BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 1141, vom 28. März 2019 - 38. Jahrgang
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)
Resistenzgene werden in Kläranlagen angereichert
Die üblichen Kläranlagen reduzieren die Zahl der Bakterien um mehrere
Größenordnungen. Aber die Bakterien, die sich noch im Ablauf der
Kläranlagen befinden, haben es in sich. Der relative Anteil von
antibiotikaresistenen Bakterien ist im Ablauf deutlich höher als im
Zulauf der Kläranlage. Es scheint so, dass die Reinigungsvorgänge in
der Kläranlage den antibiotikaresistenten Bakterien einen
Selektionsvorteil bieten. WissenschaftlerInnen der Eidgenössischen
Anstalt für Wasser, Abwasser und Gewässerschutz (EAWAG) haben sich in
zwölf Kläranlagen in der Schweiz mal näher angeschaut, wie der
Gentransfer in Abwasserreinigungsanlagen (ARA) funktioniert. Dabei
konnte festgestellt werden, dass von den Resistenzen, die im Abfluss
festzustellen sind, nur ein Teil schon im Zulauf vorhanden war.
Offenbar ist im bakteriellen Belebtschlamm in der biologischen
Reinigungsstufe ein großer Pool von Resistenzen vorhanden. Antibiotika
im Abwasser, aber möglicherweise auch Biozide und Schwermetalle
scheinen die Resistenzausbildung im Belebtschlamm zu fördern. Auch
wenn Antibiotika im Abwasser nur im Spurenbereich vorhanden sind,
scheint es so, dass auch diese niedrigen Konzentrationen bereits
ausreichen, um ständige Veränderungen in den Resistenzeigenschaften
der Belebtschlamm-Bakterien zu triggern. Bakterien mit Resistenzen
scheinen im Belebtschlamm "Überlebensvorteile" zu haben. In der
Ausgabe der eawag-news vom 12.12.18 wird berichtet, dass "eine kleine
Gruppe von Resistenzgenen (...) auf allen Stufen der Reinigung"
nachgewiesen werden konnte - und weiter:
"Dieser «harte Kern» schmuggelt sich durch die ARA und ist
vergleichsweise häufig anzutreffen. Aber rund 70 Prozent der
verschiedenen Resistenzgene, die mit dem Abwasser in die ARA gelangen,
werden im Verlauf des Reinigungsprozesses eliminiert. Dafür kommen
aber auch neue hinzu."
Rund 40 Prozent der Resistenzen im Auslauf der ARA hätten ihren
Ursprung vermutlich im Belebtschlamm. Eine weitere Erkenntnis:
"Die Bakterien in den biologischen Reinigungsstufen enthalten zum Teil
Resistenzgene, die zu 100 Prozent identisch sind mit denen von
Krankheitserregern. Diese haben sie vermutlich durch Genaustausch
erworben."
Um zu verhindern, dass die resistenten Bakterien in die Gewässer gelangen, empfehlen die AutorInnen, die Biomasse nach der Abwasserreinigung möglichst vollständig aus dem gereinigten Abwasser zu entfernen. Die derzeit in der Schweiz betriebene Einführung einer "Vierten Reinigungsstufe" zur Eliminierung der Mikroverunreinigungen könnte hierfür eine Chance bieten, heißt es in dem Beitrag "Resistenzen schmuggeln sich durch Kläranlagen" in den eawag-news 04 v. 12.12.18. Download unter www.ewag.ch
Auch die Originalpublikation gibt es im Internet:
Ju, F.; Beck, K.; Yin, X.; Maccagnan, A.; McArdell, C. S.; Singer, H.
P.; Johnson, D. R.; Zhang, T.; Bürgmann, H. (2018) Wastewater
treatment plant resistomes are shaped by bacterial composition,
genetic exchange, and upregulated expression in the effluent
microbiomes, ISME Journal, doi:10.1038/s41396-018-0277-8,
Institutional Repository
An der Sinnhaftigkeit der zuvor erwähnten "Vierten Reinigungsstufe" zur Eliminierung von Mikroverunreinigungen bestehen selbst in Fachkreisen immer noch Zweifel. Es sei nicht erkennbar, dass der Aufwand in einem vernünftigen Verhältnis zum zusätzlichen Gewässerschutz stehen würde. Wissenschaftler der oben erwähnten eawag haben den Praxistest gemacht und die Schadstoffaufnahme vor und nach der Inbetriebnahme einer vierten Reinigungsstufe untersucht. Darüber hinaus wurden an 13 weiteren Kläranlagen (schweizerische Bezeichnung: Abwasserreinigungsanlage - ARA) in Wasserproben und in Bachflohkrebsen (Gammariden) die Konzentration von Mikroverunreinigungen bestimmt. Über das Ergebnis wird in dem Aufsatz "Überraschender Fund von Schadstoffen in Flohkrebsen" in den eawag-news 04 vom 12.12.18 (download: siehe Notiz zuvor) berichtet: Insgesamt konnten 63 verschiedene Mikroverunreinigungen aus den Flohkrebsen extrahiert werden.
"Im Durchschnitt fanden sich in den Exemplaren oberhalb des ARA-Ausflusses vier, in denjenigen unterhalb 14 Substanzen. (...) Die am häufigsten detektierten Substanzen in den Flohkrebsen waren das Antidepressivum Citalopram, der UV-Filter Benzophenon, das Metall-Korrosionsschutzmittel Benzotriazol und das Insektizid Thiacloprid. Von letzterem ist bekannt, dass es toxisch auf Flohkrebse und andere wirbellose Tiere wirken kann."
Neben Thiacloprid habe man "drei weitere Insektizide, und zwar
Imidacloprid, Acetamiprid und Clodthianidin" analysieren können.
"Obwohl diese in den Wasserproben nur in geringen oder gar nicht
messbaren Konzentrationen vorhanden waren, kamen sie überraschend
häufig in den Gammariden vor - die Organismen schienen die Substanzen
im Körper anzureichern."
Die erfreuliche Erkenntnis: Nach dem man die ARA Hersiau im Jahr 2015 mit einer vierten Reinigungstufe (Pulveraktivkohle) ausgestattet hatte, fanden sich in den Gammariden unterhalb der ARA keine Mikroverunreinigungen mehr.
Was man an Hand der Bachflohkrebse im "Vorfluter" der ARA Herisau untersucht hat, soll jetzt im Forschungsprojekt "EcoImpact" in großem Maßstab an 24 weiteren Kläranlagen in der Schweiz verifiziert werden. Dazu heißt es in den eawag-news: "Mit dem Entscheid, rund 100 Kläranlagen mit einer zusätzlichen Reinigungsstufe zur Elimination von Mikroverunreinigungen aufzurüsten, hat die Schweiz international eine Pionierrolle im Gewässerschutz übernommen. Das bietet für die Forschung eine einmalige Gelegenheit, die Auswirkungen dieser Spurenstoffe auf aquatische Ökosysteme zu untersuchen und zu vergleichen. An 24 ausgewählten Flussstrecken ober- und unterhalb von Kläranlagen im Schweizer Mittelland und im Jura erfasst EcoImpact molekulare, physiologische und ökologische Parameter."
Das Schweizer Programm zur Errichtung von vierten Reinigungsstufen zur Eliminierung von Mikroverunreinigungen adressiert nicht nur große Kläranlagen. Sofern Trinkwasserentnahmen aus dem Uferfiltrat von Bächen erfolgen, werden auch die dort liegenden kleinen Kläranlagen mit Anlagen zur Entfernung von Mikroverunreinigungen ausgestattet.
Die Originalpublikation:
Munz, N. A.; Fu, Q.; Stamm, C.; Hollender, J. (2018) Internal
concentrations in gammarids reveal increased risk of organic
micropollutants in wastewater-impacted streams, Environmental Science
and Technology, 52(18), 10347-10358, doi:10.1021/acs.est.8b03632,
Institutional Repository
Dass Mikroverunreinigungen die Gewässerökologie schädigen, wird immer offensichtlicher. Insofern steigt der Druck und die Erwartungshaltung, dass Kläranlagen mit einer "Vierten Reinigungsstufe" zur Eliminierung der Mikroverunreinigungen aufgerüstet werden sollen. Die Frage ist, wer diese Investitionen, die sich bundesweit auf Milliarden Euro belaufen werden, stemmen soll. Um diese Frage zu debattieren, hatten das Bundesumweltministerium (BMU) und das Umweltbundesamt (UBA) zu einem "Finanzierungs-Symposium" für den 22. und 23. Jan. 2019 eingeladen gehabt. Auf dem zweitägigen Symposium wurde deutlich, dass das Verursacherprinzip bei der Finanzierung der "Vierten Stufe" kaum durchzusetzen sein wird. Gegen eine Abgabe auf Pestizide und/oder Arzneimittel kam geharnischter Protest der Hersteller. Zudem wurde eingewandt, dass eine Produktabgabe nicht verfassungskonform sein würde. Vor allem dem Umweltministerium in Stuttgart steckt noch das Schicksal der badenwürttembergischen Abfallabgabe in den Knochen. Die Abfallabgabe zur Finanzierung der Altlastensanierung war als nicht verfassungskonform kassiert worden - und Baden-Württemberg musste Millionenbeträge an die Abgabenpflichtigen zurückzahlen. Der Charme einer Pestizid- und Arzneimittelabgabe würde darin bestehen, dass entsprechende Abgaben eine Lenkungswirkung entfalten würden: Je gewässerschädigender das Pestizid oder Medikament, desto höher die Abgabe. Insofern könnte eine Produktabgabe die Produzenten dazu anreizen, weniger gewässerschädigende Produkte zu entwickeln. Aber die Befürworter einer Produktabgabe mit Lenkungsfunktion standen auf dem Berliner Symposium auf verlorenem Posten. Insofern scheint alles auf eine pauschale Erhöhung der Abwasserabgabe hinaus zulaufen.
Wichtige Inhalte und Ergebnisse
zum "Finanzierungs-Symposiums" können unter
https://www.finanzierungssymposium-spurenstoffe.de
abgerufen werden.
Mehr zur diskutierten Modifikation des Abwasserabgabengesetzes in der nächsten Notiz ...
Das in den 70er Jahren konzipierte Abwasserabgabengesetz verpflichtet kommunale und industrielle Kläranlagenbetreiber zur Zahlung einer Abgabe, die sich an Schadeinheiten für ausgewählte "Zahlparameter" ausrichtet. Je höher die Frachten an der organischen Restbelastung sowie an Nährstoffen im geklärten Abwasser sind, desto höher fällt die Abgabe aus. Bei industriellen Direkteinleitern werden bei der Abgabenhöhe zusätzlich noch Schwermetalle und Organochlorverbindungen ("AOX"), ggf. auch die Giftigkeit gegenüber Fischeiern, zugrunde gelegt. Abweichend von dieser Systematik soll bei der Erhöhung der Abgabe zur Finanzierung des Ausbaus von Kläranlagen mit vierten Reinigungsstufen ein Zuschlag erhoben werden, der sich nach der Zahl der angeschlossenen Einwohnerwerte (EW) richtet. Also: Je mehr Menschen und Gewerbebetriebe ("Indirekteinleiter") an eine Kläranlage angeschlossen sind, desto höher fällt der Zuschlag auf die Abwasserabgabe aus, so die ersten Denkmodelle. Der Zuschlag wird vom Kläranlagenbetreiber anschließend auf die Zahler der Abwassergebühr umgelegt. Sämtliche Details hierzu finden sich noch in der Diskussion. Im Grundsatz ist die Modifikation des Abwasserabgabengesetzes (AbwAG) aber schon im Koalitionsvertrag der GroKo festgeschrieben worden. Moniert wird allerdings, dass ein derart gestalteter Zuschlag keinerlei quellenbezogene Lenkungswirkung entfalten würde. Die Hersteller von spurenstoffhaltigen Produkten wären aus dem Schneider. Eine Anreizwirkung könnte ein Zuschlag auf die Abwasserabgabe allerdings auf die kommunalen Kläranlagenbetreiber ausüben: Denn wer eine "Vierte Reinigungsstufe" baut, soll nicht nur einen aus der Abwassergabe finanzierten Zuschuss bekommen. Erwogen wird, dass der Abgabenpflichtige für die Laufzeit des Betriebs der "Vierten Stufe" von der Zahlung des Zuschlags auf die Abwasserabgabe befreit werden könnte.
In Baden-Württemberg bestehen erste Überlegungen, für welche Kläranlagen der Bau einer "Vierten Stufe" besonders empfehlenswert wäre. Bisher funktioniert die Aufrüstung von kommunalen Kläranlagen in Ba.-Wü. eher nach dem "Lustprinzip". Auf 14 Kläranlagen im Land wird bereits eine "Vierte Stufe" betrieben. Das reicht von Großkläranlagen wie in Mannheim oder im Ulm bis hinunter auf eine kleine Kläranlage mit nur 5.000 Einwohnerwerten auf der Schwäbischen Alb. Wer sich freiwillig gemeldet hat, wurde vom Umweltministerium großzügig gefördert. Künftig soll aber mehr Systematik in die Nachrüstung mit "Vierten Stufen" kommen: "Weg vom Lustprinzip und hin zum Notwendigkeitsprinzip."
Ein erstes Priorisierungskonzept hat das Stuttgarter Umweltministerium
im Internet unter
https://um.baden-wuerttemberg.de/de/umwelt-natur/schutz-natuerlicher-lebensgrundlagen/wasser/abwasser/spurenstoffe/
veröffentlicht. Danach
gibt es in Baden-Württemberg 911 Kläranlagen, von denen 60% in ein
Fließgewässer einleiten, das bei Niedrigwasser einen Abwasseranteil
von mehr als 10% aufweist. Die Schwelle für den Ausbau mit einer
"Vierten Stufe" soll auf einen Abwasseranteil von mehr als 33 Prozent
beim Mittleren Niedrigwasserabfluss (MNQ) gelegt werden. Zur
Diskussion steht aber auch eine 50-Prozent-Zahl. Empfohlen wird ferner
ein Ausbau derjenigen Kläranlagen, die in empfindlichen Regionen
liegen - beispielsweise auf der Schwäbischen Alb, wo das herkömmlich
gereinigte - aber immer noch spurenstoffträchtige - Abwasser im
karstigen Untergrund versickert und wo dann die Gefahr besteht, dass
die schwer abbaubaren Abwasserinhaltsstoffe in einer zur
Trinkwassergewinnung genutzten Karstquelle wieder auftauchen.
Prädestiniert für eine Eliminierung von Mikroverunreinigungen sind
ferner die Kläranlagen im Einzugsgebiet des Bodensees. Schließlich
hängt die Trinkwasserversorgung des gesamten mittleren Neckarraums und
darüber hinaus von einer einwandfreien Gewässergüte im Bodensee ab. In
dem "Arbeitspapier Spurenstoffelimination auf kommunalen Kläranlagen
in Baden-Württemberg" mit Stand vom 20. Nov. 2018 geht man davon aus,
dass sich für die großen baden-württembergischen Kläranlagen über
500.000 EW ein Ausbau von selbst versteht. In der Summe ergeben sich
etwa 125 Kläranlagen, die für einen Ausbau vorgesehen sind. Bei
größeren Kläranlagen wird für den Betrieb der "Vierten Stufe" mit
Kosten von zwei bis acht Euro pro Einwohner und Jahr gerechnet. Bei
den kleinen Anlagen könnten Kosten zwischen 12 bis 15 Euro pro
Einwohner und Jahr anfallen. Falls tatsächlich ein Zuschlag zur
Abwasserabgabe eingeführt werden sollte, könnten diese Kosten dann von
den Betreibern einer "Vierten Stufe" mit dem entfallenden Zuschlag auf
die Abgabe gegengerechnet werden. Bei den Investitionskosten können
die Anlagenbetreiber je nach Größe nach dem jetzigen Stand mit einem
Zuschuss von 20 bis 80 Prozent rechnen.
*
Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1141
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU),
Grete-Borgmann-Strasse 10, 79106 Freiburg i./Br.
E-Mail: post@regiowasser.de
Internet: www.akwasser.de, www.regioWASSER.de
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© Freiburger Ak Wasser im BBU
veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2019
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