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ENERGIE/144: Die Sahara-Sonne - Für wen und für was ? (Solarzeitalter)


Solarzeitalter 1/2009
Politik, Kultur und Ökonomie Erneuerbarer Energien

Editorial
Die Sahara-Sonne: Für wen und für was ?

Von Hermann Scheer


Seit den 50er Jahren ist es in der Diskussion: das Sahara-Sonnenprojekt. Zu der Zeit war die einzige vielversprechende Technologie zur Stromerzeugung aus solarer Strahlung die der solarthermischen Kraftwerke. Diesen galt das Augenmerk der französischen Solarforscher, die daran am seinerzeit einzigen weltweit nennenswerten Solarenergie-Forschungsinstitut in Algier arbeiteten. Die Photovoltaik war noch unbekannt. Solarthermische Kraftwerke erfordern einen weitgehend dunstfreien Himmel, weshalb Wüstengebiete sich dafür besonders eignen.

Überdies gehörte seinerzeit Algerien offiziell zu Frankreich, war also mehr als eine Kolonie. Frankreichs besonderes Interesse galt dem Ziel der Energieautonomie aus Gründen nationaler Souveränität. Doch der Plan, Algerien mit solarthermischen Kraftwerken zum Standort der französischen Stromerzeugung zu machen, wurde 1961 aufgegeben, nachdem Algerien - nach langen und blutigen Kämpfen - 1960 seine nationale Selbständigkeit erkämpft hatte. Das Institut in Algier wurde geschlossen und die französische Solarforschung aufgegeben.

Dennoch flammt, über Frankreich hinaus, immer wieder die Idee auf, den Strombedarf für Europa aus solarthermischen Kraftwerken in der Sahara zu decken. Es klang und klingt bestechend: 2,7-mal so viel Solarstrahlung pro Quadratmeter als in Mitteleuropa, was vorschnell und oberflächlich gleichgesetzt wird mit 2,7-mal mehr Strom pro Solaranlagen-Investition. Und 8 Mio. km2 Wüstenfläche, obwohl 300.000 km2 Solarfläche für den gesamten Weltenergiebedarf ausreichen würden.

Und überall könne ansonsten alles so bleiben wie es ist.

Noch Ende der 80er Jahre galten solarthermische Kraftwerke als das Highlight der Solarstromerzeugung. Das leuchtende Beispiel war die 280 MWAnlage in Kalifornien. Zu diesem Zeitpunkt waren weltweit läppische 30 MW PV-Module installiert, zu deutlich höheren Kosten pro installierte Kapazitätsmenge. Heute sind weltweit 10.000 MW PVModule installiert, demgegenüber stehen etwa 500 MW solarthermischer Kraftwerkskapazitäten.

Die zentralen Gründe dafür: Für PV-Installationen kommen zahllose Betreiber in Frage, während solarthermische Kraftwerke Projekte für Kraftwerksgesellschaften sind. Erstere können überall installiert werden, letztere nur in Regionen mit dunstfreiem Himmel. Die Einfachheit und Vielfalt der PV-Technologie macht breites Engagement möglich ohne gesonderten Infrastrukturbedarf, was ein dynamisierender Faktor ist. Wäre 1999/2000, als zunächst das 100.000-Dächer-Programm in Deutschland startete und dann das EEG kam, stattdessen auf 5.000 MW solarthermischer Stromerzeugung - so viel wie es heute PV-Installationen in Deutschland gibt - gesetzt worden, so wäre wahrscheinlich noch kein Solarstrom in Deutschland angekommen. Allein der Leitungsbau hätte mehr Planungs- und Erstellungszeit in Anspruch genommen.

Hinzu kommt, dass die These vom billigen Solarstrom, wenn dieser aus Nordafrika nach Mitteleuropa kommt, durchaus fragwürdig ist. Wirtschaftlich ist nicht das Verhältnis von Solarstrahlung und Stromertrag die entscheidende Rechnungsgröße, sondern das zwischen tatsächlichem Gesamtinvestitionsbedarf und Stromertrag. Der unermessliche Vorteil dezentraler Stromerzeugung ist, dass dadurch Systemkosten vermieden werden können, die bei zentraler Stromerzeugung unerlässlich sind. Und nicht zuletzt: ein Sahara-Strom-Projekt für Europa wäre das erste Großprojekt, das nur so viel kostet, wie am grünen Tisch errechnet worden ist. Zu den unkalkulierbaren wirtschaftlichen Risiken gehören nicht zuletzt unvermeidbare Zeitverzögerungen der Realisierung des Leitungsbaus, die einen Kapitalrückfluss verschleppen und damit die Zinslasten erhöhen. Und zu den politischen Risiken gehört, dass Pläne für die angeblich viel effektivere Solarstromlieferung schon jetzt dazu missbraucht werden, die Solarstromerzeugung in Europa zu denunzieren und möglichst zu kappen. Dass das die voraussehbare nächste Angriffslinie gegen das EEG ist, pfeifen jetzt schon die Spatzen von den Dächern der Stromkonzerne.

Was heißt das? Solarstromerzeugung in der Sahara ist ein Ansatz für die Saharastaaten selbst, für die Versorgung der Großstädte wie Rabat oder Casablanca, für Algier oder Oman, Alexandria oder Kairo. Wenn sie den Storm selber nutzen, und die EU ihnen dabei angemessen hilft, haben sie die unmittelbare Chance zu dauerhaft kostengünstiger Stromerzeugung. Sie haben als Selbstnutzer einen komparativen Kostenvorteil, um bei sich solche Industrien aufzubauen, die stromintensiv sind. Denken wir nur an die Bauxit-Vorkommen in dieser Region, die mit Hilfe eigener Solarstromerzeugung die Aluminiumwerke der Zukunft ermöglichen. Das ist dann ein Sahara-Solarstrom Ansatz, mit dem sie über ihren Eigenbedarf hinaus punkten können.


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Quelle:
Solarzeitalter 1/2009, 21. Jahrgang, S. 1-2
Politik, Kultur und Ökonomie Erneuerbarer Energien
Redaktion: EUROSOLAR e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2009