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SÄUGETIERE/314: Haselmaus - Kleiner Bilch ganz groß (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Sommer 2022
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Haselmaus
Kleiner Bilch ganz groß

von Lisa Gebhard


Die Haselmaus ist winzig, die kleinste ihrer Art, äußerst scheu und mit Vorliebe nachts unterwegs. Begegnungen mit ihr sind daher selten, was der Faszination um den kleinen Nager keinen Abbruch tut.

Die Haselmaus, Muscardinus avellanarius, ist eigentlich gar keine Maus, sondern gehört zur Familie der Bilche, ebenfalls bekannt als Schlafmäuse. Zu ihnen gehören auch Sieben-, Garten- und Baumschläfer. Die Markenzeichen des kleinen Nagetiers sind ihre schwarzen Knopfaugen und ein buschiger Schwanz. Dieser ist so lang wie ihr maximal sieben Zentimeter großer Körper und kommt zum Einsatz, wenn sie sich in luftigen Höhen durchs Geäst bewegt - ihre Nester wurden schon in 30 Metern Höhe gefunden.

Immer obenauf - Generell bewegt sich die Schlafmaus mit Vorliebe in Baumkronen und Sträuchern fort, springt und klettert von Ast zu Ast. Laut Sven Büchner, Biologe und Haselmaus-Experte, nehmen die Nager bis zu 30 Prozent Umweg in Kauf, um die Baumkronen nicht verlassen zu müssen. Dabei wäre es ihnen mit ihren Sohlenschwielen ein Leichtes, Bäume hoch- und runterzuspazieren - vor Waldohreule oder Waldkauz beispielsweise bietet das Geäst aber besseren Schutz.

Um sich langfristig ansiedeln zu können, brauchen Haselmäuse strukturreiche Wälder. Am liebsten haben sie Laub-Nadel-Mischwälder mit untereinander vernetzten Hecken, Gehölzen und Baumkronen. Gleiches gilt übrigens auch für andere kleine Waldtiere - geht es der Haselmaus gut, geht es beispielsweise auch Insekten oder Spinnen gut.

Der Winter kann kommen - Lediglich zum ausgiebigen Winterschlaf verlassen sie ihr luftiges Terrain, graben sich in lockeren Boden und Laubstreu ein oder nutzen Nistkästen. Um die fünf bis sechs Monate durchzuhalten, frisst sie sich im Herbst mit Haselnüssen oder Eicheln möglichst viel Speck an. Und dann passiert weit mehr, als man von außen vermuten würde. Die Haselmaus fällt nicht einfach so in den Winterschlaf. Sie hält aktiv ihren Atem an, mit Atempausen von bis zu elf Minuten, bremst die Herzfrequenz und senkt die Körpertemperatur auf null Grad Celsius, erläutert Büchner.

Wie und wann genau sie wieder aufwacht, sei noch ein Rätsel. Vermutlich spielen aber sowohl die veränderte Bodentemperatur und mehr Lichteinfall im Frühjahr als auch genetische Vorgaben und der Herkunftsort eine Rolle.

Wenig Nachwuchs, viel Fürsorge - Kurz nach dem Winterschlaf paaren sich die Haselmäuse zum ersten Mal. Momentan hoffen sie mit ihren maximal vier Jungtieren auf reichhaltige Himbeer- oder Brombeerernte, Blattläuse, Raupen und viel Sonne und Wärme. Im September kann es dann noch einmal einen zweiten Wurf geben. Um ihren wenigen Nachwuchs kümmert sich die Haselmaus mit 40 Tagen vergleichsweise lange. Dies sowie ein hoher Anspruch an die Gestaltung und Größe ihres Lebensraums - maximal drei adulte Haselmäuse besiedeln einen Hektar Fläche, die Rötelmaus schafft hier 100 Exemplare - erschweren einen stabilen Fortbestand.

Kaum verwunderlich, dass die Haselmaus eine nach der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie geschützte Art ist und in Deutschland auf der Roten Liste bedrohter Tierarten steht. Wie viele Individuen es gibt und wo genau ihre Rückzugsgebiete sind, ist bei den scheuen Tieren nur abzuschätzen. Die alle sechs Jahre erforderlichen Berichte an die EU-Kommission ermöglichen europaweit, die Vorkommen und Zukunftsaussichten des kleinen Nagers im Blick zu halten. Auch Büchner erfasst mithilfe statistischer Modelle in verschiedenen Bundesländern ihre Bestände und Zustände - und steht in regelmäßigem Austausch mit europäischen Forschungskolleg*innen.

Abwärtstrend - Sie alle beklagen seit 2013 einen beunruhigenden Trend: Die Populationszahlen der Haselmäuse gehen stetig zurück, trotz aller Schutzbemühungen. Einen einzigen ausschlaggebenden Faktor dafür gebe es nicht, diese Frage beschäftigt gerade viele Haselmaus-Expert*innen. Verantwortlich sind aber vermutlich mehrere Faktoren, die zusammenspielen. So kämpfen die kleinen Nager generell mit kühl-feuchter Witterung im Frühjahr und Herbst und bevorzugen trocken-warmes Klima. Für ihr sehr weiches Fell ist Nässe ein Problem. Weicht es durch, brauchen sie weit mehr Energie und haben einen erhöhten Nahrungsbedarf, der erst einmal gedeckt werden muss.

Auch die immer größere und schwerere Technik in der Forstbewirtschaftung ist eine Bedrohung. Wenn Harvester im Winter Waldflächen großflächig roden, rauben sie der Schlafmaus jeglichen Nahrungs- und Lebensraum. Umso wichtiger ist es laut Büchner, bei Waldbesitzenden und Förster*innen für den Schutz der Haselmaus zu werben. Sie können die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um strukturreiche Wälder zu schaffen oder zu stabilisieren - und seien dazu in aller Regel auch bereit.

"Die Haselmaus ist ein wahrer Sympathieträger. Sobald wir ihr Vorkommen in einem bestimmten Gebiet nachweisen konnten, stießen wir mit unserem Anliegen auf offene Ohren", so Büchner. Eine Möglichkeit, Rückzugsgebiete des scheuen Bilches aufzuspüren und gezielt Schutzmaßnahmen zu ergreifen, ist die Große Nussjagd. Über Jahre riefen NABU-Landesverbände zur Mitmachaktion für Groß und Klein auf. Interessierte hielten nach den einzigartigen Fraßspuren an Haselnüssen Ausschau und meldeten ihre Funde an den NABU. Mit ihren winzigen Zähnen nagt die Haselmaus nämlich ein verräterisches kreisrundes Loch in die harte Schale - und sendet indirekte Lebenszeichen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

  • Kennzeichen: Große schwarze Knopfaugen, kleine runde Ohren, orangebraunes Fell mit einem weißen Fleck an Kehle und Brust.
  • Die Haselmaus ist angewiesen auf gut vernetzte Bäume, Sträucher und Gehölze. Bereits 20 Meter Abstand wirken auf sie als Barriere.
  • Mit ihren winzigen Zähnen nagt die Haselmaus ein verräterisches kreisrundes Loch in die harte Schale.

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Quelle:
Naturschutz heute - Sommer 2022, Seite 48-49
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
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ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 2. Juli 2022

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