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ÖKOSYSTEME/100: Ökosysteme als Dienstleister für den Menschen? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2017

Jobs, Jobs, Jobs
Gute Arbeitsplätze in einer nachhaltigen Zukunft?

Ökosysteme als Dienstleister für den Menschen?
Wirtschaftliche Argumente gegen den Naturverbrauch

von Helge Swars und Susanne Rewitzer


Mit der ökonomischen Betrachtung von Ökosystemen und ihren "Dienstleistungen" wird die Notwendigkeit von Umweltund Klimaschutz seit einigen Jahren um eine neue Argumentation ergänzt. UmweltschützerInnen beobachten zum Teil mit Unbehagen, dass plötzlich WirtschaftswissenschaftlerInnen mit ihren Instrumenten im Naturschutz unterwegs sind und Ökosystemleistungen mit einem (Geld-)Wert versehen. Spätestens wenn dann von Naturkapital die Rede ist, sehen manche KritikerInnen darin die endgültige Unterwerfung der Natur unter eine kapitalistische Verwertungslogik.

Die Natur stellt auf der Grundlage verschiedener ineinandergreifender Stoffkreisläufe (z. B. Photosynthese, Wasserkreislauf und Bodenbildung) vielfältige Leistungen zur Verfügung, ohne die menschliches Leben nicht denkbar ist. Dazu zählen sogenannte Versorgungsleistungen wie Nahrungsmittel, Trinkwasser oder Energierohstoffe, außerdem Regulierungsleistungen wie Wasserreinigung und Klima sowie kulturelle Leistungen wie Spiritualität, Bildung und Erholung. Fast überall auf der Welt ist die Verfügbarkeit dieser Ökosystemleistungen insbesondere durch wirtschaftliche Eingriffe des Menschen gefährdet. Dazu gehören zum Beispiel der große Flächenverbrauch von Siedlungen, Infrastruktur oder Rohstoffabbau, wie auch der Verlust an Boden und Bodenfruchtbarkeit sowie die hohen Nährstoffeinträge in Grund- und Oberflächengewässer durch unangepasste Landbewirtschaftung.


Naturschutz in die Sprache des politischen Diskurses übersetzen

Eine ökonomische Betrachtungsweise von Ökosystemleistungen nimmt für sich in Anspruch, die Übernutzung und Zerstörung von Natur sichtbar zu machen, indem sie diese in eine Sprache übersetzt, die den politischen Diskurs bestimmt.

In diesem Diskurs gilt beispielsweise die Produktion von Milch und Fleisch in Massentierhaltung als Wertschöpfungskette, die einen Beitrag zum Erfolg Deutschlands als Exportnation leistet und nicht zuletzt Arbeitsplätze sichert. Entlang dieser Wertschöpfungskette sinkt jedoch die Fähigkeit der betroffenen Ökosysteme zur Bereitstellung von Ökosystemleistungen. Das fängt an bei den ökologisch katastrophalen Anbaubedingungen für Sojabohnen in Brasilien oder Argentinien und endet bei der Belastung der Gewässer in Deutschland durch die Produktion riesiger Mengen Gülle. Die beteiligten AkteurInnen wollen das nicht wahrhaben und verschieben das Problem von ihrer politischen wie betrieblichen Verantwortung einfach auf eine allenfalls abstrakte globale Handlungsebene.

Das Konzept der Ökosystemleistungen kann hier aufzeigen, dass die Summe aller betriebswirtschaftlichen Ergebnisse in dieser Wertschöpfungskette nur scheinbar positiv ist. Denn es kann die Kosten der verringerten Leistungsfähigkeit von Ökosystemen zum Teil konkret beziffern und vor allem offenlegen, wer diese Kosten zu tragen hat. Nämlich überwiegend die Allgemeinheit und künftige Generationen.

Auf Beschluss der Umweltminister der G8-Staaten wurde von 2007 bis 2010 eine internationale Studie zur 'Ökonomie von Ökosystemen und Biodiversität' (TEEB) durchgeführt. Für Deutschland wurde diese Arbeit vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UfZ) in Leipzig durch die Länderstudie 'Naturkapital Deutschland - TEEB DE' im Jahr 2012 vervollständigt. Die WissenschaftlerInnen, unter anderem mit Beteiligung von Umweltverbänden, Politik und Verwaltungen, setzten sich damit das Ziel, Fehlanreize für politische Entscheidungen aufzudecken und die realen Kosten von Naturverbrauch besser zu berücksichtigen.

Ein spektakuläres Beispiel zeigt die Naturkapital-Studie für die Kommunalen Wasserwerke Leipzig. Sie zahlen landwirtschaftlichen Betrieben in ihrem Wassereinzugsgebiet einen Ausgleich in Höhe von etwa 1 Cent/ je Kubikmeter Trinkwasser für die Kosten von Wasserschutzanpassungen bzw. verringerte Erträge als Folge gewässerschonender Bewirtschaftung. Dadurch sparen die Wasserwerke etwa 7 Cent/ je Kubikmeter an Kosten für die technische Wasseraufbereitung ein.


Naturschutz nur gegen Ökosystemleistungen?

An dieser Stelle scheiden sich nun die Geister. SkeptikerInnen eines ökonomischen Blicks auf die Natur befürchten, dass durch diese Betrachtungsweise die Natur ein Preisschild bekommt und nur geschützt wird, was sich rechnet. Rausfallen aus dem Naturschutz könnte dann zum Beispiel ein sich schlängelnder Bachlauf im ländlichen Raum, der zwar zahlreichen Pflanzen und Tieren Lebensraum bietet, jedoch die landwirtschaftliche Bewirtschaftung erschwert. Geschützt würde das Wassereinzugsgebiet der Wasserwerke einer großen Stadt demnach auch nur so lange, bis in Zukunft beispielsweise durch verbesserte technische Möglichkeiten die Aufbereitung verschmutzten Wassers plötzlich wirtschaftlich rentabler wird als die Vermeidung der Verschmutzung. Anstelle von politischer Gestaltung der ökologischen Krise würde die ökonomische Betrachtung von Natur nur den nächsten Lebensbereich einer kapitalistischen Verwertung zuführen und den Homo oeconomicus einmal mehr ins Zentrum aller Lösungen stellen. Dabei wird verwiesen auf die bisher gescheiterten Projekte eines internationalen Marktes für CO2-Zertifikate und REDD+, ein Programm, das finanzielle Anreize zum Schutz und zur Aufforstung von Wald in Entwicklungsländern schaffen sollte.

Unbestritten gibt es Marktradikale, für die in dem Ansatz nicht der Naturschutz, sondern Profitaussichten an erster Stelle stehen. Die AutorInnen der TEEB-Studie distanzieren sich davon explizit und gehen von den volkswirtschaftlichen Kosten des Verlustes bzw. des Ausgleichs von Ökosystemleistungen aus. Am Beispiel des Bachlaufes würden sie die multifunktionale Bedeutung des naturbelassenen Gewässers mit einer langsamen Fließgeschwindigkeit und Ufervegetation berechnen. Darunter fallen z. B. die Verringerung von Windgeschwindigkeiten, vermehrte (Tau-)Niederschläge und allgemeine Luftkühlung, Lebensraum für Insekten und Vögel, die Schaderreger kontrollieren, und nicht zuletzt sein touristischer Wert. Dies lässt sich der betriebswirtschaftlichen Rechnung des Landwirtschaftsbetriebs und vor allem der gängigen Förderpraxis in der Agrarpolitik gegenüberstellen. Insofern ist die ökonomische Betrachtung von Ökosystemen und ihren vielfältigen Dienstleistungen keine Absage an eine politische Steuerung von Naturschutz, sondern eher ein zusätzliches Argument und Instrument, Naturschutzpolitik erfolgreicher zu gestalten.


Über den Tellerrand hinaus

Für mehrere Milliarden Menschen auf der Welt ist diese Debatte sehr theoretisch. In den meisten Entwicklungsländern übernutzen kleinbäuerliche ProduzentInnen oft aus schierer Notwendigkeit heraus ihre lokalen natürlichen Ressourcen. Dies hat die Folge, dass für die Erwirtschaftung von genügend Einkommen und Nahrung elementare Ökosystemleistungen nicht mehr ausreichend zur Verfügung stehen. Die Möglichkeit, sich wie wir in Deutschland bei den Ökosystemen andere Länder als Ausgleich für den übermäßigen Naturverbrauch zu bedienen, haben sie nicht.

Der Chimanimani-Distrikt in Simbabwe ist zum Beispiel durch einen Ursachenmix aus unangepasster Landnutzung, Bevölkerungswachstum und Klimawandel, dem kolonialen Erbe der Landverteilung und zum Teil gewalttätig ausgetragenen Konflikten von massiver Übernutzung der natürlichen Ressourcen betroffen. Die lokale kleinbäuerliche Selbsthilfeinitiative TSURO (Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Nutzung der Ressourcenorganisation) arbeitet mit dem Prinzip der Inwertsetzung von Natur dagegen an. In vom Weltfriedensdienst unterstützten Projekten werden die Menschen so unter anderem zum Schutz und zur Rehabilitierung von Waldgebieten, für deren "Dienstleistungen" sensibilisiert. Nennenswert sind hier an erster Stelle ihre Funktion als Wasserspeicher und die Regulierung des Wasserabflusses. Eine weitere Ökosystemleistung als Alternative zur einseitigen Gewinnung von Brennmaterial oder zusätzlicher Acker- und Weidefläche ist die Förderung der Bienenhaltung. Bienen finden nur in einer intakten Wald- und Buschlandschaft mit hoher Vielfalt und somit möglichst langer Blütezeit ausreichend Nahrung, um Honig über den Eigenbedarf hinaus zu produzieren. Über die Vermarktung des Honigs erzielt die Erhaltung des Waldes direkt monetäres Einkommen.


Wie weiter?

Naturverbrauch bzw. Umweltschäden müssen in ökonomische und politische Entscheidungen einbezogen werden. Wenn am Ende eines Produktionsprozesses die Vermarktung eines Produktes steht, ist nicht einzusehen, dass "Dienstleistungen" der Natur als wesentliches Produktionsmittel in der betriebswirtschaftlichen Rechnung weitgehend unberücksichtigt bleiben. So manche wirtschaftliche Aktivität würde durch die Integration von Naturverbrauchskosten unrentabel, in jedem Fall würden viele Produkte einen höheren Preis erfordern und automatisch wie eine Bremse auf unser nicht tragfähiges materielles Wirtschaftsund Gesellschaftsmodell mit seinem Wachstumszwang wirken.

Dafür wird in jedem Fall ein politischer Ordnungsrahmen und vorhergehende politische Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit benötigt. Dabei ist die monetäre Bewertung von Ökosystemleistungen kein Allheilmittel, aber sicher ein hilfreiches Instrument, damit Ökosysteme im Zielkonflikt mit wirtschaftlichen Aktivitäten nicht immer wieder den Kürzeren ziehen.


Helge Swars arbeitet in der Spenderkommunikation und Programmkoordination beim Weltfriedensdienst.
Susanne Rewitzer arbeitet bei Oxfam und hat zu Ökosystemleistungen geforscht.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 2/2017, Seite 24-25
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2017

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