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PFLANZEN/159: Und der Gewinner ist - Johanniskraut, Arzneipflanze des Jahres 2015 (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 187 - August/September 2015
Die Berliner Umweltzeitung

Und der Gewinner ist: das Johanniskraut - Arzneipflanze des Jahres 2015

Von Jörg Parsiegla


Seit 1999 vergibt der Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde an der Universität Würzburg den oben genannten Titel. Dieses Jahr nun ging er an das - vom Kuratorium selbst als "schwierig" bezeichnete - Echte Johanniskraut. Schwierig vor allem deshalb, weil es, als Nebenwirkung, andere Medikamente im Körper abbaut, indem es den Mechanismus des wichtigsten arzneimittelabbauenden Enzyms stärkt. Beim Absetzen des Krauts passiert dann das Gegenteil: Es kommt zu einem mitunter gefährlichen Anstieg der Wirkstoffe anderer eingenommener Arzneien.

Dennoch, die positiven Effekte des Johanniskrauts dürften überwiegen. So ist seit alters her eine stimmungsaufhellende Wirkung bei depressiven Verstimmungen bekannt. Auch Dr. Johannes Mayer, Medizinhistoriker und Mitglied im Studienkreis, ist sich sicher, "dass das Johanniskraut noch von sich reden machen wird". So würden derzeit Extrakte daraus gegen die Alzheimer-Krankheit getestet, der Wirkstoff Hypericin (der lateinische Name des Krauts lautet Hypericum perforatum) sogar in der Krebstherapie. Zu verdanken hätte das Interesse an dem Wirkstoff dessen Eigenschaft, bei Bestrahlung mit speziellen Lichtwellen Sauerstoffradikale zu bilden, die Krebszellen abtöten können. Ähnliche Verfahren würden getestet, um hochresistente Bakterien abzutöten, erklärt der Wissenschaftler.

Botanische Merkmale

In Europa ist das Echte Johanniskraut die am weitesten verbreitete Art seiner Gattung. Außerdem ist es in Westasien und Nordafrika heimisch. In Ostasien, Nord- und Südamerika und in Australien hingegen ist es eingebürgert worden. Die Pflanze wächst bevorzugt in lichten Wäldern, an Rändern von Wegen und Feldern, auf Böschungen und in Ginster- und Heidekraut-Heiden. Man findet sie in tiefen bis mittleren Höhenlagen - durchaus auch auf Magerwiesen und -rasen. Auf Brachen, beispielsweise Bahnschotter, wächst Johanniskraut als Pionierpflanze.

Das Staudengewächs wird bis zu 90 Zentimeter hoch und besitzt eine stark verästelte, spindelförmige und bis einen halben Meter tief reichende Wurzel. Vom zweikantigen Stängel, der im Unterschied zu anderen Johanniskrautarten innen markig (also nicht hohl) ausgefüllt ist, gehen sich gegenüberliegende, bis drei Zentimeter lange, eiförmige Blätter ab, die dicht mit durchsichtigen Öldrüsen besetzt sind. Am oberen Sprossachsenteil ist die Pflanze buschig verzweigt. Der Blütenstand ist eine Trugdolde mit jeweils fünf Kelch- und goldgelben Kronblättern. Letztere sind bis einen guten Zentimeter lang und am Rande schwarz punktiert. Zur Hauptblütezeit im Hochsommer werden die wertvollen Bestandteile der Pflanze geerntet. Bei dem blutroten Saft, der beim Zerreiben der Blütenblätter austritt, handelt es sich um das bereits erwähnte Hypericin. Die Kronblätter sind etwas asymmetrisch angeordnet, sodass die geöffnete Blüte einem kleinen Windrad nicht unähnlich ist.

Geschichtliches

Das Johanniskraut ist eine Heilpflanze mit einer mehr als zweitausendjährigen Tradition und wechselvoller Geschichte. Schon in der antiken griechischen und römischen Welt wurde Johanniskraut als Heilpflanze verehrt und verwendet. So beschrieb beispielsweise Plinius der Ältere in seinem Werk "Historia Naturalis" das Kraut als Medizin bei Verbrennungen. Die positive Wirkung bei psychischen Erkrankungen war in der Antike noch nicht bekannt, der lindernde Effekt bei Lungenerkrankungen und inneren Eiterungen indes schon. Die Heilwirkung bei Depressionen und anderen psychischen Störungen wurde erst im Mittelalter entdeckt. Im 16. Jahrhundert schilderte der Arzt Paracelsus in seinem Buch "Von den natürlichen Dingen" die Heilpflanze als Kraut gegen "dollmachende Geister". Im Volksglauben blieb die Pflanze als Bestandteil der Kräuterbüschel an Maria Himmelfahrt erhalten. In diesen Zusammenhang passt die Erwähnung, dass schon die Germanen das Johanniskraut als Lichtbringer und Symbol für die Sonne verehrten. Geerntet wurde es zur Sommersonnenwende am 21. Juni, und zu Sonnenwendfeiern trugen - und tragen bis heute - Frauen und Mädchen Kränze aus Johanniskraut. Mit der Christianisierung verschob sich die rituelle Bedeutung auf Johannes den Täufer.

Mit der aufkommenden chemischen Arzneimittelherstellung drohte das Kraut, vergessen zu werden. Im 19. Jahrhundert verschwand es schließlich völlig aus den Medizinbüchern. Ein kurzes Aufflackern des Wissens über die antike Heilpflanze gab es immer wieder in Notzeiten, so auch während des Zweiten Weltkriegs. 1941 schaffte das Johanniskraut sogar wieder die Aufnahme in das Ergänzungsbuch des Deutschen Arzneibuchs, doch bereits in der nächsten Auflage fiel es wieder der Streichung zum Opfer. Der Dornröschenschlaf währte schließlich bis 1979. Da durfte sich das Kraut wieder in die Liste der anderen alten Heilpflanzen des Deutschen Arzneimittelkodex einreihen.

Sonst noch erwähnenswert

Neben dem Hypericin enthält Johanniskraut eine Reihe weiterer interessanter Inhaltsstoffe, darunter Hyperforin, Hyperosid und Rutosid. Sie zählen zu den Flavonoiden, die allgemein krampflösend, entzündungshemmend und stärkend auf die Blutgefäße wirken. Daneben haben sie eine positive Wirkung bei chronischen Krankheiten. Hyperforin wirkt antibiotisch. Außerdem lassen sich Gerbstoffe, ätherisches Öl und weitere sekundäre Pflanzenstoffe in dem Arzneikrautkraut nachweisen. Es gibt die Vermutung, dass erst diese ganz besondere Mischung die Wirkungsweise des Krauts ausmachen.

Aufgrund der Verwendung als Arzneipflanze wird das Echte Johanniskraut landwirtschaftlich angebaut. Gleichzeitig gilt es im konventionellen landwirtschaftlichen Anbau als "Unkraut".

Johanniskraut wird im Volksmund auch Elfenblutkraut, Herrgottblut, Jesuswundenkraut oder Johannisblut genannt.


Weitere Informationen:

heilkraeuter.de/lexikon/j-kraut.htm
www.johanniskraut.net/


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Blütenstand - im Abblühen werden die Blütenblätter spiralförmig eingerollt

- Beim Zerreiben der Knospen tritt Hypericin aus (Blut des heiligen Johannes)

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Quelle:
DER RABE RALF
26. Jahrgang, Nr. 187, Seite 23
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
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Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2015

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