Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → BRENNPUNKT


GEFAHR/012: Brandsatz Fukushima - ein Schildbürgerstreich ... (SB)


Wasserkreislauf nach Tepco-Art

Der Versuch, am Standort des Akw Fukushima Daiichi den Fluß an radioaktivem Grundwasser ins Meer zum Versiegen zu bringen, hat das Gegenteil bewirkt

Grafische Darstellung der Strahlenausbreitung von Fukushima im gesamten Pazifischen Ozean, hinterlegt mit dem Symbol für Radioaktivität und der Überschrift: 'Noch 10 Jahre?' - Grafik: © 2013 by Schattenblick

Brandsatz Fukushima
Grafik: © 2013 by Schattenblick

Seit Jahren strömt am Standort des havarierten japanischen Atomkraftwerks Fukushima Daiichi radioaktiv verseuchtes Grundwasser ins Meer. Die Betreibergesellschaft Tepco gibt den Wert mit rund 400 Tonnen (t) täglich an, was von den Medien regelmäßig kolportiert wird. Da es sich um eine bloße Einschätzung handelt, die niemand nachprüfen kann, kann man davon ausgehen, daß sie zu niedrig liegt. Die Erfahrungen mit der Öffentlichkeitsarbeit Tepcos haben immer wieder gezeigt, daß die Aktiengesellschaft negative Meldungen aufhübscht, Verstrahlungsfolgen verharmlost und wesentliche Angaben, die die Gesundheit der Bevölkerung betreffen, unterschlägt.

Ebenfalls kann man davon ausgehen, daß die japanische Regierung ein reges Interesse an einer umfassenden Verschleierungspolitik hat. Aus diesem Grund hat sie 2013 ein Gesetz erlassen, das nicht zuletzt darauf abzielt, die Negativberichterstattung über die Atomenergie, respektive die Havarie des Akw Fukushima Daiichi, als Verrat nationaler Geheimnisse zu brandmarken und mit einer drakonischen Gefängnisstrafe zu belegen. [1]

Dessen ungeachtet sind täglich 400 Tonnen Grundwasser, das von den Bergen kommend normalerweise unterhalb der zerstörten Reaktoren entlangfließt, seit dem Erdbeben und Tsunami vom 11. März 2011 aber in die fundamental zerstörten Gebäude eindringt und offensichtlich in Kontakt mit den radioaktiven Einrichtungen und Brennelementen kommt, eine beachtliche Menge.

Tepco versucht nun, die Menge an verstrahltem Grundwasser, das ins Meer strömt, zu reduzieren. Zu diesem Zweck wurde unterhalb der zerstörten Reaktoren 1 bis 4 des Akws eine rund 780 Meter lange, aus 594 Stahlröhren bestehende, 30 Meter tief in den Boden gerammte Spundwand an der Grenze zu Hafenbecken und Meer errichtet. Die Wand soll den Grundwasserstrom aufhalten, während man über landseitig angelegte Brunnen das aufgestaute Wasser abpumpen, dekontaminieren und anschließend ins Meer leiten wollte. [2]

Im Oktober dieses Jahres wurde der Abschluß der vor dreieinhalb Jahren begonnenen Arbeiten gefeiert und zugleich die Hoffnung verbreitet, daß man nun endlich dem gravierenden Problem der Dauerkontamination des Pazifischen Ozeans Herr werde. Doch schon im November wurde der erste Rückschlag gemeldet. Unter dem Druck des Grundwassers hat sich die Stahlwand in Richtung Meer geneigt. [3]

Vor wenigen Tagen dann die Hiobsbotschaft: Tepco berichtete der Nuklearen Aufsichtsbehörde NRA (Nuclear Regulation Authority), daß das abgepumpte Grundwasser einen zu hohen Salzgehalt für die Dekontaminationsanlage aufweist, weshalb diese die Radionuklide nicht herauslösen könne. Darüber hinaus sei die Menge an Grundwasser, das hinaufgepumpt wird, größer als angenommen. [4]

Und was passiert nun? Das heraufgepumpte radioaktive Grundwasser wird nicht ins Meer, sondern wieder zurück in die Reaktorgebäude geleitet! [5]

Selbstverständlich wären die Alternativen, entweder das verstrahlte Grundwasser ins Meer zu pumpen oder die Stahlspundwand abzureißen und den Strom seinen Lauf nehmen lassen, um keinen Deut akzeptabler. Dieses Beispiel zeigt jedoch, wie weit daneben die Vorstellung liegt, die Katastrophe von Fukushima sei unter Kontrolle gebracht worden. Auch wenn zweifelsohne hier und da Erfolge zu verzeichnen sind - als Beispiel sei die Bergung der Brennstäbe aus dem Abklingbecken des Reaktors 4 genannt - so ändert das nichts daran, daß das Problem sprichwörtlich im Kern fortbesteht. In drei der sechs Reaktoren ereigneten sich Kernschmelzen. Diese Bereiche sind so hochgradig verstrahlt, daß man sich ihnen auch nach mehr als vier Jahren nicht einmal mit Robotern nähern kann, wie am heutigen Montag Naohiro Masuda, der von Tepco für die Dekontamination und den Abbau des Akw Fukushima eingesetzte Leiter des Akw Fukushima Daiichi, gegenüber der Nachrichtenagentur AP erklärte. [6]

Hatte Tepco nach dem Errichten der Stahlspundwand und dem Beginn des Abpumpens von Grundwasser noch stolz erklärt, daß der Wasserfluß innerhalb der Reaktorgebäude von 400 t auf rund 200 t täglich gesenkt werden konnte, so heißt es nun, daß infolge der Stauung die Menge an radioaktivem Grundwasser zugenommen hat!

Wohlwollend gesprochen ist das Spundwandkonzept als Schildbürgerstreich zu bezeichnen. Treffender müßte man von Tatkraft vortäuschender, gezielter Verschleierung sprechen, denn Hydrogeologen und andere Experten (beispielsweise aus dem Braunkohletagebau) wissen, daß Grundwasser einen enormen Druck auf eine künstlich errichtete Dichtwand im Boden ausüben kann. Auch ist bekannt, daß sich Wasser, wenn es gestaut wird, seinen Weg seitlich oder auch unterwärts der Sperre sucht und daß, wenn in unmittelbarer Nähe zum Meer größere Mengen an Grundwasser hochgepumpt werden, es zum Phänomen der Salzwasserintrusion kommt.

Zumindest sollten den Ingenieuren, die berechnet haben, wie die Spundwand ausgelegt werden muß, all diese Probleme bewußt gewesen sein. Dem widerspricht nicht, daß die Spundwand nachgegeben hat und nun eigens abgestützt werden muß. Könnte es sein, daß wir hier einmal mehr in die finsteren Abgründe der Firmenpolitik blicken und die Berechnungen der Ingenieure auf viel zu niedrig angesetzten Angaben Tepcos zur Grundwassermenge, die täglich ins Meer fließt, fußen?

Darauf deutet auch die Angabe hin, daß jetzt, da die eigentlich vorgesehene Dekontaminationsanlage nicht funktioniert (und man vermutlich das Wasser zuvor entsalzen müßte), aus den landseitigen Brunnen vor der Spundwand täglich 400 t Grundwasser zurück in die Reaktoren gepumpt werden. Bisher hieß es allerdings, 400 t Grundwasser würden unter den havarierten Gebäuden entlang ins Meer fließen. Nun kann man aber davon ausgehen, daß nur ein Teil des Grundwassers abgepumpt wird und daß, wenn dieser Teil bereits 400 t umfaßt, die Gesamtmenge an radioaktiv verstrahltem Grundwasser, die seit März 2011 täglich ins Meer fließt, größer sein dürfte als bisher angegeben.

Wie immer verbreitet Tepco keine negativen Meldungen, ohne zugleich eine vermeintliche Lösung des Problems mitzuliefern: Nun will man das - vermutlich weniger salzige - Grundwasser aus Brunnen weiter von der Spundwand entfernt landeinwärts abpumpen. Beides, Negativmeldung und Pseudolösung, sind Bestandteil der Verschleierung des Umstands, daß die wesentlichen Probleme im Akw Fukushima Daiichi nicht ab-, sondern zunehmen. So ist es gut vorstellbar, daß die von Tepco ins Spiel gebrachte Lösung der problematischen Salzwasserintrusion zur Folge hat, daß sich der Druck auf die Stahlwand wieder erhöht oder daß eine größere Menge an radioaktiv kontaminiertem Grundwasser ins Meer fließt, als man sich ursprünglich von diesem Verfahren erhofft hatte. Dafür wird es dann sicherlich neue Problemlösungen geben, und so setzt sich die Kette fort.

Da weiterhin 400 t Grundwasser von den Bergen in die Gebäude fließen und nun zusätzlich 400 t hinzugepumpt werden, verdoppelt sich demnach die Menge an verstrahltem Wasser in den Reaktorgebäuden. Zudem ist ein Teil des Wassers salzhaltig, was die Korrosions- und Zerfallsprozesse der Anlagen innerhalb des Gebäudes beschleunigt. [7]

Wenn die japanische Regierung als Lehre aus der Fukushima-Katastrophe wenigsten einen Ausstieg aus der extrem unsicheren und höchst gefährlichen Kernspaltungstechnologie beschließen würde, könnte man ihr vieles nachsehen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Japan setzt auf Atomenergie und wird in den nächsten Jahren weitere Reaktoren wieder in Betrieb nehmen.


Fußnoten:


[1] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/japan/

[2] http://www.tepco.co.jp/en/decommision/planaction/seasidewall/index-e.html

[3] http://www.spreadnews.de/fukushima-aktuell-radioaktives-grundwasser-drueckt-auf-spundwand/1148311/

[4] http://www3.nhk.or.jp/nhkworld/english/news/20151218_27.html

[5] http://www.fukuleaks.org/web/?p=15233

[6] http://tinyurl.com/zwa7elv

[7] http://fukushima-diary.com/2015/12/underground-wall-nearly-doubled-the-increasing-speed-of-retained-water-in-plant-buildings/

21. Dezember 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang