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GEFAHR/004: Brandsatz Fukushima - Tuch des Schweigens glost und glimmt ... (SB)


Akw Fukushima Daiichi - verstrahltes Wasser ohne Ende

Tepco will radioaktives Wasser nach Durchlaufen einer Dekontaminationsanlage ins Meer leiten und beteuert, daß die zulässigen Grenzwerte für Radionuklide deutlich unterschritten werden

Grafische Darstellung der Strahlenausbreitung von Fukushima im gesamten Pazifischen Ozean, hinterlegt mit dem Symbol für Radioaktivität und der Überschrift: 'Noch 10 Jahre?' - Grafik: © 2014 by Schattenblick

Brandsatz Fukushima
Grafik: © 2013 by Schattenblick

Rund dreieinhalb Jahre nach Beginn der schwersten atomaren Katastrophe dieser Generation ist es den Betreibern des von einem Erdbeben und anschließendem Tsunami havarierten Nuklearkomplexes Fukushima Daiichi in Japan gelungen, die größte Gefahr zu beseitigen. Als Gefahr wurde und wird jedoch nicht die fortlaufende Kontamination der Umwelt mit Radionukliden und Verstrahlung der Bevölkerung angesehen, sondern die Berichterstattung darüber und damit auch die grundsätzliche Infragestellung der Atomenergie oder gar der ihr zugrundeliegenden Produktionsweise.

Fukushima Daiichi war nicht einfach nur ein Atomkraftwerk, sondern ein Nuklearkomplex bestehend aus sechs Atommeilern samt beigeordneten Abklingbecken, in denen dermaßen viele Brennelemente aufbewahrt wurden, daß es sich faktisch um ungesicherte Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente handelte.

Noch immer tobt in mehreren Meilern ein Atombrand, der ständig mit Wasser gekühlt werden muß, damit es keine Explosion mit erneuter plötzlicher Freisetzung großer Mengen an radioaktiven Partikeln gibt wie innerhalb weniger Tage nach Beginn der dreifachen Kernschmelze am 11. März 2011. Das Kühlwasser, das seitdem in die zerstörten Reaktorgebäude geleitet wird, wird wieder abgepumpt und in Tanks auf dem Gelände gelagert. Darüber hinaus verbindet sich ein Teil des verstrahlten Löschwassers mit den rund 400 Tonnen Grundwasser, das unter dem Gelände hindurch-, teilweise aber auch in die maroden Gebäudeteile hineinfließt, dort in Kontakt mit dem Strahlenmaterial gerät und dann ungereinigt weiter ins Meer strömt. Tag für Tag schätzungsweise 200 Tonnen. [1]

Im Pazifischen Ozean verteilt sich die radioaktive Brühe zwar, sorgt aber erstens vor Ort für eine so starke Verstrahlung, daß der dort gefangene Fisch ungenießbar ist, und zweitens für eine zwar geringe, dafür aber stetige Zunahme der Gesamtbelastung des Pazifischen Ozeans. Daran wird sich so bald nichts ändern. Radioaktives Cäsium-137 beispielsweise, das laufend ins Meer abgegeben wird, hat eine Halbwertszeit von rund 30 Jahren.


Fünf Tanks auf einer schwimmenden Plattform, die von einem Schlepper an den Kai bugsiert werden - Foto: © Tepco

"Der Zauberlehrling" wird der Flut nicht Herr - Ankunft weiterer provisorischer Tanks am Akw Fukushima-Daiichi, 12. Juni 2014.
Foto: © Tepco

Auf dem Gelände von Fukushima Daiichi sind inzwischen mehr als 1000 provisorische Tanks zur Lagerung des verstrahlten Wassers aufgestellt. Um die Unmengen an Wasser zu verringern, versucht Tepco, einen unterirdischen Eiswall um die vier havarierten Reaktoren zu legen, so daß das Grundwasser um die Unfallstelle herumfließt. Zudem hat das Unternehmen am 21. Mai dieses Jahres begonnen, einen Teil des Grundwassers, das aus den Bergen kommt, abzupumpen, ehe es die Anlage erreicht und kontaminiert wird.

Bevor Tepco diesen "Grundwasser-Bypass" [2] in Gang setzen durfte, mußte es lange Zeit mit der Präfekturregierung Fukushimas und vor allem der örtlichen Fischereiindustrie verhandeln, um den Segen dafür zu erhalten. Tepco hat zugesagt, daß das Grundwasser vor der Einleitung hinsichtlich der radioaktiven Belastung überprüft wird. Man bleibe sogar noch unterhalb der Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation WHO für Trinkwasser, behauptete der Staatskonzern. Das freigegebene Grundwasser soll pro Liter weniger als 1 Becquerel Cäsium-134 und Cäsium-137 sowie weniger als 5 Becquerel eines Betastrahlers wie Strontium-90 und höchsten 1500 Becquerel Tritium enthalten.

Durch diese Maßnahme soll die Menge an radioaktiv kontaminiertem Wasser um bis zu 80 Tonnen täglich verringert werden. Diesem Plan hatten die Fischer erst nach langem Zögern und schwerwiegenden Bedenken sowie der Zusicherung, daß die Strahlenbelastung der Einleitungen durch eine unabhängige Instanz überwacht wird, zugestimmt. Nun legt Tepco mit der nächsten Forderung nach, nachdem dieser Grundwasser-Bypass nicht den erhofften Erfolg gebracht hat. Das Unternehmen hat einen Antrag gestellt, das Grundwasser abzupumpen, zu dekontaminieren und direkt ins Meer leiten zu dürfen, weil die Möglichkeiten, immer weiter Tanks aufzustellen, begrenzt sind. Die Fischer seien schockiert, als sie hörten, daß nur drei Monate nach Beginn der Bypass-Operation so etwas notwendig werde, kommentierte auf einer Pressekonferenz der Vorsitzende des Fischereivereinigung in Soma City, Hiroyuki Sato, die Stimmung unter den Fischern. [3]

Bereits vor der Fukushima-Katastrophe wurde permanent Grundwasser aus 57 Brunnen rund um die Reaktoren abgepumpt und ins Meer geleitet, weil ansonsten der Grundwasserstand zu sehr gestiegen und Wasser in das Akw geflossen wäre - Fukushima Daiichi wurde nicht auf Sand, sondern auf Wasser gebaut.

Aus 27 dieser Brunnen, die durch das Erdbeben nicht zerstört wurden bzw. die wieder in Betrieb genommen werden konnten, sowie 15 neu angelegten Brunnen auf dem Gelände um die zerstörten Meiler herum sowie an einer Eisenbarriere entlang der Küste soll jetzt das Grundwasser emporgepumpt und der Dekontaminationsanlage zugeführt werden.

Bislang haben die Pläne noch nicht den Segen der japanischen Atomaufsichtsbehörde und auch nicht der örtlichen Bevölkerung. Ob sie ihn je erhalten, ist fraglich, hat man doch schon unliebsame Erfahrungen mit Tepco gemacht. Inkompetent ist dafür noch eine der harmloseren Bezeichnungen. Hisayo Takada von Greenpeace Japan zeigt sich skeptisch gegenüber den Plänen Tepcos und fragt, ob die Gesellschaft einen Ersatzplan hat, sollte der schlimmste Fall eintreten und die Dekontaminierungsanlage ALPS (Advanced Liquid Processing System) nicht richtig funktionieren. [4]

Die Befürchtung der Umweltschützerin ist nicht unbegründet, hat sich doch ALPS fast zu einem Alptraum entwickelt, da das System in den letzten zwei Jahren nicht voll gelaufen ist. An manchen Tagen fiel die Anlage komplett aus, weil es einen Kurzschluß gab. "Peinlich" nannte ein Manager Fukushima Daiichis das Versagen. [5]

Eine Gruppe von Personen in weißen Schutzanzügen mit Namen auf dem Rücken und roten Helmen blickt auf die Anlage - Foto: © Tepco

Der deutsche Botschafter in Japan, Dr. Hans Carl von Werthern, besuchte am 2. Juni 2014 das Akw Fukushima Daiichi und ließ sich die Dekontaminationsanlage ALPS zeigen.
Foto: © Tepco

Wenn ALPS so funktioniert, wie es sich Tepco erhofft, dann werden mit dem System Strontium und 61 andere Isotope aus 500 Tonnen Wasser herausgelöst; Tritium gehört allerdings nicht dazu. Im letzten Jahr hat die japanische Regierung angekündigt, sie werde 15 Milliarden Yen (umgerechnet 146 Millionen Dollar) zur Erweiterung von ALPS bereitstellen, so daß ab September 640 Tonnen Wasser täglich dekontaminiert werden können. Zudem ist der Aufbau eines weiteren ALP-Systems geplant, das ab Oktober weitere 425 Tonnen täglich bewältigen soll. Und es soll ein auf einem Lkw montiertes Strontium-Filtersystem der US-Firma Kurion Inc. eingesetzt werden, wie Bloomberg berichtete. [6] Demnach schickt sich Tepco nicht nur an, die permanenten Einleitungen ins Meer zu reduzieren, sondern auch die provisorischen Tanks auf dem Gelände zu leeren und abzubauen.

Wenn das eine Methode zur Bewältigung des Problems sein soll, dann könnte Tepco sämtliches radioaktiv verstrahltes Wasser gleich ins Meer pumpen, denn dort würde es sich ebenfalls verdünnen und die Grenzwerte unterschreiten. Auf dem Gelände werden mehr als 373.000 Tonnen radioaktives Wasser gelagert (Stichtag: 29. Juli 2014). Laut Bloomberg ist es fraglich, ob Tepco-Präsident Naomi Hirose seine im September 2013 gegenüber Premierminister Shinzo Abo gemachte Zusage, daß alles Wasser bis zum 31. März 2015 dekontaminiert sein wird, einhalten kann.

Schon jetzt zeigt sich eine signifikante Häufung von Zysten und Knötchen in Schilddrüsen von Kindern in der Provinz Fukushima. In den nächsten Jahren könnten noch viel mehr Erkrankungsfälle von Menschen mit einer längeren Latenzzeit hinzukommen. Sind schon die Langzeitfolgen einer Dauerbelastung mit einer niedrigen Strahlendosis bislang wenig erforscht, so gilt dies um so mehr für die Verteilung von Radionukliden im Meer und die davon ausgehenden Gesundheitsgefahren.

Auch wenn sich die täglichen radioaktiven Einleitungen aus dem Akw-Komplex Fukushima sowie aus dem Grund- und oberirdischen Wasser aller verstrahlten Gebiete Japans stark verdünnen, sobald sie in den Pazifischen Ozean gelangen, wird es vermutlich jahrzehntelang Strahlencluster geben, die womöglich nie entdeckt werden, aber eine potentielle Gesundheitsgefahr darstellen. Sei es, daß die Strahlung innerhalb der Nahrungskette angereichert wird und verstrahlter Fisch nicht mehr nur auf den japanischen Eßtischen landet, sei es, daß sich verstrahlte Trümmerteile aus Japan an weit entfernten Küsten ansammeln - alle bisher durchgeführten Messungen bleiben stichprobenartig und können nicht gewährleisten, daß Lebensmittel und Umwelt unbelastet sind.

Die indirekten Folgen der Nuklearkatastrophe von Fukushima Daiichi sind noch gar nicht ausgelotet. Allein die Kosten, die aufgebracht, und die Anstrengungen, die aufgewendet werden müssen, um die Schadensfolgen der dreifachen Kernschmelze und des radioaktiven Fallouts einzudämmen, sind unermeßlich. Hier wird, ohne mit der Wimper zu zucken, die Gesundheit von Millionen Menschen ruiniert und Arbeitskraft verschwendet, die für andere Dinge eingesetzt werden könnte als für die Beseitigung einer Nuklearkatastrophe.

Würde man all die externalisierten Kosten der Atomenergie, wie sie beispielsweise bei der Schadensbehebung anfallen, in Rechnung stellen, würde es in einer so geordneten Welt, die, wie ihre Befürworter behaupten, rein nach ökonomischen Kriterien funktioniert, keine Atomkraftwerke geben. Der elektrische Strom, der mit ihnen generiert wird, wäre viel zu teuer. Daß es dennoch rund 400 Atomkraftwerke auf der Welt gibt, hat damit zu tun, daß sie ein Abfallprodukt des Strebens nach der Atombombe sind. Lange bevor das erste Atomkraftwerk seinen kommerziellen Betrieb aufgenommen hat, hatten die USA zwei Atombomben auf Japan abgeworfen - eine unmißverständliche Demonstration der Bereitschaft, für das Erreichen der eigenen Ziele über Hunderttausende Leichen zu gehen. Da sollte es eigentlich nicht wundern, daß mit der gleichen Ratio, wie sie hierin zum Ausdruck kommt, Atomkraftwerke betrieben werden und die davon betroffene Bevölkerung glauben gemacht wird, es gebe keine Alternative. Mit der neuen Dekontaminationsanlage ALPS soll radioaktiv verstrahltes Wasser nach der Behandlung ins Meer geleitet werden. Die Erfahrungen mit Tepco sprechen dafür, daß das Unternehmen, frühestens wenn alle Tanks geleert sind, einräumen wird, daß das System vielleicht doch nicht hundertprozentig funktioniert hat, aber man bereits damit befaßt ist, das Problem zu beheben. Wie eingangs gesagt: Rund dreieinhalb Jahre nach Beginn der schwersten atomaren Katastrophe dieser Generation ist es den Betreibern des havarierten Nuklearkomplexes Fukushima Daiichi gelungen, die aus ihrer Sicht größte Gefahr zu beseitigen.

Ein Arbeiter weist auf einen von zwei Bildschirmen, die vermutlich Schemazeichnungen des Grundwasser-Bypasses zeigen. Akw Fukushima Daiichi, Main-Anti-Earthquake Building - Foto: © Tepco

Alles unter Kontrolle? Aber decken sich die dargestellten Ergebnisse mit dem, was nachher ins Meer geleitet werden soll?
Foto: © Tepco


Fußnoten:


[1] http://hayabusa3.2ch.sc/test/read.cgi/news/1407372390/l50

[2] http://www.tepco.co.jp/en/press/corp-com/release/2014/1236559_5892.html

[3] http://www3.nhk.or.jp/nhkworld/english/news/20140807_39.html

[4] http://www.nuclearpowerdaily.com/reports/Fukushima_operator_unveils_newest_tainted-water_plan_999.html

[5] http://tinyurl.com/mthz3op

[6] https://www.bloomberg.com/news/2014-08-04/tepco-set-to-miss-target-for-fukushima-radioactive-water-cleanup.html

11. August 2014