent auf diesen Märkten. Eineinhalb Millionen Menschen sind bereits heute in diesem Bereich in Deutschland beschäftigt - in der Mehrzahl sehr qualifizierte Jobs. Außerdem ist absehbar, dass GreenTech für die Wertschöpfung in Deutschland noch wichtiger wird: Der Anteil der Branche am Bruttoinlandsprodukt lag 2016 bereits bei 15 Prozent. Bis 2025 - so die Prognose - wird er auf 19 Prozent steigen. Schon heute kommen über ein Zehntel der weltweiten Umwelttechnologien aus Deutschland. Damit ist der Markt hier weiterentwickelt als in den meisten anderen Regionen.

Auch die OECD hat in einem Gutachten für die deutsche G20-Präsidentschaft darauf hingewiesen, dass sich Investitionen in Nachhaltigkeit gesamtwirtschaftlich rechnen. Eine Studie von Prognos und BCG (3) im Auftrag des BDI kommt zu dem Ergebnis, dass eine ambitionierte Klimaschutzstrategie bis Mitte des Jahrhunderts mindestens wachstumsneutral zu haben ist, wenn die Weichen richtig gestellt werden.

Diese Beispiele verdeutlichen: Umweltpolitik ist Industriepolitik, ist Arbeitsmarktpolitik, ist Zukunft. Und die Zahlen geben großen Ansporn. Mit Umwelttechnik und Ressourceneffizienz kann es gelingen, unsere Wirtschaft umfassend zu modernisieren.

Weichen in Richtung Zukunft stellen

Die deutsche Volkswirtschaft verfügt über unschätzbare Potenziale, die Grund für Zuversicht und Optimismus sind. Unsere Umwelt- und Klimapolitik hat dazu maßgeblich beigetragen. Produkte und Dienstleistungen aus Deutschland werden weltweit stark nachgefragt. Das sollte uns motivieren, die Weichen weiter in Richtung Zukunft zu stellen. Dazu fünf Thesen von mir:

Erstens: Eine moderne Wirtschaftspolitik und eine zukunftsfähige Industrie bewegen sich im Kontext des Pariser Klimaschutzabkommens und der Agenda 2030. Dieser verbindliche Rahmen ist eine große Errungenschaft, weil er Planungssicherheit herstellt. Keine ernst zu nehmende Partei in Deutschland stellt die Pariser Klimaschutzziele in Frage. Das öffnet den Weg für die nicht weniger kontroversen Diskussionsprozesse über das "Wie" der Zielerreichung.

Dazu gehören Entscheidungen über verbindliche Umweltstandards und ökologische wie soziale Nachhaltigkeitsanforderungen. Umweltgesetzgebung ist weltweit maßgeblich für Investitionen in Wasser- und Abfalltechnologien, in Energieeffizienz oder moderne Bautechnik. Ambitionierte CO2-Grenzwerte im Mobilitätsbereich sind nicht nur für den Klimaschutz wichtig. Sie sind ein Innovationstreiber. Das Europäische Parlament hat sich vor Kurzem für eine deutliche Verschärfung der CO2-Grenzwerte in der Autoindustrie nach 2021 ausgesprochen. Diese Entscheidung unterstütze ich ausdrücklich, sie wird dazu führen, dass wir bis 2030 EU-weit mehr Neuwagen mit einer innovativeren, klimafreundlicheren Antriebstechnologie auf dem Markt haben werden. Das mag einigen zu langsam gehen. Ich gebe aber auch zu bedenken, dass Europa damit zu einem der größten Märkte für Elektromobilität mit Batterie und Brennstoffzelle wird.

Damit stellen wir im Übrigen politisch sicher, dass Innovationen in Nachhaltigkeit und Umwelttechnologien das vorfinden, was man ein "level playing field" nennt. Wettbewerbsfähigkeit darf nicht auf Umwelt- und Sozialdumping gründen. Das gilt auch für die Handelspolitik und Freihandelsabkommen.

Zweitens: Wir müssen noch stärker Investitionen für nachhaltige Technologien mobilisieren. Dafür braucht es einen starken, aktivierenden Staat. In den nächsten Jahren werden in erheblichem Umfang Investitionen nötig sein - in physische Infrastruktur, Anlagen, Technologien, aber auch in die Neuorganisation von Prozessen und in neues Wissen. Investitionsbedarf entsteht nicht nur in den Bereichen Energie und Verkehr, sondern auch in den Bereichen Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft, Wasserwirtschaft und Landwirtschaft - und das in globalem Maßstab.

Die gute Konjunktur sorgt derzeit für Milliardenüberschüsse. Die Diskussion um ihre Verwendung muss auch geleitet werden von der Frage, welche Investitionen im Sinne einer ökologisch nachhaltigen Entwicklung unsere Zukunft sichern. Ein Beispiel: Wir alle sind uns einig, dass der Gebäudebestand unserer Bildungseinrichtungen grundlegend saniert gehört und wir viel öffentliches Geld dafür bereitstellen sollten. Eine solche Sanierung des Gebäudebestands ist aber auch unter ökologischen Aspekten wünschenswert, wenn die neuesten energetischen Standards eingehalten werden.

Auch in der Finanzwirtschaft findet ein Umdenken statt. Erste Versicherungskonzerne investieren weder in Kredite noch in Anleihen von Unternehmen, die Nachhaltigkeitsanforderungen missachten. Ein Vorbild, wie ich meine, auch für die Anlagepolitik der öffentlichen Hand. Deshalb ist es ein sehr gutes Signal, dass die EU-Kommission im Rahmen ihrer Finanzmarktreform auch eine "Strategie zur nachhaltigen Finanzwirtschaft" vorantreibt.

Drittens: Umweltinnovationen brauchen mehr Unterstützung bei der Markteinführung. Die Forschung hat bei uns einen hohen Stellenwert. Dabei übersehen wir aber viel zu oft, dass für innovative Produkte der Sprung in den Markt oft die eigentliche Hürde darstellt. Dazu gehört eine gezielte Anreizpolitik, die technologische Innovationspfade eröffnet, ebenso wie Innovationspartnerschaften mit den für den Strukturwandel maßgeblichen Branchen und Unternehmen.

Am Beispiel der Mobilität werden die Herausforderungen gut deutlich: Allen ist klar, die Zeit des Verbrennungsmotors geht zu Ende - in entwickelten Industrieländern schneller als im Rest der Welt, in Städten früher als auf dem Land. Aktuell verdienen die Automobilunternehmen mit den Technologien des letzten Jahrhunderts noch ihr Geld. Gleichzeitig müssen sie sich technologisch mehrgleisig aufstellen und ihre Wertschöpfungsketten völlig neu organisieren: von der Energiebasis über die Infrastruktur, den Antriebsstrang, die Zulieferindustrie, von Bildung und Ausbildung zu Service, Handwerk und Dienstleistung. Neue Geschäftsfelder entstehen in der Produktions-, aber vor allem in der Nutzungsphase des Autos. Um die Dekarbonisierung des Verkehrs zu erreichen, müssen wir ihn noch enger mit der Energiewende verbinden - auch hierfür ist eine größere Technologievielfalt notwendig.

Entscheidungen auf EU-Ebene und Beispiele aus dem Ausland zeigen, wie das möglich ist. Und wir brauchen mehr, vielleicht auch kreativere Unterstützung durch die öffentliche Hand. Das gilt für Starthilfen bei umweltorientierten Neugründungen, besser ausgestattete Innovations-Fonds, Innovations-Cluster und Reallabore. Dazu gehört auch die Förderung von sogenannten "disruptiven Technologien". Stahl kann zum Beispiel auch mit erneuerbarem Wasserstoff hergestellt werden - statt mit Kohle. Hier gibt es bereits eindrucksvolle Vorhaben auch deutscher Unternehmen.

Viertens: Auch Unternehmen haben eine Verantwortung. Ökologisches und soziales Handeln wird für Kundinnen und Kunden immer wichtiger. Die Transparenz von Geschäftsmodellen ist ein Gebot der Stunde. Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Recht zu wissen, was sie kaufen und konsumieren - und sie fordern es immer stärker ein.

Ich würde mir wünschen, dass sich die Ambitionen in diesem Bereich auch in Deutschland noch steigern. Das ist ganz sicher auch im Interesse der Wirtschaft selbst. Nachhaltiges Wirtschaften bringt Wettbewerbsvorteile, denn Vertragspartner, Kunden und Investoren achten mehr denn je auf die Wertschöpfungsketten. Sie setzen immer stärker ethisch verantwortungsvolles Handeln voraus. Und bei zunehmendem Fachkräftemangel ist es ein Wettbewerbsvorteil, wenn man engagierte Fachkräfte mit verantwortungsvollem unternehmerischem Handeln gewinnen und motivieren kann.

Fünftens: Energiewende und Klimaschutz haben das Potenzial, wieder zu einem gemeinsamen Fortschrittsprojekt zu werden. Die Rahmenbedingungen und die Anforderungen an eine erfolgreiche Energiewende verändern sich. Immer mehr Akteure wollen an der Energiewende mitwirken. Ehemalige "Energie-Nachfrager" werden selbst zu "Anbietern". Das reicht von Privathaushalten über kommunale Betriebe und Mobilitätsunternehmen bis hin zum Stahlproduzenten. Die volkswirtschaftlichen Potenziale einer dezentralen Energiewende müssen noch stärker in unseren Fokus rücken.

Es ist daher Zeit für eine Debatte über die Neujustierung der Instrumente und Ziele unserer Energie- und Klimapolitik. Wir brauchen eine offene Diskussion über die Lasten des gegenwärtigen Abgabe- und Umlagesystems, über einen sektorübergreifenden und innovationsfreundlichen Rahmen, über eine flexible Nutzung erneuerbarer Energien und die Fokussierung unserer Instrumente auf die Vermeidung von CO2. Der gegenwärtige ökonomische Rahmen für die Energiewende fördert die kostengünstige Erreichung der Klimaziele nur unzureichend. Die Debatte über die Bepreisung fossiler Energieträger sollten wir offen und zielorientiert führen.

Wirtschaft mit Zukunft

Im Hamburger Grundsatzprogramm der SPD heißt es: "Wir wollen eine Gesellschaft, in der Dynamik und Innovation Fortschritt schafft. Strategische Industriepolitik muss ökologische Industriepolitik sein". Um die Zukunft in diesem Bereich zu gestalten, brauchen wir Mut, vielleicht sogar mehr Mut als bisher und wir brauchen wieder ein übergreifendes politisches Leitbild, das langfristige Orientierung gibt.

Das gewährleisten wir, wenn wir nachhaltiges Wirtschaften stärken. Dazu gehören verbindliche umweltpolitische Standards, ein positives Investitions- und Innovationsumfeld, eine faire und regelbasierte Handelspolitik, eine nachhaltige Finanzpolitik und die Energiewende. Wenn wir Klimaschutz als Fortschrittsprojekt ernst nehmen, können wir Innovationen als Wettbewerbsvorteil nutzen und damit langfristig als Industriestandort erfolgreich bleiben.

Unser gemeinsames Ziel ist nichts Geringeres als der Schutz unserer Lebensgrundlagen: ein stabiles Klima, saubere Luft, sauberes Wasser und eine intakte Natur. Ich bin der festen Überzeugung, dass dies nur gelingen kann, wenn wir auch in der Wirtschaftspolitik, in der Finanz- und in der Haushaltspolitik die Hebel in Richtung Nachhaltigkeit umlegen. Dazu braucht es einen klaren sozialdemokratischen Kompass, der ökologische Verantwortung, ökonomische Vernunft und das Streben nach sozialer Gerechtigkeit miteinander verbindet.


Anmerkungen

(1) Svenja Schulze ist Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit.

(2) http://www.greentech-made-in-germany.de/.

(3) Boston Consulting Group.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 5/2018, Heft 228, Seite 38-42
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2018

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