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WALD/076: Nachhaltigkeit im Wald - Was nach 300 Jahren davon übrig bleibt (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2013
Markt oder Staat - Wer gibt den Ton an?

Nachhaltigkeit im Wald
Was nach 300 Jahren davon übrig bleibt

von Gesche Jürgens und László Maráz



In diesem Jahr feiert die deutsche Forstwirtschaft das 300jährige Jubiläum der »Nachhaltigkeit«. Der Hintergrund: Anfang des 18. Jahrhunderts war der Großteil der deutschen Wälder entweder stark übernutzt oder abgeholzt. Der sächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz erkannte, dass der Raubbau am Wald auf Kosten zukünftiger Generationen erfolgte und formulierte 1713 in seinem Buch »Sylvicultura oeconomica« ein Gegenrezept: es sollte nicht mehr Holz geerntet werden als nachwächst. Die Geburtstunde des Nachhaltigkeitsbegriffs.


Und heutzutage? Mittlerweile sind wir an allen Ecken vom Begriff der Nachhaltigkeit umzingelt. Ob es sich um Konsumprodukte, global agierende Konzerne oder die Holz- und Forstwirtschaft handelt: jeder wirbt mit nachhaltigem Handeln. Ein Grund dafür, dass der Begriff so beliebt ist mag der Umstand sein, dass damit so ziemlich das Gegenteil von dem gefordert wird, was unsere Gesellschaft derzeit praktiziert und auf was uns Politiker, Wirtschaftsvertreter und Werbefachleute Tag für Tag einschwören: Noch mehr, noch besser, noch billiger, noch effizienter, schneller und grenzenlos. Ob Konsum oder Schulden, Kreditkarte oder Geldanlagen: die Zukunft wird in goldenen Farben gemalt, als ob es keine Grenzen gäbe und keine schlimmen Auswirkungen dessen, was wir uns heute schon gönnen.

Hat die Nachhaltigkeit in den letzten 300 Jahren ihren Siegeszug angetreten? Hat sich das Konzept wenigstens zu einem Patentrezept zum Umgang mit unseren Wäldern und der Mitwelt entwickelt? Leider nicht: Weltweit vernichtet die Menschheit die letzten Urwälder (in Deutschland haben wir das bereits vor mehreren 100 Jahren erledigt), plündert mit riesigen Fangflotten die Weltmeere und verbraucht fossile Energie in rasanter Geschwindigkeit. Durch unser Handeln heizen wir den Klimawandel an und löschen täglich über 100 Arten aus. Im letzten Jahr hatte die Menschheit bereits am 22. August alle in einem Jahr »nachhaltig« verfügbaren natürlichen Ressourcen verbraucht und lebte für die restlichen gut vier Monate auf Pump von Mutter Erde.(1) Auf Kosten unserer Kinder und Enkel. Globale Nachhaltigkeit? Fehlanzeige!


Nachhaltigkeit definiert sich im Wald...

Wie sieht es eigentlich im deutschen Wald aus, im Jahr 300 der Nachhaltigkeit?

Geht man nach dem Bundeswaldgesetz, scheint alles in bester Ordnung: In Paragraph 1 heißt es, der Wald sei wegen seines »wirtschaftlichen Nutzens (Nutzfunktion) und wegen seiner Bedeutung für die Umwelt, insbesondere für die dauernde Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes, das Klima, den Wasserhaushalt, die Reinhaltung der Luft, die Bodenfruchtbarkeit, das Landschaftsbild, die Agrar- und Infrastruktur und die Erholung der Bevölkerung (Schutz- und Erholungsfunktion) zu erhalten, erforderlichenfalls zu mehren und seine ordnungsgemäße Bewirtschaftung nachhaltig zu sichern«.

Doch wer nun hinterfragt, wie die Erhaltung des Waldes nun genau zu geschehen hat und wie all die Funktionen des Waldes erfüllt werden sollen, sucht vergeblich nach konkreten Antworten. Denn eine auch für den Praktiker im Wald anwendbare brauchbare Definition der Nachhaltigkeit gibt es bestenfalls ansatzweise. Vertreter von Verbänden der Forstwirtschaft und des Waldbesitzes weigern sich nach wie vor, sich klare Regeln für ihr wirtschaftliches Handeln aufzuerlegen.

Dabei sind über die Hälfte der deutschen Wälder in öffentlicher Hand, als Staats- oder Körperschaftswald. Der öffentliche Wald ist der Wald aller Bürgerinnen und Bürger und laut Bundesverfassungsgericht dem Gemeinwohl in besonderer Weise verpflichtet. Gemeinwohl wird generell als Gegenbegriff zu Partikularinteressen von Einzelpersonen oder Gruppen verstanden. Was dem Gemeinwohl unterliegt, soll allen Menschen dienen. Und unsere Gesellschaft hat vielfältige Ansprüche an den Wald: dieser dient uns als Ort der Erholung, der Ruhe und des Sports, reinigt Luft und Wasser, ist Lebensraum für unsere heimische Tier- und Pflanzenwelt, Speicher von Kohlenstoff und nicht zuletzt Lieferant des vielseitigen Rohstoffs Holz.


...und nicht in Hochglanzbroschüren

Doch um sicherzustellen, dass unser Wald unseren Ansprüchen auch gerecht werden kann, reichen unkonkrete Gesetzestexte nicht aus. Auch die Menschen, die auf derzeit etwa 99 Prozent der Waldfläche durch »multifunktionale Forstwirtschaft« sicherstellen sollen, dass jeder auf seine Kosten kommt, haben wenig Anhaltspunkte wie diesem Anspruch nachzukommen sei. Denn vor dem Hintergrund der vielfältigen Funktionen unserer Wälder reicht es nicht mehr aus, lediglich weniger einzuschlagen als nachwächst: damit Wälder nachhaltig, also dauerhaft ihre vielfältigen Funktionen erfüllen können, müssen Fehlentwicklungen und Übernutzungstendenzen verhindert werden. Kahlschläge, Vollbaum- und Ganzbaumnutzung, Düngung (wegen der Vollbaum- und Ganzbaumnutzung), Gifteinsatz, flächige Befahrung des Waldbodens mit schweren Maschinen und aktives Einbringen nicht standortheimischer oder genetisch veränderter Bäume dürfen im Rahmen einer wirklich naturnahen, nachhaltigen Waldbewirtschaftung im öffentlichen Wald keine Interpretationssache mehr sein. Daher muss die »ordnungsgemäße Bewirtschaftung« endlich klar definiert und gesetzlich verankert werden: als »Gute Fachliche Praxis«. 300 Jahre nach Erfindung der Nachhaltigkeit ist dies mehr als überfällig.


Gesche Jürgens ist seit 2011 Kampaignerin für Wälder und Biodiversität bei Greenpeace.

László Maráz ist Koordinator der Plattform »Nachhaltige Biomasse« und der AG Wälder des Forums Umwelt und Entwicklung.


(1) http://www.footprintnetwork.org/de/index.php/gfn/page/earth_overshoot_day/.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2013, S. 27
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2013