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SÄUGETIERE/261: Dramatischer Rückgang der weltweiten Primatenbestände (ARA Magazin)


ARA Magazin 3-4/08 - Arbeitsgemeinschaft Regenwald und Artenschutz e.V.

Keine Verwandten mehr

Dramatischer Rückgang der weltweiten Primatenbestände


Mehr als 10.000 Wissenschaftler aus aller Welt haben sich an der vor kurzem von der Weltnaturschutzunion IUCN vorgestellten Studie zur Bedrohungssituation von Affen und Menschenaffen beteiligt. Das Ergebnis stellt alle Befürchtungen in den Schatten: Von 634 Affenarten bzw. Unterarten sind über 300 akut vom Aussterben bedroht. Russ Mittermeier, Direktor der amerikanischen Naturschutzorganisation Conservation International und einer der teilnehmenden Wissenschaftler, veranschaulichte die Ergebnisse der Studie mit den Worten: "Die Überlebenden der 25 weltweit am meisten bedrohten Primatenarten ließen sich problemlos in einem Fußballstadion unterbringen". Keine andere Gruppe von Säugetieren ist vergleichbar gefährdet.

Forscher des Leipziger Max-Planck-Institutes für evolutionäre Anthropologie hatten sich auf den Weg gemacht, um in den Regenwäldern der Elfenbeinküste zu untersuchen, welche Faktoren das Vorkommen von Schimpansen begünstigen. Noch in den 1960er Jahren waren dort schätzungsweise 100.000 dieser Menschenaffen heimisch und Westafrika galt als Hochburg der nächsten Verwandten des Menschen im Tierreich. Ende der 80er Jahre war deren Bestand in dem westafrikanischen Land schon auf 8.000 bis 10.000 Tiere gesunken. Jetzt fanden die Leipziger Forscher gerade noch Spuren von 1.000 Tieren. "Wir hatten nicht erwartet, dass es so katastrophal sein würde", kommentierte jüngst Hjalmar Kühl, Teilnehmer an der Feldstudie, die Ergebnisse der intensiven Nachforschungen.

Die Bestandsuntersuchungen sollen nun auf andere Verbreitungsländer des Schimpansen ausgedehnt werden. Im Benin, Gambia oder Togo wird man sich die Suche sparen können, dort gilt der Schimpanse bereits als ausgerottet. In Ghana schätzt man die Zahl dieser Menschenaffen auf maximal 500, in Guinea-Bissau auf gerade einmal 200 Tiere.

Schimpansen waren einst in über 25 afrikanischen Ländern heimisch. Die nicht ganz unoptimistischen Schätzungen der IUCN gehen davon aus, dass insgesamt noch 200.000 Tiere existieren könnten. Beim Bonobo oder Zwergschimpansen, der im wesentlichen in der Demokratischen Republik Kongo beheimatet ist, geht man von einem Bestand zwischen 20.000 und 100.000 Tieren aus. Es gibt allerdings auch die Befürchtung, dass heute kaum mehr als 5.000 Zwergschimpansen existieren.

Bei den Gorillas, von denen die Primatologen zwei Arten mit vier Unterarten unterscheiden, sieht es nicht besser aus. Die zahlenreichste Gorillaart ist der Westliche Flachlandgorilla, dessen Bestand auf 100.000 Tiere geschätzt wird und der nach jüngsten Untersuchungen sogar noch deutlich mehr Individuen aufweisen könnte. Eine Unterart ist allerdings extrem gefährdet, noch stärker als der Berggorilla, dessen Bestand nur noch etwa 700 Individuen umfasst.

Insgesamt vermutet man für die afrikanischen Menschenaffen, dass deren Bestand in den Regenwäldern Zentral- und Westafrikas innerhalb der Lebensspanne von nur zwei Menschenaffengenerationen um bis zu 80 Prozent geschrumpft sein könnte.

Der in zwei Arten in Indonesien und Malaysia bzw. auf den Inseln Borneo und Sumatra beheimatete Orang-Utan dürfte bei anhaltender Entwicklung das Jahr 2020 vielleicht in Freiheit schon nicht mehr erleben. Insgesamt weisen diese großen asiatischen Menschenaffen heute vielleicht noch 27.000 Exemplare auf.


Besonders vielschichtige Bedrohungsursachen

Die Mehrzahl aller Affenarten ist in den tropischen Wäldern beheimatet und existentiell auf intakte Waldökosysteme angewiesen. Insofern sind die nächsten Verwandten des Menschen von der fortschreitenden Lebensraumzerstörung besonders stark betroffen. Rücksichtsloser Holzeinschlag, aber zunehmend auch die Umwandlung von Primärwaldflächen in Plantagen, etwa für die Produktion von Zellulose oder Pflanzenölen, sowie Rodungen zur Gewinnung von exportorientierten Agrarprodukten sind dafür die Hauptursachen. Solche Eingriffe haben inzwischen gewaltige Ausmaße angenommen. Bei den riesigen Waldbränden in Indonesien in den Jahren 1982/83 und 1997/98 ging insgesamt eine Fläche von der Größe der Schweiz verloren. Viele der Feuer wurden auf Flächen gelegt, die später in Palmölplantagen ungewandelt wurden. Bei den Bränden haben über 3.000 Orang-Utans ihren gesamten Lebensraum verloren.

Die Bedrohungsmuster gerade bei Menschenaffen sind aber weitaus vielschichtiger. Fachleute gehen davon aus, dass auch heute noch allein im indonesischen Teil Borneos alljährlich über 1.000 Orang Utans der Wilderei und dem Handel zum Opfer fallen - ein lukratives Nebengeschäft etwa für Holzfäller. Für umgerechnet 20 Euro an Zwischenhändler verkauft, erzielen Orang-Jungtiere auf Märkten in Bali oder Java Preise von 300 Euro, um im internationalen Geschäft Spitzenpreise bis zu 40.000 Dollar zu erzielen.

Afrikanische Menschenaffen teilen das Schicksal nicht nur vieler niederer Affen und anderer Waldtiere: Als so genanntes "Bushmeat" landen sie in Kochtöpfen. Die Nutzung von Wild als Nahrung hat bei uns wie in den Tropen eine lange Tradition und hat auch vor Affen nie Halt gemacht. Extrem gefährliche Züge hat die Entwicklung jedoch dadurch angenommen, dass Affenfleisch als Delikatesse auf heimischen Märkten, aber auch in Feinschmeckerrestaurants der Region angepriesen wird und die Jagd auf die Tiere längst völlig unkontrolliert erfolgt.

Gorilla und Schimpanse droht inzwischen noch eine weitere große Gefahr: der Ebola-Virus, für den unsere Vettern im Tierreich ähnlich empfänglich sind wie wir. Wahrscheinlich haben dadurch bereits tausende Menschenaffen ihr Leben eingebüßt. Als sicher gilt etwa, dass dadurch 90 Prozent der größten Population des Westlichen Flachlandgorillas im nördlichen Kongo und in Gabun dahingerafft wurden.


Das Menschenaffen-Überlebensprojekt

Die Menschenaffen stehen am Abgrund. Selbst in 9 von 10 eingerichteten Schutzgebieten sind die Bestandszahlen rückläufig. Angesichts der fatalen Situation hat das Umweltprogramm der Vereinten (UNEP), übrigens auf Initiative seines damaligen Direktors Klaus Töpfer, 2001 gemeinsam mit der UNESCO einen Überlebensplan für Menschenaffen ins Leben gerufen: das Great Ape Survival Project (GRASP). 21 der heute noch 23 Heimatstaaten von Menschenaffen in Afrika und Asien haben inzwischen das Abkommen gezeichnet, zahlreiche Regierungen und 50 Nichtregierungsorganisationen engagieren sich in dem Projekt. Wilderei und Affenschmuggel sollen eingedämmt, Schutzgebiete neu eingerichtet, der Schutz vorhandener Reservate verbessert, internationale Zusammenarbeit gefördert werden.

Noch steht ein größerer Teil der benötigten etwa 20 Millionen Euro Sofortmittel aus. Aber die Initiative ist vielleicht der entscheidende Hoffnungsschimmer für unsere nächsten Verwandten. Warum soll hier nicht gelingen, was einst bei den Walen gelang, nämlich den sicheren Untergang der großen Meeressäuger durch eine weltweite Schutzinitiative aufzuhalten.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Immer größere Palmölplantagen bedrohen den Lebensraum der letzten Orang Utans.
Waldrodungen und Wilderei bedrohen viele Schimpansenpopulationen.


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Quelle:
ARA Magazin 3-4/08, S. 17-18
Arbeitsgemeinschaft Regenwald und Artenschutz e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2009