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BUCH/616: Gärten und Politik - Vom Kultivieren der Erde (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 158 - Oktober/November 2010
Die Berliner Umweltzeitung

Gärten und Politik
Vom Kultivieren der Erde

Von Anne Holl


Welchen Raum und welche Rolle wollen wir Menschen der Natur in der Welt einräumen? Diese Leitfrage ließe sich dem Sammelband "Gärten und Politik", herausgegeben von der Kulturhistorikerin Brita Reimers, voranstellen.

Das Buch liest sich zunächst als Ideengeschichte der Gartenkunst und Mensch-Natur-Beziehung seit der Renaissance. Über Konzepte des Barock, der Aufklärung oder der Reformbewegung vor 100 Jahren mündet der Abriss in derzeitige Gartendebatten. Dabei thematisieren die meisten der 21 Beiträge die Funktion öffentlichen Grüns aus städtebaulicher oder kunsttheoretischer Sicht.

Dazu treten ganz persönliche Gartengeschichten - etwa die der Reformpädagogin Alma d'Aigle, für die wahre Bildung aus dem Naturerleben erwuchs. Oder die prominenter Gefängnisinsassen wie Nelson Mandela, dem ein kleines Beet hinter den Mauern Hoffnung gab. Auf die eher historischliterarisch anmutenden Texte prallen Berichte aktueller Garten-Konflikte: die Verteidigung von Migranten- und Gemeinschaftsgärten, Kunstaktionen und Guerilla Gardening oder der selbst bestimmte Umgang mit Saatgut im Garten.

Wie Sammelbänden eigen - das Buch erwuchs einer Vortragsreihe in Hamburg - wählen die Autoren ganz unterschiedliche Perspektiven. Und auch das, was implizit als Garten, Natur und schließlich Politik begriffen wird variiert von einem Beitrag zum andern. Dennoch gibt es wiederkehrende Motive und Grundfragen, die die Ansätze verknüpfen: Wie viel Kontrolle über Grün brauchen wir? Können wir heute Gärten und Landschaften noch "lesen", ihr natürliches Wesen erkennen und gleichzeitig ihre Menschen-gemachte-Geschichte? Wer erhält Zugang zu den Paradiesen? Welche Chancen kann uns ein "Zurück zur Natur" eröffnen - ein befreites Zeitempfinden, sinnlich-sittliche Erbauung und Autonomie?

Wer pauschale Antworten und Rezepte erwartet, der wird sie in diesem Buch nicht finden. Vielmehr möchten die Texte zum Nachdenken anregen und gesellschaftliche Diskussionen anstoßen. Ersteres mag den durchweg gut lesbaren, bisweilen anspruchsvollen Beiträgen gelingen. Doch in Sprache und Themenfokus richten sie sich vor allem an ein akademisch gebildetes Publikum und die Planungscommunity.

Mehr Raum für die Gartenideen der "kleinen Leute" und von Frauen hätte dem Buch gut gestanden. Genau wie Stimmen von der Basis, von (garten-)politisch engagierten Bürger/-innen. Im Vorwort wünscht sich die Herausgeberin zur Erörterung der Fragen eine demokratische Runde, in der Expert/-innen, Bürger/-innen und Natur mitreden dürfen.

Insgesamt ist "Gärten und Politik" ein höchst inspirierendes, lesenswertes Buch, das zweierlei klarmacht: Sich wandelnde Lebenswirklichkeiten verlangen neue Entwürfe des Naturumgangs. Heute sind die öffentlichen Kassen leer, aber parallel ablaufende Urbanisierungs- und Schrumpfungsprozesse fordern zum Handeln auf. Immer mehr Menschen artikulieren ihren Wunsch nach einem ökologischeren und demokratischeren Umgang mit Grün. Sie beanspruchen Teilhabe an Entscheidungs-und Gestaltungsprozessen. Alles spricht für diese Teilhabe. Denn, das lässt sich als zweite Botschaft aus dem Strauß der Buchbeiträge lesen, Gärten leben von ihrer Vielfalt und der Pluralität ihrer Konzepte.

Brita Reimers (Hrsg.)
Gärten und Politik
Vom Kultivieren der Erde
oekom verlag, München 2010
320 Seiten, 29,90 Euro
ISBN 978-3-86581-158-5


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Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 158, Oktober/November 2010, S. 27
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2010