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BUCH/625: Joachim Radkau - "Die Ära der Ökologie - Eine Weltgeschichte" (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 164 - Oktober/November 2011
Die Berliner Umweltzeitung

Die Ära der Ökologie
Eine Weltgeschichte

von Reinhard Piechocki, Insel Vilm


Mit diesem Buch soll die "Erste Weltgeschichte der grünen Bewegung" (Klappentext) vorgelegt werden. Bei der Vielfalt an Problemfeldern und geschichtlichen Wurzeln sowie der unterschiedlichen Entwicklungen in den verschiedenen Regionen der Welt scheint die Aufgabe fast unlösbar. Man muss daher dem Historiker Joachim Radkau ein großes Kompliment machen, angesichts dieser Komplexität ein so gut lesbares und hochinteressantes Buch geschrieben zu haben. Zu den Stärken Radkaus gehört es, dass er Geschichte immer wieder in Geschichten auflöst und durch eine Vielzahl von Episoden und Ereignissen die Zusammenhänge in einer anschaulichen und interessanten Weise dem Leser vermittelt.

Der Titel des Buches "Die Ära der Ökologie" macht deutlich, dass für Radkau mit der weltweiten Ökologiebewegung ein neues Zeitalter begonnen hat. Die Metapher vom "Zeitalter der Ökologie" wird im Buch mehr als einhundert Mal gebraucht. Dies ist symptomatisch für die Ökologisierung unserer Alltagssprache. Eine unübersehbare Fülle an neuen Öko-Begriffen prägt seit mehr als drei Jahrzehnten unsere Sprache. Mühelos lässt sich auch in Radkaus Texten das Alphabet mit Ökobegriffen durchbuchstabieren: Öko-Apokalypse, Öko-Bewegung, Öko-Clique, Öko-Diktatur, Öko-Ethologie, Öko-Feminismus, Öko-Geschichte, Öko-Institute, Öko-Jargon, Öko-Kratie, ÖkoLogismus, Öko-Mythos, Öko-Netzwerke, Öko-Pax, Öko-Romantik, Öko-Szene, Öko-Topien, Öko-Wende.

Ins Exponentielle wächst die Vielzahl neuer Begriffsschöpfungen, wenn man einbezieht, was heute alles als ökologisch bezeichnet wird. Die Palette reicht bei Radkau vom "ökologischen Fundamentalismus" über die "ökologische Revolution" bis hin zum "ökologischen Selbstmord". Auch wenn man dieses Buch als gelungen, ja bahnbrechend bezeichnen kann, muss dennoch eine Fehlstelle benannt werden: der Autor verzichtet weitgehend auf die Fragestellung, warum eine Wissenschaft wie die Ökologie zum Wortgeber für eine neue Weltanschauung wurde.

Warum bleibt in diesem Buch die Wissenschaft Ökologie weitgehend ausgeblendet? Radkau würde sicher antworten, dass er als Historiker die facettenreiche Geschichte der Ökologiebewegung darstelle, er aber kein Ökologe sei und deshalb auch nicht die Geschichte der ökologischen Wissenschaft thematisieren wolle. Lässt sich mit solch einer Ausklammerung das "Zeitalter der Ökologie" tatsächlich beschreiben? Warum ist die Ökologie zur Leitwissenschaft einer Bewegung geworden, deren Ideologie völlig konträre Positionen fusionieren will: Zum einen wird innerhalb der Ökologiebewegung die Rückkehr zur Natur und die Einbettung des Menschen in das Naturgeschehen gefordert, zum anderen werden technokratische Träume von ökologischer Supertechnik entwickelt, in der durch vernetztes Denken Natur nicht länger zerstört, sondern endgültig beherrscht werden soll.

Eine Erklärung für diese eigenartige Synthese von Einbettungs-Utopien und Beherrschungs-Utopien kann man nur bekommen, wenn man sich mit den ideengeschichtlichen Wurzeln der Ökologie als Naturwissenschaft befasst. Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften, die nur abstrahierte Segmente von Natur erforschen (wie zum Beispiel Atome, Moleküle und Gene) widmet sich die Ökologie dem Naturganzen. Während in den modernen Naturwissenschaften ein aufklärerisches Ideal einer abstrahierten und quantifizierbaren Natur vorherrscht, reaktivierte die Ökologie ein konservatives Naturideal, in dem die Ganzheit als lebender Organismus im Zentrum steht.

Daher war auch die Ökologie Ende des 19., Anfang des 20 Jahrhunderts geprägt vom Organizismus und von der holistischen Hintergrundphilosophie. In Opposition gegen den Holismus, der ein dezidiert antiszientistisches Phänomen war, hat Mitte der 1930er Jahre der britische Pflanzenökologe Arthur Tansley den Begriff Ökosystem geprägt und auf diese Weise die Ganzheit der Holisten als Begriff operationalisiert und den Weg eröffnet, das Ganze selektiv abstrahierend zu analysieren durch eine physikalische Betrachtungsweise. In diesem neuen Ökosystemansatz hat Tansley den Holismus-Organizismus mit dem Szientismus in einer Weise verbunden, die der Ökologieentwicklung einen enormen Schub gab und andererseits die Grundlage für das spätere ökologische Weltbild legte. Es ist zu bedauern, dass Radkau die vielen Autoren, die sich gerade in Deutschland in den letzten zwei Jahrzehnten mit den ideengeschichtlichen Grundlagen der Ökologieentwicklung befassten (Ulrich Eisel, Ludwig Trepl, Thomas Potthast, Uta Eser, Kurt Jax, Stefan Körner, Annette Voigt, Angelika Weil, Astrid Schwarz, Thomas Kirchhoff und andere), in seinem Buch nicht berücksichtigt hat.

Bedingt durch die weitgehende Ausblendung der ideengeschichtlichen Hintergründe der Ökologie postuliert Radkau eine problematische These: Für ihn ist die Ökologiebewegung "die neue, wahre Aufklärung unseres Zeitalters". Die Aufklärung ist aber geprägt durch die Subjektwerdung des Menschen und den Anspruch auf Naturbeherrschung. Im Gegensatz dazu vertreten die Repräsentanten der Ökologiebewegung häufig die These von der notwendigen Rückkehr zur Natur und von der Einordnung des Menschen in das Gefüge der Natur. Und diese Ideen gehen zurück auf die Gegenaufklärung des 18. Jahrhunderts, die sich in der Romantik zeigte. Fazit: Radkau hat ein fulminantes Werk über die facettenreiche Umweltgeschichte verfasst, aber das Buch über die das komplexe Beziehungsgefüge von Ökologie als Wissenschaft und Ökologie als Weltanschauung muß erst noch geschrieben werden.

Joachim Radkau:
Die Ära der Ökologie
Eine Weltgeschichte
C.H. Beck, München 2011
782 Seiten, 29,95 Euro
ISBN 978-3-406-61372-2


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Quelle:
DER RABE RALF - 22. Jahrgang, Nr. 164 - Oktober/Novembers 2011, S. 23
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2011