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VÖGEL/728: Löffelstrandläufer - Schutzbemühungen im Brutgebiet (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 7/2011

Schutzbemühungen im Brutgebiet: Neues vom Löffelstrandläufer

Von Christoph Zöckler


Es ist schon erstaunlich, dass ein so kleiner Vogel, der zudem noch nie in Europa nachgewiesen wurde, so viel Aufmerksamkeit erreicht. Nicht nur in Großbritannien und Schweden, sondern auch in Deutschland sind viele Menschen dem Spendenaufruf zur Rettung des Löffelstrandläufers in unerwartet hoher Beteiligung gefolgt. Bisher sind alleine in Deutschland über 5700 Euro an Spenden eingegangen.


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Die Gelder sind zusammen mit den vielen anderen Spenden aus verschiedenen Regionen aus aller Welt und von BirdLife International zielgerichtet in Bangladesch und Myanmar zur Verminderung des Jagddrucks und zum Schutz der verbliebenen Winterpopulation des Löffelstrandläufers verwendet worden. In weiten Teilen der Bucht von Martaban, dem Hauptüberwinterungsgebiet in Myanmar, ist der Vogelfang eingestellt worden. In intensiven Gesprächen und Aufklärungskampagnen in den umliegenden Dörfern ist es unserem Partner in Myanmar BANCA gelungen, nicht nur die Jäger, sondern auch die Dorfgemeinschaften und weite Teile der Bevölkerung von der Schutznotwendigkeit und alternativen Einkommensquellen zu überzeugen. Etwa zwanzig Dörfer im Westen der Bucht müssen noch besucht werden, und auch in Bangladesch, wo der Jagddruck wesentlich größer ist, bedarf es weiterer Anstrengungen.

Leider sind all diese Fortschritte im Schutzbemühen um den Löffelstrandläufer nicht ausreichend, um den starken Rückgang rechtzeitig aufzuhalten. Die Population hat bereits eine Größe von nur noch 400 bis 500 Vögeln erreicht. Fehlende Rekrutierung von Jungvögeln in die Brutpopulation, bedingt durch Bejagung, aber auch andere Verluste auf dem Zugweg, hat den starken Rückgang von 26 % pro Jahr bewirkt. Populationsmodelle, die verschiedene Brutparameter sowie die Überlebungsrate miteinbeziehen, berechnen ein Aussterben der Art ohne Schutzaktivitäten innerhalb der nächsten zwanzig Jahre, wobei die begonnenen Schutzmaßnahmen in den Überwinterungsgebieten eine Erholung der Population erst in zehn bis zwölf Jahren einleiten würden. Bis dahin würde die Population weiter unterhalb eines kritischen Wertes sinken, die eine natürliche Erholung des Bestandes wenig wahrscheinlich erscheinen lässt. Zudem ist es noch ungewiss, welche anderen Faktoren auf dem langen Zugweg ebenfalls den Schutzbemühungen entgegenstehen könnten.

Nach längerem Abwägen und Recherchieren sind sich alle um den Schutz des Vogels bemühten Akteure, die sich in einer internationalen Löffelstrandläufer Flyway Task Force zusammengeschlossen haben, einig, ein Projekt zu unterstützen und mit großer Dringlichkeit voranzutreiben, das den Aufbau einer Volierenpopulation beinhaltet (Text siehe unten).


Expeditionen ins Brutgebiet

In diesem Sommer sind mit Unterstützung von BirdLife International und der Packard Foundation mehrere Expeditionen parallel in verschiedene Regionen des Brutgebietes in Tschukschien und Nordkamtschatka aufgebrochen. Fünf Teams haben sich auf das sich über 4500 km erstreckende Brutgebiet verteilt und suchen nach neuen, unbekannten Brutplätzen.

Zum ersten Mal werden auch schwer unzugängliche Küstengebiete im Norden an der Tschukschensee abgesucht. Hier sind auch sibirienerfahrene deutsche Vogelkundler beteiligt, eine dänische Gruppe ist im Norden von Anadyr unterwegs. Des Weiteren ist ein rein russisches Team erstmals an der ebenfalls nur schwer zugänglichen Koryakenküste im Norden von Kamtschatka auf der Suche, wo noch bisher unentdeckte Brutplätze des Löffelstrandläufers vermutet werden. Hier haben von der RSPB mitunterstützte Vorhersagemodelle, die Auswertung von Satellitenbildern und die Analyse der geographischen Küstenstrukturen die versprechendsten Flächen für noch unentdeckte Brutgebiete angezeigt. Doch die Küste ist sehr lang. Auf gut 500 bis 800 km sind mehrere vielversprechende Biotope auszumachen, und eine Erkundung mit herkömmlichen Methoden von Land aus oder mit kleinen Booten erscheint nicht annähernd ausreichend zu sein. Hier kommt das sehr reizvolle Angebot von Heritage Expeditions, einer neuseeländischen Kreuzschifffahrts-Gesellschaft, zum Einsatz. Das Unternehmen beteiligt sich an der Suche nach den letzten Brutvorkommen und hat zwei Mitarbeitern der internationalen Löffelstrandläufer Flyway Task Force eine Mitfahrgelegenheit an Bord der "Spirit of Enderby" oder "Professor Khromov" angeboten, um einserseits den mitfahrenden Gästen neben den vielen regionalen Besonderheiten, wie Bären, Riesenseeadler, Walrosse und Grauwale, auch den Löffelstrandläufer zu zeigen, aber auch um die Suche nach dem seltenen Strandläufer optimal zu gestalten. Die an Land operierende Expedition kann durch das Kreuzfahrtschiff unterstützt werden, indem abgelegene Buchten und Inseln, die interessante Habitatstrukturen aufweisen, gezielt aufgesucht werden können - soweit das Zeitbudget der Reiseroute von Pedropavlovsk im Süden Kamtschatkas bis nach Anadyr, der Hauptstadt Tschukschiens, dies erlaubt. Es darf aber angenommen werden, dass mit insgesamt vier Tagen ausreichend Gelegenheit geboten ist, weitere bisher unbekannte Brutplätze ausfindig zu machen. Geplant ist, dass das Schiff auch am langjährig bekannten Hauptbrutplatz in der Nähe des kleinen Tschukschen-Fischerdorfs Meinopyl'gino vorbeikommt und dort, wenn möglich und erforderlich, beim Weitertransport der aufgezogenen Jungvögel mithilft.

Ein Gelege mit vier Eiern, entdeckt in dem kleinen Tschukschen-Fischerdorf Meinopyl'gino. - Foto: © C. Zöckler, Meinopyl'gino, Juli 2003

Ein Gelege mit vier Eiern, entdeckt in dem kleinen Tschukschen-Fischerdorf Meinopyl'gino.
Foto: © C. Zöckler, Meinopyl'gino, Juli 2003

Meinopyl'gino ist der einzige Brutplatz, von dem uns noch zweistellige Brutpaarzahlen bekannt sind. Dies allerdings auch nur noch knapp, denn im letzten Jahr konnten die russischen Forscher Pavel Tomkovich und Nikolai Jakuschew nur noch 12 bis 13 Paare notieren. Das Gebiet wurde 2003 erstmalig kartiert und wir registrierten bis zu 85 Löffelstrandläufer-Reviere. Damals war ein sechsköpfiges Team im weiten Umkreis unterwegs. Auf vergleichbarer Fläche, die 2010 durch die beiden russischen Forscher untersucht wurde, waren es im Jahr 2003 mindestens noch 45 Paare.


Bruterfolg und Beringung

Mit durchschnittlich fast zwei Jungen pro Paar (1,99 über vier Untersuchungsjahre) ist der Schlupferfolg vergleichsweise groß. Insgesamt ist der Bruterfolg über die Jahre mit durchschnittlich 0,64 Jungen pro Paar, die flügge werden, als eher hoch einzuschätzen. Dies ist ein Anzeichen dafür, dass die Gründe für den Rückgang außerhalb des Brutgebietes auf dem Zugweg oder im Winterquartier zu suchen sind. Es gibt zwar Beutegreifer, wie Wiesel, Rotfuchs und Eisfuchs, letzterer kommt nur im Norden vor, dafür streift der Rotfuchs den Süden des Brutgebietes ungestört in der Küstentundra nach Gelegen ab. Auch Großmöwen und zwei Raubmöwenarten suchen gezielt nach den Jungvögeln unter den brütenden Küstenlimikolen. Möglicherweise hat auch unachtsames Forscherverhalten in den frühen Jahren der Erkundung den einen oder anderen Räuber gerade erst auf die Brut aufmerksam gemacht.

Frisch geschlüpfte Brut. Die Jungen kommen mit dem

Frisch geschlüpfte Brut. Die Jungen kommen mit dem "Löffel" auf die Welt.
Foto: © C. Zöckler, Meinopyl'gino, Juli 2003

Das Suchen der Nester, das Vermessen und Beringen sind unvermeidliche Störungen. Es ist wichtig, alle Sicht- und Geruchsspuren, die der Forscher unweigerlich verursacht, so gut wie möglich zu verwischen, um die Beutegreifer nicht an die Gelege zu locken. Dies mag in früheren Jahren nicht immer gelungen sein. Anfangs wurden alte wie junge Vögel beringt, die alten sogar individuell. Die Beringung war erforderlich und hat wesentliche Erkenntnisse zum Schutz erbracht, dennoch nehmen wir heute davon Abstand, um die Restpopulation nicht noch weiter zu bedrängen.

Seit dem Jahr 2001, der Entdeckung dieses Kernbrutgebietes des Löffelstrandläufers, sind junge und alte Vögel hier mit hellgrünen Farbringen markiert worden. Seit Beginn des dauerhaften Monitorings der Brutplätze im Jahr 2003 sind viele Altvögel auch individuell farbmarkiert worden. Viele wichtige brutbiologische Parameter konnten so ermittelt werden. Bereits Pavel Tomkovich hat bei seinen dreijährigen Untersuchungen im Norden des Brutgebietes in den 1980er Jahren festgestellt, dass die Löffelstrandläufer sehr brutortstreu sind, was durch unsere Untersuchungen auch für den Süden des Landes bestätigt werden konnte. Damit hat sich leider der schon im Jahr 2003 abzeichnende Trend bewahrheitet, dass die Jungen nicht zurückkehren. Von den 2001 beringten 31 Vögeln ist nur der einzig beringte Altvogel wieder in Meinopyl'gino nachgewiesen worden. Keiner der 30 beringten Jungvögel kam zurück. Dies hat sich leider in den Folgejahren wiederholt. Nur im Jahr 2005 und 2007 sind beringte Jungvögel gesichtet worden - es gibt daher für Jungvögel große Probleme auf dem Zugweg. Heute wissen wir mehr darüber. Speziell über die Gefahren, denen gerade Jungvögel auf dem Zug und im Überwinterungsgebiet ausgesetzt sind, haben wir mehrfach berichtet (s. FALKE 2009, H. 10; 2011, H. 3).

Die Markierung mit Farbringen seit 2001, in Kombination mit individueller Farbberingung wie bei diesem Junge führenden Männchen, hat viele wertvolle Ergebnisse zur Brutbiologie erbracht. - Foto: © C. Zöckler, Meinopyl'gino, Juli 2005

Die Markierung mit Farbringen seit 2001, in Kombination mit
individueller Farbberingung wie bei diesem Junge führenden Männchen,
hat viele wertvolle Ergebnisse zur Brutbiologie erbracht.
Foto: © C. Zöckler, Meinopyl'gino, Juli 2005

Die Farbmarkierung hat nicht nur Auskunft über die Brutortstreue, sondern auch Hinweise auf das Alter gegeben. Im Jahr 2002 besuchten Evgeny Syroechkovski und Pavel Tomkovich gemeinsam mit einem internationalen Team, zu dem ich auch zählen durfte, die ehemals gut studierten Brutplätze auf der Beljaka-Nehrung an der Nordküste der Tschukschensee. Damals war der Brutbestand bereits mit 23 Paaren auf weniger als die Hälfte der in den 1980er Jahren festgestellten 55 Paare geschrumpft. Das aufregendste Ergebnis war die Tatsache, dass drei der beringten und farbmarkierten Vögel immer noch auf Beljaka lebten und brüteten. Ein Weibchen wurde 1988 als Brutvogel am Nest gefangen und farbberingt und 2002 nur 200 m entfernt als Brutvogel wieder gefangen. Damit ist der Vogel mindestens 16 Jahre alt geworden, denn in der Regel brüten die Strandläufer erst im zweiten Sommer. Auch die anderen beiden hatten ein Alter von 14 und 15 Jahren erreicht. Der Löffelstrandläufer wird, genauso wie viele andere Strandläufer, relativ alt und kann somit wegen widriger Witterung oder hohem Prädationsdruck oft ausfallende Bruten durch mehrjährige Brutversuche ausgleichen. Dies gibt Hoffnung, kann aber auch bedeuten, dass bei der geringen Rekrutierung, die möglicherweise schon länger anhält, als in den letzten zehn Jahren beobachtet, die gesamte Population kurz vor dem Zusammenbruch steht. Im Jahr 2010, nur acht Jahre später, hatte ein russischer Vogelbeobachter Schwierigkeiten, auch nur ein einziges Paar auf Beljaka zu finden. Unser Team im Norden wird es dieses Jahr möglicherweise sehr schwer haben, neue Brutplätze zu entdecken.


Hoffnung aus dem Wintergebiet

Die allerjüngsten Meldungen aus Nan Thar, einem der wichtigsten Überwinterungsgebiete in Myanmar, lassen jedoch neue Hoffnung aufkeimen. Unser Mitarbeiter Ren Nou Soe, der dort bis Ende April die Wattflächen (und Jäger!) kontrolliert hat, berichtete vor Kurzem, dass es ihm gelungen sei, am 27. April zwei Vögel im Brutkleid zu entdecken und durchs Spektiv sogar zu fotografieren. Die Vögel befanden sich in einer Gruppe von zwölf Löffelstrandläufern, zusammen mit weiteren Watvogelarten. Dies ist sicherlich die erste Beobachtung von Brutkleidvögeln in Myanmar und normalerweise sollten die Altvögel um diese Zeit weitergezogen sein. Auch unsere beiden Partner in Rudong an der chinesischen Küste nördlich von Schanghai berichteten von einem deutlich späteren Durchzug, was zu der Beobachtung aus Myanmar passen würde. Doch das besondere an Rens Beobachtung ist die Tatsache, dass es scheinbar noch zehn Vögel im Schlichtkleid gab. Das können um diese Zeit eigentlich nur noch junge, vorjährige Vögel sein! Lässt sich hieraus womöglich auf einen guten Bruterfolg irgendwo an unbekannter Stelle schließen? Durch unsere Erfolge bei der Einstellung der Jagd werden diese Vögel zumindest den ersten Sommer überstehen und dann im zweiten Sommer die sich ausdünnende Brutpopulation verstärken. Doch wo haben diese Vögel gebrütet? Vielleicht wird eine der fünf Expeditionen des Sommers 2011 eine Antwort geben können. Wir werden weiter berichten.


Christoph Zöckler koordiniert die Umsetzung des internationalen Artenschutzplanes für den Löffelstrandläufer.

Die Zoologische Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz (ZGAP) und die Manfred-Hermsen-Stiftung engagieren sich kontinuierlich beim Schutz des Löffelstrandläufers. Großzügige Zuwendungen für das Aufzuchtprogramm kommen von RSPB und WWT. Viele andere, besonders meine russischen Freunde Evgeny Syroechkovskiy, Elena Lappo, Pavel Tomkovich und Nikolai Jakuschew sowie Axel Bräunlich und Tom Noah vom deutschen Unterstützer-Team unterstützen die Arbeit in der Tundra und am Schreibtisch.


Literatur zum Thema:

Zöckler C, Syroechkovskiy A, Atkinson PW 2010: Rapid and continued population decline in the Spoon-billed Sandpiper Calidris pygmeus indicates imminent extinction unless conservation action is taken. Bird Conservation International. 20: 95-111.


Aufbau einer Volierenpopulation

Es ist bekannt, dass in Meinopyl'gino 2010 noch gut zwölf Paare brüteten. In den letzten Jahren ist der Bestand um durchschnittlich 26 % pro Jahr gesunken. Ein möglicherweise überalterter Bestand an brütenden Altvögeln ohne Rekrutierung von Jungen kann bedeuten, dass auch ­diese Restpopulation früher oder später zusammenbricht. Daher ist innerhalb der Löffelstrandläufer Flyway Task Force, die zur Rettung der Art vor sieben Jahren gegründet wurde und seit 2010 offizieller Teil der East Asian-Australasian Flyway Partnerschaft ist, beschlossen worden, noch in diesem Jahr ein Zuchtprogramm zum Erhalt der Vogelart zu starten. Mit Unterstützung der RSPB wird der Wildfowl and Wetland Trust (WWT) gemeinsam mit unserem russischen Partner Birds Russia in diesem Sommer eine erste Expedition nach Meinopyl'gino unternehmen, um dort Eier des seltenen Strandläufers zur Aufzucht zu entnehmen und an Ort und Stelle auszubrüten. Geplant ist, zwanzig Eier aus fünf Vollgelegen mit jeweils vier Eiern in einen Brutkasten zu überführen und aufzuziehen. Damit den Vögeln Zeit für ein mögliches Nachgelege bleibt, sollten die Eier nicht später als zehn Tage nach Legebeginn gesammelt werden, aber auch nicht zu früh, um ein erfolgreiches Ausbrüten zu garantieren. Werden die Gelege zu früh in der Bebrütung gesammelt, ist die Gefahr groß, dass sie nicht schlüpfen. Dies haben Erfahrungen mit anderen Strandläufern in Zoos, Labors und Vogelsammlungen aus aller Welt erbracht. Diese enge Spanne erfordert ein gut informiertes und koordiniertes Feldteam, das einen guten Überblick über jedes noch brütende Paar hat.

Mittlerweile sind die für diese so bedeutende Aktion wichtigen Genehmigungen von den russischen Behörden eingeholt worden und das Aufzuchtsprogramm kann beginnen.

Das Kreuzfahrtschiff "Professor Khromov" plant, am 7. Juli in Meinopyl'gino einen Zwischenstopp einzulegen. Hier werden den Gästen die brütenden Löffelstrandläufer gezeigt und später die gerade geschlüpften jungen Strandläufer auf die Weiterfahrt nach Anadyr mitgenommen. In Anadyr kommen die Jungen bis zum Flüggewerden in eine Voliere, Anfang August geht ihre Reise dann weiter nach Moskau. Von dort ist geplant, die Tiere nach 30 Tagen Quarantäne nach Slimbridge, Großbritannien, in die Aufzuchtstation des WWT zu transportieren. Hier, am besten auf mehrere Stationen verteilt, sollen die Löffelstrandläufer aufgezogen werden und, wenn alles gut verläuft und die Schutzbemühungen auf dem Zugweg weiterhin Fortschritte gemacht haben, in einigen Jahren in die freie Wildbahn entlassen werden.

Für die meisten von uns erschien der Gedanke an eine Volierenaufzucht des Langstreckenziehers Löffelstrandläufer bisher völlig absurd und wurde zunächst als unmöglich abgetan. Nach einigen Recherchen stellte sich jedoch heraus, dass die Idee gar nicht so abwegig ist. Mindestens neun Strandläuferarten wurden bisher in Volieren gehalten, sieben konnten dabei erfolgreich erbrütet werden. Gerade aus Deutschland gibt es viele Erfahrungen mit der erfolgreichen Aufzucht von verschiedenen Strandläuferarten. Ludger Bremehr aus Verl hat erfolgreich u. a. Zwerg-, Temminck-, Alpen- und Sichel­strandläufer gehalten und zum Brüten gebracht. Unseres Wissen nach sind aber keine dieser Arten wieder ausgesetzt worden. Erfahrungen aus Nordamerika mit dem Flötenregenpfeifer (Charadirius melodus) und Watvogelarten aus Neuseeland sind positiv. Das Zugverhalten ist den Jungen angeboren und wird über mindestens sieben Generationen beibehalten.

Das ehrgeizige Projekt hat die ersten Hürden erfolgreich genommen. Alle notwendigen Genehmigungen aus Russland liegen vor und ein erfahrenes internationales Team unter der Leitung von Prof. Pavel Tomkovich und Dr. Nicolai Yakuschew garantiert den bestmöglichen Verlauf vor Ort und koordiniert die Suche nach den Nestern. Nigel Jarrett mit Kollegen vom WWT ist ebenfalls vor Ort, um die Aufzucht der kleinen Strandläufer mit all seiner langjährigen Erfahrung, die sich auch auf Alpenstrandläufer bezieht, von Anfang an zu begleiten. Noch sind nicht alle Schwierigkeiten überwunden, doch hoffen wir alle das Beste und unterstützen die Aktion so gut wie möglich. Der Löffelstrandläufer ist in einer kritischen Situation und seine Rettung bedarf dringend mehrerer Maßnahmen.

Unsere Schutzbemühungen im Winterquartier sind bereits sehr Erfolg versprechend. Dennoch ist es unsere Aufgabe, alles Mögliche zu tun, um ein wahrscheinliches Aussterben zu verhindern und zur Absicherung eine Volierenpopulation aufzubauen. Dies mag aufwendig und kostspielig erscheinen - wir können es uns aber nicht leisten, uns in Zukunft dem Vorwurf auszusetzen, einen Volierenbestand zu einer Zeit nicht etabliert zu haben, als es noch möglich war. Vor allem darf die Aktion nicht dazu führen, dass andere wichtige Naturschutzmaßnahmen auf Kosten des Aufzuchtsprogramms unterlassen werden.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 7/2011
58. Jahrgang, Juli 2011, S. 256-259
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2011