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ATOM/361: Die falsche Bewertung von Tritium (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 756-757 / 32. Jahrgang, 5. Juli 2018 - ISSN 0931-4288

Die falsche Bewertung von Tritium
Das Tritium-Problem wird unterschätzt

von Thomas Dersee


Tritium aus dem Forschungsreaktor BER II in Berlin-Wannsee

Wegen der Verdunstung aus dem offenen Reaktorbecken des Forschungsreaktors BER II in Berlin-Wannsee wird täglich etwa 1 Tonne Wasserdampf mit der Abluft abgegeben. Dies entspricht 1 Milliarde Becquerel (1 Gigabecquerel = 1 GBq) Tritium pro Tag. Das hat das Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie (HZB; bis zum 4. Juni 2008 nannte es sich Hahn-Meitner-Institut Berlin) seiner sogenannten Begleitgruppe am 7. Mai 2018 mitgeteilt. Bis Ende 2019 soll das noch so bleiben, danach soll der Forschungsreaktor des Instituts in Berlin-Wannsee abgeschaltet und rückgebaut werden.

Die zulässigen Grenzwerte würden im Normalbetrieb im Durchschnitt zu weniger als 5 Prozent ausgeschöpft, beispielsweise liege der Wert für Edelgase bei 3,7 Prozent, erklärte das HZB weiter. Den höchsten Wert liefere Jod-131 mit 3,9 Prozent. Bei gleichbleibender Aktivitätskonzentration dürfe das HZB mehr als die 30-fache Menge des im Normalbetrieb über die Abluft abgegebenen verdunsteten Beckenwassers abgeben, ohne die zulässigen Grenzwerte zu überschreiten. Im Normalbetrieb seien Strontium-90, Strontium-89 und Cäsium-137 in der Abluft nicht nachweisbar und der Jahresabgabegrenzwert für Iod-131 sei im Jahr 2017 zu 3,9 Prozent ausgeschöpft worden. Für Tritium sehe die Betriebsgenehmigung dagegen keinen Grenzwert vor. Die Emission sei unvermeidbar, da sich das Reaktorbecken in einem luftdichten Raum befindet, in dem aus Sicherheitsgründen zur Zurückhaltung möglicher Freisetzungen kontinuierlich ein Unterdruck herrsche. Zur Erzeugung des Unterdrucks werde ein gerichteter Strom von Abluft erzeugt, dessen Inhalte kontinuierlich überwacht würden.

Die Tritium-Konzentration im Wasser des Reaktorbeckens beträgt den Angaben des HZB zufolge 1 Million Becquerel (1 MBq) Tritium pro Liter. Diese Konzentration habe die Strahlenmessstelle des Landes Berlin mit der Flüssig-Szintillations-Spektroskopie gemessen. Die Freigrenze zur uneingeschränkten Freigabe betrug bisher 1 Million Becquerel pro Kilogramm oder Liter und soll dem am 30. Mai 2018 veröffentlichten "Referentenentwurf einer Verordnung zur weiteren Modernisierung des Strahlenschutzrechts" zufolge künftig auf 100.000 Becquerel pro Kilogramm/Liter herabgesetzt werden. Für die Ablagerung auf Deponien dürfen es in festen Stoffen (Beton) dagegen auch weiterhin bis zu 60 Millionen Becquerel Tritium pro Kilogramm sein und zur Freisetzung über Verbrennungsanlagen bis zu 1 Milliarde Becquerel pro Kilogramm/Liter.

Freisetzungen im Restbetrieb

Im sogenannten Restbetrieb, das heißt für die mindestens 10 Jahre dauernde Phase nach der Abschaltung des BER II Ende 2019, in der Anlagen und Anlagenteile aus dem bisherigen Betrieb weiterbetrieben werden, die für die Stilllegung und den Abbau sowie für einen sicheren Zustand notwendig sind, will das HZB weiterhin über den Fortluftkamin freisetzen dürfen:

Radioaktive Gase:
pro Kalenderjahr 10 Billionen (1·1013) Becquerel
innerhalb von 26 aufeinanderfolgenden Wochen 5 Billionen (5·1012) Becquerel
innerhalb 1 Woche 500 Milliarden (5·1011) Becquerel

Radioaktive Aerosole mit Halbwertzeiten größer 8 Tage (ohne Jod):
pro Kalenderjahr 100 Millionen (1·108) Becquerel
innerhalb von 26 aufeinanderfolgenden Wochen 50 Millionen (5·107) Becquerel
innerhalb 1 Woche 5 Millionen (5·106) Becquerel

Jod-131:
innerhalb 1 Woche in der Weidezeit (Mai bis Oktober) 740.000 (7,4·105) Becquerel
innerhalb 1 Woche außerhalb der Weidezeit 1,5 Millionen (1,5·106) Becquerel

Das hat das HZB mit seinem Stilllegungsantrag vom 24. April 2017 bei der zuständigen Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz beantragt.

Tritium im Atommüll

Tritium (H-3) diffundiert wie gewöhnlicher Wasserstoff auch in (Beton-)Wände und läßt sich mit keinem praktikablen technischen Verfahren zurückhalten. Die vorstehend genannten Freigabewerte für Tritium sind so exorbitant hoch gewählt, daß gar nicht versucht wird, die tatsächlichen Werte im Beton der Anlagen und der umliegenden Wohnbebauung zu messen. In den Sickerwässern von Deponien, auf denen solcher Beton abgelagert wurde, werden nach einiger Zeit mehrere hundert Becquerel Tritium pro Liter gemessen.[1]

Nachweis von Tritium

Tritium ist ein weicher Beta-Strahler ohne begleitende Gamma-Strahlung und deshalb mit den üblichen Kontaminationsmeßgeräten nicht nachweisbar, weil die beta-Strahlung die Membranen der Meßkammern nicht durchschlagen kann. Es kann jedoch mit dem allerdings relativ unempfindlichen Verfahren der Flüssig- oder Liquid-Szintillations-Spektroskopie nachgewiesen werden. Die Nachweisgrenze in Wasser liegt dabei um 100 Becquerel Tritium pro Liter. Weiträumige Verseuchungen der Umwelt können deshalb nur mit deutlich größerem Aufwand ermittelt werden. Informationen über eine möglicherweise vorliegende Tritium-Verseuchung sind deshalb "Herrschaftswissen", kritisierte bereits 1992 der inzwischen leider verstorbene Münchner Arzt und Biochemiker an der Ludwig-Maximilians-Universität München Professor Dr. Roland Scholz im Strahlentelex.[2]

Physikalische Eigenschaften von Tritium

Tritium oder "überschwerer Wasserstoff" (T oder H-3) ist ein instabiles Wasserstoff-Isotop mit 2 Neutronen, von denen eines in ein Proton und ein Elektron zerfallen kann; die Zerfallsenergie von 18 keV (mittlere Teilchenenergie 6 keV) teilt sich dem Elektron mit und wird als beta-Strahlung fortgeleitet. Beim Zerfall eines Tritiumatoms entsteht ein Heliumatom (He3), dessen Kernmasse gleich der des Tritiums ist, das aber, bedingt durch die Edelgaskonfiguration der Elektronenschale, völlig andere chemische Eigenschaften hat. Die physikalische Halbwertzeit beträgt 12,3 Jahre. Eine gegebene Tritium-Aktivität benötigt 80 Jahre, um auf 1 Prozent des Ausgangswertes abzufallen.

Herkunft von Tritium

Tritium gehört zu den "natürlichen" Radionukliden, weil es auch durch Einwirkung kosmischer Strahlung auf Gase in der äußeren Atmosphäre entsteht. Nach Oxidation zu Wasser verteilt es sich gleichmäßig im Oberflächenwasser. Bis zum Anbruch des Atomzeitalters betrug die Aktivität zwischen 0,1 und 1 Becquerel pro Liter Wasser. Das Gleichgewichts-Inventar der Erde betrug ursprünglich etwa 1 Trillion Becquerel Tritium.

Tritium entsteht jedoch auch bei jeder Atomexplosion und in jedem Atomreaktor. Es ist das mit Abstand häufigste Spaltprodukt. Speziell bei der Wiederaufbereitung von Kernbrennstäben entweichen gewaltige Mengen. Durch militärische und zivile Nutzung der Atomenergie wurde das Tritium-Inventar der Erde um mehr als das Hundertfache erhöht. Die Jahresproduktion allein der deutschen ursprünglich betriebenen Atomkraftwerke lag bei etwa 15 Billiarden Becquerel. Das sind jährlich etwa 1,5 Prozent des ursprünglichen Gleichgewichts-Inventars der Erde.

Im Reaktor befindet sich Tritium teils als Zirkonium-Hydrid in den Brennstabhüllen, teils eingeschlossen als Gas. Es entweicht, wenn bei Lastwechsel Haarrisse in den Hüllrohren entstehen. Tritium wird dann zu Wasser oxidiert und als solches über die Abluftkamine freigesetzt. Die genehmigten Tritiumabgaben sind beträchtlich. In gewaltigen Mengen entweicht Tritium beim Zersägen und Auflösen der Brennstäbe im Prozeß der Wiederaufbereitung.

Biochemische Eigenschaften von Tritium

Tritium unterscheidet sich in seinen chemischen Eigenschaften nicht vom normalen Wasserstoff. Es kommt in der Natur vorwiegend als tritiiertes Wasser vor. In der Zeit der oberirdischen Atombombentests war die Aktivität regional auf nahe 100 Becquerel pro Liter angestiegen. Sie liegt auch heute noch über 1 Becquerel pro Liter.

Wenn Tritium als Wasser aufgenommen wird, hat es im Körper eine biologische Halbwertzeit zwischen 4 und 18 Tagen, im Mittel von 10 Tagen, je nach Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand und Ernährungsbedingungen.

Als Wasserstoff-Isotop wird Tritium auch in alle organischen Verbindungen eingebaut. Der dabei wichtigste Prozeß, beschreibt Scholz, ist die pflanzliche Assimilation, wenn aus Wasser und Kohlendioxid mit der Energie des Sonnenlichts Zucker synthetisiert wird.

Als tritiierter Zucker gelangt es in den tierischen Stoffwechsel, wo es wieder zu Tritiumwasser wird. Doch werden Zucker auch gespeichert und in Eiweiße, Fette und Nukleinsäuren umgewandelt. Auf diesem Weg erscheint Tritium in allen Bestandteilen des Körpers. Je nach Art der organischen Bindung hat es dann unterschiedlich lange biologische Verweildauern, die weit über die des Wassers hinausgehen können.

Zusätzlich zum Weg über die Pflanzen, so Scholz weiter, wird Tritium auch im tierischen Organismus direkt aus Wasser in körpereigene Substanzen eingebaut. Das geschieht in bestimmten Reaktionen, die durch Hydrogenasen, Isomerasen, Hydrolasen u.a. katalysiert werden. Wenn einem Versuchstier mit dem Trinkwasser tritiiertes Wasser gegeben wird, so ist nach kurzer Zeit Tritium in nahezu allen Teilen des Körpers nachweisbar. In stoffwechselaktiven Organen ist der Einbau besonders hoch; im Knochen wird wenig eingebaut. Für die radiobiologische Bewertung ist von Bedeutung, daß Tritium auch in den Nukleinsäuren des Zellkerns erscheint und sich dort insbesondere in den sogenannten Basen befindet, mit denen die genetische Information codiert ist. Je größer die Teilungsrate eines Gewebes, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, daß Tritium in die Nukleinsäuren eingebaut wird. Die Zellen des Immunsystems und alle Zellen eines wachsenden Organismus sind besonders betroffen.

Wegen der guten Abschirmbarkeit seiner weichen Beta-Strahlung, wofür schon die oberste Hornhautschicht ausreicht, besteht keine Gefährdung durch äußere Bestrahlung. Die Strahlenbelastung durch Aufnahme in den Körper mit Wasser oder Nahrung ist wegen mangelnder Meßtechnik selbst bei größeren Belastungen nicht richtig ermittelbar.

Der Einbau von Tritium aus tritiiertem Wasser in organische Substanzen hängt ab von der spezifischen Aktivität; das heißt vom Verhältnis der Zahl der Tritiumatome zur Zahl der normalen Wasserstoffatome in einer Wassermenge. Da Wasser ubiquitär ist und in hoher Konzentration vorliegt, ist die "Verdünnung" des Tritiums im normalen Wasserstoff groß und der Einbau gering, jedoch nicht so gering, daß dieser Weg der Inkorporation vernachlässigbar wäre.

Tritium in der Umwelt und in der Nahrung

Wie Harry Block, seinerzeit für die Grüne Liste Stadtrat in Karlsruhe, berichtete, wurden im Rheinniederungskanal im Jahre 1989 infolge Tritiumableitungen aus dem Kernforschungszentrum Karlsruhe (KfK) bis 16.000 Becquerel Tritium pro Liter Wasser gemessen. Als Folge wurde in Fischen eine radioaktive Tritium-Belastung von 8.400 Becquerel pro Kilogramm festgestellt. Im Trinkwasser in der Umgebung der Kernforschungsanlage Karlsruhe lag der Tritiumwert bei 220 Becquerel pro Liter und im Fleisch dort weidender Tiere bei 204 Becquerel pro Kilogramm.[3]

In den USA verunreinigten Indian Point-Reaktoren in Buchanan, 40 Meilen nördlich von Manhattan, das New Yorker Grundwasser mit Tritium. Das berichteten Sam Thielman und Alan Yuhas auf der Internetseite des Ecologist am 8. Februar 2016. An drei Messpunkten seien dort "alarmierende Ausmaße an Radioaktivität" gefunden worden. An einer Stelle sei die Tritiumbelastung von 455 Becquerel pro Liter auf über 296.000 Becquerel pro Liter angestiegen. Das maximal von der Environmental Protection Agency zugelassene Schadstoffniveau für Tritium in Trinkwasser betrage 740 Becquerel pro Liter, heißt es. Der Anlagenbetreiber Entergy habe dazu erklärt, daß jedoch nur das Grundwasser (sic!) und kein Trinkwasser verunreinigt sei.[4]

Auch in der Normandie bei La Hague in Frankreich macht Tritium Probleme. Eine Halde mit radioaktivem Atommüll, auch aus Deutschland, verseucht dort das Grundwasser. Das französische Labor ACRO legte am 23. Mai 2006 im Auftrag von Greenpeace einen Bericht über die radioaktive Situation um die Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague in der Normandie vor. Die Wasserproben weisen demnach Tritiumwerte von 750 Becquerel pro Liter auf und übersteigen damit die europäischen Grenzwerte von 100 Becquerel pro Liter für die radioaktive Belastung von Wasser um mehr als das Siebenfache. Das Wasser wird durch die CSM-Abfallhalde (Centre Stockage de la Manche) für schwach- und mittelradioaktiven Atommüll belastet und von den ortsansässigen Bauern zum Tränken ihrer Tiere verwendet, heißt es.[5]

Greenpeace warnte anschließend am 20. Juni 2006 davor, daß das Atommüllzentrum im ostfranzösischen Soulaines den Champagnerweinbau bedroht. Nur knapp zehn Kilometer von den berühmten Weinbergen der Champagne entfernt ist das Grundwasser mit radioaktivem Tritium belastet, heißt es. Quelle der Verseuchung sei die Atommüllkippe Centre Stockage de l'Aube (CSA).[6]

Tritium in Japan

Im havarierten japanischen Atomkraftwerk Fukushima Daiichi fallen täglich große Mengen radioaktiv verseuchtes Wasser an, das auch hohe Konzentrationen an Tritium enthält. Wie am 27. Juni 2018 die Presseagentur Kyodo über den Wissenschaftler Professor Ihara von der Fakultät für Ingenieurwissenschaften an der Kinki-Universität in Hiroshima meldete, sei es erstmals gelungen, Wasser mit einem hohen Anteil an Tritium vom übrigen radioaktiven Wasser zu trennen. Bislang galt die Reinigung von Tritiumabwässern als extrem schwierig bis unmöglich, da die chemische Grundstruktur der von normalem Wasser ähnelt. Aus diesem Grund existieren bisher auch noch keine Tritiumfilteranlagen für die anfallenden Abwässer des Kernkraftwerks Fukushima.

Wirkungsprinzip sei ein besonders feiner Filter mit extrem kleinen Öffnungen, heißt es. Das Vorgehen habe bei der Abscheidung von kontaminiertem Abwasser mit starker Tritiumkonzentration eine hohe Effizienz gezeigt und könnte eventuell zur Entwicklung industriell nutzbarer Filteranlagen führen. Zuvor war in Fukushima die Verklappung in das Meer als einzige sinnvolle Option angesehen worden. Es hatte jedoch erhebliche Kritik gegen die Tritium-Verklappung gegeben.[8]

Isotopen-Effekte

Die bisherigen Überlegungen beruhen auf dem "spezifischen Aktivitätsmodell", bei dem eine gleichmäßige Verteilung des Tritiums in der Menge des normalen Wasserstoffs sowie gleiches chemisches und physikalisch-chemisches Verhalten angenommen wird. Auch die offizielle Bewertung geht von diesem Modell aus. Dabei bleibt aber unberücksichtigt, daß sich Tritium aufgrund seiner dreifach höheren Masse anders verhalten kann als der normale Wasserstoff, erklärt Scholz. Das gleiche gelte für tritiiertes Wasser, dessen Masse 10 Prozent höher ist als die des normalen Wassers. Dieses Phänomen wird Isotopen-Effekt genannt.

Tritiumwasser hat einen geringeren Dampfdruck als normales Wasser. Es verdunstet deshalb etwas langsamer und bleibt somit vermehrt in den Böden zurück. Andererseits kondensiert es schneller. Wenn sich Tau bildet, sind die ersten Kondensate tritiumreicher als der Tritiumgehalt der Luftfeuchtigkeit. Bei wiederholten Zyklen von Verdunsten und Kondensieren kann es in den Böden zur Anreicherung von Tritiumwasser kommen. Der Tritiumgehalt pflanzlicher Assimilationsprodukte kann folglich regional erheblich größer sein, als die mittlere Kontamination des Oberflächenwassers.

Im Stoffwechsel von Pflanze und Tier laufen die Reaktionen der Wasserstoff-Übertragung und des Wasser-Austausches mit Tritium bzw. tritiiertem Wasser mehrfach schneller oder langsamer ab als mit normalem Wasserstoff. Verantwortlich ist die Beeinflussung der enzymatischen Katalyse durch die dreifach höhere Masse des Tritiumatoms.

Es ist eine offene Frage, ob sich die Isotopen-Effekte aller tritiumeinbauenden und tritiumausbauenden Reaktionen gegeneinander aufheben oder ob eine Richtung überwiegt. Sollte dies der Einbau sein, so würde es langfristig zu einer Tritium-Anreicherung in der Nahrungskette kommen. Hinweise für eine derartige Anreicherung in der Biomasse liegen vor.

Besonderheiten der biologischen Wirkung von Tritium: Transmutation

Die Moleküle des lebendigen Materials sind aus Kohlenstoff und Wasserstoff aufgebaut. Ihre "natürlichen" Radionuklide, Kohlenstoff-14 (C-14) und H-3, sind in allen Bestandteilen des Körpers enthalten. Jede künstliche Vermehrung in der Umwelt führt zwangsläufig zu einer vermehrten Radioaktivität des lebendigen Materials. Dies ist eine Besonderheit gegenüber Nukliden, denen nach gängiger Auffassung eine wesentlich höhere Radiotoxizität zugesprochen wird (zum Beispiel Cäsium, Strontium), die jedoch nicht in organische Moleküle eingebaut werden, erklärt Scholz.

Beim Zerfall eines Tritiumatoms, zum Beispiel eingebaut in die Base eines Nukleinsäuremoleküls, so Scholz, werden durch die weiche beta-Strahlung zahlreiche Radikale in unmittelbarer Nähe gebildet. Innerhalb des Zellkerns ist die Schadensdichte hoch. Zusätzlich ist auch das Nukleinsäuremolekül in derjenigen Komponente, die das Tritium enthält, betroffen. Es verliert eine Wasserstoff-Funktion, weil aus dem Tritium ein Heliumatom mit gänzlich anderen chemischen Eigenschaften wurde (sogenannte Transmutation). Je nach Lokalisation innerhalb der Nukleinsäure können vielfältige Molekülveränderungen entstehen. Jede Veränderung ist potentiell eine Mutation der Erbinformation und könnte, falls sie im Bereich eines Kontrollgens für die Zellteilung sitzt und falls keine Reparatur erfolgt, der Initiator einer späteren Krebsentwicklung sein.

Nach Einbau des Tritiums in Nukleinsäuren können also Mutationen gesetzt werden (a) als direkte oder indirekte Folge der beta-Strahlung und (b) durch den Verlust einer Wasserstoff-Funktion. Kinder sind dadurch besonders gefährdet. Denn die hohe Zellteilungsrate wachsender Gewebe bedingt einerseits einen gesteigerten Tritiumeinbau und schafft andererseits vermehrt Situationen, in denen die Reparatur von Nukleinsäureschäden erschwert ist. Tierexperimentelle Daten stützen die Vermutung, daß Tritium eine hohe Mutagenität hat.

Radiologische Bewertung von Tritium

Die Schwierigkeiten beim Nachweis geringer Tritium-Aktivltäten sind wahrscheinlich mit ein Grund für die Tatsache, daß der gewaltige Ausstoß von Tritium bei militärischer und ziviler Nutzung der Atomenergie so wenig beachtet wird. "Was kaum meßbar ist, kann auch nicht schaden" - So lautet ein häufiger Denkfehler.

Wegen der guten Abschirmbarkeit seiner weichen beta-Strahlung, wofür schon die oberste Hornhautschicht ausreicht, besteht keine Gefährdung durch äußere Bestrahlung. Eine Strahlenbelastung ist nur möglich durch Inkorporation, entweder in Form von Wasser (Trinkwasser, Nahrungswasser, eingeatmete Luftfeuchtigkeit und Wasser, das über die Haut in den Körper gelangt) oder als organisch gebundenes Tritium in der Nahrung.

Die Strahlenbelastung eines Menschen durch inkorporierte Radionuklide ist nicht meßbar; sie wird durch Berechnung grob geschätzt, wobei die Parameter unter anderem die biologische Halbwertzeit und die Zerfallsenergie sind. Nach den offiziellen Dosisfaktoren wird die Körperbelastung etwa mit Jod-129, mit Cäsium-137 oder mit Strontium-90 mehr als 100- und über 1000-fach höher eingestuft als die Belastung mit gleicher Tritium-Aktivität.

Allerdings wird damit die Strahlenbelastung durch Tritium unterschätzt, denn bei der Ableitung der Dosisfaktoren wurde die biologische Halbwertzeit zu niedrig angesetzt und nur die maximale Zerfallsenergie, jedoch nicht die im Mikrovolumen des Körpers deponierte Energie berücksichtigt, kritisierte Scholz bereits Anfang der 1990er Jahre. Ebenfalls nicht berücksichtigt würden Isotopen- und Transmutationseffekte. Eine neuere Studie kommt sogar zu dem Schluss, die Wirkung könnte bisher um den Faktor 1000 bis 5000 unterschätzt worden sein.[7]

Zusammenfassende Beurteilung

Erstens: Tritium fällt bei der Kernspaltung in gewaltigen Aktivitäten an.

Zweitens: Tritium ist ein Radionuklid mit zwar relativ geringer Radiotoxizität, seine Gefährlichkeit wird aber bei der offiziellen Bewertung unterschätzt, weil nicht berücksichtigt wird:

  • die Aufnahme tritiierter Nahrungsmittel,
  • der Einbau von Tritium in körpereigene Substanzen,
  • die lange biologische Halbwertzeit des organisch gebundenen Tritiums,
  • die Anreicherung von Tritium in den Böden und in der Nahrungskette, bedingt durch den Isotopen-Effekt,
  • der Transmutationseffekt,
  • die hohe Mutagenität des in Nukleinsäuren eingebauten Tritiums, insbesondere in teilungsaktiven Geweben, (bedingt durch enge Nachbarschaftsbeziehungen und durch Transmutation von H-3 zu He-3).

Drittens: Ungeborene, Säuglinge und Kleinkinder sind wesentlich strahlenempfindlicher als ältere Erwachsene (hohe Teilungsraten des wachsenden Organismus mit einer dadurch eingeschränkten Fähigkeit zur Reparatur von Mutationen). Bei einer Tritium-Inkorporation sind sie zusätzlich strahlengefährdet.


Anmerkungen

[1] "Freigemessene" Radionuklide aus dem Rückbau von Atomkraftwerken werden mit Sickerwässern aus Deponien freigesetzt. Strahlentelex 638-639 v. 1.8.2013, S.6-7,
www.strahlentelex.de/Stx_13_638-639_S06-07.pdf

[2] Roland Scholz: Das Tritium-Problem, Informationen zur Strahlenchemie/biologie/pathologie und Bewertung einer Strahlenbelastung durch Tritium. Strahlentelex 122-123 v. 6.2.1992, S. 1,3,4.

[3] Roland Scholz: "Was schwer meßbar ist, kann auch nicht schaden"? Die falsche Bewertung von Tritium. Strahlentelex 84-85 v. 2.8.1990, S. 4.

[4] Indian Point-Reaktoren verunreinigen das New Yorker Grundwasser, Strahlentelex 700-701 v. 3.3.2016, S. 6,
www.strahlentelex.de/Stx_16_700-701_S06.pdf

[5] Grundwasser in der Normandie radioaktiv verseucht. Strahlentelex 466-467 v. 1.6.2006, S. 6-7,
www.strahlentelex.de/Stx_06_466_S06-07.pdf

[6] Tritium im Champagner. Strahlentelex 468-469 v. 6.7.2006, S. 5,
www.strahlentelex.de/Stx_06_468_S05.pdf

[7] European Commission: Radiation Protection No 152, EU Scientific Seminar 2007, "Emerging Issues on Tritium and Low Energy Beta Emitters", Proceedings of a scientific seminar held in Luxembourg on 13 November 2007, Working Party on Research Implications on Health and Safety, Standards of the Article 31 Group of experts, Directorate-General for Energy and Transport Directorate H - Nuclear Energy, Unit H.4 - Radiation Protection, 2008
https://ec.europa.eu/energy/sites/ener/files/documents/152.pdf

[8] Presseagentur Kyodo, 27.6.2018,
https://this.kiji.is/384647487951471713?c=39546741839462401


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
www.strahlentelex.de/Stx_18_756-757_S01-04.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Juli 2018, Seite 1 - 4
Herausgeber und Verlag:
Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2018

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