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POLITIK/535: Streit um Kohlekraftwerke (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 49 vom 5. Dezember 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Streit um Kohlekraftwerke
Zielverfehlung führt zu Unstimmigkeiten in der Bundesregierung

von Bernd Müller



Die Bundesregierung arbeitet an einem Aktionsprogramm zum Klimaschutz und hat vor, es am 3. Dezember zu beschließen. Das Programm soll aufzeigen, mit welchen Maßnahmen die Bundesregierung erreichen will, dass die deutschen Klimaziele eingehalten werden. Ob das Programm tatsächlich beschlossen wird, hängt allerdings davon ab, ob sich das Umwelt- und das Wirtschaftsministerium (beide SPD-geführt) einigen können. Ein Kompromiss ist derzeit allerdings unwahrscheinlich.

Die Unstimmigkeiten innerhalb der Bundesregierung rühren daher, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht möglich sein wird, das gesteckte Ziel für das Jahr 2020 zu erreichen, ohne beherzt auf die Energiewirtschaft einzuwirken. Allen Prognosen zufolge wird es eine erhebliche Lücke zwischen dem Ziel und dem geplanten Rückgang der Kohlendioxid-Emissionen geben. Geplant war eigentlich ein Rückgang der Emissionen um 40 Prozent gegenüber dem Jahr 1990. Stattdessen werden es wohl nur 35 Prozent - wenn die Wirtschaftskraft Deutschlands erlahmt. Zieht die Konjunktur dagegen an, wird es nur einen Rückgang von schätzungsweise 32 Prozent geben. Der Präsident der Bundesnetzagentur Jochen Homann stellt gleich die Frage, ob das 40-Prozent-Ziel gar von Anfang an falsch gesetzt war. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) meint dagegen, dass die deutsche Klimapolitik in den letzten 15 Jahren in keinem Jahr ausreichend gewesen ist.

Je nachdem wie groß die Lücke tatsächlich ausfallen wird, müssten bis zum Jahr 2020 weitere 60 bis 90 Millionen Tonnen eingespart werden, um sie schließen zu können. Wie dies geschehen kann, wird derzeit diskutiert. Neben kreativen Rechentricks kommen dabei handfeste Maßnahmen gegenüber der Energiewirtschaft vor. Klimastaatssekretär Jochen Flassbarth meint, die Bundesregierung werde nicht versuchen, die Welt schöner zu rechnen, als sie ist. Stattdessen sei es der Energiesektor, der den größten Teil der Einsparungen liefern müsse: Zehn Gigawatt Kraftwerksleistung müssten vom Netz genommen werden, was bedeutet, dass 15 bis 20 der alten ineffizienten Braun- und Steinkohlekraftwerke stillgelegt werden müssten.

Doch dagegen regt sich im Wirtschaftsministerium Widerstand. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) meint, man müsse "endlich Schluss machen mit den Illusionen in der deutschen Energiepolitik". Man könne nicht zur selben Zeit aus der Atomkraft und aus der Verstromung von Kohle aussteigen. Wer das will, sorge für explodierende Stromkosten und gefährde die Versorgungssicherheit, so sein Mantra. Prinzipiell halte er das 40-Prozent-Ziel bis 2020 mit der Kohle für machbar, doch solle es der Markt regeln. Wegen der niedrigen Strompreise an der Börse würden immer mehr alte Kraftwerke unrentabel und vom Netz genommen. Welche Kraftwerke letztendlich vom Netz genommen werden, solle die Wirtschaft und nicht der Staat entscheiden. Würden in Deutschland Kohlekraftwerke abgeschaltet, sei dies ohnehin kein Beitrag für den europäischen Klimaschutz, so Gabriel. Die frei werdenden CO2-Zertifikate würden von anderen Verschmutzern übernommen und verbraucht. Stattdessen wäre es sinnvoller, die Zahl der handelbaren Zertifikate zu verringern und den Emissionshandel wieder zu beleben.

Die Umweltorganisation Greenpeace wirft dem Wirtschaftsminister vor, seine Argumentation sei nur eine Ablenkung. Auch der jüngste EU-Klimagipfel im Oktober habe den Emissionshandel nicht reformiert. Auf absehbare Zeit werde der Preis der Zertifikate so niedrig sein, dass er allein nicht imstande sein werde, die klimaschädliche Verstromung von Kohle zu begrenzen.

Es sei wie beim Mikadospielen, meint Martin Rocholl von der European Climate Foundation (ECF). Alle Stromkonzerne wüssten, dass sie eigentlich Überkapazitäten abbauen und alte ineffiziente Kohlekraftwerke stilllegen müssten. Doch jeder warte, bis der andere anfange. Eine Studie, welche die ECF gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Auftrag gegeben hat, kommt zu dem Schluss: Bereits im kommenden Jahr könnten 23 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden, wenn ineffiziente Steinkohlekraftwerke mit einer Kapazität von drei Gigawatt und Braunkohlekraftwerke mit einer Kapazität von sechs Gigawatt vom Netz genommen würden. Statt auf freiwillige Verpflichtungen zu setzen, müsse ein Ausstiegsgesetz beschlossen werden, meint Rocholl.

Doch zahlreiche Politiker und Vertreter der Wirtschaft wehren sich gegen derartige Pläne. Hinter den Kulissen würden Konzernlobbyisten versuchen, wirksame Klimaschutzmaßnahmen zu verhindern, meint Hubert Weiger, Präsident des Bundes Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).

Die Grünen-Politikerin Bärbel Höhn mutmaßt, Gabriels Position habe auch eine machtpolitische Grundlage: Wolle er bei der nächsten Bundestagswahl Kanzler werden, dürfe er das SPD-regierte Nordrhein-Westfalen nicht verlieren. "Wenn es RWE und E.on mit ihren Kohlekraftwerken finanziell schlecht geht, wackelt die Macht der SPD in Nordrhein-Westfalen (NRW)", schreibt Höhn in Die Zeit. Im Ruhrgebiet halten für die SPD wichtige Städte und Landkreise mehr als 20 Prozent der Aktien an RWE. Viele Jahre schüttete der Konzern eine gute Dividende aus, die deutlich gekürzt werden musste. Zusätzlich hätten die Städte schmerzhafte Abschreibungen über mehrere Milliarden Euro vornehmen müssen. Zahlte man 2008 noch über 100 Euro pro Aktie, ist sie heute kaum noch 30 Euro wert. Allein die Stadt Essen ist dadurch um rund 680 Millionen Euro ärmer geworden. Die Folge sei, dass Programme gekürzt und Stellen im öffentlichen Bereich gestrichen werden müssten. Wolle die SPD verhindern, dass sie bei den nächsten Wahlen abgestraft werde, müsse sie eine Politik im Sinne der großen Energiekonzerne betreiben.

Tatsächlich befinden sich in NRW die meisten Kraftwerke, die stillgelegt werden müssten. Der Konzern RWE verdiene mit Uralt-Kraftwerken, die schon an die 50 Jahre alt und längst abgeschrieben sind, gutes Geld, heißt es in einem Spiegel-Bericht (46/2014). Für den Konzern seien die Gewinne aus der Kohle überlebenswichtig. Doch der Konzern hat immer größere Probleme, seine Kraftwerke auszulasten. Arbeitsplätze und Steuereinnahmen stehen in Nordrhein-Westfalen auf dem Spiel, wenn Kraftwerke stillgelegt werden. RWE hat mit starken Umsatz- und Gewinneinbußen zu kämpfen, weil der Konzern die Energiewende verschlafen hat. Der Gewinn vor Steuern der ersten neun Monate in diesem Jahr ging um 22 Prozent auf 4,7 Milliarden Euro zurück. Bei der konventionellen Stromerzeugung ging der Gewinn vor Steuern um 11 Prozent auf 1,5 Milliarden Euro zurück. Wohlgemerkt: Vor zwei Jahren noch erwirtschafteten allein die deutschen RWE-Kraftwerke das Doppelte. Sigmar Gabriel plant zwar, im Rahmen eines neuen Strommarktdesigns etwa 20 Kohlekraftwerke "stillzulegen". Diese sollen in den Stand-by-Betrieb wechseln und bei Bedarf hochgefahren werden. Die entstehenden Kosten soll den Energiekonzernen über eine neue Umlage wieder vom Stromkunden erstattet werden.


Bernd Müller, Dipl.-Ing., freier Journalist

Weitere Informationen unter:
www.bernd-mueller.org

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 49 vom 5.
Dezember 2014, Seite 5
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2014