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GEFAHR/031: Brandsatz Fukushima - strahlende Fakten ... (SB)




Grafische Darstellung der Strahlenausbreitung von Fukushima im gesamten Pazifischen Ozean, hinterlegt mit dem Symbol für Radioaktivität und der Überschrift: 'Noch 10 Jahre?' - Grafik: © 2013 by Schattenblick

Brandsatz Fukushima
Grafik: © 2013 by Schattenblick

Die japanische Sektion der Umweltorganisation Greenpeace hat umfangreiche Radioaktivitätsmessungen in den Städten Iitate und Namie, aus denen Menschen nach Beginn der Fukushima-Katastrophe evakuiert worden waren, durchgeführt. Dabei wurde festgestellt, daß die Strahlung stellenweise weiterhin extrem hoch ist. Eine Rückkehr der Menschen, wie sie von der Regierung seit rund einem Jahr forciert wird, ist viel zu riskant, schreibt die Organisation. Örtlich würden die Strahlenwerte noch Jahrzehnte, wahrscheinlich sogar bis ins nächste Jahrhundert hinein viel zu hoch sein, um auch nur in Erwägung ziehen zu können, die Menschen gefahrlos zurückkehren zu lassen. [1]

Unmittelbar nach der Zerstörung des Akw Fukushima Daiichi am 11. März 2011 zunächst durch ein Erdbeben, dann wenige Minuten darauf durch einen Tsunami war die größte Sorge, die Menschen vor dem radioaktiven Fallout zu schützen und aus hochverstrahlten Städten wie Iitate herauszuholen. Heute müßte man sagen, es geht darum, die Menschen aus Iitate herauszuhalten.

Doch unverdrossen setzt die Regierung Premierminister Shinzo Abes ihr umfassendes Beschwichtigungsprogramm zur Bewahrung der Kernenergie fort. Bereits vor einem Jahr wurde die Evakuierungsanordnung für einige Gebiete der Sperrzone aufgehoben und die ursprüngliche Bevölkerung aufgefordert zurückzukehren. Bis zum Jahr 2023 sollen weitere, noch stärker verstrahlte Inseln innerhalb der Sperrzone zunächst dekontaminiert und dann freigegeben werden. Solch ein Menschenexperiment hat es bislang in der von zahlreichen Unfällen bestimmten Geschichte der Kernenergienutzung noch nicht gegeben.

Die Strahlenmessungen von Greenpeace zeigen, daß der Begriff "Sicherheit" der Regierung ein gänzlich anderer ist als einer, wie er aus gesundheitlichen Gründen geboten wäre. So schreibt die Umweltschutzorganisation, daß in den Gebieten von Iitate und Namie, für die im März 2017 die Evakuierungsanordnungen aufgehoben worden waren, noch jahrzehntelang die Strahlenbelastung über dem international anerkannten Grenzwert von 1 Millisievert pro Jahr (1 mSv/y) liegen wird. Um diesen Grenzwert einzuhalten, sähen die Berechnungen der Regierung als langfristiges Ziel eine Strahlendosis von 0,23 Mikrosievert pro Stunde (µSv/h ) vor. Dabei gehe die Regierung jedoch davon aus, daß sich eine Person nur durchschnittlich acht Stunden am Tag draußen und ansonsten abgeschirmt von der Strahlung im Innern eines Holzhauses aufhält. Greenpeace legt jedoch einen strengeren, dem Wohlergehen der Menschen zugewandteren Maßstab an und berechnet die Jahresdosis auf der Basis der durchschnittlichen Strahlenexposition in einem Meter Abstand über 365 Tage (8760 Stunden).

Greenpeace hat umfangreiche Messungen innerhalb und außerhalb von Wohnhäusern, auf landwirtschaftlichen Flächen, im Wald und entlang von Straßen durchgeführt. In einem Haus, das ein angeblich gründliches Dekontaminationsprogramm durchlaufen hat, wurde im Durchschnitt eine Strahlendosis von 1,3 und als Maximum 5,8 µSv/h registriert. Im nahegelegenen Wald würde sich eine Jahresdosis von 17 mSv, also dem 17fachen des internationalen Grenzwerts, ergeben. In der Gemeinde Obori von Namie käme man sogar auf eine Jahresdosis von 101 mSv. Nur 50 Meter von der für den öffentlichen Verkehr freigegebenen Route 114 wurde der Grenzwert sogar um das 287fache überschritten. Dieser Wert steigerte sich, als nicht in 100 cm, sondern 10 cm Höhe über dem Boden gemessen wurde, auf das 3400fache über dem Grenzwert der zulässigen Jahresdosis. Und so weiter und so fort. Was Greenpeace hier berichtet, zeichnet ein Bild von der Situation in der Evakuierungszone von Fukushima.

Jeder, der schon einmal eine Röntgenuntersuchung über sich ergehen lassen mußte, weiß, daß das Personal den Raum verläßt, bevor das Röntgenbild angefertigt wird. Der Grenzwert für medizinisches Personal im Röntgenbereich liegt bei 5 mSv/y. Ein Niveau, das "selten" erreicht wird, berichtete der Krebsspezialist Misao Fujita. Von den Evakuierten wird jedoch erwartet, daß sie in einer Umgebung leben und ihre Kinder zur Schule schicken, in der die radioaktive Strahlung viermal so hoch ist. [2]

Ende Februar berichtete die Universität Manchester, daß der radioaktive Fallout des Akw Fukushima Daiichi innerhalb der Evakuierungszone winzige Strahlenpartikel (Mikropartikel) von Uran, Cäsium und Technetium enthielt und daß die Strahlenbelastung möglicherweise viel länger anhält als ursprünglich angenommen. "Unsere Forschungen zeigen sehr deutlich, daß es notwendig ist, weitere, detaillierte Untersuchungen des Brennstoffabfalls von Fukushima innerhalb und möglicherweise außerhalb der Sperrzone durchzuführen", sagt der an der Studie beteiligte Dr. Gareth Law von der Universität Manchester. [3]

Bislang haben die Betreibergesellschaft TEPCO und die japanische Regierung den Eindruck zu erwecken versucht, daß durch die havarierten Reaktoren nur flüchtige, gasförmige Radionuklide wie Cäsium und Jod freigesetzt wurden. Die winzigen, festen Partikel jedoch - über die übrigens nicht zum ersten Mal berichtet wurde - stellen langfristig eine viel größere Gefahr dar, da sie sich beispielsweise mit Staub verbinden und dann eingeatmet werden können.

Die Beobachtungen von Greenpeace und auch der Forschergruppe demaskieren die Verachtung der Regierung gegenüber den Menschen, von denen sie gewählt wurde, schonungslos. Müßte es nicht oberste Pflicht einer Regierung sein, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden? Da die sogenannte Dekontamination weitgehend gescheitert ist und auch gar nicht funktionieren kann, da man keine Chance hat, die ausgedehnten Bergwälder von radioaktiven Partikeln zu befreien, handelt es sich lediglich um Inszenierungen, wenn nun Arbeiter in weißen Schutzanzügen und mit Staubmasken vor Mund und Nase Laub einsammeln, Rasenflächen abtragen, Gebäude absprühen, Bäume beschneiden und ähnliche Tätigkeiten mehr verrichten.

Dieses Freilufttheater soll dem Publikum suggerieren, daß die Regierung die Dinge anpackt und unter Kontrolle hat. Daß die Arbeiter, die seit vergangenem Jahr in den stärker verstrahlten Gebieten sogenannte Dekontaminationsarbeiten ausführen, dabei einem akuten Gesundheitsrisiko ausgesetzt werden, kümmert die Regierung nicht, denn ihr steht genügend Menschenmaterial als Ersatz zur Verfügung. Eine Krebserkrankung, wie sie bei einer zu hohen Strahlenbelastung droht, ist nur in den wenigsten Fällen auf eine Ursache rückführbar. Das zeigen nicht zuletzt die zynischen Versuche, den Anstieg an Schilddrüsenkrebs unter Kindern und Jugendlichen in der Präfektur Fukushima zu einem Meßphänomen oder bloßen statistischen Effekt wegzuerklären.

Überträgt man die Erkenntnisse von Greenpeace auf andere Gebiete staatlicher Regulation, muß man davon ausgehen, daß beispielsweise auch die Angaben über das täglich ins Meer fließende Grundwasser, das von unterwärts durch die maroden Fundamente in die havarierten Reaktoren fließt und sich dort mit dem täglich zugeführten Kühlwasser vermischt, erheblich geschönt sind. Angeblich läßt der inzwischen fertiggestellte Eiswall, der das Erdreich bis zu 30 Meter tief rund um die vier havarierten Reaktoren gefrieren läßt und dadurch ein Eindringen von Grundwasser verhindern soll, noch immer täglich 95 Tonnen Wasser hindurch. Vor der Installation des Eiswalls waren es laut der Betreibergesellschaft TEPCO 200 Tonnen. Der größere Teil der täglich anfallenden 500 Tonnen verstrahlten Grundwassers wird allerdings über Dutzende Brunnen abgepumpt und in Tanks gelagert, was bedeutet, daß der 35 Milliarden Yen (320 Mio. Dollar) teure, aus Steuergeldern finanzierte Eiswall einen geringeren Effekt hat als das konventionelle Pump- und Drainagesystem.

Niemand weiß ganz genau, in welchen Mengen radioaktives Grundwasser vom Akw-Gelände aus dem Meeresboden dringt und den Pazifischen Ozean kontaminiert. Frühere Angaben von 300 bis 400 Tonnen täglich (ununterbrochen seit Beginn der Katastrophe!) waren eine bloße Schätzung. Man muß davon ausgehen, daß die Regierung die Menge eher unter- als überschätzt hat. Auch der Eiswall kann nicht verhindern, daß weiterhin verstrahltes Grundwasser ins Meer fließt.


Fußnoten:

[1] http://www.greenpeace.org/japan/Global/japan/pdf/RefFksm_EN.pdf

[2] https://www.channelnewsasia.com/news/cnainsider/fukushima-daiichi-nuclear-radiation-residents-return-safety-9888552

[3] https://www.sciencedaily.com/releases/2018/02/180228092241.htm

8. März 2018


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