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BUCH/619: Reinhard Piechocki - Landschaft, Heimat, Wildnis (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 160 - Februar/März 2011
Die Berliner Umweltzeitung

Naturschutz in der Sackgasse
Landschaft, Heimat, Wildnis - das neue Buch des Biologen Reinhard Piechocki

Von Doreen Milius


Der Naturschutz, wie er heute begründet und praktiziert wird, findet immer weniger Akzeptanz bei der Bevölkerung. Wie konnte es dazu kommen und wie ließe sich dieser Entwicklung entgegenwirken in einem Zeitalter, wo Naturschutz wichtiger denn je ist? Solchen Fragen stellt sich der Biologe Reinhard Piechocki, der für die Internationale Naturschutzakademie Insel Vilm tätig ist, in seinem neuen Buch.

Das Buch beginnt mit einem aufrüttelnden Zitat, das ein zutiefst erboster Bürger auf einer Naturschutztagung den dort zahlreich versammelten Naturschützern entgegenschleuderte: "Ich liebe die Natur, aber ich hasse die Naturschützer." Dieser Satz, so der Autor, ist symptomatisch für die Haltung eines Großteils der Bevölkerung, die sich von der Praxis des "Schutzes der Natur vor dem Menschen" nicht mitgenommen fühlen. Dass die Natur "um ihrer selbst willen" zu schützen sei, ist für Piechocki kein ausreichendes Argument, um die Menschen von der Dringlichkeit des Naturschutzes zu überzeugen - obwohl dieser sogenannte Eigenwert der Natur 2002 sogar Eingang ins Bundesnaturschutzgesetz fand.

Die Ausweisung von über 20.000 Schutzgebieten und 15 Nationalparks zählt zu den Erfolgen der 200-jährigen Naturschutzbewegung, deren Vereine und Verbände heute weit mehr Mitglieder zählen als alle politischen Parteien in Deutschland zusammen. Doch der Autor spricht von einem Pyrrhussieg. Das Problem ist für ihn die in der Vergangenheit entwickelte Argumentationsweise der Naturschützer. Piechockis Kernthese ist, dass die kulturelle Dimension des Naturschutzes immer mehr verdrängt wurde und dass nur eine Wiederbelebung der kulturellen Argumentationsmuster die Mehrheit der Menschen für die Natur und ihren Schutz sensibilisieren kann: nämlich für eine erlebbare, heimatlich gewachsene Kulturlandschaft. Die Einrichtung nicht betretbarer Sperrzonen führe eher zu Naturentfremdung und sei damit kontraproduktiv für den Naturschutz.

Als Auslöser dieser Fehlentwicklung macht der Autor ausgerechnet die Ökologiebewegung aus. Angesichts der immer deutlicher sichtbaren Umweltzerstörung in den 1970er-Jahren entwickelte die neue Umweltbewegung eine radikale ökologische Ethik, die nicht mehr den Menschen, sondern die Natur ins Zentrum stellte und zum "Maßstab für sittliches Handeln" machte.

In vier großen Kapiteln analysiert Piechocki sehr weit ausholend die philosophischen Grundideen und Erkenntnisse, die schließlich in der Naturschutzbewegung mündeten, und bettet diese in die verschiedenen geschichtlichen Epochen mit ihren sich wandelnden politischen Weltbildern und Werten ein. Die Entstehung naturschutzbezogener Begriffe wird im historischen Kontext nachvollziehbar, ihre Wortschöpfer werden vorgestellt. Kurzbiografien und Zitate wichtiger Persönlichkeiten untermauern die Fakten. Tabellen und Gegenüberstellungen veranschaulichen die komplexen kulturhistorischen Zusammenhänge und fassen sie zusammen. So mutet das Werk in weiten Teilen eher wie ein Geschichtsbuch zur kulturhistorischen Entwicklung des Naturschutzgedankens an.

Doch im Epilog bekennt der Autor noch einmal Farbe und erklärt an Beispielen, wie es im Naturschutz zu den akzeptanzverhindernden Fehlentwicklungen kam. Ein Beispiel sind die Warnungen von Naturschutzaktivisten vor Umweltkatastrophen, vor allem die Drohung mit dem bevorstehenden Waldsterben Anfang der 1980er-Jahre: "Erst stirbt der Wald, dann der Mensch!" Nach dem Ausbleiben dieses Horrorszenarios verlor für Piechocki die gesamte Ökologiebewegung an Glaubwürdigkeit. Allerdings vergisst der Autor dabei, dass die ausgebliebene Katastrophe gerade ein Verdienst des Natur- und Umweltschutzes war, der die Menschen endlich wachrüttelte, und dass seit jenen Tagen die industrielle Luft- und Gewässerverschmutzung sehr stark abgenommen hat.

Als Fazit plädiert Piechocki noch einmal für die Erfahrbarkeit der Natur ohne Ausgrenzung des Menschen, in der Liebe zur Natur erst entstehen und gedeihen kann. Das Buch gewährt dem interessierten Leser einen äußerst profunden Einblick in Geschichte und Philosophie des Naturschutzes, an dessen Ende der engagierte Aufruf zum Umdenken steht.


Reinhard Piechocki
Landschaft, Heimat, Wildnis
Schutz der Natur - aber welcher und warum?
C.H. Beck, München 2010
272 Seiten, 14,95 Euro
ISBN 978-3-406-54152-0


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Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 160 - Februar/März 2011
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2011