BUNDmagazin - 2/2018
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany
Warum verschwinden die Insekten?
Gift und Gülle
von Severin Zillich
Heute fliegen weit weniger Insekten herum als noch vor einem Vierteljahrhundert - so das Fazit einer Studie aus Nordrhein-Westfalen, die vor einigen Monaten für Wirbel sorgte. Für diesen Rückgang gibt es plausible Gründe.
Große Aufmerksamkeit erregte im vergangenen Oktober eine Studie
aus Krefeld. Ehrenamtliche Biologen konnten dank langjähriger
Feldforschung einen drastischen Schwund von Fluginsekten belegen. Im
Schnitt ging die Menge - genauer: die Biomasse - der Insekten, die an
60 Orten vor allem im Rheinland in ihre Netze flogen, binnen 27 Jahren
um etwa drei Viertel zurück.
Wie ist dieser erschreckende Verlust zu erklären? Auch wenn das im Einzelnen noch nicht erforscht ist - die Ursachen des Insektensterbens liegen auf der Hand. Um zu retten, was noch zu retten ist, sollten wir den mutmaßlich wichtigsten Faktoren rasch etwas entgegensetzen. Diese sind:
1. Verarmung der Landschaft
Die industrielle Landwirtschaft hat Deutschland eines Großteils seiner
einstigen Vielfalt beraubt. Ob Weiden und Streuwiesen, Hecken oder
feuchte Senken - verbreitet fielen sie in den letzten Jahrzehnten der
»Flurbereinigung« zum Opfer. Aus einer klein parzellierten und
artenreichen Kulturlandschaft wurde so eine eintönige und strukturarme
Agrarwüste, die Wildtieren und Wildpflanzen kaum noch Nischen bietet.
Ihre intensive Bewirtschaftung mit immer größeren Maschinen und schnellwüchsigen Sorten sowie das Verschwinden von Ackerbrachen und Feldrändern taten ein Übriges. All dies verdrängte die Natur und damit die Mehrzahl der Insekten aus unserer Kulturlandschaft.
2. Agrargifte
Die intensive Landwirtschaft hat viele Nachteile. Mit der
großflächigen Vermaisung und Verrapsung, eintöniger Fruchtfolge und
anfälligen Hochleistungssorten züchtet sie sich die passenden
»Schädlinge« förmlich heran. Als Antwort auf dieses hausgemachte
Problem greifen Bauern und Bäuerinnen zu immer wirksameren Giften.
Weltweit am häufigsten kommt heute Glyphosat zum Einsatz. Es tötet
jede Pflanze, die nicht gentechnisch so verändert wurde, dass sie den
Einsatz überlebt. Damit trägt Glyphosat ganz maßgeblich zum
Artensterben in der Agrarlandschaft bei.
Traurige Berühmtheit erlangte auch die Stoffgruppe der Neonikotinoide. Diese Nervengifte stören unter anderem das Orientierungsvermögen der Bienen und schwächen ihr Immunsystem. Problematisch und wenig untersucht ist schließlich auch die kombinierte Wirkung verschiedener Pestizide auf Wildtiere.
Übrigens: In der ökologischen Landwirtschaft sind chemisch-synthetische Pestizide tabu.
3. Überdüngung
Deutschland hat nicht nur in den Städten ein Stickstoffproblem, beim
Kampf gegen die Luftverschmutzung durch dreckige Diesel. Gravierend
wirkt sich ein Zuviel an Stickstoff auch in der Natur aus.
Hauptverantwortlich ist hier wieder die Agrarindustrie. Mittels
Kunstdünger und der Gülle aus der Massentierhaltung gelangt sehr viel
Stickstoff in die Umwelt. Regional kommt es dadurch zur Überdüngung
von Böden und Gewässern. Zudem wird der Stickstoff großräumig über die
Luft verbreitet.
Betroffen von dieser unerwünschten flächenhaften Düngung sind alle Lebensräume. Geschädigt werden auch streng geschützte Lebensräume, deren Wert gerade darin besteht, dass sie von Natur aus nährstoffarm sind und vielen spezialisierten Pflanzen- und Tierarten ein Refugium bieten. Unter ihrer Entwertung leiden nicht zuletzt zahllose Insektenarten.
4. Intensive Forstwirtschaft
Deutschlands zweitwichtigste Landnutzung ist die Forstwirtschaft. Doch
sie nutzt den Wald nach wie vor mit zu hoher Intensität. So
hinterlassen schwere Erntemaschinen im Wirtschaftswald verdichtete
Böden, es gibt viel zu wenige alte Bäume und kaum dickes moderndes
Holz - wichtige Lebensräume für eine Fülle von Insekten. Pestizide,
die zur Bekämpfung von Schwammspinner, Maikäfer und Co. versprüht
werden, machen der Insektenfauna zusätzlich zu schaffen. Naturwälder
und Waldwildnis frei von forstlichen Eingriffen sind hingegen noch
immer Mangelware.
5. Versiegelter Boden
Die deutsche Wirtschaft wächst, und mit ihr die Zahl neuer Siedlungen,
neuer Gewerbegebiete und Straßen. 66 Hektar fruchtbarer Boden
verschwinden derzeit jeden Tag unter Asphalt und Beton, Lebensraum
unzähliger Insekten, oberirdisch wie unterirdisch. Eigentlich wollte
die Bundesregierung diesen Verlust bis 2020 auf 30 Hektar bremsen.
Doch sie tat nichts dafür. Nun will sie bis 2030 auf unter 30 Hektar
kommen - und wird auch dieses Ziel verfehlen, wenn sie das Problem
nicht bei der Wurzel packt (etwa mit einer Vorschrift, dass jede
Neuversieglung anderswo durch einen Rückbau von Straßen, Parkplätzen
et cetera ausgeglichen wird).
6. Tödliches Licht
Wussten Sie, dass die Mehrheit der Insekten nachtaktiv ist? Und die
meisten Arten von Licht angezogen werden? Geschätzt eine Milliarde
Insekten lassen ihr Leben in einer einzigen Sommernacht allein an
Deutschlands Lampen. Sie verbrennen oder sterben aus Erschöpfung.
Zudem stört das künstliche Licht ihren Tag-Nacht-Rhythmus und ihr
Jagd- und Fortpflanzungsverhalten.
Die Lichtverschmutzung nimmt weltweit zu, wie Satellitenbilder Jahr für Jahr dokumentieren. Auch in Deutschland, obwohl hier immer mehr LED-Lampen zum Einsatz kommen. Diese sind zwar relativ insektenverträglich, im Betrieb aber deutlich günstiger. Das führt dazu, dass viele Kommunen ihre Beleuchtung ausweiten.
7. Naturfeindliche Privatgärten
Drei Prozent unserer Landesfläche nehmen private Gärten ein. Darin
verteilen die Deutschen jedes Jahr rund 600 Tonnen Pestizide. Wegen
diesem Gifteinsatz und ihrer häufig sterilen Gestaltung eignen sich
viele Gärten nur sehr eingeschränkt als Lebensraum für Insekten. Dabei
wären sie so wichtig als Oasen der biologischen Vielfalt in der heute
stark verarmten Kulturlandschaft.
Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten
Abbildungen der Originalpublikation:
Nicht nur Insekten wie Kreiselwespe und Kahlrückige Waldameise sind vom Verlust ihrer Lebensräume bedroht - die heimischen Spinnen dürften von den Gefährdungsfaktoren ähnlich stark betroffen sein (Rote Röhrenspinne).
*
Quelle:
BUNDmagazin 2/2018, Seite 14 - 15
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2018
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