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VÖGEL/809: Schreiadler - Heimlichtuer mit gehobenen Ansprüchen (Unser Wald)


Unser Wald - 1. Ausgabe, Januar/Februar 2012
Zeitschrift der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald

Schreiadler - Heimlichtuer mit gehobenen Ansprüchen

von Jörg Liesen



Das Vorkommen des Schreiadlers (Aquila pomarina) mit seiner unauffälligen Lebensweise findet seine nordwestliche Verbreitungsgrenze in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Um 1800 war der Schreiadler noch deutlich weiter verbreitet und brütete auch in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern.

Heute ist der Schreiadler v.a. in Mittel- und Osteuropa zwischen Baltikum und Balkan bis in den westlichen Teil Russlands verbreitet. Außerhalb Europas brütet die kleinste heimische Adlerart in der Türkei, dem Nordiran und im Kaukasus. Weltweit rechnet man mit 15.000 bis 20.000 Brutpaaren. Damit gilt der Schreiadler weltweit als bedrohte Art.

Ungeübten Beobachtern macht es der Schreiadler schwer, ihn zu erkennen. Er kann leicht mit dem viel häufigeren Mäusebussard verwechselt werden. Schreiadler sind jedoch etwas größer als Mäusebussarde, haben ein eher hellbraunes Gefieder und im Gegensatz zum Bussard keine helle Gefiederzeichnung auf der Unterseite.

Als Zugvögel sind Schreiadler sogenannte Langstreckenzieher, die vor allem im südlichen Afrika überwintern. Sie leben in ihrem Brutgebiet nur etwa fünf Monate (von ca. Mitte April bis Mitte September), während sie in der übrigen Zeit in ihren Überwinterungsgebieten sind. Auf ihrem Zug von den Brutgebieten in die Überwinterungsgebiete des südlichen Afrikas (etwa vom mittleren Tansania bis in den Nordosten Südafrikas) passiert nahezu die gesamte weltweite Schreiadlerpopulation im Herbst Israel auf dem Weg nach Afrika. Nach ihrer Rückkehr Anfang Mai beginnen die Schreiadler mit der Brut. Hierbei sitzt das Weibchen nahezu dauerhaft auf dem Gelege und wird vom Männchen versorgt. In dieser Zeit sind Schreiadler sehr empfindlich gegenüber Störungen. Bei dem geringsten Anlass von Störungen durch den Menschen verlassen sie den Horst. Das Weibchen legt meistens ein bis zwei Eier. Wenn zwei Küken schlüpfen, wird das jüngere Küken vom älteren Küken getötet, so dass äußerst selten mehr als nur ein Jungvogel ausfliegt. Diese Tötungshandlung ist angeboren, erfolgt unabhängig vom Ernährungszustand der Jungvögel und wird nach der Bibelgeschichte der Brüder Kain und Abel auch "Kainismus" genannt.

Schreiadler besiedeln im Norden ihres Verbreitungsgebietes ein komplexes Mosaik an Landschaftsstrukturen, das vor allem aus extensiv genutzten, feuchten Niederungen mit Laub- und Mischwäldern und angrenzenden Feuchtwiesen und Mooren besteht. Doch dieser Lebensraum ist zunehmend bedroht. Während der Schreiadler für seine Horststandorte möglichst ruhige, störungsfreie, alte und dichte Wälder braucht, benötigt er für die Nahrungssuche im nahen Umfeld der Brutwälder Wiesen, Äcker und Moore, in denen es vor allem reichlich Mäuse und Frösche gibt. Heute wird es immer schwieriger, diese Nahrung zu erbeuten. Die Intensivierung der Landwirtschaft durch Pflanzenschutzmittel und Mineraldünger und auch die einförmigen Fruchtfolgen aus Mais, Raps und Getreide schränken das Nahrungsangebot drastisch ein. Aber auch in heimischen Wäldern, sogar in Schutzgebieten, findet heute zum Teil eine Intensivierung der Forstwirtschaft statt, die unter anderem zu einem drastischen Rückgang des Schreiadlers geführt hat.

Der Bestand in Deutschland beträgt nur noch knapp 100 Paare, 2003 waren es noch etwa 130 Paare. Schreiadlerspezialisten wie Dr. Peter Wernicke, Leiter des Naturparks Feldberger Seenlandschaft in Mecklenburg-Vorpommern, fordern seit Jahren unter anderen eine nachhaltigere Forstwirtschaft und die Ausweisung von Schutzzonen für die verbliebenen Schreiadler. Im Rahmen eines Naturschutzgroßprojektes des Bundesamtes für Naturschutz wird in Nordvorpommern auf über 50.000 Hektar versucht, die Lebensbedingungen für den Schreiadler zu verbessern.

Autor
Jörg Liesen ist Diplom-Forstwirt und Dipl.-Ing. (FH) Landschaftsplanung; E-Mail: liesen[at]naturparke.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Schreiadler sind sehr empfindlich gegen Störungen.

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Quelle:
Unser Wald - Zeitschrift der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald
1.‍ ‍Ausgabe, Januar/Februar 2012, Seite 13
Herausgeber:
Bundesverband der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald e.V., Bonn
Redaktion: Meckenheimer Allee 79, 53115 Bonn
Telefon: 0228 / 945 98 30, Fax: 0228 / 945 98 33
E-Mail: unser-wald@sdw.de
Internet: http://www.sdw.de
 
Erscheinungsweise: zweimonatlich
Bezugspreis: Jahresabonnement 17,50 Euro
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Einzelheft: Preis 3,- Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. April 2012