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VERKEHR/833: Gefahrguttransporte - Der havarierte Schwefelsäuretanker und die BASF (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 968 vom 28. Februar 2011 30. Jahrgang

Der havarierte Schwefelsäuretanker an der Loreley - und die BASF


Die Havarie des mit Schwefelsäure beladenen Tankschiffs "Waldhof" an der Loreley hätte eigentlich nicht passieren dürfen. Für Gefahrguttransporte auf den mitteleuropäischen Wasserstraßen gilt das Regelwerk ADN - die Abkürzung für eine Vorschriftenbezeichung, die im französischen Original dreizehn Worte umfasst. Ferner lassen die Chemiefirmen einmal im Jahr die von ihnen beauftragten Tankschiffe nach dem Europäischen Binnenschiff-Inspektions-System (EBIS) überprüfen, um die Sicherheit der Chemikalientransporte zu gewährleisten. Warum trotz der hochkomplexen europäischen Gefahrgutbestimmungen für die Binnenschifffahrt (ADN) und trotz EBIS die "Waldhof" erst Schlagseite bekam, dann quasi eine Eskimorolle um ihre Längsachse drehte und schließlich mit Schlagseite liegen blieb, ist derzeit noch Gegenstand von Spekulationen. Dass das Tankschiff nachts bei Hochwasser im engen und windungsreichen Mittelrheintal ("Gebirgsstrecke") unterwegs war, könnte mit eine der Ursachen für den Untergang der "Waldhof" gewesen sein.

Bis Mitte der 80er Jahren waren nächtliche Gefahrguttransporte auf der "Gebirgsstrecke" verboten. Zudem bestand damals noch Lotsenpflicht. Nach der Einführung von Radar glaubte man auf die Lotsen verzichten zu können. Die wegrationalisierten Lotsen mussten umschulen - "oder haben sich aufgehängt", so ein ehemaliger Lotse auf einer Veranstaltung zur Ursachendiskussion in St. Goar am 12. Febr. 2011.

In den Mittelrheinkommunen geht die Angst um, dass man auf einem Pulverfass sitzt - nicht nur wegen der an die 100 Gefahrguttransporte pro Tag in der "Gebirgsstrecke". Im Mittelrheintal verlaufen auch zwei jeweils zweigleisige Eisenbahnstrecken mitten durch die Städte und Dörfer - und die Güterzüge transportieren ebenfalls Gefahrgüter. Da die BASF Auftraggeber des Schwefelsäuretransports auf der "Waldhof" war, haben wir uns am 12. Febr. 2011 bei dem Chemiemulti danach erkundigt, welche Konsequenzen das Unternehmen aus dem Untergang der "Waldhof" gezogen hat. Unter anderem erkundigten wir uns danach, ob das Transport-Unfall-Informations-System (TUIS) der Chemieindustrie stärker auf eine kompetente Beratung bei Schiffshavarien ausgerichtet werden müsste - damit beispielsweise nach einer Havarie eines mit Schwefelsäure beladenen Frachters nicht nur Tankschiffe mit Gummiauskleidung, sondern auch mit Edelstahltanks ausgestattete Frachter rechtzeitig zum Abpumpen zur Verfügung gestellt werden? Laut Presseberichten soll es im Falle der "Waldhof"-Havarie unnötig lange gedauert haben, bis der in diesem Fall erforderliche und geeignete "Edelstahltanker" zur Verfügung stand.

Da selbst zwei Wochen nach der Havarie nur ein "Edelstahltanker" bereit stand, sollen sich weitere Zeitverluste ergeben haben: Während der Tanker zum Entladen nach Ludwigshafen unterwegs war, mussten die Umpumparbeiten eingestellt werden. Ferner baten wir den Ludwigshafener Chemiekonzern um Auskunft, ob sich die BASF als Auftraggeberin des havarierten Schwefelsäuretransports an den millionenteuren Bergungskosten beteiligen wird. (Weitere Fragen im Kasten auf S. 2).


"Waldhof-Havarie": Logistikbranche sauer auf Behörden

In Kreisen der Logistikbranche hat man sich ziemlich verärgert über die sich lang hinschleppende Bergung der "Waldhof" gezeigt. Über fast fünf Wochen staute sich der Schifffahrtsverkehr an der Loreley. In den Häfen am Oberrhein war tote Hose. Die ansonsten über Binnenschiffe transportierte Fracht musste auf die Eisenbahn ausweichen. Da die Logistik-Tochter der Bahn AG aber nicht in der Lage war, auf die sprunghaft ansteigende Nachfrage nach Transport-Kapazität flexibel genug zu reagieren, wanderte ein Großteil der Fracht letztlich auf den Lkw ab. Auch die BASF musste teilweise ihre Produktion herunterfahren, weil weder für den Antransport von Rohstoffen von Nordseehäfen noch der Abtransport von Fertig- und Halbfertigprodukten genügend Frachtkapazität bereitgestellt werden konnte. In der Logistikbranche war man der Überzeugung, dass man die Schwefelsäure sofort in den Rhein hätte ablassen sollen.


Liebe BASF-Pressestelle,

gibt es von der BASF - als Auftraggeberin des Schwefelsäuretransports auf der "Waldhof" - eine Stellungnahme zur Havarie des Tankers kurz oberhalb von St. Goar? Welche Konsequenzen zieht die BASF aus dieser Havarie? Muss gfs. das EBIS-System optimiert werden - vielleicht in dem Sinne, dass mehr als bislang neben dem technischen Zustand des Tankschiffs auch die Qualifikation, Zuverlässigkeit, Sach- und Fachkunde der Besatzung geprüft wird? Müssen gfs. die ADN(R)-Regeln für Gefahrgutfrachter im Allgemeinen und für Säurefrachter im Besonderen auf Grund der Waldhof-Havarie geändert werden?

Einiges deutet darauf hin, dass wegen der hohen spez. Dichte der Schwefelsäure die Tanks nur teilgefüllt waren, so dass bei der Kurvenfahrt auf der Gebirgsstrecke die schwappende Schwefelsäure zu einer Schlagseite des Tankschiffs geführt haben könnte. Lt. ADN(R)-Regelwerk ist in bestimmten Grenzen eine Teilbefüllung der Tanks zulässig. Sollten hier im ADN-Regelwerk Änderungen dahingehend vorgenommen werden, dass nur noch spezielle Tankschiffe für Flüssigkeiten mit hoher spez. Dichte verkehren dürfen, bei denen sich auf Grund der relativen Größe der Tanks Teilbefüllungen erübrigen? Müsste gfs. über eine obligatorische Längsteilung der Tanks nachgedacht werden, um ein Hin- und Herschwappen der Ladung zumindest zu reduzieren?

Kann es die BASF als Auftraggeberin des Schwefelsäuretransports verantworten, dass Gefahrguttransporte sozusagen "einen Zentimeter" unterhalb der Hochwassermarke II bei Nachtfahrt (!) auf der risikoträchtigen "Gebirgsstrecke" freigegeben werden? Der Strömungsangriff bei einer derart hohen Wasserführung produziert bei einer Nachfahrt in der engen und kurvenreichen "Gebirgsstrecke" Gefahrenmomente, die - wie die "Waldhof"-Havarie zeigt - nicht in jedem Fall beherrschbar sind? Sollte bei Gefahrguttransporten von Nachtfahrten in der gefahrenträchtigen "Gebirgsstrecke" generell abgesehen werden? Denkt man bei den VCI-Mitgliedsfirmen im Allgemeinen und bei der BASF im Besonderen darüber nach, sich in einem freiwilligen Branchenübereinkommen dazu zu verpflichten, zu "Hochrisikozeiten" (hohe Wasserführung, nachts, bei Nebel) auf der "Gebirgsstrecke" Gefahrguttransporte zu unterlassen? (Hätte eine derartige Regelung schon bestanden, wären der Rheinschifffahrt, den Verladern, den involvierten Versicherungsgesellschaften und der Volkswirtschaft möglicherweise Kosten in Höhe von vielen Millionen Euro erspart geblieben!) (...)

Für eine Beantwortung dieser Fragen wären wir Ihnen dankbar.


"Am Schluss hat man die Schwefelsäure dann doch in den Rhein fließen lassen - das hätte man gleich machen sollen, dann hätte man der Wirtschaft entlang des Rheins Millionenverluste erspart", so die Meinung von Hafendirektoren und anderen Logistikern.


"Schwere Marktstörung in der Tankschifffahrt"

Bei der "Waldhof" hat es sich um Doppelhüllenschiff gehandelt. Im Gegensatz zu den bislang auf dem Rhein verkehrenden Einhüllenschiffen, gibt es zwischen der Außenwandung und der Innenwandung mit den Tanks einen Zwischenraum von etwa 80 Zentimetern. Selbst wenn bei einer Havarie die Außenhülle aufreißt, besteht eine gute Chance, dass der eigentliche Tank davon nicht betroffen wird - und damit dicht hält. Spätestens bis 2018 müssen in der Tankschifffahrt auf dem Rhein und seinen schiffbaren Nebenflüssen nahezu alle Einhüllenschiffe durch Doppelhüllenschiffe ersetzt werden. Das Problem: Während immer mehr Zweihüllenschiffe auf den Markt drängen, werden die alten Einhüllenschiffe nur zögerlich verschrottet. Damit haben sich "extreme Überkapazitäten" in der Tankschifffahrt aufgebaut, die wiederum einen gravierenden Verfall der Preise nach sich gezogen haben, schrieb der Binnenschifffahrts-Report in seiner Ausgabe 1/2011. Damit sei eine "schwere Marktstörung in der Tankschifffahrt" eingetreten. Wegen der "existenzbedrohenden Situation in den Binnentankschifffahrt" müsse umgehend eine Abwrackaktion für Einhüllenschiffe in die Wege geleitet werden.


Ruinöser Wettbewerb in der Binnentankschifffahrt: Ein Sicherheitsrisiko?

Mit dem Verfall der Frachtmargen wiederholt sich in der Binnentankschifffahrt eine Entwicklung, die es Ende der 1980er Jahre schon ein Mal gegeben hat. Damals schrieben die VDI-Nachrichten in ihrer Ausgabe vom 07.10.1988: "Die Überkapazitäten in der Tankschifffahrt haben dazu geführt, dass die Sicherheit in der Tankschifffahrt nicht mehr gewährleistet ist. Aufgrund der Realitäten auf den westeuropäischen Wasserstraßen ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis es zu einem Unglück kommt, das schnell katastrophale Ausmaße annehmen kann."

Mit dieser Warnung war seinerzeit die Internationale Tankschiffervereinigung (ITV) an die Öffentlichkeit getreten. Die in der ITV organisierten Partikuliere standen damals wegen der Überkapazitäten unter enormen Ertragsdruck: "Defizitfahrten infolge des Preisdruckes durch Überkapazitäten versuchten viele Binnenschiffer mit Hilfe drastischer Sparmaßnahmen zu entrinnen. Gespart werde dabei auch an der Sicherheit, Reparaturmaßnahmen oft in Eigenarbeit durchgeführt oder erfahrene Besatzungsmitglieder durch preiswertere, unerfahrene ersetzt", fassten die VDI-Nachrichten die damalige Situation zusammen.

Wegen des Margenverfalls hatte der ITV gewarnt, "dass es immer schwieriger wird, drei wichtige Voraussetzungen für einen unfallfreien Transport - nämlich sichere Schiffe, geschultes Personal und gute Arbeitsbedingungen - zu erfüllen." Dass die Tankschifffahrt ausgerechnet durch die Einführung des Doppelhüllenschiffs wieder in eine Krisensituation gerutscht ist, lässt erneut um die Sicherheit von Gefahrguttransporten fürchten. Die "hohe Wettbewerbsintensität" in der Binnentankschifffahrt macht Gefahrguttransporte nicht unbedingt sicherer.


Kurt Beck: "Schärfere Kontrollen für Gefahrguttransporte auf dem Rhein!"

"Eine Verschärfung der Kontrollen und eine kritische Überprüfung aller Sicherheitsvorschriften für den Transport von Chemikalien und anderen gefährlichen Gütern auf Rhein, Mosel und Saar" hält KURT BECK (SPD) "für dringend erforderlich". Die Mainzer SPD-Landtagsfraktion hat "einen umfassenden Sachstandsbericht" des Ministers für Wirtschaft und Verkehr im zuständigen Fachausschuss des Landtags beantragt. BECK erinnerte daran, dass bundesweit auf Binnenschiffen mehr gefährliche Transporte erfolgten als über See, Straße und Schiene. "Nach Ansicht von BECK ist der Transport auf Binnenwasserstraßen dem Straßentransport vorzuziehen, jedoch müssten die Sicherheitsvorschriften streng eingehalten, ständig überprüft und angepasst werden."

Politik und Verwaltung müssten "vorbeugend handeln (...) und nicht erst dann, wenn sich eine Katastrophe auf einer Binnenwasserstraße ereignet" hat, wurde der damalige Parlamentarische Geschäftsführer der Mainzer SPD-Landtagsfraktion in der rheinland-pfälzischen Staatszeitung vom 21. Aug. 1989 zitiert. Die SPD war damals in der Opposition. Heute ist BECK Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. Angesichts der Havarie der "Waldhof" und dem ruinösen Konkurrenzkampf in der Tankschifffahrt waren entsprechende Warnungen und Aufrufe wie 1989 von BECK nicht zu hören und zu lesen.


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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 968/2011
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU),
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. April 2011