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INITIATIVE/468: 40 Jahre ehrenamtliches Engagement - Interview mit Hans Günter Schumacher (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 167 - April/Mai 2012
Die Berliner Umweltzeitung

UMWELTBEWEGUNG
"Junge Menschen sollen sich eine eigene Meinung bilden"
Hans Günter Schumacher engagierte sich mehr als 40 Jahre ehrenamtlich an vorderster Stelle für die Umweltbewegung

Im Interview fordert er die Umweltverbände auf, enger zusammenzuarbeiten und bei den Politikern mehr Druck zu machen



Herr Schumacher, unlängst sind Sie für Ihr Lebenswerk mit der Deutschen Naturschutzmedaille geehrt worden. Sie haben zahlreiche Umweltinitiativen mit angeschoben, ebenso die Anti-Atom-Bewegung oder den "Blauen Engel": Was ist Ihnen davon im Rückblick besonders wichtig?

Bereits im Jahr 1980 habe ich mich gegen die Nutzung der Atomenergie ausgesprochen und bin konsequenterweise aus einer Partei, deren Vorsitzender sich damals für die Kernenergie ausgesprochen hat, ausgetreten. Ich war mit meiner Entscheidung in guter Gesellschaft, zum Beispiel mit dem damaligen Erzbischof von München-Freising. Ganz wichtig war mir auch, ab Ende der 1980er-Jahre Umwelt- und Schülerbibliotheken in Ost und West mit Natur- und Umweltliteratur auszustatten, auch noch zu Zeiten der DDR. 1991 und 1996 führte die Deutsche Umweltstiftung zwei Schulwettbewerbe durch: "Modelle zur Erprobung, Demonstration und Anwendung alternativer Energietechniken an Schulen - Projekte zur Einsparung von Energie". Besondere Erfahrungen machte ich in den zwölf Jahren als Mitglied in der Jury des Umweltzeichens Blauer Engel. Hier begegnete ich unter anderem auch Jurymitgliedern, die damals Lobbyarbeit über die Belange von Natur und Umwelt stellten. Das waren Erkenntnisse, die mir in der Folgezeit sehr zugutekamen.

Welcher Erfolg war denn am schwersten durchzusetzen?

Das ist schwer zu sagen - ganz sicher gehören aber unsere erfolgreichen Versuche dazu, auf Schleichwegen Umweltbücher in die ehemalige DDR an Umweltbibliotheken zu bringen.

Die von Ihnen mit gegründete Deutsche Umweltstiftung ist von staatlichen Geldern unabhängig. Ist Ihnen das als ehemaligem Regierungsamtsrat besonders wichtig?

Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Mein Arbeitgeber hat zu keinem Zeitpunkt versucht, auf meine ehrenamtliche Arbeit Einfluß zu nehmen. Für die Deutsche Umweltstiftung und für mich war es von allem Anfang an sehr wichtig, auf öffentliche Gelder zu verzichten, um politisch, wirtschaftlich und unabhängig sowie ungebunden arbeiten zu können. Seit der Gründung 1982 haben bis heute fast 1.300 Menschen Geld gestiftet. Übrigens sind alle Umweltbewegten, die über Verbandsgrenzen hinweg denken, herzlich eingeladen, dem Stifterkreis mit einem beliebigen Betrag beizutreten.

Sie haben elf Geschwister. Kommt daher Ihr Faible für gemeinschaftliche Aktionen in Bürgerinitiativen?

"Faible" ist kein Kriterium für Arbeit in Bürgerinitiativen. Was mir meine Familie und die Schulaufenthalte in Internaten mitgegeben haben, sind Selbstständigkeit, Durchsetzungsvermögen, persönliche und unabhängige Mobilität und die Fähigkeit, mich trotz Blindheit im Leben zurechtzufinden.

Aufgrund Ihrer langjährigen Erfahrungen im Umweltbereich: Was würden Sie einem jungen Menschen raten zu tun? Demonstrieren gehen? Geld spenden? Kartoffeln selbst anbauen?

Keiner der drei Vorschläge! Junge Menschen müssen mit offenen Augen durchs Leben gehen und sich unabhängig zu den Themen, die sie interessieren, informieren, kritisch hinterfragen, Erfahrungen sammeln und nicht das von vorneherein übernehmen, was ihnen von gesellschaftlichen Gruppen und Medien - welcher Art auch immer - als "Wahrheit" suggeriert wird. Sprich: Junge Menschen müssen sich eine unabhängige, eigene Meinung bilden. Wenn sie das schaffen, brauche ich der Jugend nicht zu raten, was sie tun soll, sondern kann sie als erwachsene Menschen akzeptieren und behandeln. Wenn sie sich dann noch dazu entschließen, im Dienste von Natur und Umwelt ehrenamtlich zu arbeiten - was wollen wir mehr?

Der Spiegel hat Sie 1995 als "blinden Seher" bezeichnet. In diesem Jahr jährt sich der legendäre Rio-Erdgipfel zum 20. Mal. Was halten Sie für die wichtigsten Aufgaben der Umweltpolitik?

Diese Frage ist die schwierigste. Stichworte wie Energiepolitik, Klimawandel, ökologischer Landbau, Verkehr, Europa und so weiter sind zu plakativ als Antwort. Sie zu erläutern, würde zu weit führen. Viel wichtiger ist mir, dass die Naturschutz- und Umweltverbände noch enger zusammenrücken, ihre Stärke öffentlich demonstrieren und noch mehr Druck auf die Politik ausüben, insbesondere auf die derzeit zuständigen Minister wie Röttgen und Rösler.
Wenn es diesen nicht gelingt - weil sie es in Wirklichkeit nicht wollen -, die Blockade der Energiekonzerne und der Wirtschaft zu brechen, neue Energietrassen und den Wechsel zu regenerativen Energien durchzusetzen, dann wird neben dem "Restrisiko Atomenergie" unausweichlich ein weiteres hinzukommen: das "Restrisiko Mensch".

Interview: Juliane Grüning

Hans Günter Schumacher, Jahrgang 1934, schlug nach dem Abitur eine Beamtenlaufbahn ein. Gleichzeitig hatte er seit 1968 ehrenamtliche Leitungsfunktionen in Bürgerinitiativen und Umweltschutzverbänden von der lokalen bis zur Bundesebene inne, etwa im Vorstand des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), als Vizevorsitzender des BUND Rheinland-Pfalz und in der Jury Umweltzeichen "Blauer Engel". 1982 gründete er die Deutsche Umweltstiftung mit und leitete sie bis 2011.
www.deutscheumweltstiftung.de

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Quelle:
DER RABE RALF - 22. Jahrgang, Nr. 167 - April/Mai 2012, Seite 15
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2012