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VERKEHR/965: Klimaschutz mit Hochgeschwindigkeitszügen (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2013 Globalisierung und Freihandel - Pokerspiel mit ungewissem Ausgang

Klimaschutz mit Hochgeschwindigkeitszügen
Eine Alternative zu Kurz- und Mittelstreckenflügen

von Christian Schwarzer und Manfred Treber



Wenn die Erderwärmung unter zwei Grad belassen werden soll, muss sich die Menschheit von fossilen Energieträgern verabschieden. Das betrifft insbesondere den Flugverkehr, für den bei Entfernungen bis etwa 1000 Kilometer Hochgeschwindigkeitszüge dem Fahrgast ein vergleichbares Angebot darstellen können. Staaten, die ernsthaft verfolgen, dass es weltweit nicht mehr als zwei Grad wärmer wird und entsprechende geographische Voraussetzungen haben, sind praktisch gezwungen, in Hochgeschwindigkeitsstrecken zu investieren.


Das Bekämpfen des anthropogenen Klimawandels ist im 21. Jahrhundert eine der größten Herausforderungen für die Menschheit. Wenn die globale Erwärmung auf weniger als zwei Grad gegenüber vorindustriellem Niveau begrenzt werden soll, so sind drastische und rasche Reduktionen der Treibhausgasemissionen notwendig - spätestens im Jahr 2070 muss der Ausstieg aus der Nutzung der fossilen Energieträger vollzogen sein. Ein solcher gesellschaftlicher Umbau wird als »Große Transformation« bezeichnet.

Hierzu müssen alle Sektoren einen Beitrag leisten. Dies gilt auch und besonders für den von flüssigen fossilen Brennstoffen abhängigen Verkehrssektor, welcher für 22 Prozent der energiebedingten globalen CO2-Emissionen verantwortlich ist. Innerhalb des Verkehrssektors verursacht zwar noch der Straßenverkehr den Großteil der Emissionen, jedoch wächst der besonders klimaschädliche Flugverkehr weltweit mit rasanter Geschwindigkeit. Flugzeuge emittieren neben CO2 noch weitere Treibhausgase wie zum Beispiel Wasserdampf in Form von Kondensstreifen und Zirruswolken, welche in großen Höhen eine deutlich höhere Erwärmungswirkung haben als am Boden. Für Flugzeuge ist kein anderer Energieträger als das fossile Kerosin in Sicht, selbst der Einsatz von Wasserstoff führt zu treibhauswirksamen Kondensstreifen und Zirruswolken.


Hochgeschwindigkeitsstrecken als notwendige Komponente einer Nachhaltigen Verkehrsinfrastruktur
So bleibt für die Kurz- und Mittelstrecke im Personenverkehr nur noch der mit Erneuerbaren Energien betriebene Schienenverkehr als nachhaltige Alternative. Um eine vergleichbare Qualität der Beförderungsleistung wie der Flugverkehr bieten zu können, kommt dafür der Hochgeschwindigkeitsverkehr (HGV) auf der Schiene in Frage. Hierunter fallen Züge, die im Normalbetrieb mit einer Geschwindigkeit von mindestens 200 km/h verkehren.

Für Länder mit dem Selbstverständnis, gegenwärtig oder in Zukunft »entwickelt« zu sein, sind damit verbundene Hochgeschwindigkeitsstrecken (HGS) eine der wenigen sichtbaren Alternativen zum Flugverkehr, mit denen sich eine Nachhaltige Verkehrsinfrastruktur schaffen lässt. Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass bei der Verkehrsmittelwahl für die meisten Zielgruppen die Gesamtreisezeit das wichtigste Entscheidungskriterium darstellt. Daneben spielen aber auch andere Faktoren wie Komfort, Reisekosten, Bedienungsfrequenz, Umsteigefreiheit, Umweltverträglichkeit und viele mehr eine wichtige Rolle. Veränderungen der Reisezeit führen in der Regel auch zu Veränderungen im Modal-Split, das heißt im Marktanteil der verschiedenen Verkehrsträger.

Liegt die Reisezeit bei etwa zwei bis drei Stunden bzw. überschreitet sie einen Schwellenwert von vier bis viereinhalb Stunden nicht, so fällt die Entscheidung meist oder wenigstens noch in nennenswerten Anteilen zugunsten des HGV aus. Bei einem optimal ausgebauten HGV-System können in dieser Zeit Distanzen von 500 bis 800 Kilometer zurückgelegt werden, wobei sich die größten Reisezeitverkürzungen gegenüber anderen Verkehrsträgern dabei auf Strecken zwischen 300 bis 600 Kilometer ergeben. Der Vergleich von 35 HGS weltweit zeigt, dass bei einer Reisezeit von bis zu zwei Stunden der HGV einen durchschnittlichen Marktanteil von 92 Prozent gegenüber dem Flugzeug gewinnen kann. Bei bis zu drei Stunden sind es im Schnitt 75 Prozent und bei maximal vier Stunden noch 63 Prozent.

Einige Beispiele: Für die 776 Kilometer lange Strecke München-Hamburg benötigt der schnellste ICE derzeit fünf Stunden 43 Minuten. Die vergleichbare Strecke Paris - Marseille (740 Kilometer) legt der TGV hingegen in nur drei Stunden zurück. Für diese Verbindung hält der TGV gegenüber dem Flugzeug einen Anteil von 83 Prozent des Marktanteils. Über viele Jahre hinweg war die 621 Kilometer lange Strecke von Madrid nach Barcelona die verkehrsreichste Flugroute in Europa. Seit der Eröffnung der HGS in 2008, die es ermöglicht, die Strecke in zwei Stunden und 38 Minuten zurückzulegen, hat sich dies nachhaltig geändert. So halbierte sich der Anteil des Flugverkehrs zwischen 2008 und 2011 von 88 Prozent auf 44 Prozent. 2011 hatte der HGV schon einen Marktanteil von 55 Prozent. 2012 meldete Eurostat einen weiteren Rückgang gegenüber dem Vorjahr um knapp 20 Prozent. Auch die Fertigstellung des letzten HGV-Teilstückes zwischen Rom und Mailand führte zu deutlichen Veränderungen im Modal-Split. Da die 548 Kilometer lange Strecke heute in drei Stunden zu bewältigen ist, stieg der Marktanteil des HGV von 32 Prozent auf 55 Prozent, wohingegen der Flugverkehr von 52 Prozent auf 32 Prozent zurückging. Auch zwischen Osaka und Fukuoka spielt der Flugverkehr kaum noch eine Rolle: 89 Prozent aller Fahrgäste entschieden sich im Jahr 2012 für den Shinkansen. Dieser verbindet die beiden 552 Kilometer voneinander entfernten Metropolen in nun mehr zwei Stunden 25 Minuten miteinander. Fast exakt zwei Stunden mehr, nämlich vier Stunden 19 Minuten, benötigt hingegen der schnellste ICE für die 554 Kilometer zwischen Köln und Berlin.

Dank des HGV und Fahrzeiten von unter zwei Stunden wurde der Anteil des Flugverkehrs auf Städteverbindungen wie Brüssel - Paris oder Paris - Lyon auf unter fünf Prozent zurückgedrängt. Auf einigen Strecken, wie zum Beispiel Nanjing - Wuhan, Tokyo - Sendai, Tokyo - Niigata, Hamburg - Berlin oder Köln - Frankfurt führte der HGV sogar ganz zur Einstellung des Flugverkehrs.


Die Situation in Deutschland
Für den ehemaligen Bahn-Manager Andersen besitzt Deutschland noch kein zusammenhängendes Hochgeschwindigkeitsnetz, sondern nur einzelne, isolierte Streckenabschnitte, auf denen schneller gefahren werden kann. Deshalb seien die erzielbaren Reisegeschwindigkeiten trotz der Neubaustrecken (NBS) gering.(1) Diese Hochgeschwindigkeitsstrecken wurden ohne umfassenden Plan - wie ihn etwa die Schweiz mit »Bahn 2000« hat - konzipiert. Der Streckenneubau in Deutschland ist dagegen seit Jahrzehnten stets kapazitiv initiiert. »Der Gedanke folgt präzise der alten Staatsbahn-Logik: Erst wenn das schlechte Produkt sich ungewöhnlich großer Nachfrage erfreut, belohnt die Bahn den Kunden mit einem besseren.«(2) Theoretisch hätte ein optimal ausgebautes Netz an durchgehenden HGS entlang der Hauptverkehrsachsen in Deutschland das Potenzial, einen Großteil des inländischen Flugverkehrs überflüssig zu machen. Hierfür wären jedoch erhebliche Investitionen in das Schienennetz notwendig, die die aktuell im Bundeshaushalt für Aus- und Neubau vorgesehenen Mittel um ein Vielfaches übersteigen würden.

Hinzu kommt noch, dass gerade bei Neubaustrecken des Schienenpersonenfernverkehrs nicht der erwartete betriebliche Nutzen entscheidend für ihre Errichtung ist, sondern politische Abwägungen eine erhebliche Rolle spielen. Beispiele hierfür sind Projekte wie Stuttgart 21, der Bau der Bahnhöfe Montabaur und Limburg-Süd oder die Trassierung der NBS Hannover - Würzburg über Göttingen. In letzterem Fall gaben Bahn und Bundesregierung den Forderungen des Landes Niedersachsen nach und entschieden sich gegen eine direktere Trassenführung. Längere Fahrzeiten und bedeutend höhere Baukosten wurden in Kauf genommen. Im Ergebnis entstand eine Linienführung die »man guten Gewissens nicht mehr als Hochgeschwindigkeitsstrecke bezeichnen kann«, in der Folge ist die Fahrzeit zwischen Hamburg und München deutlich zu lange, um Fluggäste zum Umstieg auf die Bahn zu bewegen.(3) Auch bei Stuttgart 21 ist der betriebliche Nutzen höchst umstritten. Tatsache ist jedoch, dass dieses Projekt wichtige Investitionsmittel bindet, die an anderer Stelle weitaus sinnvoller eingesetzt werden könnten.

Die gegenwärtigen politischen Entscheidungen in Deutschland führen demnach nicht zu einer verstärkten Emissionsminderung im Flugverkehr durch Verkehrsträgerwechsel auf Hochgeschwindigkeitszüge. Dazu ist ein Politikwechsel notwendig.


Christian Schwarzer ist Jugendbotschafter für die UN-Dekade zur biologischen Vielfalt und beschäftigt sich seit sieben Jahren mit Hochgeschwindigkeitsverkehr«. Manfred Treber ist Klima- und Verkehrsreferent bei Germanwatch.


(1) Sven Andersen: Ein Zielbedienungskonzept für den Hochgeschwindigkeitsverkehr in Deutschland. Eisenbahn Revue International 7/2010, S. 370-379.

(2) Tobias Hauswald: Technisch-wirtschaftliche Bewertung von Bahnprojekten des Hochgeschwindigkeitsverkehrs, 2009, S. 59.

(3) Sven Andersen: Ein Zielbedienungskonzept für den Hochgeschwindigkeitsverkehr in Deutschland. Eisenbahn Revue International 7/2010, S. 370-379.

Die gesamte Studie kann unter folgendem Link kostenlos heruntergeladen werden: https://germanwatch.org/de/7155


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2013, Seite 34-35
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2013