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MASSNAHMEN/308: Industrielobby verzögert EU-Maßnahmen gegen Emissionshandelsbetrug (FUE)


Forum Umwelt & Entwicklung - Pressemitteilung vom 22. November 2010

Industrielobby verzögert EU-Maßnahmen gegen Emissionshandelsbetrug


18. November 2010, Brüssel, Belgien. Europäische Stromkonzerne, darunter RWE, E.ON und ENEL zögern mit massivem Lobbying hinter den Kulissen entscheidende europäische Regulierungen zur Anrechnung von Kompensationsmaßnahmen im EU-Emissionshandelssystem hinaus.

Als Reaktion auf wachsende Besorgnis über Industriegasprojekte im Rahmen des Clean Development Mechanism (CDM) hat EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard im August angekündigt, die Kommission werde einen Vorschlag über Qualitätskriterien für die Anrechnung solcher Industriegas-Kompensationsprojekte im EU-Emissionshandelssystem zur UN-Klimakonferenz in Mexiko im Dezember vorlegen.

Die EU-Mitgliedsstaaten sollten über den Text bereits bei einer Sitzung Mitte November abstimmen. Allerdings haben Interventionen von Wirtschaftslobbyisten zu einer ganze Reihe von Verzögerungen im internen Konsultationsprozess geführt. Mittlerweile ist zweifelhaft, ob dieser Zeitplan eingehalten und ob dieser Vorschlag überhaupt realisiert werden kann.

"Die Industrie führt die EU-Kommission vor, indem sie verschiedene Generaldirektionen gegeneinander ausspielt. Die Notwendigkeit, Gutschriften aus HFC-23 und N2O (von Adipinsäure) im EU-Emissionshandelssystem ganz auszuschließen, ist unbestreitbar." sagt Natasha Hurley, politische Beraterin von CDM Watch. "Inzwischen besteht die reale Gefahr, dass diese Initiative durch zynische Manipulationen von Industrieinvestoren im Keim erstickt wird," ergänzt sie.

Im Oktober haben CDM Watch und ein Bündnis von Umweltorganisationen offene Briefe an Industrieunternehmen, einschließlich RWE, E.ON und ENEL geschickt, in denen sie ihre Besorgnis über HFC-23-Projekte im Rahmen des CDM darlegten. In den Briefen wurden die Unternehmen aufgerufen, den Ausschluss solcher Emissionsgutschriften aus dem EU-Emissionshandelssystem ab dem 1.Januar 2013 mit zu unterstützen, einschließlich eines strikten Verbots, ältere Gutschriften in die kommende dritte Phase des Emissionshandelssystems zu übertragen.

"Kommissarin Hedegaard darf diesen profitgierigen Lobbyisten nicht nachgeben, die diesen Ausschluss auf den 1. Mai 2013 verschieben wollen." sagt Eva Filzmoser, Programmleiterin von CDM Watch. "Viele Investoren haben ihre Investitionsentscheidungen für Industriegasprojekte nach der Annahme der EU-Emissionshandelsrichtlinie im Jahr 2008 getroffen, die die Möglichkeit für eventuelle Restriktionen eröffnete. Solche Investitionsentscheidungen waren daher von vornherein ein kalkuliertes Risiko, das sich für diese Investoren bereits mit hohen Gewinnen ausgezahlt hat."

Die Blockade des EU-Vorschlags wird noch verschärft durch besorgniserregende Entwicklungen auf UN-Ebene. Am 12. November wurde überraschend beschlossen, mehr als 800 000 Emissionsgutschriften für ein HFC-23-Projekt in Rajasthan in Indien auszustellen. Im August war beschlossen worden, die Ausstellung von HFC-23-Emissionsgutschriften zu suspendieren. Dies war die Konsequenz eines Antrags von CDM Watch Anfang des Jahres, aufgrund schwerer methodologischer Fehler solche HFC-23-Projekte grundsätzlich zu überprüfen.

Mit der Ausstellung von Gutschriften für das Projekt in Rajasthan wurde den Beratungen des CDM-Methodologieausschusses über Änderungsvorschläge zur Methodologie AM0001 und die Ausstellung von Emissionsgutschriften für alle 19 HFC-23-Projekte im CDM vorgegriffen, die vom 15.-16. November stattfanden. Damit wurden auch vorausgegangene Zusagen des CDM-Exekutivausschusses gebrochen, dass die Ausstellung von HFC-23-Emissionsgutschriften ausgesetzt bleiben bis zur Entscheidung des Exekutivausschusses über die Beratungsergebnisse des Methodologieausschusses.

Wenn im EU-Emissionshandelssystem Gutschriften aus betrügerischen Projekten nicht ausgeschlossen werden, werden nicht nur die globalen Treibhausgasemissionen steigen. Auch die Glaubwürdigkeit der europäischen Klimapolitik und ihrer angeblichen Vorreiterrolle im internationalen Klimaschutz werden in Mitleidenschaft gezogen.

"Wir können nicht zulassen, dass Skandale die umweltpolitische Integrität des zentralen europäischen Klimaschutzinstruments in Frage stellen, egal ob es sich dabei um Betrug mit CDM-Gutschriften oder überhöhte Anrechnung von Industriegas-Reduktionen handelt", sagt Rémi Gruet, klimapolitischer Berater des Europäischen Windenergieverbands EWEA. "Zudem muss man sich die Frage stellen, ob man lieber boomende Zukunftsbranchen mit hohem Arbeitsplatzpotenzial unterstützen will oder alte schmutzige Technologien - auch darum geht es bei der Entscheidung, ob Industriegase im Emissionshandelssystem zugelassen werden oder nicht. Unternehmen, die in Erneuerbare Energien und Energieeffizienz investieren, brauchen hohe Preise für Emissionsrechte und daher den raschen Ausschluss der Industriegasprojekte" ergänzt er.

CDM Watch fordert ein generelles Verbot von Kompensationsprojekten mit HFC-23 und N2O (von Adipinsäure) im EU-Emissionshandelssystem. Damit ein solches Verbot wirkt, muss es für alle beanspruchten Emissionsreduktionen gelten ab einer Frist spätestens am 1. Januar 2013. Es muss auch sichergestellt werden, dass keinesfalls solche Emissionsgutschriften in die nächste Phase des EU-Emissionshandelssystems übertragen werden. Wenn Beschränkungen erst nach Ablauf der gegenwärtigen Kyoto-Verpflichtungsperiode angewandt werden, müssten solche HFC-23-Gutschriften bis zum November 2018 im EU-Emissionshandelssystem anerkannt werden. Dasselbe gilt für N2O-Gutschriften aus der Adipinsäureproduktion, die im EU-Emissionshandelssystem bis März 2015 zugelassen werden müssten, wenn jetzt nicht ein umfassender Ausschluss beschlossen wird.

Die erwähnten offenen Briefe können auf http://www.cdm-watch.org/?p=1403 heruntergeladen werden.


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Quelle:
Pressemitteilung, 18.11.2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2010