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ÖKOLOGIE/026: James Lovelock oder die lebendige Erde (research*eu)


research*eu - Nr. 62, Februar 2010
Magazin des Europäischen Forschungsraums

PORTRÄT
James Lovelock oder die lebendige Erde

Von Julie Van Rossom


Chemiker, Physiker, Ingenieur, Doktor der Medizin, Spezialist in den Systemwissenschaften der Erde - James Lovelock ist vielseitig, und diesem besonderen interdisziplinären Profil verdankt der Klimaexperte auch sein wissenschaftliches Gewicht.


Im Jahr 2001 erkennt eine Gruppe von 1.500 an Klimaprojekten arbeitenden Wissenschaftlern auf einer Konferenz in Amsterdam den Begriff "System Erde" als ein einzigartiges, sich selbst regulierendes System an, das sich aus physikalischen, chemischen und biologischen Komponenten zusammensetzt. Damit zollten sie James Lovelock Ehre, der 20 Jahre lang gegen Wände geredet und gepredigt hatte, dass man unseren blauen Planeten als ein System verstehen müsse. Für Lovelock ist die Erde ein riesiger Organismus, dessen Bestandteile in Symbiose reagieren und damit die für das Leben notwendigen Voraussetzungen bilden. Doch diese Symbiose wird durch den Menschen, der dieses empfindliche Gleichgewicht durch seine Aktivitäten in eine neue Klimaperiode verschiebt, in Gefahr gebracht.


Ein vielseitiger Mensch

Lovelock beginnt seine Karriere am Medical Research Council in London, wo er über die Übertragungsformen des Schnupfens forscht. Während des Zweiten Weltkriegs entwickelt er neue Verfahren für den Brandschutz sowie zur Feststellung thermischer Strahlung, um sich nach Kriegsende mit der Kryogenik lebender Gewebe zu befassen.

Lovelock ist höchst kreativ. Auf sein Konto gehen zahlreiche Erfindungen. Seine wichtigste, den Elektroneneinfangdetektor (ECD), entwickelte er 1957. Mit diesem Gerät lassen sich kleinste Spuren chemischer Stoffe in der Luft nachweisen. Mithilfe dieses Instruments konnten die Thesen der Biologin Rachel Carson belegt werden, die in den 1960er Jahren die von Pestiziden wie DDT ausgehenden Gefahren für die Umwelt angeprangert hatte. Mit dem ECD konnte auch die Ausbreitung von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW), einer Gruppe ozonfeindlicher chemischer Verbindungen, nachgewiesen werden.

Anfang der 1960er Jahre wendete sich Lovelock seinem Kindheitstraum zu: der Weltraumbeobachtung. Im Rahmen einer Marsmission, bei der Leben auf diesem Planeten festgestellt werden sollte, griff die NASA auf sein Ingenieurtalent zurück. "Meine Zeit bei der NASA hat mich tatsächlich zu den Erdwissenschaften gebracht", erklärt er. "Mit den Instrumenten, die von den an diesem Projekt teilnehmenden Forschern entwickelt wurden, sollte eine Lebensform entdeckt werden, die der unseren ähnlich sah. Doch das machte für mich überhaupt keinen Sinn. Da sich meine Kollegen durch meine Kritik angegriffen fühlten, drohte mir der Projektleiter, mich nach Hause zu schicken, sollte ich kein eigenes Suchgerät entwickeln."

So schlug der Ingenieur vor, eine spektrografische Analyse mithilfe eines Infrarotteleskops durchzuführen. Damit wollte er feststellen, ob es in der Marsatmosphäre zu einem Gasaustausch kommt. Mit einer solchen Analyse erhält man die chemische Signatur der Atmosphäre und es lässt sich herausfinden, ob diese chemisch ausgeglichen ist - heutzutage ein verbreitetes Verfahren unter Astronomen. "Charakteristisch für Leben ist, dass es in der Umwelt präsente chemische Verbindungen zur Erzeugung von Energie verwendet und folglich die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre aus dem Gleichgewicht bringt." Es sind diese Beziehungen zwischen den biologischen, physikalischen und chemischen Elementen, die Lovelocks Neugier anregen. Nachdem er der NASA 1965 den Rücken zugekehrt hatte, begann er als freier Forscher zu diesem Thema zu arbeiten.


Vom Schatten zum Licht

Die Ergebnisse seiner Forschungen nahmen in der Gaïa-Theorie Gestalt an, die er 1979 in einem Buch veröffentlichte. Lovelock vergleicht darin die Erde mit lebenden Organismen. Er versteht sie als ein System, das sich aufgrund der Aktivitäten seiner Bestandteile in Homöostase (Homöostase ist das Gleichgewicht der physiologischen Körperfunktionen) befindet. Wie bei unserem Körper, dessen Temperatur dank der Zusammenarbeit unserer Organe konstant ist. Lovelock geht sogar so weit zu sagen, dass unser Planet lebt, dass er sich durch positive und negative Rückkopplungsmechanismen selbst reguliert, an denen sowohl das Lebende wie auch das Nicht-Lebende beteiligt ist. "Im 19. Jahrhundert wurde die Welt als ein relativ starres System aufgefasst, in der das Lebende darum kämpfte, sich an dieses anzupassen. Erst im 20. Jahrhundert wurden sich die Wissenschaftler der Rolle der Organismen bewusst und darüber, inwiefern diese an der Bildung der Atmosphäre, der Ozeane und der Oberflächengesteine beteiligt sind. Unsere Umwelt ist keine leblose Struktur, sondern ein Relikt der Entwicklung unserer Vorfahren."

Die Umweltschutzbewegung, die sich noch in den Kinderschuhen befand, begeisterte sich auch sofort für Gaïa und sah in Lovelock eine wichtige wissenschaftliche Stütze. Doch die Ernüchterung folgte auf dem Fuße: Lovelock war ein eifriger Verfechter der Kernenergie und bot damit nicht den richtigen Rahmen für die grüne Bewegung jener Zeit. Die wissenschaftliche Gemeinschaft begegnete dieser Hypothese mit Skepsis und der Bezug zur Erdgöttin Gaïa aus der griechischen Mythologie diskreditiert Lovelock noch stärker. "Für Gaïa interessierten sich die Klimaforscher, doch allen anderen gefiel diese Hypothese nicht. Allen voran die Biologen, die mir vorwarfen, dass ich Darwins Evolutionstheorien erneut in Frage stellen würde."

Für die Biologen war es undenkbar, dass sich zwischen permanent konkurrierenden Organismen eine Form der Zusammenarbeit entwickeln konnte. Lovelock reagiert mit Daisyworld, einem Rechenmodell, das die Rückkopplungsmechanismen der Erde darstellt. Es gründet auf der Regulierung eines einzigen Faktors, der Temperatur, ausgehend von einem rudimentären Biotop aus hellen und dunklen Gänseblümchen. Im ersten Teil der Simulation ist die Temperatur niedrig und die dunklen Blüten breiten sich aus, weil sie das Sonnenlicht besser leiten können. Das führt zur Erwärmung des Planeten und damit können sich auch die hellen Blümchen entwickeln. Schließlich leben beide Gänseblümchenarten nebeneinander und da sie miteinander konkurrieren, tragen sie zur Erhaltung der für das gesamte Biotop optimalen Temperatur bei. Das ist ein hervorragendes Beispiel für die positive und negative Rückkopplung, auf der die Gaïa-Hypothese beruht.


Ein neues Gleichgewicht für die Erde

Seit 1979 publiziert Lovelock unerlässlich Bücher und Artikel, um seine Theorie zu verbreiten. Heute ist er ein respektierter Gast auf Klimakonferenzen und Vorreiter jener Forscher, die zu verstehen versuchen, wie unsere Umwelt auf Treibhausgase reagiert. "Ende der 1970er Jahre war dies nur eine verrückte Hypothese, die sich allmählich zu einer beachteten Theorie entwickelt hat. Neuere Forschungen haben die Rolle der Ozeane und Meeresorganismen bei der Regulierung des Klimas sowie die Bedeutung des Schwefelkreislaufs für alle lebenden Wesen und für die Wolkenbildung belegt. Es gibt derzeit keine Zweifel mehr an der Existenz von stabilisierenden Rückkopplungsmechanismen, die durch physikalische, chemische und biologische Phänomene bedingt sind."

Jetzt muss man noch herausfinden, inwiefern der Mensch das System Gaïa mit seinen unentwirrbaren Zusammenhängen durcheinanderbringt. Seit den 1970er Jahren betont Lovelock unermüdlich, welche verhängnisvolle Rolle die CO2-Emissionen für das Gleichgewicht des Planeten spielen, weshalb er sich auch für die Kernenergie ausspricht. "Die Entwicklung der erneuerbaren Energien ist eine gute Sache, jedoch werden sie niemals ausreichen, um unseren Bedarf zu decken."

Für Lovelock ist die allmähliche Erwärmung, wie sie im jüngsten Bericht des Weltklimarats (IPCC) dargelegt wird, eine unglaubliche Unterschätzung der Kraft und der Gewalt des Klimawandels. Die Erschütterungen des Klimas in der Vergangenheit und die Vorhersagemodelle, die nach der Gaïa-Theorie erstellt wurden, sehen eher plötzliche und unerwartete Veränderungen voraus, bestätigt er in seinem neuesten, 2009 veröffentlichten Buch. "Die Politiker forderten von den Wissenschaftlern Voraussagen, die diese in Wirklichkeit nicht machen konnten. Zahlreiche Forschungen legen nahe, dass die Folgen der Erwärmung sehr viel größer sein werden. Man nehme nur die von James Hansen geleitete Studie von 2007 über den Anstieg des Wasserspiegels. Im Vergleich zu den Vorhersagen des IPCC sagen diese Ergebnisse einen um 100% höheren Anstieg voraus. Im IPCC sind sicherlich hervorragende Forscher tätig, doch noch reichen unsere Kenntnisse zu den Regulierungsmechanismen des Planeten nicht aus, um zu verstehen, was genau uns erwartet."

In Wiederaufforstungsprojekte zu investieren, CO2-Tauschbörsen einzurichten oder für die Verwendung umweltfreundlich erzeugter Energie zu werben, nütze rein gar nichts. Lovelocks Ansicht nach ist es besser, sich auf eine fürchterliche Katastrophe vorzubereiten, bei der Millionen Todesopfer zu erwarten sind und die das Ende der heutigen Zivilisation bedeuten könnte. Ein Pessimist? Nein, nicht unbedingt. Mit seinen 90 Jahren glaubt dieser Mann immer noch an unsere Anpassungsfähigkeit. "Ich glaube, wir haben eine extrem schwere Zeit vor uns. Doch sollte es uns gelingen, diese Probe zu bestehen, werden wir zu besseren Wesen werden. Wir werden unseren Planeten besser kennen und ihn auch besser handhaben können, was uns heute wirklich nicht gelingt."



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Quelle:
research*eu - Nr. 62, Februar 2010, Seite 36-37
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2010