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WALDSCHADEN/005: Grüne Lunge - Massenrodungen im polnischen Urwald ... (SB)


Im äußersten Osten Polens fressen sich zur Zeit Kettensägen durch das größte zusammenhängende Urwaldgebiet Europas. Unter dem offenkundigen Vorwand, durch das Abholzen eine Borkenkäferplage bekämpfen zu wollen, läßt die polnische Regierung in dem für seinen Artenreichtum bekannten Bialowieza-Nationalpark uralten Baumbestand fällen. Bitten, Protestnoten, Demonstrationen aus dem In- und Ausland und auch eine Vertragsverletzungsklage der EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof vermochten die Verantwortlichen nicht zum Einlenken zu bewegen. Die Rodungen in dem als Weltnaturerbe und Natura 2000-Gebiet ausgewiesenen Mischwald schreiten voran, sogar beschleunigt, denn der auf politischer Ebene verantwortliche polnische Umweltminister Prof. Jan Szyszko ließ inzwischen sogenannte Harvester anrücken, mit denen die Bäume schneller gefällt und zerlegt werden können als per Hand.



Mischwald mit totem, von Pflanzen bewachsenem Baum am Boden liegend - Foto: Ralf Lotys (Sicherlich), CC-BY-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.de]

Bialowieski Park Narodowy, September 2005 Foto: Ralf Lotys (Sicherlich), CC-BY-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.de]

Kann man es da den Menschen, die sich um den Wald sorgen, verdenken, wenn sie direktere Maßnahmen ergreifen, um den Wald zu schützen? So haben am frühen Morgen des 18. Juli 2017 etwa 25 polnische und tschechische Aktivistinnen und Aktivisten - vermutlich stammten sie aus einem Protestlager - einen Harvester umstellt, und einige von ihnen haben sich so miteinander verkettet, daß das Gerät nicht weiterbetrieben werden konnte. Damit setzten sie ihre Unversehrtheit und ihr Leben aufs Spiel; auch gingen sie das Risiko ein, daß sie mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden. Es war bereits der zehnte Einsatz dieser Art gegen die unerbittlich vorrückenden Baumfäller.

Laut einem Bericht der Hambacher-Forst-Besetzung auf der englischsprachigen Website Deep Green Resistance haben die Wachen des Forstunternehmens gemeinsam mit der Polizei zu verhindern versucht, daß die Ankettaktion per Film und Foto aufgenommen und von außerhalb unterstützt wird. Beispielsweise wurden Aktivistinnen und Aktivisten recht ruppig abgeräumt. Die Zensurmaßnahme ist jedoch nicht vollständig gelungen, wie einer Filmsequenz von der Räumung auf der Website save-bialowieza.net zu entnehmen ist.

Während die Menschen an die Forstmaschine gekettet waren, lief diese weiter, stundenlang. Zu den Forderungen der Angeketteten gehörte nicht nur, daß die Rodungsarbeiten unverzüglich gestoppt werden, sondern auch, daß der Artenschutzexperte Dr. Krzysztof Schmidt von der polnischen Akademie der Wissenschaften in Bialowieza Zutritt zu dem Waldgebiet erhält, um es genauer zu untersuchen. Dies wurde nicht gestattet. Der Grund dafür ist offensichtlich. Die Blockade endete, als das Forstunternehmen einlenkte und die Arbeiten an diesem Tag für beendet erklärte.

Der größere Teil des etwa 1500 Quadratkilometer großen Urwaldgebiets liegt nicht in Polen, sondern in Belarus. Auch dort werden Bäume gefällt, aber was sich jetzt auf der polnischen Seite ereignet, verdient den Namen Kettensägenmassaker. Bis jetzt wurden schon 40.000 Kubikmeter Holz aus dem Wald geholt, bis 2021 sollen es 260.000 Kubikmeter werden. Hier wird der Lebensraum seltener, teils endemisch lebender und vom Aussterben bedrohter Tier- und Pflanzenarten zerstört. Bislang wurden hier rund 3.500 Pilz- und 5.500 Pflanzenarten gezählt, und zu den zahlreichen Tieren, die in dem Bialowieza-Nationalpark leben, zählen Wisente, verschiedene Spechtarten, Schwarzstorch, Schreiadler und Eulen sowie Luchs und Wolf.

Eine Reihe von Expertinnen und Experten widerspricht der Behauptung, daß sich die Borkenkäferplage durch den Kahlschlag eindämmen läßt (siehe: http://www.polishwolf.org.pl/bialowieza-forest). Von Umweltminister Szyszko wird gesagt, er habe eine Reihe von Holzunternehmen gegründet und einige von ihnen an nahe Verwandte übergeben. Der Vorgang erweckt ganz den Eindruck, als ginge es hier auch um persönliche Bereicherung. Allerdings erklärt das noch nicht, warum die polnische Regierung von der PiS-Partei privaten Baum- und Waldbesitzern gestattet hat, ohne behördliche Genehmigung Bäume zu fällen. Anscheinend sieht die PiS in jeglichem Naturschutz eine Behinderung der von ihr beanspruchten Vollverwertung der menschlichen Um- und Mitwelt.


Hinterer Teil eines galoppierenden Wisents, das einen kaum zu erkennenden, bewachsenen Waldweg quert - Foto: Herr stahlhoefer, gemeinfrei

Der Rückzugsraum für Wisente wird immer kleiner
Foto: Herr stahlhoefer, gemeinfrei


21. Juli 2017


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