Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → FAKTEN

FORSCHUNG/789: WLAN am Waldstein - Forschungsinfrastruktur im Fichtelgebirge (spektrum - Uni Bayreuth)


spektrum - Universität Bayreuth
Ausgabe 1, Mai 2011

WLAN am Waldstein
Forschungsinfrastruktur im Fichtelgebirge

von Birgit Thies


Seit zwei Jahrzehnten schon wird auf knapp 800 Metern Höhe nordöstlich vom Großen Waldstein im Fichtelgebirge geforscht. 1992 begann das damalige Bayreuther Institut für Terrestrische Ökosystemforschung (BITÖK) am Waldstein die Ursachen der Waldschäden zu untersuchen, die besonders deutlich in den Höhenlagen der Mittelgebirge auftraten.

Die ersten Messflächen am "Coulissenhieb I" werden heute im Rahmen eines waldökologischen Langzeitmessprogramms nur noch selten beprobt. Noch immer befindet sich hier der Knotenpunkt, an dem per WLAN die auf den umliegenden neueren Flächen gemessenen Daten gesammelt und zur Universität Bayreuth übermittelt werden. Dazu ist von der Telekom eine Business-DSL-Leitung angemietet worden. Über zwei Tunnelrechner sind die Forschungsrechner auf dem Waldstein direkt ins Universitätsnetz eingebunden. So können die Forscher von ihren Computern am Campus aus die Experimente im Fichtelgebirge überprüfen und steuern.

Ein Großteil der automatisch erhobenen Messdaten wird quasi in Echtzeit im Internet zur Verfügung gestellt. Stündlich aktualisiert werden die Angaben zur Konzentration von Ozon, Stickoxiden und Schwefeldioxid in der Luft, die der Messcontainer Luftchemie im "Pflanzgarten" neben weiteren meteorologischen Basisdaten liefert. Die Messstation für Waldklima, Energie- und Stoffaustausch am "Weidenbrunnen" ist auf und unter einem hohen Turm installiert: Alle zehn Minuten werden von hier die aktuellen Temperaturen aus 32 Metern Höhe bis hin zu zwei Metern unter der Erdoberfläche übermittelt. Die Station ist Teil des weltweiten Messnetzwerks FLUXNET für Kohlendioxidflüsse und wird von der Abteilung Mikrometeorologie betreut. Ein zweiter schlanker Turm wird bei zeitlich begrenzten Kampagnen für Turbulenzmessungen genutzt.

Spaziergänger werden durch Schilder über die wesentlichen Inhalte der verschiedenen Messstationen und Experimente informiert. Im "Coulissenhieb II" erforscht die DFG-Forschergruppe 562 seit 2005 die Reaktion von Bodenprozessen auf veränderte Niederschläge, um mögliche Auswirkungen des Klimawandels auf den Waldboden zu verstehen. Mit großformatigen Dachkonstruktionen wurde im Verlauf von drei Sommern sowohl natürlicher Regen abgeschirmt, als auch künstlicher Regen erzeugt. Alle zwei Stunden werden die von neun Loggern gesammelten Daten zur Bodenphysik über das WLAN weitergegeben.

Im "Pflanzgarten II" wurde 2010 ein Langzeitexperiment zum Winter-Klimawandel aufgebaut. Um zu untersuchen, welche Effekte der Verlust der isolierenden Schneedecke auf Boden und Pflanzen haben könnte, wird hier der Schnee mittels Heizlampen künstlich abgeschmolzen. Eine Webcam gibt den Wissenschaftlern den Überblick über die aktuelle Schneelage - per Internet können nach Bedarf Heizdrähte und -lampen eingeschaltet werden.

Zwei Kilometer entfernt und 30 Meter tiefer liegt im Funkloch die letzte Messfläche, ein Niedermoor. Am "Schlöppnerbrunnen" manipuliert die DFG-Forschergruppe "Bodenprozesse" den Wassergehalt von Moorböden und untersucht die Auswirkungen auf das Ökosystem. Hier bestand die größte Herausforderung darin, das Moor möglichst ohne Zerstörung begehbar zu machen, was durch hölzerne Stege gelungen ist.

Wie in der Forschung üblich, werden die Experimente mit Wiederholungen durchgeführt - so gibt es gleich drei Dächer zur Regenabschirmung und zehn Aufbauten zum Winter-Klimawandel. Durch Parallelmessungen wird die natürliche Variabilität der Messparameter statistisch abgeschätzt. Dem gleichen Zweck dienen "Kontrollflächen", die nicht manipuliert werden, aber im Aufbau dem eigentlichen Experiment gleichen: So wurden sowohl Wärmelampen als auch leere Metallkegel installiert, die auf den Kontrollflächen für gleichen Lichteinfall und Lüftströmung sorgen.

Ein wichtiger Teil der Infrastruktur für die Forscher ist bei der Arbeit bei Wind und Wetter die Forsthütte, die gemeinsam mit den Waldarbeitern für Pausen genutzt wird. Das gegenseitige Interesse von Mitarbeitern der Bayerischen Forsten und Wissenschaftlern und der Austausch über die Vorhaben ist die Grundlage für eine gute Zusammenarbeit.


Von Daten zu Erkenntnissen

Die am Waldstein automatisch gemessenen Daten werden am BayCEER in einer Datenbank gespeichert, die Mitte der 90er Jahre entstand und von der BayCEER-Arbeitsgruppe EDV und Datenbanken stetig weiterentwickelt wird. Über verschiedene Schnittstellen können Wissenschaftler die Daten abrufen und analysieren.

Wasser- und Bodenproben von den Messflächen werden großteils im BayCEER-Labor für Chemische Analytik ausgewertet. Die Proben werden mittels Optischer Emissionsspektrometrie (ICP-OES) und Ionenchromatographie auf ein gutes Dutzend chemischer Elemente analysiert, die für die Stoffkreisläufe des Ökosystems Wald bedeutsam sind. Während im Winter routinemäßig in zwei Wochen vier bis acht Einzelproben zu bearbeiten sind, waren es während "heißer" sommerlicher Messphasen auch schon 120 Proben im Monat. Die im Labor ermittelten Ergebnisse werden auf analytische Plausibilität geprüft und ebenfalls in der Messdatenbank gespeichert.

Nun gilt es, die zeitliche Entwicklung der gemessenen Parameter in Verbindung zu setzen. Mit den experimentell erzeugten Randbedingungen und weiteren externen Einflüssen können so neue Erkenntnissen über die Prozesse im Ökosystem Wald erlangt werden.


Schicksalsschläge in der Forschung

Die wegen des einheitlichen Fichtenbewuchses ausgewählte Messfläche "Coulissenhieb II" wurde im Januar 2007 vom Sturm Kyrill erfasst. Dieser riss viele Bäume um und schlug im weiteren Umfeld der Messflächen eine Tornadoschneise in den Forst. Tagelang war das Gebiet aus Sicherheitsgründen komplett gesperrt. Die Webcam zeigte den Forschern ein Mikado aus Baumstämmen, die Aufräumarbeiten dauerten mehrere Wochen. Auf den Sturm folgte der Borkenkäfer, für den das Totholz ein gefundenes Fressen war.

Inzwischen werden die durch den Windwurf entstandenen Gegebenheiten positiv genutzt: Im Fokus eines zweiwöchigen Großexperiments des Forschungsprojekts EGER stehen in diesem Juni die sogenannten "Waldkanteneffekte", bei denen Luftströmungen und Energieaustausch zwischen der neuen Schneise und dem verbliebenen Wald aufgezeichnet werden. Als Basis für intensive Messkampagnen wurde im Vorfeld die Stromleitung zum Weidenbrunnen verstärkt.

Weitere geplante Forschungsvorhaben nehmen bereits den Waldumbau in den Blick, der im Zuge des Klimawandels von den Forstbehörden verfolgt wird. Eine der Windwurfflächen wurde dazu auf Initiative des BayCEER mit Buchen bepflanzt und steht für zukünftige Experimente zur Verfügung. Vorausschauend Forschen steht in Zeiten sich ändernder klimatischer Rahmenbedingungen auf der Tagesordnung. Damit dies "vor der Haustür" im Fichtelgebirge auch in Zukunft möglich sein wird, hat die Pflege der BayCEER-Messflächen und ihrer Infrastruktur einen hohen Stellenwert.


Weblinks
• DFG-Forschergruppe "Bodenprozesse": www.bayceer.uni-bayreuth.de/fg_bp/
Online-Daten vom Waldstein im Internet: www.bayceer.uni-bayreuth.de/bayceer/klimadaten


AUTORIN

Dr. Birgit Thies

Birgit Thies hat in Bayreuth Geoökologie studiert und am Lehrstuhl Ökologische Modellbildung zum Thema Instationarität und räumliche Variabilität süddeutscher Abflusszeitreihen promoviert. Seit Ende 2007 arbeitet sie in leitender Funktion in der Geschäftsstelle des BayCEER, die sich unter anderem um die hier vorgestellten Messflächen am Waldstein kümmert (vgl. Seite 85).
siehe www.bayceer.uni-bayreuth.de


*


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

• Messturm am Weidenbrunnen im Fichtelgebirge - die hier seit 1996 ermittelten Daten sind Teil des internationalen Messprogramms FLUXNET (siehe Beitrag Seite 50).
(*) Anmerkung der SB-Redaktion:
im Schattenblick ist der erwähnte Forschungsartikel zu finden unter:
Infopool → Umwelt → Fakten → ÖKOSYSTEME/014: Der Wald im Fichtelgebirge im Extremjahr 2003 (spektrum - Uni Bayreuth)

• Beschilderung der Messflächen, hier vom Coulissenhieb II

• Anemometer am Coulissenhieb II

• Gerhard Müller erklärt die Funktion eines Schaltkastens mit Datenloggern am Coulissenhieb II (Exkursion im Februar 2011)

• Auswirkungen des Sturmtiefs "Kyrill" am Waldstein im Frühjahr 2007

• Beschädigung der Dachkonstruktion nach Kyrill (Foto: Werner Borken)

• Im Rahmen der DFG-Forschergruppe "Dynamik von Bodenprozessen bei extremen meteorologischen Randbedingungen" neu errichtete Dachkonstruktion


*


Quelle:
spektrum, Ausgabe 1, Mai 2011, Seite 44-47
Herausgeber: Universität Bayreuth
Redaktion: Pressestelle der Universität Bayreuth, 95440 Bayreuth
Telefon: 0921/55-53 23, -53 24, Fax: 0921/55-53 25
E-Mail: pressestelle@uni-bayreuth.de
Internet: www.uni-bayreuth.de

"spektrum" erscheint dreimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Dezember 2011