Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → BRENNPUNKT


GEFAHR/014: Brandsatz Fukushima - Schadensignoranz ... (SB)


Radioaktive Wälder

Weiterhin Strahlengefahr in der Präfektur Fukushima

Grafische Darstellung der Strahlenausbreitung von Fukushima im gesamten Pazifischen Ozean, hinterlegt mit dem Symbol für Radioaktivität und der Überschrift: 'Noch 10 Jahre?' - Grafik: © 2013 by Schattenblick

Brandsatz Fukushima
Grafik: © 2013 by Schattenblick

Forscher haben festgestellt, daß in manchen Waldgebieten der japanischen Präfektur Fukushima bei über 90 Prozent der dort endemisch vorkommenden Momi-Tanne (Abies firma) eine auffällige Häufung morphologischer Veränderungen auftritt. Das könnte nach Ansicht der Forscher mit der Freisetzung von radioaktiver Strahlung aufgrund der Nuklearkatastrophe vom 11. März 2011 im Akw Fukushima Daiichi zusammenhängen. [1]

Unterdessen hat die japanische Regierung beschlossen, daß sie, entgegen der Forderung örtlicher Behörden und Einwohner, nur einen Teil der verstrahlten Wälder der Präfektur Fukushima, die zu 72 Prozent (972.000 Hektar) bewaldet ist, dekontaminieren will. [2]

Die japanische Regierung setzt unverdrossen auf die Atomtechnologie, ungeachtet der vernichtenden Gewalt zweier Kernwaffenexplosionen im Rahmen eines Krieges und ebenfalls ungeachtet der unterschätzten Gefahren der zivilen Nutzung der Kernspaltung. Es ist bekannt, daß laut der behördlich durchgeführten Reihenuntersuchung überdurchschnittlich viele Schulkinder der Präfektur Fukushima Knötchen und Zysten in der Schilddrüse aufweisen, was Mediziner als Indiz für eine Anreicherung von Radionukliden unmittelbar nach Eintritt der bis heute ungebrochenen Nuklearkatastrophe deuten, und daß inzwischen auch Schilddrüsenkrebs gehäuft auftritt. [3]

Worüber seltener berichtet wird: Infolge der Fukushima-Katastrophe ist nicht nur die Gesundheit der Einwohner Fukushimas hochgradig gefährdet, ihnen wurde auch der Lebensraum genommen: Die Dekontaminationsarbeiten außerhalb der Städte beschränken sich in den meisten Regionen auf 20 Meter breite Streifen um die Siedlungen herum, was bedeutet, daß viele Wälder und andere Gebiete nicht betreten werden dürfen, da sie gesundheitsgefährdend hoch verstrahlt sind. "Arbeiter in der Forstwirtschaft und die örtliche Bevölkerung wurden angewiesen, sich solange von den Wäldern fernzuhalten, bis eine Lösung gefunden ist und sie keine Gesundheitsgefahr mehr darstellen. Mit anderen Worten, Wälder, die die Einwohner mit Holz, Pilzen, wildem Gemüse, Wasser für die Reisfelder und spirituellem Wohlbefinden beliefert haben, wurden auf einmal gefährliche Orte." [4]

Sicherlich wäre der Begriff "Freiluftgefängnis" für die Lage der Menschen übertrieben - doch dies verdeutlicht die enormen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit; nicht zuletzt jener Einwohner, die in der Evakuierungszone rund um das Akw Fukushima Daiichi gelebt haben und fortziehen mußten.

Sogar nach den japanischen Bestimmungen müßten eigentlich weite Gebiete in der Präfektur Fukushima oberflächlich abgetragen werden, um die langlebigeren Radionuklide Cäsium 137 und Strontium 90, die Halbwertszeiten von rund 30 bzw. 28 Jahren haben und sich über Stadt und Land verteilt haben, aus dem potentiellen Berührungsbereich der Einwohner zu entfernen. Auf rund elf Milliarden US-Dollar wird das staatliche Dekontaminationsprogramm beziffert. Um vieles teurer käme es, sämtliche Waldflächen von Radioaktivität zu befreien. (Womit nicht unterstellt werden soll, daß so etwas überhaupt gelänge.)

In diesem Zusammenhang von "entsorgen" zu sprechen, wie es manchmal zu vernehmen ist, wäre ungenau, da die Sorge über die Verstrahlung nicht behoben, sondern nur verlagert wird: Rund 20 Millionen Tonnen Dekontaminationsmaterial haben sich offiziellen Angaben zufolge angesammelt und lagern nun in großen Plastiksäcken auf teils riesigen Halden. Die Regierung sucht bereits nach Grundstücken, auf denen sie noch solche "Zwischenlager" einrichten kann.

Auch auf der Basis von Messungen, die von Drohnen aus vorgenommen wurden und noch weiter durchgeführt werden, sollen nur siedlungsnahe Wälder dekontaminiert werden ... nicht, daß die Mitglieder der Forstkooperative des vollständig evakuierten Städtchens Iitate es vorzögen, endlich wieder ihren gewohnten Tätigkeiten nachzugehen; und nicht, daß die Einwohner gern hin und wieder weiter hinaus ins Grüne fahren wollten, um ihre Regeneration von der Arbeit auch mal in anderer Umgebung als den zahllosen Fitneß-Studios und anderen künstlichen Work-out-Welten zu betreiben!

Ist schon der bloße Aufenthalt in den verstrahlten Wäldern potentiell gesundheitsgefährdend, gilt das um so mehr für jene Menschen, die an den Dekontaminationsarbeiten teilnehmen und über längere Zeiträume dem Strahlenmaterial sehr nahe kommen. Eigentlich müßten Gebiete ab einer Radioaktivität von 3,8 Mikrosievert pro Stunde dekontaminiert werden, im November vergangenen Jahres hätten die Messungen jedoch eine Umgebungsbelastung von durchschnittlich 6,5 Mikrosievert pro Stunde mit dem Maximalwert von 31 Mikrosievert pro Stunde ergeben, berichtete Spreadnews. Deshalb werde erwogen, den Dekontaminationsarbeitern eine Gefahrenzulage zu zahlen. [5]

Sicherlich würden die Behörden einen weiteren Verstrahlungsweg öffnen, wenn sie sämtliche Wälder dekontaminieren ließen, weil das wiederum die Erosionskräfte verstärkte, so daß jene Bodenbereiche abgetragen würden, die sich bereits auf den Fallout aus den Tagen und Wochen nach der Havarie gelegt haben. Doch man muß sich einmal vorstellen: In der japanischen Präfektur gibt es riesige Gebiete, die für ein, zwei oder noch mehr Generationen weitgehend aus der Nutzung der Bevölkerung herausgenommen werden.

Zu all dem werden über die Flüsse weiterhin größere Mengen an Radionukliden, die sich in Tannennadeln, Blättern und Erdreich ansammeln, ins Meer befördert. Zwar wandern die Radionuklide, wie oben erwähnt, tendenziell immer tiefer ins Erdreich, und viele Strahlenpartikel werden in Seen und Flüssen sedimentiert. Aber ein Teil wird immer weiter flußabwärts geschwemmt, bis er schließlich im Meer landet. Dieser Kontaminationsweg wird sogar noch längere Zeit bestehen, also auch dann, wenn die Vegetation oberflächlich betrachtet keine erhöhten Strahlenwerte mehr aufweist.

Beispielsweise haben Forscher beim Okagi-Damm, rund 20 Kilometer nordwestlich des Akw Fukushima Daiichi, in der Höhe der Mündung des Ukedogawaflusses 20 Zentimeter tief im Seeboden Cäsium-137-Werte von 800.000 Becquerel pro Kilogramm gemessen. Etwas näher an der Oberfläche dagegen wurden "nur" - so die Zeitung Asahi Shimbun [6], doch eigentlich müßte man sagen "immerhin noch" - 200.000 Becquerel pro Kilogramm registriert.

Cäsium haftet leicht an Oberflächen und kann mit fließendem Wasser über größere Entfernungen transportiert werden. Für den menschlichen (und tierischen) Organismus ist Cäsium 137 auch deshalb gefährlich, weil es Kalium ähnelt, das im Muskelgewebe enthalten ist, und somit ebenfalls dort eingebaut wird.

Da das Radionuklid alles andere als ortsfest ist und im Akw Fukushima Daiichi noch immer heiße Kernschmelzen stattfinden, so daß radioaktive Partikel in die Umwelt wandern, wundert es doch ein wenig, daß die Europäische Union diese Woche beschlossen hat, die Importrestriktionen für eine Reihe von Lebensmitteln aus der Präfektur Fukushima aufzuheben. [7]


Fußnoten:

[1] Yoshito Watanabe et al.: "Morphological defects in native Japanese fir trees around the Fukushima Daiichi Nuclear Power Plant", Nature, 28. August 2015
http://www.nature.com/articles/srep13232

[2] http://mainichi.jp/english/articles/20151222/p2a/00m/0na/012000c

[3] https://www.ippnw.de/presse/artikel/de/besorgniserregende-zahl-neuer-schild.html

[4] Linas Didvalis: "Radioactive Contamination of Fukushima's Forests: Application of the Polluter Pays Principle", The Journal of Social Science 77[2014], pp. 79-99
tinyurl.com/go4z8q5

[5] http://www.spreadnews.de/fukushima-aktuell-kontaminierte-waelder-und-boeden-beschaeftigen-wissenschaftler/1148504/

[6] http://ajw.asahi.com/article/0311disaster/fukushima/AJ201512220004

[7] http://www3.nhk.or.jp/nhkworld/english/news/20160107_30.html

8. Januar 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang