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GEFAHR/011: Brandsatz Fukushima - macht den Kohl nicht fett ... (SB)


Endlager Meer

Japans Regierung spielt mit dem Gedanken, hochradioaktiven Abfall im Meeresboden vor der Küste zu "entsorgen"

Grafische Darstellung der Strahlenausbreitung von Fukushima im gesamten Pazifischen Ozean, hinterlegt mit dem Symbol für Radioaktivität und der Überschrift: 'Noch 10 Jahre?' - Grafik: © 2015 by Schattenblick

Brandsatz Fukushima
Grafik: © 2013 by Schattenblick

Es genügt anscheinend nicht, daß auf den Weltmeeren riesige Strudel mit Plastikmüll treiben, am Grund des Golfs von Mexiko ein Cocktail aus Unmengen an Rohöl und Dispersionsmitteln sedimentiert und von Beginn des Super-GAUs am 18. März 2011 mit dreifacher Kernschmelze am Nuklearstandort Fukushima-Daiichi bis heute der gesamte Pazifische Ozean mit radioaktiven Stoffen kontaminiert wird, jetzt erwägt das japanische Industrieministerium auch noch, radioaktiven Abfall sozusagen über die Kante zu kippen.

Wie die japanische Zeitung "Asahi Shimbun" [1] am 12. Dezember berichtete, hält eine Arbeitsgruppe dies für eine "ausgesprochen sinnvolle" Lösung. Demnach könnte aus abgebrannten Brennelementen zunächst das noch wiederverwendbare Uran und Plutonium herausgelöst werden, um anschließend das hochgradig verstrahlte Restmaterial im küstennahen Bereich unter dem Meeresboden endzulagern.

Diese Verbringungsmethode sei nach Einschätzung der Arbeitsgruppe machbar, weil die Strömung des Grundwassers unterhalb des Meeresbodens nicht so kräftig ist wie an Land, hieß es. Solche Lagerstätten sollten nicht mehr als 20 Kilometer vom Festland entfernt eingerichtet werden, um den Transport des radioaktiven Mülls einfacher zu gestalten.

Auf Grundlage dieses Vorschlags will das Industrieministerium im Januar nächsten Jahres eine Expertenkommission einberufen, damit sie die spezifischen technischen Anforderungen eines solchen submarinen Endlagers für hochradioaktiven Abfall ausarbeitet. Die Kommission soll auch die Frage beantworten, wo sich in den japanischen Küstengewässern aktive tektonische Bruchzonen befinden - diese sollen von der Endlagersuche ausgeklammert werden - und welche Auswirkungen ein Anstieg des Meeresspiegels auf ein solches Lager hätte.

Nachdem bereits vor über vier Jahren große Mengen des nuklearen Brennstoffs aus den havarierten Reaktoren 1 - 4 sowie dem Abklingbecken des Reaktors 4 des Akw Fukushima Daiichi bei einer Serie von Explosionen und Bränden verdampft und den offiziellen Angaben zufolge größtenteils als radioaktiver Fallout über dem Pazifischen Ozean niedergegangen sind, liebäugelt Japan jetzt auch noch damit, das Meer absichtlich einem weiteren Verstrahlungsrisiko auszusetzen.

Die Idee, radioaktiven Müll ins Meer zu kippen, ist nicht neu. In den 1980er Jahren haben sich Rußland, die USA, Deutschland, Großbritannien, Südkorea, Japan und weitere Staaten eine Zeitlang dieser bequemen Methode bedient, um unliebsamen Müll zu "entsorgen". [2] Aus rechtlichen Gründen geht das heute nicht mehr. Gleiches gilt für das Konzept, den Strahlenmüll über die Bordwand zu kippen oder ihn, wie vom japanischen Industrieministerium vorgeschlagen, unter dem küstennahen Meeresboden zu verbringen.

Solche Verfahren werden vom UN-Seerechtsübereinkommen (UNCLOS, United Nations Convention on the Law of the Sea) untersagt. In dem Vertrag wird zwar nicht explizit das Wort "Nuklearabfall" verwendet, aber er verlangt von den Unterzeichnerstaaten auch für die Gewässer unter nationaler Jurisdiktion, Umweltverschmutzungen in Verbindung mit Aktivitäten am Meeresboden zu vermeiden. Die London Convention (1972), das Basler Übereinkommen (1992) und andere internationale Verträge schränken die rechtlichen Möglichkeiten von Staaten, Nuklearabfall im Meeresboden endzulagern, ebenfalls ein.

Unstrittig ist, daß Japan das Problem einer kleinen Landfläche verglichen mit seiner Bevölkerungszahl hat - aber das Problem war natürlich bekannt, bevor sich die Regierung für die Kernenergie entschied und das Land mit über 50 Reaktoren zugepflastert hat, ohne daß ein schlüssiges Endlagerkonzept vorlag.

Unter dem Eindruck der beiden Atombombenabwürfe 1945 durch die USA auf Hiroshima und Nagasaki mit mehreren hunderttausend Toten hatte es anfangs durchaus Vorbehalte großer Teile der japanischen Bevölkerung gegen die Atomtechnologie gegeben. Die Bedenken wurden von der Regierung mit Hilfe propagandistischer Unterstützung durch die USA beiseitegewischt. [3]

Gänzlich verschwunden sind die Vorbehalte gegen die Nukleartechnologie bis heute nicht, wie die Massenproteste unmittelbar nach Beginn der Fukushima-Katastrophe und die regelmäßigen Proteste sowie der Widerstand auch lokaler Behörden beweisen. So haben vor kurzem drei Kommunen in der Provinz Miyagi im Nordosten Japans angekündigt, sie stünden nicht länger als Kandidaten für den Bau eines Nuklearen Endlagers zur Verfügung. Zuvor hatte das japanische Umweltministerium angekündigt, seine Endlagersuche wegen des lokalen Widerstand um zwei Jahre zu verschieben. In dem Endlager sollte fester und flüssiger Strahlenmüll aus dem zerstörten Akw Fukushima Daiichi aufgenommen werden. [4]

Die Regierung Premierminister Shinzo Abes von der nationalistischen Liberaldemokratischen Partei LDP treibt die Inbetriebnahme der Mehrheit der 48 nach dem Fukushima-GAU abgeschalteten Akws mit Nachdruck voran. Dabei nimmt Abe in Kauf, daß, entgegen seiner Behauptung bei der Bewerbung Tokios als Austragungsort für die Olympischen Sommerspiele 2020, die Nuklearkatastrophe von Fukushima längst nicht unter Kontrolle ist. Nach wie vor gelangen große Mengen an Grundwasser, das von den Bergen kommend unter den havarierten Meilern entlangfließt, dabei teilweise in die zerstörten Gebäudeteile eindringt und Radionuklide aufnimmt, durch den Meeresboden ins Meer. Eine erst vor zwei Monaten von der Akw-Betreibergesellschaft Tepco unterhalb des Akw-Geländes errichtete Stahlwand, die den Fluß des Grundwassers abbremsen soll, damit es aus mehreren landseitig angelegten Brunnen abgepumpt und, von radioaktiven Stoffen gereinigt, ins Meer geleitet werden kann, hat sich aufgrund des starken Grundwasserdrucks bereits um 20 Zentimeter in Richtung Hafenbecken geneigt. [5]

Unterdessen wird berichtet, daß es trotz aller Anstrengungen vier Jahre nach Katastrophenbeginn noch immer nicht gelungen ist, das Grundwasserproblem zu lösen. Der zweifelhafte "Erfolg" besteht darin, daß inzwischen nicht mehr 300 Tonnen Grundwasser täglich in die Gebäude eindringen, sondern "nur" noch 200 Tonnen. [6]

Angesichts dieser und vieler weiterer Strahlenbelastungen des Pazifischen Ozeans ist es ziemlich skrupellos von der japanischen Regierung, immer mehr Atomkraftwerke ans Netz zu nehmen, weil sie angeblich den "Streßtest" bestanden haben. Noch skrupelloser wäre es, würde der Vorschlag verwirklicht, das, wenn auch gering, so doch flächendeckend nachweisbar strahlenbelastete Meer nun auch noch mit hochradioaktivem Abfall einem weiteren Risiko auszusetzen. Doch vielleicht macht man das genau aus dem Grund, weil man sich sagt, daß eine weitere Kontaminationsquelle den Schaden nicht wesentlich vergrößern kann ...


Fußnoten:

[1] http://ajw.asahi.com/article/behind_news/social_affairs/AJ201512120027

[2] http://lawdigitalcommons.bc.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=2147&context=ealr

[3] Darüber berichtete vor zwei Jahren der in den USA lebende japanische "Anarchist und Kommunist" Sabu Kohso in einem mehrteiligen Interview mit dem Schattenblick:
INTERVIEW/065: Fukushima - Schock und Gegenwehr, Sabu Kohso im Gespräch, Teil 1 (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0065.html

Näheres zu Sabu Kohsos Vortrag unter:
BERICHT/060: Fukushima - Kondolation der Profite, Teil 1 (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0060.html

[4] http://www3.nhk.or.jp/nhkworld/english/news/nuclear.html

[5] http://www.spreadnews.de/fukushima-aktuell-radioaktives-grundwasser-drueckt-auf-spundwand/1148311/

[6] http://www.spreadnews.de/fukushima-aktuell-menge-an-kontaminiertem-grundwasser-gesunken/1148455/

16. Dezember 2015


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