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FORSCHUNG/562: Die Refugien der Methanfresser (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 1/2009

Die Refugien der Methanfresser

Von Klaus Wilhelm


Methan oxidierende Bakterien spielen eine bedeutsame Rolle für unser Klima. Wie wichtig der Schutz jener Biotope sein könnte, die eine Heimstatt für diese Mikroben sind, machen Forschungsarbeiten im europäischen Projekt METHECO deutlich.


Unter ihm nur das Moor. Und die Brücke, "die wir selbst gebaut haben", sagt Peter Frenzel. Der Professor vom Marburger Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie robbt sich über das hölzerne Provisorium in den Weiten des estländischen Hochmoors an einen sieben Meter langen Baumstamm heran, "den mein Kollege Edgar Karofeld und ich im Jahr zuvor versenkt haben" und der verlässlich genug erscheint, um als Befestigung für den Mikromanipulator herzuhalten. Das Gerät ermöglicht mechanische Eingriffe an sehr kleinen Objekten oder Organismen, Bakterien zum Beispiel. In diesem Fall sind es, genauer gesagt, Bakterien, die Methan oxidieren. Sie nutzen Methan in einer exakt definierten chemischen Reaktion als Kohlenstoffquelle, um Zellmasse aufzubauen und Energie zu gewinnen.

Solche "Methanoxidierer" zählen zu den wenigen Organismen, die im nährstoffarmen Hochmoor - das nur von Regenwasser gespeist wird - bestens gedeihen. Am Mikromanipulator klemmt eine Elektrode, die den Sauerstoffgehalt des Biotops ermittelt. "Der Sauerstoffgehalt", doziert der agile Frenzel mit Verve, "verrät viel über die Prozesse, die dort unten ablaufen." Über die Kurve des Sauerstoff-Profils kann der Marburger Mikrobiologe exakt erkennen, wie tief der Sauerstoff in den Bodenschichten reicht. An der Grenze zwischen der Welt mit und ohne Sauerstoff beginnen die Methanverwerter mit ihrem Werk.


Methanverwerter sorgen für Klimaschutz

Ein wichtiges Werk! Denn die Methanoxidation durch Bakterien ist "global bedeutend", bringt es der Leiter der Arbeitsgruppe für Biogeochemie auf den Punkt. Nicht von den Bakterien umgesetztes Methan entweicht nämlich aus dem Boden in die Atmosphäre und wirkt dort als stärkstes Treibhausgas überhaupt. Nicht zuletzt deshalb haben Frenzel und neun weitere europäische Forscherteams vor drei Jahren das Projekt METHECO aus der Taufe gehoben, dessen Förderung 2009 ausläuft. Ziel: Die Methanoxidation in typischen Ökosystemen Europas als Modell für Lebensgemeinschaften von Bakterien zu beschreiben, die Dynamik der Prozesse zu erfassen und die mikrobielle Diversität der Methanoxidierer zu begreifen; das Ganze basierend auf neuester Methodik inklusive molekularbiologischer Verfahren.

"Wir hatten zwar bedingt durch bürokratische Hindernisse einen schleppenden Start", sagt Frenzel, "doch inzwischen sind wir im Verständnis der Methanoxidation einige Schritte weiter gekommen." Zumindest eine entscheidende Stellschraube des Prozesses haben die Marburger Forscher besser beschreiben können als je zuvor: den Nährstoff Stickstoff. Und sie sind mit ihren aufwendig gestalteten Experimenten einer Nahrungskette auf die Spur gekommen, in deren Zentrum die Bakterien und sogenannte eukaryotische Einzeller wie etwa Amöben stehen. Schließlich zeichnet sich ab, dass Ökosysteme mit Methanoxidierern unterschiedlich robust sind - abhängig von geografischer Breite, Methankonzentration und anderen Faktoren. Frenzels ehemaliger Mitarbeiter Paul Bodelier hat sich infolge dieser Erkenntnisse ein neues Ziel auf die Fahnen geschrieben: Einige für das Klima so bedeutende Biotope mit Methanverwertern, wissenschaftlich auch "Methanotrophe" genannt, so zu schützen wie Biotope mit wichtigen Pflanzen oder Tieren.

Erstmals im 18. und 19. Jahrhundert von Allessandro Volta und John Dalton wissenschaftlich beschrieben, ist Methan ein Gas aus der Gruppe der sogenannten Kohlenwasserstoffe. Doch schon die Alchimisten des Mittelalters kannten Methan als Fäulnisgas unter der Bezeichnung Sumpfluft. 1856 stellt der Franzose Marcellin Berthelot Methan erstmals im Labor her. 1906 dann entdeckte der niederländische Biologe Nicolaas Louis Söhngen Bakterien, die Methan produzieren. Inzwischen ist klar: Das Gas entsteht immer dann, wenn bestimmte Mikroorganismen organisches Material zersetzen. Weltweit werden schätzungsweise jährlich 500 Millionen Tonnen Methan emittiert.


Nassreisfelder heizen das Treibhaus auf

Eine vom Menschen verursachte Methanquelle gewinnt dabei immer mehr an Bedeutung: die Rinderhaltung. Bakterien in Magen und Darm dieser Wiederkäuer erzeugen das Gas. Die größten Methanquellen sind allerdings Feuchtgebiete - etwa Moore, vor allem aber die vom Menschen angelegten Nassreisfelder, deren Verbreitung stetig zunimmt. Hier finden Methan erzeugende Bakterien oder ihnen verwandte Einzeller, die Archaeen, beste Bedingungen. Und das heißt: kaum Sauerstoff. So dominieren im Schlamm von überschwemmten Reisfeldern die Methanproduzenten und geben das massenhaft hergestellte Gas an die Atmosphäre ab. Etwa 90 Prozent des Methans verlässt den schlammigen Reisfeldboden durch die Reishalme, die restlichen zehn Prozent steigen als Gasblasen auf. In der Atmosphäre wirkt Methan als Treibhausgas etwa 20-mal stärker als das weitaus häufiger vorkommende Kohlendioxid.

Die Crux: Aus Reisfeldern und allen anderen methanhaltigen Umwelten würde noch mehr Gas entweichen, wenn die Methanoxidierer das Gas nicht quasi futtern würden. "Diese Mikroben funktionieren wie ein Biofilter, der nur eine gewisse Menge Methan durchlässt", betont Peter Frenzel. In manchen Sedimenten fangen die Einzeller bis zu 95 Prozent des gebildeten Methans ab, "im Reisfeld weniger, so um die 20 bis 30 Prozent." Aber immerhin. Welche Faktoren den Prozess kontrollieren und wie sie mit der mikrobiellen Biodiversität zusammenhängen, sind für Frenzel einige der großen Fragen. Und wie stabil diese so wichtigen Ökosysteme der Methanoxidierer gegenüber Störungen sind.

Diese Aspekte standen und stehen unter anderem im Fokus des METHECO-Projektes, das auf das Thema Biodiversität abzielt. Ein Schlagwort, das in Wissenschaft und Umweltpolitik en vogue ist. Der Verlust von Arten und die damit oft einhergehende Störung wichtiger biologischer Prozesse gelten als eines der Themen unserer Zeit. "Biodiversität wird fast als Allheilmittel für die Umweltprobleme gepriesen", spöttelt Frenzel mit dem Blick des nüchternen Skeptikers. Flora und Fauna stehen unter minutiöser wissenschaftlicher Beobachtung und werden in Zahlen und Gleichungen und Indices gepresst - oft unkritisch und ausufernd, bei gleichzeitig hohen Erwartungen der Politik.

Hinzu kommt: Derlei Biodiversitätskonzepte aus Zoologie und Botanik werden in der Mikrobiologie wohl nicht greifen. Denn viele mikrobielle Prozesse, etwa die Kohlenstoffmineralisation, erledigen dermaßen viele Bakterien-Gruppen, dass sich wahrscheinlich niemals eine Beziehung zwischen einer Artenvielfalt und dem Prozess herleiten lässt. Darin stimmten internationale Experten jüngst bei einer Konferenz weitgehend überein. Viel sinniger sei es, für Diversitäts-Projekte einen bestimmten Prozess wie die Methanoxidation herauszugreifen, hinter dem eine überschaubare Diversität steht. "Dann haben wir eine gewisse Chance, einiges Grundsätzliches zu lernen", sagt Frenzel. "Für uns ist die Identität der für einen Prozess entscheidenden Arten wichtiger als die Gesamtzahl der Arten überhaupt."

Stichwort Art: Die Definition einer Art ist bei Mikroorganismen ein zusätzliches Problem. Noch immer sind sich die Experten nicht einig, welche Merkmale aus Genetik und Stoffwechsel der Bakterien sie für die Abgrenzung verschiedener Arten heranziehen sollen. Derzeit orientiert sich zumindest ein Teil der Fachleute an den Unterschieden in der sogenannten 16S-rRNA (ribosomale Ribonukleinsäure) der Mikroben. Dabei handelt es sich um einen Baustein der Ribosomen, also der Eiweißfabriken des Einzellers.


Bakterien mit Vorliebe für Besondere Biotope

Angesichts all dessen verwundert nicht, dass Mikroorganismen im Biodiversitätshype bislang weitgehend fehlen. Obwohl sie einen wesentlichen Teil der Biomasse und Biodiversität auf unserem Planeten bilden und eine entscheidende Rolle in der Biogeochemie und damit in der Funktionalität der Ökosysteme spielen, werden sie in Umweltforschungsprogrammen und in den Debatten um den globalen Wandel weitgehend missachtet. "Es ist schwer, da ein Bein auf den Boden zu kriegen", klagt Frenzel. Auch, weil mikrobielle Gemeinschaften den Ruf genießen, unauslöschbar zu sein - scheinen sie doch überall präsent und extrem widerstandsfähig gegenüber Störungen zu sein. Vielfach ist das allerdings mehr Wunschdenken als Realität. Befeuert durch neue molekularbio-logische Untersuchungstechniken, finden Mikrobiologen in den wenigen untersuchten Fällen, dass mikrobielle Gemeinschaften bestimmte Biotope bevorzugen und sich eben nicht wahllos über die Erde verstreuen.

Sogar die eigentlich hoch flexiblen Lebensgemeinschaften von Bodenmikroben lassen sich empfindlich durch die Landwirtschaft stören, was zu einer Art "genetischer Erosion" der Mikroorganismen führen kann, die wiederum die Stabilität des gesamten Systems beeinträchtigt. Mehr noch: Bestimmte Gruppen von Mikroorganismen mit eingeschränkten Lebensräumen steuern viele wichtige Umweltprozesse. "Sind die Ökosysteme einmal gestört, dauert die Erholung solcher mikrobieller Lebensgemeinschaften unter Umständen Jahrzehnte", fürchtet der Marburger Experte. Selbst wenn sich ein Ökosystem letztlich erholt, kann trotzdem unumkehrbarer Schaden entstanden sein. Angesichts all dessen und des mangelnden Wissens war ein wegweisendes Projekt wie METHECO überfällig.

Und so gehen Frenzel und seine Kollegen aus neun Ländern seit 2006 regelmäßig auf Forschungsexkursion und nehmen Bodenproben aus verschiedenen Ökosystemen in verschiedenen Regionen. Sie analysieren Wälder und Wiesen, deren Methanoxidierer das Gas aus der Luft beziehen; sie beleuchten die Uferböden des Rheins, natürliche Feuchtgebiete wie Hochmoore und die Nassreisfelder. Den Marburger hat es unter anderem in die Arktis getrieben, nach Spitzbergen, wo sich internationale Teams die Klinke in die Hand geben: Europäer, Inder, Chinesen.


Mikrobiologen müssen sich bewaffnen

Die Verhältnisse sind ungemütlich: Eisige Temperaturen mit harschen Winden, selbst im Juli. Von der Koldewey-Station des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts starteten Frenzel und sein Team täglich zur Arbeit - allerdings nicht ohne Gewehr. "Mit der Knarre auf dem Rücken sind wir los", berichtet er, "dem Nachfolger-Modell einer alten 98K mit veritablem Rückstoß." Erst Schießtraining, um die Treffsicherheit zu schärfen, dann Wissenschaft - das ist Alltag da oben für die Forscher, denn jederzeit können Eisbären den Weg kreuzen, "und im Sprint darf man auch nicht zurück, weil man dann die Gänse aufscheucht."

So sieht man Frenzels Kollegin Mette Svenning mit Gewehr bei Fuß, während der Max-Planck-Forscher den "stocksteif gefrorenen" Torf-Boden mit simpler Ausrüstung bearbeitet und auf die Pirsch nach Methanoxidierern geht. Frenzel ist unterwegs mit seinen Mikroelektroden für die Sauerstoffmessung, einem Sack mit Spritzen und Nadeln und ein paar Plastikröhren für die Ernte der Mikroben sowie einem eigenen Gaschromatographen für erste Analysen. Mit den Röhren sticht er in den mit Wasser gesättigten Torf und zieht Bodenkerne heraus, die sofort in flüssigem Stickstoff eingefroren und noch vor Ort nach bakterieller Erbsubstanz untersucht werden. Flugs nimmt er noch ein paar Gasproben, um zu sehen, wie sich die Methan-Konzentration im Boden verändert.

Derlei Daten sind wichtig für die Auswertung im Labor, die sofort nach der Rückkehr ins mittelhessische Bergland beginnt. Sie ergab ein klares Bild: Im Frost gedeihen gerade mal zwei Arten, die Methan verwerten. Nach Frenzels Analysen steht auch fest, dass sie Methan oxidieren und es somit für die Erdatmosphäre unschädlich machen: "Die Burschen sind tatsächlich aktiv." Im Vergleich mit den jetzt einlaufenden METHECO-Daten der anderen Forschergruppen zeigt sich: Die Diversität der Methanoxidierer steigt, je weiter es in den Süden Europas geht. Frenzel erkennt eine artenarme bakterielle Flora im Arktischen und eine große Vielfalt im Mediterranen, mit vielleicht um die 30 Arten. Mit am höchsten scheint die Diversität in den Nassreisfeldern zu sein. Das ist das eine.

Das andere: Das Artenspektrum der Gemeinschaften unterscheidet sich abhängig vom Methan-Angebot. Je trockener das Habitat, desto geringer die Artenvielfalt.

Spannend allerdings erscheint Frenzel die Situation in den Mooren Estlands, wo sich trotz der nördlichen Lage hohe Raten an Methanoxidation beobachten lassen - wiewohl noch nicht klar ist, wie sich die Biodiversität dort gestaltet. Sie alle setzen Methan um, dessen Konzentration in den verschiedenen Lebensräumen variiert und in den nassen Habitaten mit am höchsten ist.


Amöben auf Mikrobenjagd

Die Marburger Wissenschaftler haben die Gemeinschaft der Methanoxidierer aus einem italienischen Nassreis-Anbaugebiet in den vergangenen Jahren auch als Teil des METHECO-Projekts, intensiv beleuchtet. Dabei sind sie einem Akt von Fressen und Gefressenwerden - sprich einer Nahrungskette - auf die Spur gekommen. Die Protagonisten: eukaryotische Einzeller (sogenannte Protisten) wie Amöben, Ciliaten und Flagellaten, die die Methan oxidierenden Bakterien förmlich abgrasen. Das jedenfalls vermuteten Peter Frenzel und sein Kollege Jun Murase von der Universität in Nagoya (Japan). Durch ein innovatives Laborexperiment haben die beiden Wissenschaftler die Nahrungskette jetzt zweifelsfrei nachgewiesen.

Aus Original-Nassreisboden aus Vercelli hat Murase Einzelteile dieses Ökosystems isoliert - den Boden, die Methanoxidierer und etliche eukaryotische Einzeller. Aus diesen "Komponenten" hat der Biologe einen künstlichen Mikrokosmos geschaffen, bestehend aus hauchdünnen Schichten sterilen Bodens und anschließender kontrollierter Besiedlung mit Methanotrophen und Protisten. Die biologischen Vorgänge dieses Ökosystems lassen sich mit neuen Techniken wie dem RNA stable isotope probing (SIP) kontrolliert messen. Bei diesem Verfahren setzen die Biologen mit schwerem Kohlenstoff markiertes Methan ein, das die Bakterien verwerten. Nachdem die Protisten wiederum die Bakterien konsumiert haben, bauen sie den Kohlenstoff des Methans in ihre Zellsubstanz ein - und das kann man nun nachverfolgen.


Die Suche nach den relevanten Stellgrößen

Durch ausgefeilte weitere Methodik haben Murase und Frenzel letztlich ermittelt, welche Bakterien bevorzugt als Nahrung dienen und wie sich das Ökosystem dadurch verändert - sprich, ob die Protisten eine entscheidende Stellgröße von Methan oxidierenden Systemen darstellen. Die Ergebnisse sind eindeutig: Die Protisten weiden sich an den Methanoxidierern und anderen Mikroben, was die Gemeinschaft der Bakterien verändert. Doch vor allem bestimmte Amöben bevorzugen bestimmte Gattungen der Methanoxidierer. "Der Druck durch die grasenden Protisten reguliert die Zusammensetzung des Ökosystems", erklärt Frenzel. Die Rate der Methanoxidation allerdings reduziert sich letzten Endes nicht - auch unter erhöhtem Stress durch die Fressfeinde der Bakterien. "Andere Arten springen offenbar ein und übernehmen den Job", folgert der Mikrobiologe.

Die Frage nach den Kontrollfaktoren für den Prozess Methanoxidation bleibt damit weiter spannend. Die Protisten als Stellgröße scheinen jedenfalls aus dem Rennen zu sein. Jetzt denkt Frenzel in neue Richtungen. Beispielsweise fixieren die Bakterien das Gas mit einem Enzym namens Methanmonooxidase, das in zwei Formen vorkommt. Eine Variante enthält Eisen, die andere Kupfer. "Es gibt sogar methanotrophe Bakterien, die ein eigenes Vehikel bilden, um Kupfer aus der Umwelt löslich zu machen und in die Zelle zu schaffen." Könnten also auch bestimmte Mikronährstoffe wie Kupfer den Prozess der Methanoxidation mit kontrollieren und limitieren?


Stickstoffdüngung macht manchen Arten den garaus

Die Stickstoffversorgung im Boden gilt hingegen seit Jahren zumindest unter bestimmten Bedingungen als "eine entscheidende Stellgröße für die Methanoxidation." Die methanotrophen Arten nutzen Stickstoff unterschiedlicher Form: Manche fixieren Luftstickstoff, manche assimilieren aber auch den Stickstoff in Ammonium oder Nitrat, in Aminosäuren oder Harnstoff. Jetzt sind die Forscher dabei, den limitierenden Faktor bei Methanoxidierern aus unterschiedlichen Biotopen genauer zu beleuchten. Etwa aus den Nassreisfeldern im norditalienischen Vercelli, die die Marburger Mikrobiologen in- und auswendig kennen. Immer mehr Menschen konsumieren immer mehr Reis - entsprechend düngen die Bauern stärker denn je auch mit Stickstoff, um die Reisernte zu steigern. Was wiederum Folgen haben könnte für die Methanoxidation.

Zunächst zeigte sich, dass Stickstoff im Übermaß die Methanoxidation behindert. Die Erkenntnis galt als regelrechtes Dogma, ehe Frenzels Team entdeckte: Das stimmt nur bedingt. "Wenn die viel Methan haben, dann vertragen die auch verdammt viel Ammonium", sagt er, "locker bis zum Hundertfachen." Allerdings verschiebt sich bei Düngung das Spektrum der methanoxidierenden Arten, das heißt, das Ökosystem verändert sich. Matthias Noll, Peter Frenzel und Ralf Conrad, Direktor am Marburger Max-Planck-Institut, hatten Reisboden aus Vercelli ins Hessische verfrachtet, einen Teil davon gedüngt, einen anderen nicht, und mit einer neuen molekulargenetischen Technik analysiert, die aktive Methanoxidierer sehr genau aufspüren kann.

Nur im gedüngten Boden selektierten sich zwei Bakterien-Gattungen heraus: Methylomicrobium und Methylocaldum. Alle anderen Arten hatte die Stickstoff-Flut förmlich platt gemacht. Ob die Artenverarmung die Methanoxidation sinken lässt, ist noch offen. Insgesamt aber, resümiert der Wissenschaftler, ist das System Methanoxidation zumindest an den meist nassen Standorten mit hohen Methankonzentrationen "verdammt robust und weitgehend resistent gegen Stress".


Die Sensibelchen unter den Methanfressern

Methanverwerter aus wechselfeuchten Böden indes scheinen schon anfälliger zu sein, wie das Max-Planck-Forschungsteam von Werner Liesack festgestellt hat. Die Mikrobiologen haben einen Organismus kultiviert, der offenbar ein völlig neues Enzym für die Methanoxidation besitzt - falls die Methankonzentration im Ökosystem sinken sollte. Diese Variante des Biokatalysators arbeitet wesentlich effektiver als das meist verbreitete Enzym für diese Zwecke. "Damit können die betreffenden Bakterien noch bei niedrigen Methankonzentrationen überleben." Zwar liegen für Methanoxidierer in eher trockenen Habitaten wie Wald- und Wiesenböden erst wenige und vorläufige Erkenntnisse vor. Doch nach ersten METHECO-Analysen sind die dortigen Organismen wohl "echte Sensibelchen", sagt Frenzel, "eine richtige Stickstoff-Düngung macht die nieder".

Es sind derlei Habitate, die nach Ansicht von Paul Bodelier geschützt werden sollten. Frenzels ehemaliger Mitarbeiter, jetzt im Niederländischen Institut für Ökologie in Niewersluis, sieht "gute Gründe, um anzunehmen, dass solche Methan oxidierenden Ökosysteme zukünftig durch Umweltstressoren geschädigt werden könnten." Der an METHECO beteiligte Biologe denkt an Veränderungen des pH-Wertes im Boden oder an mechanische Störungen. Wenn Bauern etwa den Boden umpflügen, gerät das empfindliche räumliche Arrangement der Mikroorganismen langfristig durcheinander. "Ich kann das zwar noch nicht beweisen, bin aber überzeugt davon, dass die Methanoxidation darunter leidet." Ähnlich verheerend könnte sich eine Stickstoffdüngung dieser Böden auf das Ökosystem auswirken.

Ganz zu schweigen vom Klimawandel und seinen möglichen Folgen wie zunehmender Trockenheit oder dem Auftauen des arktischen Permafrostbodens. Niemand kann derzeit sagen, wie die mikrobiellen Ökosysteme im Permafrost auf diese Veränderung reagieren würden. Immerhin enthält der arktische Permafrost rund 14 Prozent des weltweiten Boden-Kohlenstoffs, der bei wärmerem Klima größtenteils als Methan freigesetzt werden könnte. Was die Klimamodellierung angeht, wertet Peter Frenzel seine Arbeiten einstweilen als "Grundlagenforschung". Zwar spielt die Methanoxidation eine maßgebliche Rolle im Kampf gegen den Treibhauseffekt. Doch existieren derzeit nur wenige Klimamodelle, "die diese komplexen Dinge im Boden und die möglichen Stellgrößen der Methanoxidation abbilden können."


Projekt
METHECO ist ein internationales Projekt, das im Rahmen des EuroDIVERSITY-Programms von der European Science Foundation (ESF) betreut wird.

Projektkoordinator
Professor Peter Frenzel, Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie, Marburg

Partner
Folgende Partner sind mit individuellen Projekten an METHECO beteiligt:

Dr. Paul L.E. Bodelier, Netherlands Institute of Ecology, Niederlande
Dr. Levente Bodrossy, ARC Seibersdorf Research GmbH, Österreich
Professor Gunnar Börjesson, Swedish University of Agricultural Sciences, Schweden
Professor Peter Frenzel, Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie, Deutschland
Dr. Geneviève Grundmann, University Claude Bernard - Lyon I, Frankreich
Dr. Steffen Kolb, Universität Bayreuth, Deutschland
Professor Pertti Martikainen, University of Kuopio, Finnland
Professor J. Colin Murrell, University of Warwick, Großbritannien
Dr. Werner Liesack, Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie, Deutschland
Professor Mette M. Svenning, University of Tromsø, Norwegen


Glossar

Eukaryoten
Lebewesen mit Zellkern und Zellmembran.

Protisten
eukaryotische, ein- bis wenigzellige Lebewesen wie Algen, Schleimpilze und Protozoen.

Prokaryoten
Lebewesen, die keinen Zellkern besitzen, wie beispielsweise Bakterien. Die DNA befindet sich bei ihnen frei im Zytoplasma.

16S-rRNA
Die Ribosomen von Prokaryoten enthalten stets drei unterschiedlich große Moleküle ribosomaler Ribonukleinsäure (rRNA). Die Größe dieser rRNAs wird in der Einheit Svedberg angegeben, daher das "S".

Schwerer Kohlenstoff
Kohlenstoff hat zwei stabile Isotope, 12C und 13C, d.h. die Atomkerne haben eine gleiche Anzahl Protonen, aber eine unterschiedliche Anzahl von Neutronen, was zu ungleichen Massenzahlen führt. Deshalb spricht man bei 13C von schwerem Kohlenstoff.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Bildunterschrift 1:
Methanoxidierer - das sind Bakterien, die in ihrem Stoffwechsel Methan verarbeiten können - zählen zu den wenigen Organismen, die im nährstoffarmen Hochmoor bestens gedeihen. In den Mooren Estlands lassen sich erstaunlich hohe Raten an Methanoxidation beobachten.

Bildunterschrift 2:
Für Peter Frenzel ist das Studium der Methanverwerter alles andere als einfach. Hier muss der Mikrobiologe über ein hölzernes Provisorium robben, um Proben aus einem estländischen Hochmoor entnehmen zu können.

Bildunterschrift 3:
Obwohl sie einen wesentlichen Teil der Biomasse und Biodiversität auf unserem Planeten bilden und eine entscheidende Rolle in der Biogeochemie und damit in der Funktionalität der Ökosysteme spielen, werden Mikroorganismen in Umweltforschungsprogrammen und in den Debatten um den globalen Wandel weitgehend missachtet.

Bildunterschrift 4:
Die Forscher haben einen künstlichen Mikrokosmos geschaffen, der aus hauchdünnen Schichten sterilen Bodens besteht und unter kontrollierten Bedingungen mit Bakterien und ihren Fraßfeinden - Amöben und Flagellaten - besiedelt wird.

Bildunterschrift 5:
Vom Süden zum Norden Europas hin nimmt die Artenvielfalt der Methanoxidierer ab. Während die Forscher in den Nassreisfeldern Norditaliens bis zu 30 methanothrophe Bakterienarten finden, reduziert sich ihre Zahl in der Arktis auf zwei.

Bildunterschrift 6:
In der Arktis starten die Max-Planck-Forscher von der Koldewey-Station - benannt nach Carl Koldewey, dem Leiter der ersten deutschen Nordpolarexpedition im Jahre 1868 - des Alfred-Wegener-Instituts zur täglichen Arbeit. Die besteht u.a. darin, mit Röhren (vorne) Bodenkerne aus dem mit Wasser gesättigten Torf herauszuziehen.


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 1/2009, Seite 72 - 79
Herausgeber: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2009