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LUFT/489: Kolumbien - Geringe Wertschöpfung durch Kohleproduktion (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Juni 2013

Kolumbien: Viel Staub und Lärm um nichts - Geringe Wertschöpfung durch Kohlenproduktion

von Constanza Vieira



Tucurinca, Kolumbien, 13. Juni (IPS) - José 'Goyo' Hernández versieht seinen Dienst ohne Schutzmaske. Dabei atmet der Sicherheitskontrolleur während seiner zwölfstündigen Schicht Kohlenstaub ein, der von den insgesamt 13 Containerzügen weht, die täglich durch Tucurinca donnern.

Die Züge bewegen sich mit einer Geschwindigkeit von 80 Kilometern die Stunde. Doch die Waggons, in denen sich die Fracht befindet, werden nicht abgedeckt. 160.000 Tonnen Kohle werden auf diese Weise täglich durch die Ortschaft des nordkolumbianischen Departements Magdalena transportiert. Sie stammen aus einer Mine in dem 226 Kilometer südöstlich gelegenen Nachbar-Departement Cesar.

Abgebaut werden die Reserven von dem US-Bergbaukonzern 'Drummond', der kolumbianischen Niederlassung der Firma 'Glencore Xstrata' mit Sitz in der Schweiz und der 'Colombian Natural Resources' der US-Investmentbank 'Goldman Sachs'.

Goyo trägt die Uniform einer Sicherheitsfirma, die von 'Fenoco S.A.', einem privaten Eisenbahnunternehmen, unter Vertrag genommen wurde. Fenoco besitzt seit 1999 eine Konzession für die Atlantische Eisenbahn, zu deren Aktionären auch die drei Bergbaukonzerne gehören.

Goyo überwacht die Stelle, an der die Kohlezüge die Hauptstraße von Tucurinca überqueren. Die 120 Containerwaggons sind bis zum Rand gefüllt. Die obere Kohlenschicht wurde in Übereinstimmung mit einer Umweltauflage befeuchtet, um zu verhindern, dass ganze Kohlenstaubwolken aus den Containern aufsteigen. Doch wie aus einem im Dezember 2012 veröffentlichten Bericht des obersten Rechnungsprüfers hervorgeht, kann die Maßnahme die Freisetzung der Kohlepartikel nicht verhindern.

Untersuchungen über die möglichen negativen Auswirkungen des Kohlebergbaus beschränkten sich in der Regel auf die Hafenareale, moniert der Bericht. Das mache es quasi unmöglich, die Synergieeffekte und Auswirkungen sämtlicher Aktivitäten des Industriesektors etwa auf dem Land- und Seeweg zu erfassen.


Minimale Sicherheitsvorkehrungen

Wenn sich ein Zug der Ortschaft nähert, sperrt Goyo die Hauptstraße auf beiden Seiten der Schienen mit jeweils zwei Plastikkegeln ab, die mit einem Seil verbunden sind, an denen ein Stoppschild befestigt ist. Nichts davon erinnert auch nur entfernt an eine Sicherheitsabsperrung. Lediglich ein großes Schild sechs Meter von den Schienen entfernt weist auf mögliche Sicherheitsrisiken hin.

Die Menschen in Tucurinca lieben Goyo, haben er und sein Ersatzmann, der die andere Zwölfstundenschicht übernimmt, drei lebensmüden Menschen das Leben gerettet, die sich vor den Zug werfen wollten.

Tucurinca verfügt über keine Kanalisation, wohl aber über eine Wasserleitung, die jedoch nur sechs Stunden pro Tag Wasser liefert. Deshalb ist es nicht ungewöhnlich, dass sich Frauen gegen zehn in der Früh an dem Bewässerungsgraben einfinden, der parallel zu den Gleisen verläuft, um dort ihre Wäsche zu waschen. Zu dieser Tageszeit es noch verhältnismäßig kühl. Gegen Mittag erreicht die Quecksilbersäule dann 34 bis 36 Grad Celsius.

Die Frauen stehen bis zu den Hüften im Wasser, um ihre Wäsche einzuseifen, zu schrubben und auszuwringen. Sie schwatzen und lachen. Zu ihnen gehört auch Amparo Padilla. Wie sie berichtet, enthält der Kohlenstaub zum Glück keinen Ruß. So bleibe die an der frischen Luft getrocknete Wäsche sauber.

Ana Rosa Figueras berichtet, dass die Wasserleitung des Dorfes nicht bis zu ihrer Hütte auf der anderen Seite der Schienen reicht. "Ich lebe allein", sagt sie. "Es kostet mich viel Kraft, das Wasser zu holen." In ihrem Hof steht ein Blechkasten mit einem installierten Luftmessgerät. Alle zwei Tage kommen Kontrolleure vorbei, um das Messgerät abzulesen und die Messwerte zu notieren.

"Sie kommen, um die Kohlestaubkonzentration zu messen. Sie prüfen, ob er Menschen krank macht", berichtet Figueras, während sie ihre Wäsche in eine Wanne packt, die sie dann über die Gleise nach Hause schleppt.


"Nur noch Züge, die vorbeifahren"

María Josefa Arteaga stört, dass das Dorf nicht für vielen Störungen entschädigt wird, die der Kohletransport durch Tucurinca mit sich bringt. Wie sie berichtet, war die Ortschaft einst an das Schienenverkehrsnetz angebunden. "Doch damit ist es vorbei", sagt sie. "Jetzt kommen zu uns nur noch Züge, die vorbeifahren."

Den Dorfbewohnern zufolge bringen die Kohletransporte Krankheiten. Der Kohlestaub sei überall und verursache Asthma und Bronchitis. Genaue Zahlen gibt es nicht, da entsprechende Untersuchungen ausgeblieben sind. Dass für Partikel unterhalb von 2,5 Mikrometer Größe keine Kontrollpflicht besteht, hat schon der oberste Rechnungsprüfer als fahrlässig kritisiert.

Weitere unangenehme Nebeneffekte sind die Dezibel, die zehn bis 85 Mal höher sind als anderswo. Jedes Mal, wenn ein Zug heranrauscht, wackeln die Häuser und der Lärm ist ohrenbetäubend. "Die Fensterscheiben klirren, und im Mauerwerk entstehen Risse. Wir spachteln sie zwar zu, doch kommen sie immer wieder", berichtet der Viehzüchter Luis González. Nachts fahren die Züge besonders häufig, alle 15 bis 20 Minuten, wie González erzählt. "Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt und wache nicht mehr auf."

Kolumbien ist der fünftgrößte Kohleexporteur der Welt. Das Land führt 92 bis 95 Prozent seiner Produktion aus. 35,5 Prozent der in Europa verbrauchten Kohle stammt aus Kolumbien, wie der Weltenergiestatistik 2012 von 'British Petroleum' zu entnehmen ist.

Doch der Industriezweig schaffe keine nennenswerte Wertschöpfung, kritisierte der oberste Rechnungsprüfer im Mai in seinem Bericht 'Bergbau in Kolumbien: Grundvoraussetzungen zur Überwindung des Bergbaumodells'. Der Sektor trage also nicht zu einer Dynamisierung der Wirtschaft bei. Auch im übertragenen Sinne lassen die Kohlenzüge Tucurinca und andere Dörfer links liegen. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

https://skydrive.live.com/view.aspx?cid=4F5DDCDE5DFBE8C0&resid=4F5DDCDE5DFBE8C0!1835&app=WordPdf
http://www.bp.com/assets/bp_internet/globalbp/globalbp_uk_english/reports_and_publications/statistical_energy_review_2011/STAGING/local_assets/pdf/statistical_review_of_world_energy_full_report_2012.pdf
http://www.colombiapuntomedio.com/Portals/0/Archivos2013/Miner%C3%ADa.pdf http://www.ipsnews.net/2013/06/when-the-train-passes-but-never- arrives/
http://www.ipsnoticias.net/2013/06/cuando-el-tren-pasa-pero-no-llega/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 13. Juni 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juni 2013