Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → FAKTEN

MASSNAHMEN/217: Biodiversity Offsetting - Beitrag zur Lösung oder neue Bedrohung? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2014
Wer die Netze hat, hat die Macht? Infrastrukturen und Nachhaltigkeit

Biodiversity Offsetting
Beitrag zur Lösung der Biodiversitätskrise oder neue Bedrohung?

Von Friedrich Wulf



Jeder Naturschützer kennt sie in Deutschland, und sie ist seit Jahrzehnten Teil des deutschen Naturschutzinstrumentariums: die Eingriffsregelung. Dass man Eingriffe in Natur und Landschaft kompensieren muss, und dass es dazu eine Regelung gibt, erscheint selbstverständlich. Doch gibt es eine solche Regelung nur in wenigen anderen EU-Ländern und so hat sich die EU-Kommission im Rahmen ihrer Biodiversitätsstrategie 2020 unter anderem vorgenommen, eine No Net Loss (NNL) -Initiative zu starten. Mit ihrer Hilfe soll die Gesamtmenge an Biodiversität konstant gehalten werden. Wie dies geschehen könnte, wurde 2012 und 2013 im Rahmen einer von der Kommission gegründeten Arbeitsgruppe erörtert.(1) Ein zentrales Element, um dieses Ziel zu erreichen, ist ein Offsetting-Mechanismus.


Beim Biodiversitäts-Offsetting handelt es sich um einen Kompensations- beziehungsweise Ausgleichsmechanismus. Es geht dabei um das Versprechen, durch wirtschaftliche Aktivität zerstörte Natur an einem anderen Ort zu ersetzen.

Wie ein solcher Mechanismus aussehen könnte, wird aufbauend auf den Diskussionen der EU-Arbeitsgruppe in einem Auftragsgutachten vom Institute for European Environmental Policy(2) weiter angedeutet. Dieses orientiert sich in vielem an der als vorbildlich geltenden, deutschen Eingriffsregelung. Sie stellt auch klar, dass die Regelungen der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) und der Vogelschutzrichtlinie Vorrang haben müssen. Doch kann trotz aller guter Absichten nach Durchlaufen des EU-Gesetzgebungsprozesses zu einem NNL-Instrument und im Angesicht vielfältiger gesellschaftlicher Interessen im Ergebnis ein Instrument herauskommen, das mehr schadet als nützt. Deswegen hat sich unter den Brüsseler NGOs im vergangen Jahr die deutliche und einhellige Meinung herausgebildet, doch besser die Finger von einer neuen EU-Regelung zu lassen. Auch viele in dem globalen zivilgesellschaftlichen Netzwerk CBD Alliance vertretene Organisationen teilen diese Meinung.(3)

NGOs befürchten:

  • Wenn der NNL-Mechanismus sich den marktbasierten Emissionshandel unter der Klimakonvention zum Vorbild nimmt, bekommt die Biodiversität einen Preis und kann frei gehandelt werden. Damit wird der Spekulation Tür und Tor geöffnet. Zudem ist jedes Element der Biodiversität einmalig und kann allenfalls näherungsweise ersetzt werden. Oder braucht sehr lange dazu - man denke an Altholzbestände oder Moore.
  • Der Handel trennt den notwendigen funktionalen Bezug zwischen Eingriff und Ausgleich. Es kann dazu kommen, dass dies geographisch an vollkommen verschiedenen Orten geschieht.
  • Die Aussicht auf die Möglichkeit einer Kompensation/"Wiederherstellung" senkt die Hemmschwelle, Natur zu zerstören. "Es wird ja ersetzt" - somit werden Genehmigungen leichter erteilt.
  • Wenn die Umsetzung nicht strikt überwacht wird, wird sie nur mangelhaft erfolgen. Das ist bereits in Deutschland ein Problem, aber in östlichen und südlichen EU-Ländern muss man erst recht damit rechnen, dass man gerne die durch das Offsetting gewonnen Legitimation "mitnimmt", ohne aber die damit verbundene Voraussetzung zu erfüllen.
  • Im globalen Kontext - insbesondere in Afrika oder Lateinamerika - werden Kompensationsmaßnahmen dazu verwendet werden, weitere Indigene von ihrem Land zu vertreiben.
  • Mit der aus dem Offsetting gewonnen Berechtigung beziehungsweise mit den dadurch gewonnen Geldern sollen andere Naturschutzziele - wie etwa die grüne Infrastruktur oder eben das Natura 2000-Mangement - finanziert werden.
Befürchtungen sind berechtigt

Am 3. und 4. Juni fand nun in London ein weltweiter Kongress(4) zum Thema Biodiversitäts-Offsetting statt. Neben Regierungs- und Verwaltungsvertretern, Experten und NGOs waren auch viele Gutachter und Finanzexperten unter den 250 Teilnehmern. Wer sich nach den beschwichtigenden Äußerungen der Kommission in Sicherheit wiegen wollte, musste feststellen, dass die Befürchtungen durchaus ihre Berechtigung haben:

  • Banken wie die europäische Investitionsbank (EIB) bieten Finanzierungsspritzen für das Biodiversitäts-Offsetting an. Dass es damit Betreibern einfacher gemacht wird, biodiversitätsschädigende Projekte überhaupt durchzuführen, sehen sie nicht.
  • Sowohl große Bergbaufirmen als auch diverse Entwicklungsländer wollen Offset-Mechanismen etablieren, um attraktiver für (ausländische) Investoren zu werden.
  • Tom Tew von der englischen Environment Bank freut sich auf die besonders kontrovers diskutierte britische Offsettingregelung, wodurch er endlich die nötigen Mittel hat, Biotopverbundkorridore etc. zu erstellen. Dass man dazu auch an andere Finanzierungsquellen denken könnte, als durch Naturzerstörung gewonnene, sagt er nicht. Generell zeigte der Kongress das große Interesse der Wirtschaft und von Regierungen an einem Mechanismus, der Planungshindernisse wegräumt, das "Problem" Biodiversität bewältigt und wirtschaftliche Eingriffe sanktioniert. Für die Wirtschaft bedeutet die Einbeziehung von Kompensationsmaßnahmen bereits einen Schritt weg vom "business as usual", wie World Business Council for Sustainable Development-Sprecher Peter Bakker deutlich machte. Doch lenkt die Hin- und Herschieberei von Biodiversität (auch wenn sie denn ohne Reibungsverluste geschähe) davon ab, das Kernproblem anzugehen und endlich den ungezügelten Konsum zu reduzieren, dessentwegen wir die Biodiversität immer weiter zerstören. CBD-Exekutivsekretär Braulio Ferreira de Souza Dias kommentierte die Diskussion damit, dass es nicht darum gehen könne, mit einem breiten Offsetting-Programm eine nicht nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen.

Der Streit, ob ein Offsetting-Mechanismus EU-weit eingeführt werden sollte und ob es gelingt, ihn so zu gestalten, dass er tatsächlich den Biodiversitätsverlust reduziert, wird sich in den nächsten Monaten zuspitzen - der nächste Schritt ist eine seit 6. Juni zugängliche Online-Konsultation.(5) und 2015 wird es einen Gesetzesentwurf geben. Der Kongress hat aber gezeigt, dass die Risiken hoch sind und mächtige Interessen bei der Verwaltung, bei der Wirtschaft und beim Finanzsektor an einem solchen Mechanismus bestehen. Die Position der Brüsseler NGOs, eine EU-weite NNL-Gesetzgebung abzulehnen und stattdessen eine bessere Vermeidung von Eingriffen und eine konsequentere Umsetzung bestehender Umweltgesetze wie der FFH-Richtlinie und der Umwelthaftungsrichtlinie zu fordern, wurde durch die Tagung eher bestätigt.


Autor Friedrich Wulf ist Koordinator der AG Biodiversität und arbeitet beim Schweizer Naturschutzbund Pro Natura als Projektleiter Politik und Internationales.



Literatur

1) Ergebnisse unter: http://ec.europa.eu/environment/nature/biodiversity/nnl/pdf/Subgroup_NNL_Scope_Objectives.pdf
http://ec.europa.eu/environment/nature/biodiversity/nnl/pdf/NNL_Operational_Principles.pdf
http://ec.europa.eu/environment/nature/biodiversity/nnl/pdf/NNL_Glossary.pdf.

2) http://ec.europa.eu/environment/nature/biodiversity/nnl/pdf/Policy%20Options.pdf.

3) http://no-biodiversity-offsets.makenoise.org.

4) http://bbop.forest-trends.org/events/nonet-loss/.

5) http://ec.europa.eu/yourvoice/ipm/forms/dispatch?form=NoNetLoss&lang=en.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

*

Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2014, Seite 32-33
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2014