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SPORT/100: BUND empfiehlt "Nein" beim Olympia-Referendum (BUND HH)


BUND-Landesverband Hamburg - 15. Oktober 2015

BUND empfiehlt "Nein" beim Olympia-Referendum

Spiele in Hamburg sind nicht umweltverträglich / Luftreinhaltung, Klimaschutz und Flächenverbrauch sind besonders problematisch


Rund zwei Wochen vor der Versendung der Briefwahlunterlagen zum Olympiareferendum ruft der BUND die Hamburger Bevölkerung dazu auf, mit "Nein" zu stimmen. Das Referendum ist für den 29. November festgesetzt, erfahrungsgemäß nutzen aber viele Hamburgerinnen und Hamburger die Möglichkeit der Briefwahl, die bereits Ende Oktober beginnt.

"Auch wenn Bürgermeister Olaf Scholz von der besten Olympiaberechnung aller Zeiten spricht: Sowohl aus finanzieller, als auch aus ökologischer Sicht bleiben zu viele Fragen unbeantwortet", so Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des BUND Hamburg. So würde die Umsiedlung der Betriebe von den für Olympia vorgesehenen Flächen den gesamten Hafen durcheinanderwirbeln - gravierende ökologische Auswirkungen seien bereits jetzt absehbar.

Der BUND kritisiert, dass der Senat nicht willens oder in der Lage ist, für den Hafenbereich eine flächenscharfe Planung vorzulegen. Es sei beispielsweise nicht geklärt, wohin das Überseezentrum der HHLA verlagert werden oder wo neuer Retentionsraum für die Zuschüttung des Travehafens entstehen soll. Solche Nebenflächen abseits des Fahrwassers und der Kaianlagen sind in der Tideelbe dringend erforderlich, da der eingeengte und vertiefte Fluss steigende Mengen an Sedimenten in den Hamburger Hafen einträgt. Außerdem weisen Gebiete wie der Travehafen eine enorme Artenvielfalt auf und dienen als Rückzugsraum und Kinderstube für viele Elbfische.

Bei der Hafenplanung gebe der Senat auch eigene Festlegungen auf. Noch im Hafenentwicklungsplan 2012 hieß es, die Dalben in der Norderelbe vor dem Grasbrook müssten als Warteplatz für Schiffe erhalten bleiben. Für Olympia sollen sie nun aber verlagert werden - wohin, und mit welchen Folgen für den Strombau, bleibt unklar.

Die viel beschworene Katalysatorwirkung der Olympischen Spiele für eine nachhaltige Stadtentwicklung sieht der BUND Hamburg in wichtigen Punkten ebenfalls nicht belegt. So verspricht das "Nachhaltigkeitskonzept", dass der Fahrradverkehr in der Stadt auf 25 Prozent anwachsen soll. Dies ist jedoch bereits politische Beschlusslage im rot-grünen Koalitionsvertrag. Ebenso wolle man sich bemühen, die Vorgaben für die Luftreinhaltung bis 2024 einzuhalten. Dies betrifft insbesondere die derzeit viel zu hohe Stickoxidbelastung in den Hamburger Straßenzügen. Doch dies ist bereits seit 2010 geltendes europäisches Recht, und Hamburg wurde nach einer Klage des BUND bereits vom Verwaltungsgericht dazu verurteilt, die geltenden Grenzwerte schnellstmöglich zu erfüllen. Auch die versprochenen modernen Abfallkonzepte und eine klimafreundliche Energieversorgung sind mittlerweile bei jeder Quartiersplanung eine Selbstverständlichkeit.

Gleichzeitig steht der in Aussicht gestellte "höchste ökologische Standard" für die Gebäude des neuen Stadtteils "Olympia City" im Konflikt mit den Rahmenbedingungen der Planung. So sollen "Olympia City" und der Umbau nach den Spielen zu Wohnraum ausschließlich mit privaten Mitteln finanziert werden. "Wie unter diesen Voraussetzungen ein Stadtteil mit vielen Sozialwohnungen entstehen soll, der ausdrücklich auch für Studenten, Migranten und Menschen mit Handicaps bezahlbar sein soll, ist kaum vorstellbar. Bei dem schon heute erkennbaren hohen Finanz- und Zeitdruck werden die derzeit ohnehin unverbindlichen Öko-Standards als erstes aufgegeben", befürchtet Manfred Braasch.

"Der Senat hätte ohne Not ein deutlich späteres Referendum ansetzen können, um die Planung zu konkretisieren und wie vom Hamburger Rechnungshof gefordert, eine Nutzen-Kosten-Untersuchung vorzulegen. Vor dem Hintergrund der finanziellen Risiken sowie der enormen Belastung für Natur und Umwelt und damit für die Hamburger Bevölke rung empfehlen wir beim Referendum ein klares 'Nein'", so Manfred Braasch.

Raute


BUND Hamburg: "Nein" beim Olympia-Referendum

Der BUND Hamburg hat die Diskussion um die Hamburger Olympiabewerbung intensiv begleitet und u. a. im "Dialogkreis Nachhaltigkeit" mitgewirkt. Nach Auswertung der jetzt vorliegenden Informationen und intensiven Beratungen innerhalb des Verbandes kommt der BUND zu einer ablehnenden Haltung im Hinblick auf das anstehende Referendum am 29. November 2015.

Unkonkret und unverbindlich - Nachhaltigkeitskonzept mit Schwächen

Das Nachhaltigkeitskonzept (Arbeitsstand 05. Oktober 2015) enthält vorrangig unverbindliche Absichtserklärungen. Die wenigen konkreten Zielvorgaben wie 50% Ökolebensmittel bei der Verpflegung während der Spiele oder ein Anteil von 25% Radverkehr in Hamburg durch den "Katalysator Olympia" sind nicht ambitioniert. Selbst die Orientierung des IOC an den Vorgaben der WHO zur Luftreinhaltung werden im Nachhaltigkeitskonzept nicht konstruktiv aufgegriffen [1]. Das Konzept soll zudem erst nach dem Referendum in eine Nachhaltigkeitsstrategie mit verbindlichen Zahlen und Indikatoren überführt werden.

Chancen, den neuen Stadtteil Olympia City zukunftsfähig zu gestalten, werden nicht genutzt und bleiben vage. So heißt es im Masterplan Olympia City beispielsweise, dass ein Anteil des Autoverkehrs von 25% am Verkehrsaufkommen "angestrebt" wird. Diese Ankündigungen sind weit davon entfernt, den neuen Stadtteil konsequent autofrei zu gestalten.

Erkennbare Zielkonflikte bezüglich Olympia City werden ausgeblendet. So sollen die Gebäude von Privatinvestoren finanziert und in kürzester Zeit errichtet werden. Gleichzeitig sollen sie den höchsten ökologischen Standards entsprechen, einen hohen Anteil an Sozialwohnungen aufweisen und für Studenten, Migranten und Menschen mit Handicaps gleichermaßen attraktiv sein.

Druck auf freie Flächen wächst - Verlagerungskonzept lässt Fragen offen

Für die Nutzung des Kleinen Grasbrooks müssen verschiedene Unternehmen umgesiedelt werden. Bislang gibt es kein flächenscharfes Verlagerungskonzept. Die Umsiedlung wird eine bislang ungeklärte und in ihrer Dynamik nicht absehbare Inanspruchnahme weiterer Flächen in Hamburg auslösen. Damit wächst der Druck auch auf ökologisch wertvolle Flächen. Unter anderem soll der Travehafen zugeschüttet werden, der derzeit als Retentionsraum bei Hochwasser und als Rückzugsrefugium für Elbefische wichtige ökologische Funktionen übernimmt. Das Nachhaltigkeitskonzept kündigt zwar die Neuschaffung von Retentionsräumen als Ausgleich an, wo dies angesichts der extremen Flächenknappheit an der Hamburger Tideelbe erfolgen soll, bleibt offen. Die Kosten für entsprechende Maßnahmen werden im Finanzreport nicht ausgewiesen.

Finanzen - Hamburg trägt einseitig das Risiko

Aus der beratenden Äußerung des Landesrechnungshofes vom 8. September 2015 geht hervor, dass die finanziellen Risiken und hier insbesondere die Haftungsrisiken vollständig auf die Gastgeberstadt verlagert werden. Dies lässt sich aus den Aussagen der vom IOC neu vorgelegten "Prinzipien" des Host-City-Vertrags ableiten.

Da sowohl der Natur- und Umweltschutz als auch andere für die Stadt wichtige Bereiche schon heute unterfinanziert sind, hält der BUND Hamburg eine einseitige Risikoverteilung zulasten Hamburgs für nicht akzeptabel.

Außerdem weist der vorgelegte Finanzreport an verschiedenen Stellen keine solide Kostenermittlung aus. In Kapitel 3, "Mobilität", gibt es zum geplanten Ausbau von U- und S-Bahn als Grundlage für eine Kostenangabe von über 620 Mio. Euro lediglich "Kostenideen". In Bezug auf den Hafen (Kapitel 4 des Finanzreports) basieren die kalkulierten 1,316 Mrd. Euro nur auf "ersten groben Kostenermittlungen" und können z. T. noch deutlich "abweichen".

Die Kosten für die Schaffung neuer Retentionsräume und Ausgleichsflächen sowie die Höhe der Schadensersatzforderungen der umzusiedelnden Hafenunternehmen sind bislang noch gar nicht beziffert. Ebenfalls nicht beziffert sind die Kosten für die im Nachhaltigkeitskonzept angekündigte Klimakompensation und die Einrichtung eines Klimaschutzfonds.

Informationen zum Referendum - Wichtiges fehlt

Um angesichts derzeit geschätzter Gesamtkosten von rund 15 Mrd. Euro für die Olympischen Spiele in Hamburg eine fundierte Entscheidung der Hamburger Wählerinnen und Wähler zu ermöglichen, hätte aus Sicht des BUND eine Kosten-Nutzen-Untersuchung wie sie die Landeshaushaltsordnung vorschreibt und der Rechnungshof fordert, vorliegen müssen. Erst auf einer solchen Grundlage wäre eine Aussage möglich, ob Olympia überhaupt einen Mehrwert für die Stadt hat. Auch eine strategische Umweltprüfung, die alle ökologischen Auswirkungen beleuchtet, fehlt. Obwohl es keinen ernsthaften Grund mehr gegen ein späteres Referendumsdatum gibt, halten Senat und Bürgerschaft an dem Termin am 29.11.2015 fest.

Nach den im Finanzkonzept dargelegten Schätzungen sollen derzeit 7,4 Mrd. Euro für Olympia aus öffentlichen Haushalten finanziert werden. Davon will der Hamburger Senat nicht mehr als 1,2 Mrd. Euro bereitstellen. Eine Zusage über die fehlenden 6,2 Mrd. Euro, die die Bundesregierung an der Gesamtfinanzierung tragen müsste, ist vor dem Referendum nicht absehbar.

Angesichts der hohen Risiken hatte der BUND Hamburg vorgeschlagen, eine Ausstiegsklausel mit dem Referendum zu verbinden, in der Senat und Bürgerschaft angehalten werden, bei einer hohen Kostensteigerung oder ungelösten Umweltproblemen die Bewerbung zurückzuziehen. Zur Abstimmung im Referendum steht jedoch nur eine einfache Ja/Nein-Frage.

Zu weiteren Fragen in Verbindung mit der Hamburg-Olympia-Bewerbung nimmt der BUND Hamburg als Umweltverband ausdrücklich keine Stellung. Allerdings können wir nachvollziehen, dass es zu den IOC-Sponsoren oder Fragen der sozialen Stadtentwicklung weiteren Klärungsbedarf gibt. Nicht akzeptabel für den BUND ist, dass für ggf. kritische Veranstaltungen zum Thema Olympia während der Spiele eine Zustimmung des IOC erforderlich sein soll. Die Genehmigungshoheit für Demonstrationen und ähnliche Veranstaltungen darf die Stadt nicht aus der Hand geben.

Umwelt und Natur haben das Nachsehen - Erfahrungswerte

Bereits in der Vergangenheit haben die verantwortlichen Senate umweltrelevante Planungsvorgaben unter Zeit- und Finanzdruck missachtet bzw. sind ihren gesetzlichen Verpflichtungen zur Kompensation nicht oder nicht ausreichend nachgekommen. Der Eingriff in das Mühlenberger Loch, die Genehmigung des Kohlekraftwerks Moorburg, die Planung der Elbvertiefung oder auch die Internationale Gartenschau (IGS) sind hier markante Beispiele.

Aus anderen Austragungsorten von Olympischen und Paralympischen Spielen liegen ebenfalls Erfahrungen vor. London 2012 gilt zwar als Meilenstein für nachhaltige Spiele, es wurden aber mehr als 50% der ursprünglich geplanten 76 Nachhaltigkeitsmaßnahmen (One Planet Living Principles) nicht oder nicht ausreichend umgesetzt [2]. Von den zusätzlich emittierten rund 3,3 Mio. Tonnen CO2 wurden weniger als 300.000 Tonnen kompensiert [3].

Hamburg, 15.10.2015


[1] http://www.olympic.org/Documents/Host_city_elections/Candidature_Questionnaire_Olympic_Games_2024.pdf

[2] http://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/towards-a-one-planet-olympics-revisited.pdf

[3] http://www.mma.gov.br/estruturas/255/_arquivos/carbon_footprint_study_relat_255.pdf

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Quelle:
Presseinformation, 15.10.2015
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.
BUND-Landesverband Hamburg
Lange Reihe 29, 20099 Hamburg
Tel.: 040/600 387-0, Fax: 040/600 387-20
E-Mail: bund.hamburg@bund.net
Internet: www.bund.net/hamburg


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Oktober 2015

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