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FORSCHUNG/1549: Umweltchemikalien effizienter bewerten (Umwelt Perspektiven)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ
Umwelt Perspektiven
Der UFZ-Newsletter - Mai 2019

PROJEKT
Umweltchemikalien effizienter bewerten

von Benjamin Haerdle


Prozesse von Verbleib, Stoffwandlung, Abbau und Wirkung von Chemikalien unter realen Umweltbedingungen besser zu verstehen und neue Konzepte für die Bewertung von Umweltchemikalien zu erarbeiten, ist Gegenstand der Forschung im UFZ-Themenbereich Chemikalien in der Umwelt. Die im Februar offiziell eingeweihte Technologie-Plattform CITEPro (Chemicals in the Environment Profiler) soll nun helfen, die Analyse und Bewertung von Umweltchemikalien effizienter zu gestalten. Möglich wird das vor allem durch die Automatisierung von Teilprozessen bei der Probenvorbereitung, der Exposition von Zellkulturen und Wasserorganismen mit Einzelstoffen, Mischungen und Umweltproben sowie der chemischen Analyse.


Das Risiko von chemischen Stoffen für Mensch und Umwelt ist seit Jahrzehnten ein Dauerthema. Immer wieder geraten einzelne Stoffe in das Blickfeld öffentlicher Debatten oder in die Schlagzeilen. Der derzeitige Ansatz, mit dem das Gefahrenpotenzial von Chemikalien bewertet wird, beruht auf Einzelkomponenten. Die reale Welt ist jedoch von multiplen Belastungen mit verschiedenen Komponenten - Chemikaliencocktails - geprägt. Deshalb empfehlen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, bei der Überwachung der Gewässerqualität die chemische Analytik einzelner Schadstoffe wo immer möglich mit effektbasierten Methoden - wie etwa biologischen Wirkungstests - zu ergänzen. So würden alle Stoffe erfasst, die in Mischungen zusammen wirken. Diese biologischen Wirkungstests sind das Herzstück der neuen Forschungsplattform CITEPro. Rund vier Millionen Euro haben der Bund sowie die Bundesländer Sachsen und Sachsen-Anhalt insgesamt in ihren Aufbau investiert.

Hinter CITEPro verbirgt sich kein singuläres Forschungsgroßgerät. Vielmehr besteht es aus mehr als 20 Einzelgeräten, die je nach Fragestellung modular genutzt werden können. Dazu gehören Geräte für die Probenvorbereitung, bei der Chemikaliengemische aus Umweltproben (etwa aus Sedimenten oder Blut) extrahiert, konzentriert und gereinigt werden können. Hinzu kommen hochauflösende analytische Geräte, mit denen sich Konzentrationen in Umweltproben und in Biotests messen lassen sowie verschiedene Biotestverfahren, die Auskunft über die Wirkung von Chemikalien auf lebende Zellen von Säugetieren, Bakterien und Algen oder ganze Organismen, wie Fischembryonen, geben. Das Besondere der Biotests, die in CITEPro zum Einsatz kommen, ist, dass sie mit einer sehr hohen Durchsatzleistung arbeiten können.

Beim Hochdurchsatz-Biotest mit Säugetierzellen etwa stellen Pipettierroboter Verdünnungen von Chemikalien, Mischungen und Umweltproben her - als Einzelproben oder alternativ mit einem auf einer Drucker-Technologie basierenden Dispenser als komplexe Mischungen. Da diese Arbeitsschritte in Mikrotiterplatten stattfinden, verringert sich die für diese Tests erforderliche Probenmenge im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren deutlich. Nach der Übertragung der verdünnten Proben auf die in Mikrotiterplatten ausgesäten Zellen wird der Versuch 24 Stunden inkubiert, um im Anschluss mit einem automatisierten Mikroskop Bilder aufnehmen zu können. Mithilfe von automatischer Bildanalyse kann anschließend die Zytotoxizität der Chemikalien ermittelt werden. Zusätzlich werden nach der Mikroskopie Substrate zu den Zellen hinzugegeben. Sie ermöglichen eine Messung von spezifischen Wirkmechanismen mit einem Plattenlesegerät. "Wir können künftig also in der gleichen Zeit deutlich mehr Proben analysieren als bislang und uns damit auch bei epidemiologischen Studien und Studien zur Umweltbeobachtung mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung engagieren. Durch die Automatisierung senken wir zudem die Fehlerquote und können Experimente deutlich systematischer durchführen", benennt Prof. Beate Escher, die Initiatorin von CITEPro, die Vorteile.

Ähnlich effizient lässt sich in CITEPro auch testen, wie sich Chemikalien auf Fischembryonen auswirken - als Alternative zu Tierversuchen. UFZ-Bioanalytiker Dr. Stefan Scholz nutzt Zebrafisch-Embryonen, um beispielsweise die Einflüsse von Chemikalien auf die zelluläre Entwicklung eines Organismus zu untersuchen, Umweltproben zu analysieren oder die Interaktion mit dem Nervensystem zu beschreiben. "Unsere Forschung profitiert extrem von CITEPro", sagt er. Ein Beispiel dafür ist die VAST-Technology (Vertebrate Automated Screening Technology). Sie ermöglicht es, Merkmale in Fischembryonen automatisiert zu analysieren und zu quantifizieren. Dabei nimmt das VAST-System die Embryonen aus einer Mikroplatte auf und positioniert sie in einer Kapillare so, dass eine Kamera je nach Bedarf hochaufgelöste (Fluoreszenz)-Bilder und Videos aufnimmt. Mithilfe des FishInspectors, einer am UFZ entwickelten Open Source-Software, können Strukturmerkmale extrahiert werden, die Auskunft darüber geben, ob eine gestörte Entwicklung vorliegt oder nicht - etwa wie stark die Wirbelsäule gekrümmt ist, wie lang der Embryo ist oder wie groß die Augen sind. Bisher oblag diese Einschätzung Mitarbeitern des Labors. "Durch die VAST können wir subjektive Faktoren bei der phänotypischen Beurteilung weitgehend ausschließen", sagt Scholz. VAST könnte künftig helfen, die Diagnostik von Chemikalien und Umweltproben zu verbessern. Auf Basis der automatisch ermittelten Effektmuster kann dann ein Rückschluss auf den Wirkungsmechanismus und die vorliegenden Chemikalien erfolgen.

Doch die Forschung von Stefan Scholz wird von CITEPro noch mehr profitieren. So ist derzeit für das UFZ ein weiteres Gerät im Bau, das die automatische Sortierung der Fischeier übernehmen soll. Bis zu 10.000 Eier lassen sich täglich in den Laboren des UFZ gewinnen, doch nutzbar für die Forschung sind nur jene, die befruchtet sind. Um diese von den unbefruchteten, nicht entwicklungsfähigen Eiern zu trennen, wurden sie bisher mit großem Zeitaufwand nach einem Blick durchs Mikroskop getrennt.

Dies sind nur einige wenige Beispiele, aber schon sie zeigen, dass CITEPro deutlich mehr ist als nur eine Ansammlung von Hardware-Geräten. "Dahinter steckt das Konzept, Stoffe in der Umwelt nicht mehr Stoff für Stoff, sondern als Mischung zu analysieren, um so Stoffmischungsaktivitäten zu erfassen und zu beschreiben", sagt Beate Escher und betont: "Eine solche Infrastruktur ist in Deutschland im Bereich der Umweltwissenschaften einmalig und auch in Europa eine Seltenheit."


Prof. Dr. Beate Escher

Leiterin des Departments Zelltoxikologie

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Quelle:
Umwelt Perspektiven / Der UFZ-Newsletter - Mai 2019, Seite 14 - 15
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Oktober 2019

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