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GEFAHR/030: Brandsatz Fukushima - Anpassungsstrategien ... (SB)




Grafische Darstellung der Strahlenausbreitung von Fukushima im gesamten Pazifischen Ozean, hinterlegt mit dem Symbol für Radioaktivität und der Überschrift: 'Noch 10 Jahre?' - Grafik: © 2013 by Schattenblick

Brandsatz Fukushima
Grafik: © 2013 by Schattenblick

Vor einem Monat haben die Aufräumarbeiten in der japanischen Stadt Futaba, die nur wenige Kilometer von dem am 11. März 2011 havarierten Akw Fukushima-Daiichi entfernt liegt, begonnen. Die Regierung hat angekündigt, daß die Einwohner ab dem Jahr 2022 in einige bis dahin dekontaminierte Gebiete zurückkehren sollen. Das scheint jedoch völlig illusorisch zu sein, wurde doch kürzlich in Futaba eine Radioaktivität von 8,48 Mikrosievert pro Stunde gemessen, was weit über dem maximal zulässigen Grenzwert von 0,23 Mikrosievert pro Stunde liegt. Der Vorsitzende der japanischen Strahlenschutzkommission, Toyoshi Fuketa, wird von den Medien [1] mit den Worten zitiert, sollte der Grenzwert nicht modifiziert werden, könnte dies eine Rückkehr der Einwohner in die Stadt verhindern ...

Angesichts der anhaltenden Verschleierung des Ausmaßes der radioaktiven Gefahren durch Behörden und Medien, die wiederum den Energiekonzernen gehören oder ihnen zumindest nahestehen, müssen die besorgten Bürgerinnen und Bürger befürchten, daß der aus gesundheitlichen Gründen gebotene Strahlenschutz vernachlässigt wird, um sie zu nötigen, wieder in die verstrahlte Stadt zurückzukehren. Ein von der Regierung Premierminister Shinzo Abes eingesetztes Zwangsmittel ist finanzieller Art: Man hat den nach Beginn der Nuklearkatastrophe aus den Falloutgebieten Geflüchteten die finanzielle Unterstützung entzogen. Und Menschen, die zwar außerhalb der willkürlich um das Akw herumgezogenen Sperrzone, aber dennoch in hochverstrahlten Gebieten lebten und sich "freiwillig", das heißt nicht auf Behördenanweisung in Sicherheit gebracht haben, bekommen sowieso wenig bis keine staatliche Unterstützung.

Unterdessen fließen Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr viele Tonnen radioaktiv belastetes Wasser ins Meer. Nur weil der ursprüngliche Wert von täglich 400 Tonnen teils hochverstrahlten Grundwassers inzwischen reduziert werden konnte, bedeutet das nicht, daß das zerstörte Akw keine Gefahr mehr für Mensch und Umwelt darstellt. Da die Regierung und die Akw-Betreibergesellschaft Tepco den Eindruck von Normalität erwecken möchten, müssen sie sich auch an der Normalität messen lassen. Das hieße jedoch, konsequenterweise müßten sie das Akw schließen, denn kein Atomkraftwerk der Welt darf täglich tonnenweise verstrahltes Wasser ins Meer abgeben.

Das Akw Fukushima Daiichi kann jedoch in diesem Sinne gar nicht geschlossen werden, denn es ist nach wie vor außer Kontrolle. Das heißt, die geschmolzenen Brennstäbe mehrerer Reaktoren müssen laufend gekühlt werden, und Grundwasser dringt von unten her in die zerrütteten Anlagen ein, mischt sich dort mit dem teils hochradioaktiven Kühlwasser und fließt unterirdisch weiter ins Meer. Dieser Umstand gerät allzu leicht in Vergessenheit. Davon wird durch die Verbreitung irgendwelcher fragwürdiger oder nur auf bestimmte Aspekte des Nuklearbetriebs begrenzter Erfolgsmeldungen abgelenkt. "Normal" sollte sein, daß überhaupt keine Radioaktivität entweicht, und davon ist das Akw Fukushima Daiichi weit, weit entfernt.

96 Prozent der Fläche des Bezirks Futaba, der komplett in der 20-km-Evakuierungszone liegt, die später auf 30 Kilometer erweitert worden war, gelten als Problemzone, in die auf absehbare Zeit wohl kaum jemand zurückkehren wird. Die im Dezember 2017 begonnenen Aufräumarbeiten betreffen nur 555 Hektar, bzw. elf Prozent der Fläche Futabas. Im ersten Schritt der Dekontaminationsmaßnahmen werden die oberste Bodenschicht in der Nähe des Bahnhofs abgetragen sowie rund 60 Häuser und öffentliche Einrichtungen abgerissen. [2]

Die Regierung strebt an, die Evakuierungsanordnung für den Futaba-Bahnhof Ende März 2020 aufzuheben, um die dort verlaufende Joban-Bahnstrecke nach Norden wieder voll in Betrieb zu nehmen. Ein Vorhaben, das die kleineren, kämpferischen Eisenbahngewerkschaften Doro-Chiba, Doro-Mito und Doro-Fukushima strikt ablehnen. Sie befürchten, daß das Zug- und Bahnhofspersonal dauerhaft viel zu hohen Strahlenbelastungen ausgesetzt würde. [3]

Die Regierung hat das Evakuierungsgebiet in drei Kategorien geteilt: Gemeinden, in denen eine Strahlung von bis zu 20 Millisievert jährlich gemessen wird (der typische Grenzwert für Akw-Arbeiter), sollen dekontaminiert werden, damit die Leute zurückkehren können. Gebiete mit 20 bis 50 Millisievert gelten als "restricted residence zones" (eingeschränkte Siedlungszone), und ab 50 Millisievert gilt ein Gebiet als "difficult-to-return zone" (schwierig zurückzukehrende Zone). In eben solch einem Gebiet Futabas war im vergangenen Sommer noch ein Strahlenwert von 8,48 Mikrosievert pro Stunde gemessen worden. [4] (Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Strahlenbelastung je nach örtlichen Gegebenheiten zwischen 0,05 und 0,18 Mikrosievert pro Stunde.)

Wenn nun der Bahnhof Futabas dekontaminiert wird, dürfte die Fläche voraussichtlich nicht lange strahlungsfrei bleiben. Denn mit jedem Windstoß aus den quasi benachbarten Gebieten der Kategorie 3 verteilen sich Staub und Blätter in der Umgebung, werden teilweise vom Regen in den Boden gespült und verseuchen das ganze Gebiet von neuem. Wie oft aber will man den Vorgang wiederholen und die oberste Bodenschicht abtragen?

Die japanische Regierung hat geplant, rund 30 Atomreaktoren wieder ans Netz zu nehmen, und Japan ist Gastgeber der Olympischen Sommerspiele 2020. Das sind zwei gewichtige Gründe, weswegen in den nächsten Jahren noch mit weiteren Kontrolle vortäuschenden Aktivitäten seitens der Behörden zu rechnen ist. Solange sie die Definitionshoheit über "Fake News" innehaben, wird das zur Wahrheit, was dem Anliegen der Regierung dient, und jegliche Kritik an der verheerenden Kernspaltungstechnologie zum Schweigen gebracht.


Fußnoten:

[1] https://mainichi.jp/english/articles/20180118/p2a/00m/0na/020000c

[2] https://www.japantimes.co.jp/news/2017/12/25/national/town-futaba-kicks-off-radiation-cleanup-eye-2022-revival/#.WmUOTnXiYW0

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0243.html
und
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0244.html

[4] https://mainichi.jp/english/articles/20180118/p2a/00m/0na/020000c

22. Januar 2018


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