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PFLANZEN/146: Baum des Jahres 2013 - Der Europäische Wild-Apfel (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 116/1.2013

Der Europäische Wild-Apfel: Baum des Jahres 2013

von Rudolf Fenner



Nein - die verbotene Frucht am biblischen Baum der Erkenntnis - das war kein Apfel! Eher schon eine Feige. Doch auch das ist lediglich eine Vermutung. Denn in den Originaltexten des 1. Buch Mose wird weder die Baumart noch die von Adam und Eva vernaschte Frucht genauer benannt. Der Apfelbaum als Baum der Erkenntnis von Gut und Böse kam erst rund tausend Jahre später im fünften Jahrhundert nach Christus mit der lateinischen Bibelübersetzung, der Vulgata, in die Welt - und zwar auf Grund des missverständlichen, weil doppeldeutigen Wortes "malum". Dies bedeutet einerseits das "Böse" - und darum ging es ja in dieser Geschichte. Andererseits ist "malum" bei den Römern auch das Wort für "Apfel". Da kann sich dann schon mal ein falsches Bild in den Köpfen, Texten und unzähligen Darstellungen des Sündenfalls festsetzen.

Vaterschaftstest

Lange hatte man angenommen, dass unser heimischer Wild-Apfel zwar nicht der einzige, aber doch zumindest der entscheidende Stammvater des heutigen, in tausendfachen köstlichen Sortenvarianten daherkommenden Kulturapfels sei. Mit anderen Worten: Der Paradiesapfel, wenn auch nur durch ein Wortspiel zu diesen biblischen Ehren gekommen, sei ein Abkömmling des hiesigen Wild-Apfels. Aber leider: Dem ist nicht so. Denn mit den heute möglichen Methoden von DNA-Analysen kam heraus: Die Kulturäpfel stammen im Wesentlichen vom Asiatischen Wild-Apfel ab, dem Malus sieversii, der in Zentralasien am Fuß des Tienschan-Gebirges zuhause ist. Möglicherweise hat auch noch der Kaukasus-Apfel ein paar Gene zur heutigen Kulturform beigetragen.

Die Ausgangsposition für eine Karriere zu einer der heute weltweit wichtigsten Obstarten war allerdings auch denkbar schlecht für unseren heimischen Wild-Apfel mit seinen kleinen, holzigen und übermäßig herb und sauer schmeckenden Früchten. Da hatte der Asiatische Wild-Apfel wahrlich bessere Startchancen. Seine Früchte waren schon mal von Natur aus erheblich größer und - vor allen Dingen - sie waren auch schmackhafter und süßer. Und sie zeigten hin und wieder betörend rote Backen. Durch Selektion nach und nach in Größe und Geschmack gefördert, kam der Apfel über Persien und Griechenland nach Rom. Und mit den RömerInnen kam er dann auch im restlichen Europa an. Im vierten Jahrhundert nach Christus gab es im Römischen Reich schon an die 200 kultivierte Sorten.

Der Europäische Wild-Apfel - vielerorts auch Holz-Apfel genannt - schwebt also weder in paradiesischen noch in globalen, kulturell gehoben Sphären. Er ist schlicht ein zäher, kleiner, meist dicht und wild verzweigter, oft mehrstämmiger und daher häufig eher wie ein Strauch wirkender Baum. Er ist selten, höchst selten sogar. Die wenigsten Menschen haben ihn schon einmal gesehen. Selbst dort wo er vorkommt, ist er die meiste Zeit des Jahres eher unauffällig und wird leicht übersehen. Aber einmal im Jahr, Ende April oder Anfang Mai, wenn er für wenige Tage in voller, weißer Blüte steht, wird er zu einem wunderschönen und weithin sichtbaren Baum.

Einzig-Artig in Mitteleuropa

Wenn auch selten, so ist er doch fast überall in Europa zuhause - außer im kalten Norden. Von Süd-Schweden bis ins südliche Europa, von England bis zur Wolga und zum Kaukasus - das ist grob sein Verbreitungsgebiet. Hier in Mitteleuropa ist er die einzige von Natur aus vorkommende Apfelart. In Süd- und in Osteuropa gibt es dann aber noch einige weitere wilde Apfelarten.

Der Wild-Apfelbaum ist höchst lichtbedürftig und wenig durchsetzungsfähig gegenüber Nachbarbäumen, die ihn bedrängen. Ein typischer Waldbaum, wie sein botanischer Name - Malus sylvestris - suggeriert, ist er daher nicht. Mit einer Wuchshöhe, die selten mehr als zehn Meter erreicht, würde er im Unterholz zwar lange dahinvegetieren, aber letztlich untergehen. Es müssen schon sehr lichte Wälder sein, damit er dort zurecht kommt. Eichenwälder oder sonnenexponierte Hangwälder zum Beispiel. In unserer heutigen Kulturlandschaft sind es eher die Waldränder, Feldgehölze und Knicks, die seinen Ansprüchen entgegenkommen.

Die Auenwälder entlang der großen Flüsse waren Lebensräume, in denen der Wild-Apfel sich gut behaupten konnte. In den wenigen noch vorhandenen Hartholzauen an der Donau, am Oberrhein und an der Mittleren Elbe bei Dessau, ist er heute auch noch anzutreffen. Er kommt gut mit den alljährlichen Überflutungen zurecht. Auch sonst sind ihm feuchte und periodisch nasse Standorte - am Rand von Bruchwäldern beispielsweise - nicht zuwider. Aber er braucht das Wasser nicht in unmittelbarer Nähe. Er kommt auch noch auf sehr trockenen Standorten zurecht, auf der Schwäbischen Alb oder im nördlichen Sauerland zum Beispiel. Im östlichen Erzgebirge gedeiht er sogar auf den Steinwällen, den sogenannten Lesesteinriegeln oder Steinrücken, die die BäuerInnen dort im Laufe der Zeit aus störenden Gesteinsbrocken an den Feldrändern aufgeschichtet haben.

Wilde Mischung

Das zweitausendjährige Nebeneinander des fast überall in Mitteleuropa übermächtig präsenten Kulturapfels und des schon von Natur aus eher seltenen Wild-Apfels blieb nicht ohne nachteilige Folgen für den Wild-Apfel. Denn genetische Barrieren zwischen den beiden Arten gibt es nicht. Kreuzungen, die dann Mischformen, Bastarde bzw. - vornehmer ausgedrückt - Hybriden hervorbringen, sind also möglich, selbst dann, wenn beide Arten nicht nahe beieinanderstehen. Denn Bienen, die zusammen mit Hummeln die Hauptbestäuberinnen von Apfelblüten sind, können durchaus auch mal Distanzen von zwei Kilometern und mehr während eines Sammelfluges zurücklegen.

Aus solchen Mischlingen scheinen so gut wie keine neuen Kulturapfelsorten hervorgegangen zu sein. Die heutigen, genaueren, auf DNA-Analysen basierenden Untersuchungen sind sicherlich noch am Anfang. Aber bei den allermeisten der bisher untersuchten Kulturapfelsorten fanden sich keine Hinweise auf Wild-Apfel-DNA. Die Sorte Roter Berlepsch ist da bislang eine der wenigen in der Fachliteratur genannten Ausnahmen. Vermutet wird auch, dass an der Entstehung der kleinfruchtigen, nordfranzösischen Apfelsorten zur Cidre-Produktion der Wild-Apfel mitgemischt hat.

Für den Wild-Apfel allerdings stellt diese fortschreitende Bastardisierung durch die Kulturäpfel eine letztlich existenzielle Bedrohung dar. Selbst in abgelegenen und erst spät besiedelten Gebieten wie im östlichen Erzgebirge, das wegen des ungewöhnlich starken Vorkommens an Wild-Äpfeln auch Holzäppelgebirge genannt wird, haben DNA-Analysen gezeigt, dass vierzig Prozent der vermeintlich wilden Wild-Äpfel bereits deutliche Erbgutanteile des zivilisierten Kulturapfels in sich tragen.

Wie lässt sich nun der echte, der reine, der zumindest wenig verfälschte Wild-Apfel von all den verwilderten Kultur-Apfelbäumen und Bastarden, auf die man ja sehr viel häufiger in der freien Landschaft trifft, unterscheiden? Einfach ist es nicht und letzte Sicherheit liefern erst die molekularen Analyseverfahren. Doch relativ sicher kann man schon sein, wenn die reifen Früchte erstens kugelrund, wenn auch etwas abgeplattet, und im Durchmesser höchsten drei Zentimeter breit sind. Und zweitens, wenn sie bei der Reifung bestenfalls vom Grün ins Grüngelbe umschlagen, aber ohne jede Rotfärbung geschweige denn rote Backen bleiben. Ein weiteres recht sicheres Indiz für einen originalen Wild-Apfel liegt vor, wenn schon die jungen Blatt- und Blütenstiele sowie die Unterseite der Blätter und der Blütenknospenblätter unbehaart sind.

Früchte des Wild-Apfels wurden schon vor rund 6.000 Jahren gegen Ende der Jungsteinzeit von den Menschen gesammelt. Das belegen die Funde aus einer Bandkeramikersiedlung, die bei Heilbronn ausgegraben wurde. Weitere Nachweise stammen aus den etwas jüngeren Pfahlbausiedlungen am Bodensee, in Österreich und in der Schweiz. Ob sie den Menschen damals indirekt über das Verfüttern an ihre Schweine oder ganz direkt als Nahrung oder Medizin dienten, ist nicht bekannt. Roh mag der Wild-Apfel ja noch so hart und ungenießbar erscheinen - doch wer will, der kann durchaus durch Dörren, Kochen, Süßen oder Brennen etwas Genießbares aus ihm machen. Einen Tee aus gedörrten Apfelscheiben zum Beispiel, der wegen seines hohen Gehaltes an Vitamin C gut gegen Erkältung und Fieber ist, aber auch wohlschmeckend sein soll. Auch Gelee lässt sich aus dem Saft kochen und Branntwein destillieren. Doch alles das ist eher etwas für den Hausgebrauch, Geschäfte lassen sich damit kaum machen - allein schon, weil der Baum so selten ist.

Das gilt ganz ähnlich auch für das Holz des Wild-Apfels. Das ist bei KunsttischlerInnen wegen seines rötlich- bis dunkelbraunen Kerns gesucht. Und wegen seiner Härte liebten es die DrechslerInnen, die daraus sogar Holzschrauben oder auch Zahnräder - für Turmuhren beispielsweise - herstellten. Doch in der Praxis wurde und wird das qualitativ ganz ähnliche Holz des Kulturapfels für all solche Zwecke genommen. Denn der Wild-Apfel bildet sehr selten einen Stamm in geeigneter Dicke und Länge. Und wenn doch, dann ist er meist krumm oder schon längst hohl.

Überleben unter Bastarden

Mehr Auenwälder, mehr Bruchwälder, auch mehr Feldgehölze - all das würde der Existenz des Wild-Apfels nur gut tun. Doch das allein würde nicht ausreichen, das Überleben der Wild-Äpfel bei uns langfristig zu sichern. Denn das Hauptproblem ist, dass schlicht zu wenig wirklich unverfälschte Wild-Apfelbäume übrig geblieben sind, die zudem ziemlich zerstreut und oft vereinzelt in der Landschaft stehen. Sie sind deswegen der genetischen Übermacht der Kulturäpfel und ihrer Bastarde letztlich rettungslos ausgeliefert. Um hier wirkungsvoll gegenzusteuern, muss die Anzahl der Wild-Äpfel an ihren derzeitigen Standorten deutlich erhöht werden - so hoch, dass Hummeln und Bienen ganz zufrieden sind und nicht auf die Idee kommen, zwischendurch auch noch mal bei den Kulturäpfeln wegen Nektar vorbeizuschauen.

Für diese Schutzstrategie sollten zunächst einmal möglichst viele der bei uns noch vorkommenden unverfälschten Wild-Äpfel per DNA-Überprüfung eindeutig identifiziert werden. Und nur von diesen so legitimierten Bäumen müssten dann über Stecklingsvermehrung Nachzuchten angelegt werden. Natürlich müssen diese Baumkulturen während der kurzen Blütezeit gut gegen unerwünschte Bestäubung geschützt sein - am besten unter geschlossenen, pollendichten Folientunneln, in denen dann spezielle, extra dort ausgesetzte Hummelvölker die Bestäubung übernehmen.

Die aus den Apfelkernen dieser Kulturen nachgezogenen Wild-Äpfel können dann zur Verstärkung vorhandener, aber auch als Starthilfe für neue Wild-Apfelvorkommen "ausgewildert" werden. Wichtig bei der Auswahl der Standorte: Es sollten keine Kulturapfelbäume und auch keine Streuobstwiesen in der näheren Umgebung sein. Und es sollte sichergestellt werden, dass dort auch später keinerlei Kulturäpfel oder vermeintlich echte, aber nicht wirklich molekulargenetisch überprüfte Wild-Apfelbäume gepflanzt werden.

Sonst waren letztlich alle Bemühungen umsonst. Dann hätten wir doch noch so eine Art Vertreibung aus dem Paradies, an der nun diesmal nachweislich ein Apfelbaum beteiligt ist - diesmal allerdings als Opfer: Der Wildapfel - vertrieben und ausgelöscht von den Nachfahren Adams und Evas mithilfe des verführerisch leckeren Kulturapfels.


Rudolf Fenner vertritt ROBIN WOOD im Kuratorium Baum des Jahres (KBJ), dem Fachbeirat der Baum des Jahres - Dr. Silvius Wodarz-Stiftung
Tel.: 040 380892-11
wald@robinwood.de

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Der Wild-Apfel

Wer noch etwas mehr über den Wild-Apfel erfahren möchte, sollte in dem von der "Baum des Jahres - Dr. Silvius Wodarz-Stiftung" herausgegebenen, sehr ausführlichen Faltblatt "Der Wild-Apfel - Baum des Jahres 2013" weiterlesen. Es ist von dem Forstbotaniker Prof. Dr. Andreas Roloff verfasst worden. Das Faltblatt lag dem letzten ROBIN WOOD-Magazin bereits bei. Sie können aber sowohl dieses Faltblatt als auch ein weiteres, extra für Kinder verfasstes Faltblatt zum Wild-Apfel in der ROBIN WOOD-Geschäftsstelle bestellen: Postfach 101122, 28021 Bremen, info@robinwood.de, Tel.: 0421 598288.

Wenn Sie Glück haben, gibt es ebenfalls in der ROBIN WOOD-Geschäftsstelle auch noch einige wenige Exemplare des Wandkalenders (29 x 29 cm, aufgehängt 58 x 29 cm) der "Baum des Jahres - Dr. Silvius Wodarz-Stiftung". Auch wenn das Jahr schon angefangen hat - allein schon wegen der wunderschönen, großformatigen Bilder rund um den Wild-Apfel, die in dieser Vielzahl einmalig sind, lohnt die Anschaffung auch über das Jahr 2013 hinaus. Für die Texte und die Bildauswahl war wieder unser Waldreferent Dr. Rudolf Fenner verantwortlich. Der Kalender kostet 13 Euro plus Porto.

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 14-16:
So sah er aus - der wohl berühmteste Wild-Apfel Deutschlands, der Stubbendorfer Wild-Apfel in Mecklenburg östlich von Rostock. Dann kam Silvester 2006/2007 Orkantief Karla und brach dem grob auf 250 Jahre geschätzten Baum den größten Teil der Krone weg (siehe vorherige Doppelseite). 2010 brach dann auch der Rest zusammen. Doch so einfach sind Wild-Äpfel nicht tot zu kriegen: Zwei Äste, die schon vor Jahren halb abgebrochen auf den Boden hingen, hatten sich bewurzelt, sind dann ausgetrieben und haben sich mittlerweile zu eigenständigen Wild-Apfel-Büschen entwickelt. Auf die nächsten 250 Jahre!

Abb. S. 17 oben:
Die Früchte des Wild-Apfels sind klein, holzig und sehr herb

Abb. S. 17 unten:
Der biblische Baum der Erkenntnis wurde erst im Mittelalter zum Apfelbaum. In den Originaltexten des Alten Testaments naschten Adam und Eva von nicht näher spezifizierten Früchten

Abb. S. 18 oben:
Bienen und Hummeln sind die Hauptbestäuberinnen von Apfelbäumen - auch vom Wild-Apfel

Abb. S. 18 unten:
Hauptsache Licht - ansonsten ist der Wild-Apfel nicht sonderlich anspruchsvoll und kann ebenso gut auf feuchten, nährstoffsatten Auenstandorten ...

Abb. S. 19 oben:
Im sogenannten Holzäppelgebirge, dem östlichen Erzgebirge, ist der Wild- oder Holz-Apfel noch häufiger - das ist während der Blütezeit ab Ende April besonders gut auch von Ferne zu erkennen

Abb. S. 19 unten:
­... wie auch auf kargen, knochentrockenen Standorten wie hier auf diesem Steinrücken zurechtkommen

Abb. S. 20 oben:
Das sehr harte Holz wurde früher gerne für Holzschrauben oder Zahnräder von Turmuhren genutzt

Abb. S. 20 unten:
An den Früchten könnt ihr ihn erkennen: Die typischen Wild-Äpfel sind kugelrund, höchstens drei Zentimeter im Durchmesser breit und niemals rot gefärbt

Abb. S. 21:
Ein weiteres Fotodokument des uralten Stubbendorfer Wild-Apfels, bevor ihn die Stürme der letzten Jahre umlegten, siehe Seite 14 bis 16

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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 116/1.2013, S. 16 - 21
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Mai 2013