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FEHLER/014: Wildschweine breiten sich aus - auch in der Stadt (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 2/10
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Im Schlaraffenland
Wildschweine breiten sich aus - auch in der Stadt

von Bernd Pieper


Wildschweine - es gibt nicht wenige Gartenbesitzer in Berlin-Charlottenburg, Bonn-Schweinheim oder ähnlich waldnah gelegenen Orten unserer Republik, die sie für eine Fortsetzung der biblischen Plagen erachten. In den vergangenen Jahren haben die Tiere vielerorts ungefragt Pflügearbeiten übernommen, wenig beeindruckt von Zäunen, Vogelscheuchen, fragwürdigen Duftstoffen oder lärmend fuchtelnden Zweibeinern. Im Hamburger Stadtteil Volksdorf wurde Mitte März dieses Jahres zunächst das Büro einer Consulting-Firma verwüstet, bevor in einer nahe gelegenen U-Bahn-Station das Chaos Einzug hielt.

So ein Wildschwein ist in der Tat nicht leicht einzuschüchtern. Ausgewachsene Keiler - außerhalb der Paarungszeit als Einzelgänger unterwegs - bringen bis zu 200 Kilogramm auf die Waage und haben messerscharfe Zähne. Doch auch die Muttertiere, die mit ihren Jungen unter Führung der Leitbache in hoch komplexen Familienverbänden zusammenleben, sind ebenso wehrhaft wie clever.


Anpassungsfähige Alleskönner

Wildschweine verfügen über ein gutes Gehör und einen ausgeprägten Geruchssinn (sehr zur Freude von Trüffel-Liebhabern), legen pro Nacht locker bis zu 30 Kilometer zurück und sind glänzende Schwimmer. Sie fressen alles und sind überaus anpassungsfähig, bevorzugen aber deckungsreiche Laub- und Mischwälder mit Eichen- und Buchenbeständen sowie ausreichenden Wasserstellen.

Ihr dichtes Fell mit den derben Borsten ist im Sommer braun-schwarz, im Winter überwiegend schwarz gefärbt. Die Tiere verfügen über eine breite Palette an Lautäußerungen, vom lauten Schnaufen oder Blasen bei Gefahr bis hin zum anhaltenden Kreischen bei Schmerzen oder Angst.

Wildschweine waren zunächst in ganz Europa, Nordafrika sowie weiten Teilen Asiens verbreitet. Nach Einführung durch den Menschen kommen sie mittlerweile auch in Nord-, Mittel-, und Südamerika, Australien und Neuseeland vor. In Großbritannien und Skandinavien galt das Wildschwein als ausgerottet, lebt aber mittlerweile dort in einigen Regionen - vermutlich nach Ausbrüchen aus Wildgehegen - wieder in freier Natur.

Was aber treibt die Wildschweine bei uns vermehrt in die Nähe menschlicher Siedlungen? Zunächst einmal der schiere Populationsdruck: So wurden in der Jagdsaison 2008/2009 bundesweit 647.000 Tiere erlegt, ein gutes Drittel mehr als im Vorjahr. Beim Deutschen Jagdschutzverband spricht man von der "größten Population seit den 1930er Jahren".


Reich gedeckter Tisch

Experten sehen die gewachsenen Wildschweinbestände in den klimabedingt milderen Wintern sowie in der Struktur unserer Landwirtschaft begründet. Mehrere rekordverdächtige Jahre der Eichel- und Buchenmast haben zu deutlich mehr Frischlingen geführt, manchmal gab es sogar zwei Würfe pro Jahr. Zwar werden Wildschweine in der Natur selten älter als sieben Jahre, doch das gleichen sie durch die hohe Vermehrungsrate locker aus. Natürliche Feinde wie Wolf, Bär oder Luchs fehlen bei uns bislang noch. Der größte Feind des Wildschweins ist - neben den Jägern und langen, harten Wintern - der Straßenverkehr.

Durch den großflächigen Mais- und Rapsanbau ist der Tisch für die Wildschweine beinahe ganzjährig gedeckt. Vor allem Mais ist bei den Tieren äußerst beliebt, die über zwei Meter hohen Pflanzen bieten Schutz und Nahrung im Überfluss. Dass viele Jäger immer noch Wildschweine mit künstlichen Futterstellen anlocken, erscheint da bestenfalls kurios.

Werden die Reviere zu klein, oder fällt die Eichel- und Bucheckernernte geringer aus, treibt es die Wildschweine in die Nähe menschlicher Siedlungen. Die Tiere lernen sehr schnell, dass dort nicht nur Gartenfrüchte warten, sondern auch Komposthaufen oder sogar Mülltonnen, die es einfach nur umzuschmeißen gilt. Wer solche Besuche vermeiden will, sollte seine Mülltonnen unzugänglich aufbewahren, den Komposthaufen nicht am äußersten Ende des Gartens anlegen, das Fallobst regelmäßig aufsammeln und die Gartenpforten vor allem nachts geschlossen halten.


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Hauptstadt-Schweinereien

Wildschweinbestände über Bejagung zu regulieren ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Sobald in Berlin in den Waldbereichen der Jagddruck erhöht wurde, kam es zu Wanderungen der Wildschweine in die Rand- und Siedlungsbereiche. Die gute Ernährungslage führt mittlerweile dazu, dass die Bachen zwei Mal im Jahr Nachwuchs bekommen und auch Jungschweine gut genährt in den Winter gehen.

Aus Naturschutzsicht sind hohe Wildschweinbestände nicht per se problematisch. Es gibt aber auch keinen vernünftigen Grund, die Tiere zusätzlich anzufüttern, ob nun aus Tierliebe - weil die Frischlinge gar so "putzig" sind - oder im Rahmen der Jagdausübung. Für den unmittelbaren Schutz vor Wildschweinschäden, zum Beispiel in Gärten und Friedhöfen, helfen wildschweinsichere Zaunsysteme mit Streifenfundament, die nicht zu unterwühlen sind.


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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 2/10, S. 46-47
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2010