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FORSCHUNG/128: "Jahr des Gorillas" (2) Gorillas in Zoos (KRITISCHE Ökologie)


KRITISCHE Ökologie - Zeitschrift für Umwelt und Entwicklung
Nr. 72-Bd. 24 [1] - Sommer 2009

Gorillas in Zoos

Von Dr. Iris Weiche, Tübingen*)


Das "Jahr des Gorillas" soll diese bedrohte Menschenaffengattung, ihre Schutzbedürftigkeit und die Fragilität ihrer Lebensräume in den öffentlichen Fokus bringen. Der Aufklärung der Öffentlichkeit und dem Artenschutz haben sich auch die Internationalen Zooinstitutionen (147 im Verband) verschrieben, in denen Ende 2007 weltweit etwa 870 Westliche Flachlandgorillas lebten (Int. Zuchtbuch 2007). Nur ein Zoo (Howletts in Kent, England) hat bislang erfolgreich Gorillas mit großem finanziellen und infrastrukturellen Aufwand ausgewildert, doch wird dies aufgrund vieler intrinsischer (Populations- und Verhaltensparameter) und extrinsischer Faktoren wie schrumpfende, unsichere Lebensräume und politische Krisenherde sicher eine Ausnahme bleiben.

Abgesehen von der ethischen Rechtfertigung einer Menschenaffenhaltung in Gefangenschaft (political correct: "Menschenobhut") - können Zoogorillas uns tatsächlich ein realistisches Bild ihrer wildlebenden Artgenossen vermitteln (HOSEY 2005)? Offensichtlich unterliegen sie räumlichen Einschränkungen, ihre Tagesroutine und Ernährung wird vom Pflegeralltag vorgegeben, ihre Gruppenzusammensetzung erfolgt nach genetischen Managementkriterien. Andererseits unterliegen sie keiner Gefahr und Beschränkung durch Nahrungsangebot, Feinde, Nahrungskonkurrenten und andere Gorilla-Gruppen Die meisten Erkenntnisse zu Flachlandgorillas entstammen der Verhaltensforschung in Zoos, denn im Freiland ist diese Art sehr schwierig zu beobachten, im Gegensatz zu den Berggorillas, bekannt aus Pionierarbeiten von Dian Fossey und zahlreichen Nachfolgern.

Die Forschung über Gorillas in Zoos (mehr als 115 wissenschaftliche Veröffentlichungen innerhalb der letzten 6 Monate; PrimLit) umfasst neben dem Beobachten spezieller Verhaltensmuster oder Situationen wie die Integration eines neuen Individuums bspw. auch hormonelle Analysen zu Reproduktions- oder Stressparametern, zur Ernährung und Verbesserungen ihrer Haltung (X) und Umgebung, um der Langeweile vorzubeugen. Zunehmend en vogue werden Kognitionstests, wir werden ja nicht müde zu prüfen, wie weit denn nun unsere haarigen Verwandten intellektuell mit uns mithalten können - daneben ist dies natürlich evolutionsbiologisch ausgesprochen spannend. Momentan beschäftigt den Forschergeist vieles zur "Theorie of Mind", inwieweit zeigen Menschenaffen Einsicht in das Verhalten anderer oder beziehen dies ein in ihre Handlungen, wie funktioniert die soziale Weitergabe, das Lernen, wie innovativ sind unsere Vettern bei neuen Problemen (LASKOWSKI et al. 2009), wie entsteht Kultur?

Die Gruppenstruktur mit einem ausgewachsenen Männchen, mehreren Weibchen und ihrem Nachwuchs ("Harem") ist im Freiland verbreitet und wird auch in Zoos nachvollzogen. Nahezu erwachsene Nachkommen verlassen normalerweise ihre Geburtsgruppe; die Weibchen schließen sich anderen Gruppen an (Inzuchtvermeidung), die Männchen wandern alleine umher und versammeln nach Möglichkeit unverwandte Weibchen um sich. Bei Berggorillas gibt es auch Junggesellengruppen. In Zoologischen Gärten begegnet man dem Problem der überzähligen Männchen (Geburtenverhältnis 1:1, aber nur ein erwachsener Mann pro Gruppe) mit der Etablierung reiner Männergruppen, doch fehlen hierzu noch Langzeiterfahrungen.

Die Verhaltensmuster zoogehaltener Gorillas sind bei artentsprechender Haltung durchaus vergleichbar mit ihrer freilebenden Verwandtschaft, doch die individuelle Ausprägung kann in den einzelnen Gruppen unterschiedlich sein. Das komplexe Verhaltensspektrum ist genetisch determiniert und kann vermutlich flexibler als bislang geglaubt je nach Umweltanforderung abgerufen werden. Zumindest würde dies für eine Art Vorteile bringen, die unterschiedliche Lebensräume bewohnt und auf Änderungen (z. B. Zunahme des Jägerdruckes) auch kurzfristig reagieren muss (z. B. durch unauffälligeres Verhalten), um zu überleben. Zusätzlich spielt das Erlernen von neuen Fähigkeiten durch die Gruppengenossen gerade bei Affen und Menschenaffen eine sehr große Rolle.

Im Freiland pflegen unverwandte Weibchen wenig Umgang miteinander, doch im Zoo ist dies verbreitet, es gibt sogar regelrechte Freundschaften, vor allem bei Weibchen, die sich seit der Kindheit kennen (WEICHE 2006). Die starke Bindung zwischen den Frauen und dem Silberrücken beruht auf dessen Funktion als Beschützer gegen Feinde und kindstötende andere Gorillamänner. Da die Ladies im Zoo nicht selbst ihren Mann aussuchen können, sind auch nicht immer gegenseitige Sympathien vorhanden (WEICHE 2007). Sofern sich aber doch Nachwuchs einstellt, finden sich die Mütter in der Nähe des Mannes und besitzen auch sonst meist einige Privilegien, was z. B. Zugang zu begehrter Nahrung betrifft. Mütter und ihr Nachwuchs sowie Jugendliche unter sich haben auch häufig Körperkontakt und pflegen sich gegenseitig das Haarkleid - umgangssprachlich oft als "Lausen" bezeichnet - doch ist dieses Verhalten wesentlich mehr als reine Körperhygiene, denn sie stärkt die sozialen Bindungen und übt auch beruhigende Wirkung aus - wohl ein Vorläufer unseres menschlichen Streichelns. Erwachsene Gorillas tauschen solch intime Kontakte nicht häufig aus, jedenfalls nicht so oft wie Schimpansen.

Es ist häufig nicht einfach, Verhaltensunterschiede als einfache Gewohnheiten oder als haltungsbedingte Artefakte zu bezeichnen. Verhaltensstörungen wie häufiges Erbrechen oder fehlende Interaktion mit anderen Gruppenmitgliedern können aufzuchtbedingt auftreten, denn immer noch wird nicht jedes Jungtier von seiner Mutter angenommen. Gründe dafür können Gruppenspannungen, fehlende Erfahrung oder Krankheit sein. Waisen werden entweder vom Zoopersonal aufgezogen oder verbringen ihre ersten drei bis vier Lebensjahre mit Spielgefährten in der europäischen Aufzuchtstation für Gorillawaisen im Zoo Stuttgart, um möglichst bald wieder in "normale" Gruppen re-integriert zu werden (Holtkoetter & Scharpf 2005).

Können zoogehaltene Gorillas als Botschafter ihrer Art zum Naturbewusstsein der urbanen, industrienationalen Bevölkerung beitragen? Da bin ich mir oft nicht so sicher, wenn ich lärmende, grölende Menschenmassen an die Scheiben klopfen und Grimassen ziehen sehe. Hier ist vor allem ein lenkendes Zoomanagement vonnöten, das Betrachtung mit entsprechenden Informationen verknüpfen kann. Leider wird erst in wenigen Zoos genügend Wert auf entsprechende Beschilderungen, interaktive Informationsmaterialien, Führungen oder Präsentationen gelegt.

Die Aktionen der europäischen Zoos, jedes Jahr einem speziellen Artenschutzproblem zu widmen, dies in Ausstellungen und Veranstaltungen der Öffentlichkeit vorzustellen und Geld für Projekte zu sammeln, sind sehr gut - wie 2009 im "Jahr des Gorillas", von der Weltzooorganisation und IUCN ausgerufen. Doch oft geht der Trend zum Entertainment, schließlich wollen die Besucher möglichst Spaß haben, nur dann kommen sie auch wieder. Viele finden Belehrungen eher langweilig und störend, fühlen sich gegängelt, was hat man denn selber mit dem Abschlachten der Affen in Afrika zu tun, vielleicht schmeckt Gorilla ja gut, damit könnte man sich ja auch brüsten?. Die richtigen Botschaften zu transportieren, Gorillas nicht als niedliche Kuscheltiere darzustellen, Verknüpfungen mit der eigenen Verantwortung für den Arterhalt herzustellen - dies ist eine Aufgabe für die Zoos, die meiner Ansicht nach aber häufig unbefriedigend erfüllt wird. Selbstverständlich ist die Haltung der Individuen, die nun mal in Zoologischen Gärten vorhanden sind, ständig artnah zu optimieren. Ob dies jemals "artgerecht" sein kann, bezweifle ich. Und manchmal komme ich auch ins Grübeln, wenn ich von 16 Millionen Euro für ein neues Gehege in einem Zoo höre (was mich für die Gorillas freut - es sei denn, der Großteil des Geldes geht für menschlich-ästhetische Zwecke drauf) und dann von den Schwierigkeiten erfahre, nur 2 Millionen Euro für eine arterhaltende, länderübergreifende Ebola-Impfaktion (IUCN 2007, Webseite von Peter Walsh) für die freilebenden Flachlandgorillas aufzutreiben oder eine Zusage von 5 Millionen Dollar für den Naturschutz im Kongobecken als Riesenerfolg zu feiern. Noch heftiger befallen mich Kopfschmerzen bei Infrastrukturmaßnahmen in Afrika für über mehrere HUNDERT MILLIONEN Euro aus europäischen Krediten! die dann zu einer weiteren Ausbeutung der Wälder führen. Natur- und Artenschutz als Werterhaltung ist wohl immer noch nicht in die Köpfe der Ökonomen vorgedrungen.

Ich erforsche seit 15 Jahren Gorillas in Zoos und habe auch ihre freilebenden Verwandten gesehen. Ich träume davon, dass die Wertschätzung für diese herrlichen Lebewesen durch die Möglichkeit, sie hier zu beobachten zunimmt, wie ich es mir auch für jedes andere Zootier wünsche. Es ist derzeit unrealistisch, auf menschenaffenfreie Zoos zu hoffen. Aber ich hoffe auf große, vielgestaltige Gehege, die als kleine Freiheit Wahlmöglichkeiten verschiedenster Art zulassen, und auf tiefergehendes Interesse ihrer Betrachter.


Literatur:

Holtkoetter M & Scharpf G. (2005): Rearing gorillas in peer groups at the nursery of Stuttgart‹s Wilhelma Zoo. Gorilla Gazette, 47-53.
Hosey GR. (2005): How does the zoo environment affect the behaviour of captive primates? Appl Anim Beh Sc 90 (2): 107-29.
IUCN Factsheet (2007) Western Lowland Gorilla.
Laskowski K; Reiss J & Weiche I. (2009): Innovation and social transfer of object manipulation in captive gorillas. FP (abstract, in press).
PrimLit in Primate Info Net: http://pin.primate.wisc.edu/
Webseite von Peter Walsh zu Ebola: http://email.eva.mpg.de/~walsh/projects.html
Weiche I. Social relationships in captive gorilla females. Göttingen: Cuvillier Verlag, 2006. ISBN 3-86537-851-X.
Weiche I. (2007): Integration of gorilla females into heterosexual captive groups. Der Zoologische Garten 77: 104-18.

Raute

Wissenschaftliche Einordnung der Gorillas (IUCN, 2007)


Ordnung:
Familie:
Gattung:
Art:
Unterart:

Art:
Unterart:


Primates
Hominidae
Gorilla
Westlicher Gorilla (Gorilla gorilla)
Westlicher Flachlandgorilla (G. g. gorilla)
Cross-River Gorilla (G. g. diehli)
Östlicher Gorilla (Gorilla beringei)
Östlicher Flachlandgorilla (G. b. graueri)
Berggorilla (G. b. beringei)
Anzahl




etwa 200.000 250-300  
4000 ??  
etwa 700
Status




stark gefährdet
stark gefährdet

gefährdet
stark gefährdet

In den letzten 20 Jahren sank die gesamte Gorillapopulation um über 60%!

Raute

Gorillafacts

Größe/Gewicht: Mann: bis 1,80 m bei 200 kg; Frau: bis 1,50 m bei 90 kg
Lebensalter: erwachsen mit 8-10 Jahren (Frau) bzw. 15 Jahren (Mann, alle erwachsenen Männer bilden Silberrücken aus)
Lebenserwartung: im Freiland bis etwa 40 Jahre, im Zoo über 50 Jahre


Soziale Organisation: meist ein Mann mit mehreren unverwandten Frauen, aber auch (spez. bei Berggorillas) Gruppen mit mehreren, meist verwandten erwachsenen Männern und vielen Frauen. Beide Geschlechter wandern normalerweise mit Erreichen der Geschlechtsreife ab, die Frauen in andere Gruppen, die Männer bleiben solitär (bei Berggorillas bilden sie auch Junggesellengruppen). Die Gruppengröße von 5 bis 30 (bis zu 60!) Individuen kann je nach Nahrungsverfügbarkeit des Lebensraumes schwanken, ist bei Flachlandgorillas aber durchschnittlich kleiner.

Lebensraum: Regenwälder, Sümpfe, in Höhen von 0 bis 4200 m
Streifgebiete: abhängig von Nahrungsressourcen, Populationsdichte, Gruppengröße, etc.
Ernährung: Pflanzenfresser, bei Flachlandgorillas mehr Früchte, wenig Ameisen/Termiten

Caldecott J & Miles L (eds.) (2005): World Atlas of Great apes and their conservation. Berkeley: Univ. California Press.
Harcourt AH & Stewart KJ (2007): Gorilla societies. Chicago: Univ. Chicago Press.
www.berggorilla.de


*) Unsere Autorin ist wissenschaftiche Mitarbeiterin der Abtlg. für Physiolog. Ökologie der Tiere der Universität Tübingen. Sie promovierte über "Social Relationships in Captive Gorilla Females".


Anmerkung der SB-Redaktion:
die weiteren Beiträge zum Thema aus Kritische Ökologie siehe
www.schattenblick.de → Infopool → Umwelt → Artenschutz →
FORSCHUNG/127: "Jahr des Gorillas" (1) Gorillas - Unmittelbar vor der Ausrottung... (KRITISCHE Ökologie)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/artensch/uarfo127.html
FORSCHUNG/129: "Jahr des Gorillas" (3) Ebola - Tod für Affen und Menschen (KRITISCHE Ökologie)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/artensch/uarfo129.html
FORSCHUNG/130: "Jahr des Gorillas" (4) Gorillatourismus (KRITISCHE Ökologie)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/artensch/uarfo130.html
FORSCHUNG/131: "Jahr des Gorillas" (5) Ein Gorilla zum Frühstück (KRITISCHE Ökologie)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/artensch/uarfo131.html


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Quelle:
Kritische Ökologie, Nr. 72-Bd. 24 [1] - Sommer 2009
Herausgegeben vom Institut für angewandte Kulturforschung (ifak) e.V.
mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Zeitschrift
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2009