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GEFAHR/022: Brandsatz Fukushima - nicht sehen, nicht hören, nicht sprechen ... (SB)


Hochrisikotechnologie

Japan verlängert Betriebsdauer uralter Atomreaktoren

Grafische Darstellung der Strahlenausbreitung von Fukushima im gesamten Pazifischen Ozean, hinterlegt mit dem Symbol für Radioaktivität und der Überschrift: 'Noch 10 Jahre?' - Grafik: © 2013 by Schattenblick

Brandsatz Fukushima
Grafik: © 2013 by Schattenblick

Anscheinend glaubt die japanische Regierung, daß am 11. März 2011 einzigartige Umstände die gleichzeitige Kernschmelze in drei Reaktoren des Akw Fukushima Daiichi bewirkt haben und daß bei anderen Atomkraftwerken nicht das gleiche geschehen kann. Folglich diese wieder hochgefahren werden könnten, zumal sie vorher einem Streßtest unterzogen wurden, so der offenbar unerschütterliche Glaube an die Hochrisikotechnologie.

Vor kurzem wurde dem Energiekonzern Kansai Electric Power Co Inc (KEPCO) gestattet, den 40 Jahre alten Reaktor Nr. 3 des Akw Mihama, der seine ursprünglich vorgesehene Betriebsdauer erreicht hat, weitere 20 Jahre betreiben zu dürfen. Bereits im Juni dieses Jahres hatte Kansai Electric die Genehmigung erhalten, seine ebenfalls in die Jahre gekommenen Reaktoren 1 und 2 des Akw Takahama wieder hochzufahren. [1]

Mihama 3 hat traurige Bekanntheit erlangt, als bei einem Unfall im Jahr 2004 elf Arbeiter in einer Turbinenhalle des Akw von einem heißen Dampfstrahl getroffen wurden. Vier Arbeiter starben, sieben überlebten mit schweren Verbrühungen. Einer der Gründe für den Unfall: mangelhafte Inspektionen über viele Jahre hinweg.

Nachdem das Akw Fukushima Daiichi des Energiekonzerns TEPCO am 11. März 2011 zunächst von einem schweren Erdbeben erschüttert, anschließend einem Tsunami vollends ausgeschaltet worden war und sich innerhalb weniger Tage in drei Reaktoren Wasserstoffexplosionen ereigneten, verbreitete sich in der Bevölkerung eine Stimmung gegen die Atomenergie. Auf anhaltenden Massendemonstrationen, wie sie in dieser Größe in Japan selten sind, wurde der Atomausstieg gefordert. Das war sicherlich einer der Gründe, warum die Regierung angeordnet hat, die Akws nach ihrer Revision Zug um Zug abgeschaltet zu lassen.

Ab Mai 2012 kam Japan, das vor der Fukushima-Katastrophe 54 Reaktoren in Betrieb hatte, die ein Drittel des Strombedarfs abdeckten, gänzlich ohne Atomenergie aus. Doch schon im Juli desselben Jahres wurde mit Oi (auch Ohi geschrieben) das erste Akw wieder hochgefahren. Die Reaktoren 3 und 4 dieses Akw liefen nur bis September 2013. Danach war Japan fast zwei Jahre lang atomstromfrei - sieht man vom Einsatz seiner Forschungsreaktoren ab.

Unter Premierminister Shinzo Abe wurde der Atomausstieg wieder rückgängig gemacht. Seit dem 11. August 2015 wird in Japan erneut kommerziell Atomstrom produziert, und die Regierung tut alles dafür, um sich gegenüber der Bevölkerung und mitunter auch den Präfekturregierungen, die gegen die Atomenergie sind, durchzusetzen. Rund 30 Meiler, die ein Fünftel des Strombedarfs Japans abdecken, will Abe wieder in Betrieb nehmen.


Akw-Komplex an einer versteckten Bucht einer kleinen, bergigen Halbinsel - Foto: Alpsdake, freigegeben als CC-BY-SA-4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de] via Wikimedia Commons

Akw Mihama, Präfektur Fukui, am 12. November 2016 vom Mount Saiho aus aufgenommen.
Foto: Alpsdake, freigegeben als CC-BY-SA-4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de] via Wikimedia Commons

Kansai Electric muß Mihama 3 für 165 Mrd. Yen, umgerechnet 1,4 Mrd. Euro, umrüsten, bevor das Akw wieder in Betrieb gehen darf. Das wird voraussichtlich im März 2020 sein. Die Akw-Betreiber dürften eine so hohe Summe als Beleg für ihr gesteigertes Sicherheitsempfinden interpretieren, aber ist sie nicht auch Ausdruck des Mangels, der bislang vorgeherrscht hat?

Wären die Betreiber der Akws Fukushima Daiichi oder Mihama vor dem 11. März 2011 gefragt worden, ob ihre Atomkraftwerke wirklich sicher sind, hätten sie wahrscheinlich beteuert, daß die Anlagen höchsten Ansprüchen genügen und regelmäßig nach strengen Kriterien inspiziert werden. Das Eintreten einer dreifachen Kernschmelze in einem ihrer Akws hätten sie wohl ausgeschlossen. Fünf Jahre nach der dreifachen Kernschmelze im Akw Fukushima Daiichi werden von den Befürwortern der Atomenergie die gleichen bekannten Behauptungen in die Welt gesetzt, um zu begründen, warum es angeblich sicher ist, ein vierzig Jahre altes Atomkraftwerk weitere 20 Jahre zu betreiben. Dabei ist hinlänglich bekannt, daß bei dem Akw zwar vieles ausgetauscht werden kann, aber ausgerechnet das Herzstück, der Reaktorkessel, gehört nicht dazu.

Es sei schwer zu glauben, daß der Weiterbetrieb alter Reaktoren dieser Nation den Weg in eine neue Energiezukunft eröffne, schrieb die Zeitung "Asahi Shimbun" im Editorial vom 17. November. [2] Ergänzend dazu könnte man sagen, daß das gegenwärtige Arbeitsklima bei Kansai Eletric wohl kaum das Vertrauen in die Sicherheit der Anlage stärkt, hatte sich doch im April dieses Jahres ein Manager des Unternehmens das Leben genommen. Er war damit betraut gewesen, die Reaktoren 1 und 2 des Akw Takahama so auf Vordermann zu bringen, daß ihr Weiterbetrieb trotz ihres Alters von 40 Jahren von der Atomaufsichtsbehörde genehmigt wird, was ja auch zwei Monate später geklappt hat. Es bedarf keiner psychologischen Expertise, um in dem Selbstmord eines Akw-Managers ein potentielles Sicherheitsrisiko zu erkennen.

Angeblich beging der Manager aufgrund von Überarbeitung Selbstmord, ein Verhalten, das unter Arbeitern und Angestellten in Japan anscheinend so verbreitet ist, daß es einen Namen dafür gibt - "karoshi". Der namentlich nicht genannte Mann hatte im Februar 200 Überstunden und im März und April 100 Überstunden gemacht, bevor er sich Mitte April während einer Geschäftsreise nach Tokio in einem Hotel das Leben nahm. [3]

Vor kurzem wurde entdeckt, daß die Filterschlämme aus einer Autowaschanlage extrem hohe Radioaktivitätswerte aufweisen. Dort war die Strahlung aufkonzentriert worden. [4] Mit ähnlichen Vorgängen ist auch im Pazifik, der großräumig kontaminiert wurde, zu rechnen. Zwar findet laufend eine Verteilung der radioaktiven Einleitungen über das gewaltige Meeresvolumen statt, so daß aufgrund solcher Einzelmessungen der Eindruck aufkommen könnte, es bestehe keine Strahlengefahr, aber sowohl in der Nahrungskette wie an neuralgischen Punkten beispielsweise am Meeresboden können ebenfalls überdurchschnittlich hohe Strahlenwerte auftreten. Nach offiziellen Einschätzungen fließen seit Beginn der Fukushima-Katastrophe täglich rund 400 Tonnen mit Radionukliden aufgeladenes Grund- und Löschwasser ins Meer. Seit Beginn des Unfalls bis heute macht das rund 838.000 Tonnen, was dem Wasservolumen von mehr als 335 Olympiabecken entspricht.

Da ganz Japan und eben nicht nur die Präfektur Fukushima mit ihren vorgelagerten Seegebieten hochgradig erdbebengefährdet ist und darüber hinaus fast alle japanischen Atomkraftwerke an der Küste stehen, somit potentiell von einem Tsunami getroffen werden können, stellt sich die Frage, ob die veranschlagten Sicherheitsmaßnahmen ausreichen werden, sollte es erneut zu einem Doppelschlag der Naturkräfte gegen ein Akw kommen.


Umrißkarte Japans mit Akw-Standorten und den größten Städten sowie Darstellung der Tsunami-Ausbreitung nach dem Seebeben vom 11. März 2011 - Karte: Roulex_45, freigegeben als CC-BY-SA-4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de] via Wikimedia Commons

In Japan liegen fast alle Akws an der Küste und müssen durch Sperrmauern vor Tsunamis geschützt werden. Die Schutzmauer für das Akw Fukushima Daiichi war 5,70 Meter hoch; vorgeschrieben war sogar nur eine Höhe 3,12 Meter. Für den Tsunami kein Hindernis. An den sogar zehn Meter über dem Meeresspiegel gelegenen Reaktorblöcken 1 bis 4 staute sich das Meerwasser bis zu 15 Meter hoch.
Karte: Roulex_45, freigegeben als CC-BY-SA-4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de] via Wikimedia Commons


Fußnoten:

[1] http://www.reuters.com/article/us-japan-nuclear-extension-idUSKBN13B0QN

[2] http://www.asahi.com/ajw/articles/AJ201611170033.html

[3] http://www.japantimes.co.jp/news/2016/10/20/national/social-issues/april-suicide-kansai-electric-manager-also-deemed-karoshi/#.WC3kCbrhBxE

[4] https://www.japantoday.com/category/national/view/car-wash-septic-tanks-in-fukushima-contain-highly-radioactive-sludge


18. November 2016


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