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ENERGIE/1512: Energiepolitisches Mittelalter - Braunkohle und Vattenfall (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 128/1.2016

Energiepolitisches Mittelalter:
Braunkohle und Vattenfall

Von Philip Bedall


Vattenfall sucht Nachfolger für seine Kohlesparte - dagegen formiert sich Widerstand

Ohne den Ausstieg aus der Kohle bleibt jedes Klimaabkommen - wie das in Paris im Dezember verabschiedete - ein Papiertiger. Ob der Kohleausstieg in Deutschland zeitnah gelingt, entscheidet sich dieses Jahr nicht zuletzt in der Lausitz. Im ersten Halbjahr will der Energiekonzern Vattenfall seine dort angesiedelte Braunkohlesparte verkaufen. Statt Stilllegung der Kraftwerke und Tagebaue droht deren jahrzehntelanger Weiterbetrieb - eine Katastrophe für Umwelt, Klima und Gesundheit. Zahlreiche Akteure aus der Zivilgesellschaft sagen deshalb: Es reicht! Sie fordern einen sozial und ökologisch gerechten Wandel der Region. Für Pfingsten plant ein Teil von ihnen im Rahmen der Massenaktion zivilen Ungehorsams "Ende Gelände" den Braunkohleabbau im Kohlerevier lahmzulegen.

Wandel hin oder her: Noch heute werden für die Kohle ganze Dörfer abgebaggert.

Noch immer stammt in Deutschland etwas mehr als ein Drittel der Treibhausgasemissionen aus Kohlekraft. Eines der größten Kohlereviere Deutschlands ist das Lausitzer Braunkohlerevier in Brandenburg, südöstlich von Berlin. Die Vattenfall Europe Mining AG betreibt dort die Tagebaue Jänschwalde, Welzow-Süd, Nochten und Reichwalde. Gefördert werden hier jährlich rund 60 Mio. Tonnen Kohle auf einer Fläche von mindestens 16.800 Hektar, weitere 6.200 Hektar sind in Planung. Für seine Tagebaue zerstört Vattenfall ganze Landschaften. Dörfer werden abgebaggert und Menschen vertrieben. Auch das Trinkwasser in Berlin ist durch den massiven Braunkohle-Abbau gefährdet. Darüber hinaus ist die Kohleverbrennung eine der zentralen Ursachen des globalen Klimawandels. Im Vergleich zu anderen fossilen Brennstoffen setzt sie deutlich mehr Kohlendioxid (CO2) frei.

Geschäftsmodell Kohle: Früher lukrativ, heute riskant

Jahrzehntelang war die Kohle für Vattenfall ein hoch lukratives Geschäft. Und auch gegenwärtig ist das Betreiben von klimaschädlichen Kohlekraftwerken noch eine Goldgrube. Die Geschäftsberichte von Vattenfall belegen das. Obwohl Kohlekraftwerke nur etwa 65 Prozent der von Vattenfall in Deutschland installierten Kraftwerksleistung ausmachen, erzeugte der Konzern im Jahr 2014 rund 90 Prozent seines Stroms aus Kohle.

Doch die Kohlesparte wird für Vattenfall mehr und mehr zu einem finanziellen Risiko. In Zeiten, in denen der Anteil an Erneuerbaren Energien wächst, sind die auf Dauerbetrieb ausgelegten Kohlekraftwerke zunehmend technisch ungeeignet. Gefragt sind schnell startende und regelbare Kraftwerke, welche die durch Erneuerbare Energien nicht gedeckte Stromnachfrage bedienen. Unter den fossilen Großkraftwerken sind es insbesondere Gaskraftwerke, die eine solche ausgeprägte Bandbreite an regelbarer Leistung und zugleich hoher Laständerungsgeschwindigkeit bieten. Neben den technischen Defiziten der Kohlekraftwerke machen die potentiell drohenden politischen Lenkungsmaßnahmen die Kohle zu einem finanziellen Risiko. Wie ein Damoklesschwert schweben mögliche politische Lenkungsmaßnahmen - wie eine Klimaabgabe auf Kohlemeiler - über den Kohlekonzernen.


 Goldgrube Kohle: Immer noch erzeugt Vattenfall rund 90 Prozent 
 seines Stroms aus Braun- und Steinkohle 
Vattenfall
installierte Leistung
Stromerzeugung
Braunkohle
Steinkohle
Kernenergie
Erdgas
Wasserkraft
(primär Pumpspeicher)
Windkraft
Biomasse, Abfall
Öl
Gesamt
7.767 MW
2.866 MW
771 MW
1.707 MW
2.880 MW
-
12 MW
112 MW
631 MW
16.746 MW
78,7 %
10,8 %

3,4 %
4,3 %
-
0,1 %
2,1 %
0,7 %
70,4 TWh

Quelle: Vattenfall Geschäftsbericht 2014


Vattenfall hat diese Zeichen der Zeit erkannt, doch zieht der Konzern daraus den falschen Schluss. Zukünftig soll zwar nur noch in Erneuerbare Energien investiert werden (so ein Beschluss von 2012). Wer meint, damit solle auch die Lausitz weg von der Kohle geführt werden, der irrt. Die Verantwortung, einen Strukturwandel einzuleiten und so die Energiewende ökologisch und sozial gerecht zu gestalten, tritt Vattenfall an andere ab. Für 2016 plant der Konzern seine gesamte Braunkohlesparte profitabel zu verkaufen. Vorher jedoch hat er noch verschiedene Planungsverfahren auf den Weg gebracht - unter anderem für die Tagebaue Welzow-Süd II, Nochten II und den Tagebau Jänschwalde-Nord.

Was nach energiepolitischem Mittelalter klingt, geschieht in Deutschland auch noch im 21. Jahrhundert: Würden die geplanten Tagebaue Realität, müssten wieder zahlreiche Dörfer den Kohlebaggern weichen.

Die Antikohle-Bewegung als Investitionsrisiko

Falls es zu einem Verkauf von Vattenfalls Kohlesparte kommen sollte, so ist eines dem Käufer sicher. Seien es die tschechischen Konzerne CEZ und EPH, die deutsche Steag oder Finanzinvestoren: Sie alle müssen künftig mit breitem Widerstand rechnen. Die Antikohle-Bewegung wird für sie zunehmend zum Investitionsrisiko. Gegen alle Tagebauplanungen in der Lausitz wurden Klagen von BürgerInnen und Umweltverbänden eingereicht oder sind in Vorbereitung. Zahlreiche Aktive sind bereit, ihrem Protest auch mit Mitteln wie Blockaden und Besetzungen Ausdruck zu verleihen.

Für Pfingsten 2016 (13. bis 16. Mai) kündigt das Bündnis "Ende Gelände" eine Aktion massenhaften zivilen Ungehorsams an, mit der es den Braunkohleabbau in der Lausitz lahmlegen will. Im Aufruf zur Aktion heißt es: "Wenn Vattenfall in der Lausitz die Tür hinter sich zuschlagen will, um anderen die Drecksarbeit zu überlassen, stellen wir den Fuß dazwischen - und treten der herrschenden Klimapolitik auf die Zehen. Denn auf diese Politik können wir weder warten noch vertrauen."

Dass derartige Aktionen nicht Symbolpolitik bleiben müssen, zeigte das Bündnis im Sommer 2015 im Rheinland. Dort besetzte es mit 1.500 Menschen den Tagebau Garzweiler, was zur temporären Abschaltung aller dort arbeitenden Bagger führte und die Debatte um einen Kohleausstieg in Politik und Medien über Wochen befeuerte.

Die Strategien der großen deutschen Energiekonzerne auf die gegenwärtigen Änderungen des Energiesystems zu reagieren, mögen sich auf den ersten Blick unterscheiden. Doch ein Ziel verfolgen sie alle: Die Konzerne wollen sich aus der Verantwortung stehlen. Die immensen Folgekosten ihrer Geschäfte sollen auf Nachfolger bzw. auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. Während Vattenfall sein Kohlegeschäft verkauft, lagern die Energiekonzerne E.ON und RWE ihre finanziell riskanten und perspektivisch unprofitablen Geschäftsbereiche mit Kohle und Atom im Rahmen von Unternehmensaufspaltungen in einer Art "bad bank" aus.

Konzerne stehlen sich aus der Verantwortung

Gerade der Kohletagebau zieht jedoch eine Vielzahl - oftmals weiträumiger und irreversibler - Folgeschäden für Ökologie, Gesellschaft und Klima nach sich und damit Kosten, die es zu decken gilt. So entstehen für die langfristige Gewässernachsorge, den Umgang mit Bergschäden oder mit psychosozialen und gesundheitlichen Folgen Kosten in Milliardenhöhe.

Ungeklärt ist, ob diese Kosten auch unter den veränderten Bedingungen (Verkauf oder "bad banks") sichergestellt sind. Im Falle eines Verkaufs der Vattenfall-Braunkohlesparte droht diese vom Lager der Energiewendeskeptiker übernommen zu werden - Akteuren also, die mit ihren Investitionen gegen den Erfolg der Energiewende wetten. Starke Zweifel müssen bestehen, ob derartige (Risiko)Kapitalgeber an einer umfassenden Verantwortungsübernahme für die Region, die Umwelt oder das Klima interessiert sein werden.

Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass Finanzinvestoren, wie internationale Hedgefonds, für ihr Handeln bzw. Unterlassen mit nationalen Gesetzen viel schwerer zur Rechenschaft gezogen werden können.

Die Bundesregierung und auch die Landesregierungen von Brandenburg und Berlin müssen sich für den Braunkohleausstieg stark machen. Aktuell sind sie viel zu zögerlich. Klimaschutz beginnt nicht erst bei Klimagipfeln, sondern vor unserer Haustür. Statt Worthülsen auf internationalem Parkett brauchen wir verbindliche Zusagen für einen konsequenten Kohleausstieg. Doch die Bundesregierung vergoldet lieber den Kohlekonzernen die alten Braunkohlemeiler. Statt deren Stilllegung werden sie in die sogenannte Sicherheitsbereitschaft verschoben, wofür die Betreiber einen Milliardenbetrag erhalten. An konkreten Handlungsmöglichkeiten für einen Kohleausstieg mangelt es jedoch in keiner Weise. In Brandenburg wird beispielsweise 2016 die Energiestrategie evaluiert und zugleich der Landesentwicklungsplan überarbeitet. Dieser Plan legt auch fest, welche Zukunftsperspektive der Braunkohleabbau in der Lausitz haben soll. Das Land Berlin ist im Rahmen der gemeinsamen Landesplanung Berlin-Brandenburg zustimmungspflichtig.

Es gilt also Einfluss zu nehmen, um einen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung zu erwirken. Ohne Ausstieg aus dem Klimakiller Kohle kann Klimaschutz nicht gelingen.

*

Aussteuer von 2 Milliarden Euro

Auch Greenpeace hat ein offizielles Angebot für die deutsche Braunkohle-Sparte des schwedischen Konzerns Vattenfall abgegeben. Aufgrund der ökologischen Folgekosten des Kohleabbaus berechnete die Organisation jedoch einen "wahren Wert" der Kohlesparte von minus zwei Milliarden Euro. Vattenfall müsse diesen Betrag auf den Barwert der Braunkohle-Tagebaue (eine halbe Milliarde Euro) aufschlagen. Nach einem Kauf plante Greenpeace den Rückbau der Braunkohlesparte. Der Strukturwandel in der Lausitz sollte vorangetrieben werden. Vattenfall schloss Greenpeace jedoch aus dem Bieterverfahren aus, da das Angebot "nie wirklich ernst genommen und eher als einen PR-Gag angesehen" wurde. Ernst genommen werden von Vattenfall anscheinend solche Angebote, die die Folgekosten der Braunkohle für Umwelt, Klima und Gesundheit nicht angemessen berücksichtigen.

*

Auf der Kippe

Der Braunkohlenbergbau hat in der Lausitz lange Tradition: Vor mehr als 100 Jahren begann er mit kleinen Gruben rings um den Muskauer Faltenbogen. Mit der Industrialisierung und den zunehmenden Möglichkeiten vergrößerten sich Abbaufelder und Maschineneinsatz - und gingen einmalige Natur- und Kulturlandschaften verloren. Es verschwanden idyllische Orte, landwirtschaftliche Nutzfläche, aber eben auch ganze Dörfer. Bis heute mussten allein in der Lausitz 136 Orte oder Ortsteile der Kohle weichen und mit ihnen die Menschen, die dort lebten. Legendär ist das gebrochene Versprechen Manfred Stolpes, seinerzeit Ministerpräsident des Landes Brandenburg: Nach Horno würde kein weiteres Dorf dem Braunkohlenbergbau zum Opfer fallen. Die Realität scheint eine andere: 2014 wurden weitere zwei Tagebaue genehmigt, für die insgesamt etwa 2400 Menschen umsiedeln müssen - und ein dritter Tagebau ist in Planung.

Die Dokumentation "Auf der Kippe" von moving media e.V. stellt den Widerstand in der Lausitz in den Mittelpunkt, ihre Kraft und Willensstärke:
www.aufderkippe-film.de


Weiterführende Links:
- www.robinwood.de/Kohle
- www.kohle-killt-klima.de
- www.lausitzer-braunkohle.de


 Bewegung gegen Kohle - Terminübersicht 
Mai 2016

Weltweite Proteste gegen
Kohle, Öl und Gas
de.breakfree2016.org

Anfang Mai 2016,
Lausitzer
Braunkohlerevier
Großdemonstration für den
Kohleausstieg von Verbänden
und NGOs
Informationen
demnächst unter:
www.robinwood.de/kohle
Pfingsten 2016
(13.-16. Mai),
Lausitzer
Braunkohlerevier
Massenaktion zivilen
Ungehorsams "Ende Gelände:
Kohlebagger stoppen.
Klima schützen."
www.ende-gelaende.org




Philip Bedall ist Energiereferent von ROBIN WOOD in Hamburg energie@robinwood.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

"Kohlebagger stoppen, Klima schützen!" Für Pfingsten 2016, 13. bis 16. Mai, kündigt das Bündnis "Ende Gelände" eine Aktion massenhaften zivilen Ungehorsams an, mit der es den Braunkohleabbau in der Lausitz lahmlegen will.

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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 128/1.2016, Seite 16 - 19
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2016

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